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News 25. September 2023

Strompreis gefährdet Standort

Führende Industrieverbände schlagen Alarm und sehen dringenden Handlungsbedarf der Politik, um den im internationalen Vergleich extrem hohen Strompreis zu senken und so Deutschland als Industriestandort zu retten.

Um Deutschland als Industriestandort zu erhalten, braucht es nicht nur einen zügigen, ambitionierten und unbürokratischen Ausbau der erneuerbaren Energien, sondern in der Übergangszeit auch geeignete Maßnahmen zur kurzfristigen Senkung der Stromkosten.
Um Deutschland als Industriestandort zu erhalten, braucht es nicht nur einen zügigen, ambitionierten und unbürokratischen Ausbau der erneuerbaren Energien, sondern in der Übergangszeit auch geeignete Maßnahmen zur kurzfristigen Senkung der Stromkosten.

Die gesamte deutsche Industrie – und allen voran die Kunststoffindustrie – befindet sich derzeit in einer fundamentalen und umfassenden Transformation hin zu Klimaneutralität und Kreislaufwirtschaft. Die Unternehmen ersetzen fossile Energien wie Gas, Kohle und Öl durch Strom aus erneuerbaren Energien. Sie setzen auf den Umbau und die Elektrifizierung ihrer Produktionsanlagen. Und sie arbeiten in der Kunststoffindustrie an Produktdesigns und Technologien für mehr Recycling sowie für mehr Einsatz erneuerbarer Rohstoffe – Rezyklate, Biokunststoffe, CO2 – für die Kunststoffherstellung aus nicht-fossilen Quellen.

Ausgerechnet während dieser enormen Kraftanstrengung für die Transformation bringen die im internationalen Vergleich extrem hohen und seit dem Krieg in der Ukraine erneut gestiegenen und zunehmend volatilen Stromkosten Deutschlands viele Unternehmen – auch aus der Kunststoffindustrie – an den Rand ihrer Wettbewerbsfähigkeit.

Dr. Ralf Düssel, Vorsitzender von Plastics Europe Deutschland: „Zukunftsweisende Investitionsentscheidungen werden aufgrund der Stromkosten immer häufiger gegen deutsche Standorte getroffen.“
Dr. Ralf Düssel, Vorsitzender von Plastics Europe Deutschland: „Zukunftsweisende Investitionsentscheidungen werden aufgrund der Stromkosten immer häufiger gegen deutsche Standorte getroffen.“

Die Lage ist ernst, betont Dr. Ralf Düssel, Vorsitzender von Plastics Europe Deutschland: „Zukunftsweisende Investitionsentscheidungen werden aufgrund der Stromkosten immer häufiger gegen deutsche Standorte getroffen und die notwendigen massiven Investitionen in den Umbau hin zur klimaneutralen Kreislaufwirtschaft in einer entscheidenden Phase der Transformation ausgebremst“.

Plastics Europe will zeitlich begrenzten Brückenstrompreis

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Für Ingemar Bühler, Hauptgeschäftsführer von Plastics Europe Deutschland, braucht es einen „zügigen, ambitionierten und unbürokratischen Ausbau der Erneuerbaren Energien“. Die benötigten Mengen erneuerbaren Stroms sind wichtig, werden aber erst in einigen Jahren zur Verfügung stehen. Deshalb setzt Ingemar Bühler darauf, dass „die Politik den dringenden Handlungsbedarf erkennt, um eine hochinnovative Industrie mit Hunderttausenden guter Arbeitsplätze und klarem Transformationskurs international auf Augenhöhe zu bringen. Mit einem fairen, zeitlich begrenzten Brückenstrompreis kann sie derzeit stattfindende Abwanderung von Investitionen verhindern und eine nachhaltige Wertschöpfung in Deutschland sichern“.

GKV: Stromsteuer auf europäisches Mindestniveau senken

Auch Dr. Helen Fürst, Präsidentin des Gesamtverband kunststoffverarbeitende Industrie GKV sieht den Standort Deutschland in großer Gefahr: „In der aktuellen Verfassung droht dem Industrieland Deutschland die massenhafte Abwanderung von Produktion in andere Länder und ein langsames Ausbluten durch den fehlenden Nachwuchs an Fachkräften. Die deutsche Bundesregierung muss jetzt mindestens einen Gang hochschalten“.

Dr. Helen Fürst, Präsidentin des Gesamtverband kunststoffverarbeitende Industrie: „In der aktuellen Verfassung droht dem Industrieland Deutschland die massenhafte Abwanderung von Produktion in andere Länder.“
Dr. Helen Fürst, Präsidentin des Gesamtverband kunststoffverarbeitende Industrie: „In der aktuellen Verfassung droht dem Industrieland Deutschland die massenhafte Abwanderung von Produktion in andere Länder.“

Bei wichtigen Anliegen der Industrie wie international wettbewerbsfähigen Strompreisen, ist die Regierungskoalition auf Bundesebene nach Überzeugung von Helen Fürst „uneinig oder erkennbar gänzlich unwillig. Stattdessen belastet die Regierung die Industrie beispielsweise durch die Abschaffung des Stromsteuerspitzenausgleichs zur Unzeit. Das schadet dem Industrieland Deutschland“, sagte Fürst.

Die Präsidentin des GKV führte weiter aus: „Um die Wirtschaft aus der Krise zu führen, ist ein breit angelegter und unmittelbar wirksamer Befreiungsschlag für die Wirtschaft erforderlich.“ Dazu muss laut Fürst die Stromsteuer auf das europäische Mindestniveau abgesenkt werden und zudem wäre es sinnvoll, dass der Bund die Netzentgelte vollständig in den Bundeshaushalt übernimmt.

VCI fordert temporär begrenzten Industriestrompreis

Wolfgang Große Entrup, Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Chemischen Industrie VCI, sieht ebenfalls die Politik in der Pflicht: „In den Etatplanungen der Bundesregierung fehlt die zwingend notwendige Position für den Erhalt der energieintensiven Wirtschaft am Standort Deutschland. Wir brauchen jetzt eine kluge und fokussierte Wirtschaftspolitik, die die vorhandenen finanziellen Ressourcen für wettbewerbsfähige Bedingungen der heimischen Industrie nutzt. Hierzu gehört vor allem bezahlbare Energie. Mit politischem Willen lässt sich ein Weg für einen temporär begrenzten Industriestrompreis finden.“

Wolfgang Große Entrup, Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Chemischen Industrie: „In den Etatplanungen der Bundesregierung fehlt die zwingend notwendige Position für den Erhalt der energieintensiven Wirtschaft am Standort Deutschland.“
Wolfgang Große Entrup, Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Chemischen Industrie: „In den Etatplanungen der Bundesregierung fehlt die zwingend notwendige Position für den Erhalt der energieintensiven Wirtschaft am Standort Deutschland.“

Den von der Regierung angeführten fehlenden finanziellen Spielraum lässt der VCI nicht gelten und verweist darauf, dass laut aktueller Steuerschätzung allein im nächsten Jahr das Steueraufkommen um weitere 42 Mrd. EUR steigen soll. Insgesamt hat die öffentliche Hand bis 2027 laut VCI sogar ein riesiges Volumen von über 400 Mrd. EUR mehr in den Kassen.

Der Chemieverband betont, dass die energieintensiven Unternehmen 20 % der Industrie ausmachen. An diesen Unternehmen hängen außerdem über 2,4 Mio. Arbeitsplätze. Große Entrup warnt: „Wir können es uns