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Automation 26. Januar 2021

„Connectivity birgt Potenzial für die Digitalisierung“

Bei Arburg forciert Technikgeschäftsführer Guido Frohnhaus die Digitalisierung von Produktion und Produkten; Connectivity ist dabei ein zentrales Element.
Guido Frohnhaus, Geschäftsführer Technik bei Arburg: „Das Thema Connectivity – etwa mit 5G – birgt noch großes Potenzial für die Digitalisierung.“
Guido Frohnhaus, Geschäftsführer Technik bei Arburg: „Das Thema Connectivity – etwa mit 5G – birgt noch großes Potenzial für die Digitalisierung.“

Bei Arburg forciert Technikgeschäftsführer Guido Frohnhaus die Digitalisierung von Produktion und Produkten; Connectivity ist dabei ein zentrales Element.

Im Interview mit der K-ZEITUNG spricht Frohnhaus darüber, welchen Stellenwert bei Arburg die Themen Connectivity und 5G für die Digitalisierung haben, dass das Geschäft mit der Automobilindustrie wieder angezogen hat und über den Bezug der neuen Halle 23. Frohnhaus setzt darauf, mit Hilfe der Mobilfunktechnologie 5G die Fertigung und künftig auch Produkte weiter zu automatisieren.

Herr Frohnhaus, Sie sind seit einem Jahr Geschäftsführer Technik bei Arburg. Durch die Corona-Pandemie war 2020 ein ungewöhnliches Jahr für alle. Wie haben Sie als Newbie bei Arburg das erste Jahr erlebt?
Guido Frohnhaus:
Mein erstes Jahr bei Arburg war natürlich ein sehr spannendes, das muss man ja schon sagen. Als technischer Geschäftsführer bin ich ja sowohl für die Entwicklung als auch für die Produktion verantwortlich – und für Produktionsaufgaben war das Corona-Jahr ja nicht unbedingt ein einfacher Startzeitpunkt. Denn die Planung der Fertigung ist in einer solchen Situation eine große Herausforderung. Andererseits habe ich durch die Pandemie gelernt, mich relativ schnell auf die wesentlichen Themen zu fokussieren.

„Zum Jahresende hin haben wir eine Erholung des Markts gesehen“

Wie ist Arburg insgesamt durch das vergangene Jahr gekommen?
Frohnhaus:
Wir sind in das Jahr 2020 schon ein bisschen langsamer gestartet. Es war ja schon auf der K 2019 erkennbar, dass der Maschinenbau nicht mehr weiter so stark wachsen würden wie in den Jahren zuvor. Doch wir sind gut durch die Krise gekommen, und zum Jahresende hin haben wir eine Erholung des Markts gesehen.

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Was heißt das in Bezug auf den Umsatz? Der VDMA hatte Mitte des Jahres gesagt, dass der Auftragseingang der deutschen Kunststoff- und Gummimaschinenhersteller 20 Prozent unter dem des Vorjahres liegt.
Frohnhaus:
In einer ähnlichen Größenordnung lagen wir am Anfang des vergangenen Jahres sicherlich auch, doch im Laufe der Monate hat sich das je nach Branche sehr unterschiedlich dargestellt. Vor allem die Verpackungsindustrie und die Medizintechnik haben uns sehr viel Freude bereitet. Zudem gibt es einen klaren Trend zu elektrischen Maschinen. Zum Ende des Jahres hin hat sich das Gesamtgeschäft sehr gut für uns entwickelt. Und wir sehen auch, dass sich auch die Automobilindustrie langsam wieder erholt. Sie macht noch keine großen Sprünge, aber da gibt es die eine oder andere Projektanfrage. Insgesamt registrieren wir, dass die Komplexität unserer Projekte und Aufträge zugenommen hat. Die Nachfrage nach Turnkey-Anlagen hat wie auch in den vergangenen Jahren weiter an Schwung gewonnen.

Was sind die Gründe für den Trend zu Turnkey-Anlagen?
Frohnhaus:
Meist geht es unseren Kunden um höhere Prozesssicherheit, Qualität und Produktionseffizienz, was sich durch Integration vor- und nachgelagerter Fertigungsschritte erreicht lässt. Aber auch das Thema Lohnkosten, Lieferkettensicherheit und Reshoring werden immer wieder genannt.

Sehen Sie diese Zurückverlagerung von Produktionen nach Europa, die durch eine Automatisierung erst möglich ist?
Frohnhaus:
In dem einen oder anderen Fall vor allem im Bereich der Medizintechnik hat es ein Reshoring durchaus gegeben. Ob wir jetzt in Europa ein Reshoring auf breiterer Ebene sehen werden, das vermag ich nicht zu sagen. Das werden wir sicherlich in den nächsten Monaten und Jahren sehen, wenn die Automobilindustrie wieder mehr investiert. In der Branche macht man sich ja aber durchaus Gedanken über globale Wertströme und Lieferketten. Ein Reshoring von Technologie-Produkten, insbesondere im Bereich Elektronik, ist auf jeden Fall wünschenswert, um die Abhängigkeit Europas von Asien zu reduzieren.

Digitalisierung ermöglicht effiziente Fertigung in Losgröße 1

Losgröße 1 ist bei Arburg die häufigste Losgröße in der Montage. Die Herausforderung liegt dabei laut Frohnhaus darin, auch hier hochgradig automatisiert fertigen zu können und dabei gleichzeitig die Flexibilität zu behalten.
Losgröße 1 ist bei Arburg die häufigste Losgröße in der Montage. Die Herausforderung liegt dabei laut Frohnhaus darin, auch hier hochgradig automatisiert fertigen zu können und dabei gleichzeitig die Flexibilität zu behalten.

Wie sieht es bei Ihnen konkret in der Produktion aus, haben Sie in Richtung Automatisierung beziehungsweise Digitalisierung in den vergangenen Monaten investiert?
Frohnhaus:
Wir haben bei Arburg ja bereits seit vielen Jahren einen hohen Digitalisierungsgrad in Fertigung und Logistik, der auch weiterhin kontinuierlich steigt. 2020 haben wir den Ausbau von Robotertechnik bei der Fertigung standardisierter Komponenten nochmals stark vorangetrieben – und da ist sicherlich auch noch kein Ende in Sicht. Losgröße 1 ist heute bei uns die häufigste Losgröße in der Montage. Die Herausforderung liegt dabei für uns darin, auch hier hochgradig automatisiert fertigen zu können und dabei gleichzeitig die Flexibilität zu behalten. Unser modulares Maschinenkonzept hilft uns dabei enorm.

Haben Sie daneben noch weitere Investitionen in der Produktion getätigt?
Frohnhaus:
Wir haben unsere geplanten Investionen auch in der Corona-Krise ganz konsequent durchgezogen. Unsere Philosophie ist nach wie vor: Wir investieren in die Zukunft und in Nachhaltigkeit. So haben wir 2020 zum Beispiel in Bearbeitungszentren für die spanende Bearbeitung investiert. Das betrifft sowohl Ersatzbeschaffungen als auch Kapazitätserweiterungen, sodass wir künftig ein noch breiteres und individualisierbareres Portfolio fertigen können.

Bezug der neuen Halle 23 ist vor Weihnachten 2020 gestartet

Im Frühsommer 2019 erfolgte bei Ihnen der Spatenstich für die neue Halle 23. Plan war, das Erdgeschoss in der zweiten Jahreshälfte 2020 zu beziehen. Wie ist der aktuelle Stand?
Frohnhaus:
Richtig, durch den Bau der neuen Halle 23 erhalten wir 28.500 Quadratmeter zusätzliche Fläche vor allem für die Montage von großen Maschinen und Turnkey-Anlagen. Die Halle ist so gut wie fertiggestellt. Der Einzug ist vor Weihnachten 2020 gestartet. Wir sind damit im Zeitplan drei bis vier Monate hinten dran, da es im Sommer die ein oder andere Verzögerung aufgrund der Corona-Situation gegeben hat. Doch dadurch, dass der Auftragseingang im vergangenen Jahr nicht mehr so hoch war wie in den Vorjahren, drückte uns auch die Zeit bei der Fertigstellung der Halle 23 nicht so sehr.

Welche Investitionen in Produktionstechnik sind mit der Halle 23 verbunden?
Frohnhaus:
Im Untergeschoss werden wir in eine neue Fertigung für elektronische und mechanische Baugruppen investieren. Dies geht einher mit der Implementierung neuer Logistikkonzepte. Außerdem gibt es dort Platz für unsere Freeformer-Fertigung. Das sind alles Dinge, die werden bis Mitte des Jahres realisiert haben. Daneben investieren wir in Prüfmittel für die Montage großer Maschinen und Turnkey-Anlagen im Erdgeschoss, Hebezeuge, Kräne oder auch Flurförderfahrzeuge. Flurförderfahrzeuge sind gerade bei uns ein großes Thema, denn wir wollen zukünftig autonome Flurförderfahrzeuge in unseren Produktionshallen einsetzen.

Befassen Sie sich im Zusammenhang mit autonomen Flurförderfahrzeugen auch mit 5G in der Fabrik? In Freudenstadt gibt es ja den Campus Schwarzwald, der die Chancen der neuen Mobilfunktechnologie in der Produktion eruiert. Ist Arburg da mit an Bord?
Frohnhaus:
Ja, wir sind am Campus Schwarzwald stark engagiert und diskutieren das Thema 5G. In der Produktion sind wir jetzt gerade in der Startphase, 5G als Kommunikationstechnologie zu integrieren. Das kann für die fahrerlosen Transportsysteme sein, aber auch für die Vernetzung unserer Produktionsanlagen. Wie schon in der Vergangenheit bei anderen Technologien loten wir die Chancen von 5G für die Digitalisierung unserer Produktion früh aus. Damit verschaffen wir uns eine sehr gute Basis, um 5G später auch in unsere Produkte integrieren zu können.

Connectivity per 5G: Verlagerung der Maschinensteuerung in die Cloud

Welche Vorteile hat 5G für die Spritzgießmaschine beziehungsweise für den Spritzgießer?
Frohnhaus:
5G bringt für die drahtlose Konnektivität und damit die Digitalisierung in der Fabrik einen Riesenschub. Mit 5G lassen sich nicht nur Programme oder Safety-Funktionen, sondern die komplette Maschinensteuerung in ein Rechenzentrum oder in die Cloud verlagern. Das sind die Themen, die für uns und unsere Kunden in der Zukunft spannend werden, um die Maschineninfrastruktur und damit auch die Kostenstruktur zu optimieren. Aufträge für die einzelnen Spritzgießmaschinen können damit zentral gesteuert werden. Software-Updates lassen sich zentral einspielen, Rechenleistung kann zwischen mehreren Anlagen geshared werden, Prozessdaten lassen sich etwa mit Künstlicher Intelligenz über mehrere Maschinen konsolidieren und auswerten. Die Möglichkeiten, die sich durch 5G ergeben könnten, sind sehr vielseitig und interessant und können Effizienzpotenziale heben.

Bevor Sie zu Arburg kamen, waren Sie bei Turck beschäftigt, einem Unternehmen aus dem Bereich der Automation. Wo steht aus Ihrer Sicht die Automation im Spritzgießbereich – und welches Potenzial sehen Sie noch?
Frohnhaus:
Connectivity haben wir gerade angesprochen; da sehe ich großes Potenzial. Aber auch in der klassischen Automatisierung können wir noch viele Fortschritte erzielen. Die Entwicklung der mechanischen Komponenten der Automatisierung ist noch längst nicht am Ende. Alles wird kleiner und filigraner. Die Collaboration zwischen Mensch und Maschine wird immer wichtiger, weil die Losgrößen immer kleiner und wir flexibler werden müssen. Ich glaube, in diesem Bereich wird sich noch ganz viel tun. Ein weiterer Punkt ist die Automatisierung des Freeformers im Hinblick auf den industriellen Einsatz. Turck, mein früherer Aufraggeber, beschäftigt sich mit Industriesteuerungen und Sensorik – von der induktiven Sensorik über Sensorik für Druck und Temperatur. Da gibt es natürlich ganz viele interessante Einsatzgebiete auch im Bereich der Automatisierung der Spritzgießmaschine.

Das säulenfreie Konzept der Drehtischmaschine Allrounder T macht Medienanschlüsse einfach zugänglich und bietet große Freiräume zum Aufspannen der Werkzeuge.
Das säulenfreie Konzept der Drehtischmaschine Allrounder T macht Medienanschlüsse einfach zugänglich und bietet große Freiräume zum Aufspannen der Werkzeuge.

Im vergangenen Jahr war Arburg relativ zurückhaltend mit neuen Produkten. Die einzige neue Maschine war die kompakte Drehtischmaschine Allrounder 1600 T. Ist sie auch ein Ausdruck der fortschreitenden Automatisierung beim Spritzgießen?
Frohnhaus:
Das Jahr nach der K-Messe in Düsseldorf ist ja traditionell etwas ruhiger, was Neuerungen betrifft. Aber seien Sie versichert, dass wir zu den Technologie-Tagen im Juni wieder eine Fülle an Innovationen zünden werden. Doch zu Ihrer Frage: Für Automatisierungsarbeitsgänge sind Drehtischmaschinen natürlich prädestiniert. Ich kann im Werkzeug Zusatzaufgaben wie Einlegen, Montieren oder Prüfen realisieren. Das sehen wir in vielen Projekten, die wir heute umsetzen - sei es in der Medizintechnik oder in der Automatisierungstechnik, hier etwa beim Konditionieren von Steckverbindern.

Steigt denn die Nachfrage nach Drehtischmaschinen?
Frohnhaus:
Ja, in den vergangenen Jahren sind die Zahlen kontinuierlich angestiegen. Seit dem Beginn der Corona-Krise 2020 war die Nachfrage analog zum Gesamtmarkt rückläufig. Doch momentan sehen wir wieder gute Wachstumsaussichten bei Drehtischmaschinen. Die sind allerdings nicht alle automatisiert. Nach wie vor werden sie auch für manuelle Einlegearbeiten, also kleinere Losgrößen, genutzt.

Zahl der Software-Entwickler bei Arburg steigt

Ich würde gerne nochmals auf das Thema Digitalisierung zu sprechen kommen. Software ist dabei ja ein ganz zentraler Aspekt. Wie viele Software-Entwickler beschäftigen sie mittlerweile?
Frohnhaus:
Sehen Sie mir bitte nach, dass ich hier keine konkrete Zahl nenne, denn das ist ja durchaus auch eine wettbewerbsrelevante Information. Zur Tendenz kann ich aber sagen: steigend! Bei uns umfasst die Softwareentwicklung deutlich mehr, als bei unseren großen europäischen Wettbewerbern, da wir die Steuerung ja selbst entwickeln. Wenn wir uns mal die Anzahl der Steuerungen ansehen, die wir hier bei Arburg bauen, dann gehören wir sicherlich zu den größeren Steuerungsherstellern in Deutschland. Das weiß nur so gut wie keiner – weil die alle in unsere Maschinen verbaut werden. Die Steuerung und die dazugehörige Software ist eine ganz wesentliche Komponente in der Spritzgießmaschine – und ein zentraler Baustein für die Digitalisierung, wenn ich mir unsere digitalen Assistenzsysteme anschaue. Wir können durch die Entwicklung der Steuerung im eigenen Haus ganz anders einsteigen in Themen wie etwa Predictive Maintenance oder auch Künstliche Intelligenz.

„Digitale Services muss man monetarisieren können“

Wie schätzen Sie die Chancen ein, mit digitalen Services Geld zu verdienen?
Frohnhaus:
Ich schätze, dass digitale Services zukünftig eine wesentliche Rolle spielen. Ob es Abrechnungsmodelle sind für Maschinennutzung oder Energieberechnungen – die Möglichkeiten sind mannigfaltig. Und ich bin der Meinung, dass man diese Leistungen und Möglichkeiten auch monetarisieren können muss, weil sie für den Kunden ja durchaus wertschöpfende Prozesse darstellen.

Sehen Sie schon die Bereitschaft bei den Kunden, dafür Geld auszugeben?
Frohnhaus:
Ja, auf jeden Fall. Allerdings müssen wir bei vielen Unternehmen – und das ist kein Thema der Größe – noch die Hemmschwelle überwinden, uns für solche Services den Zutritt zu ihrem Netzwerk zu gewähren. Das grundsätzliche Vertrauen dafür fehlt vielfach noch. Er wird befürchtet, dass auch ungebetene Gäste ins Netzwerk kommen können. Dabei gibt es Technologien, die wirklich sicher sind für diese Anwendungen. Wenn wir diese Ängste abbauen können, dann werden wir eine ganz rasante Zunahme von digitalen Services sehen, davon bin ich fest überzeugt.

Sabine Koll

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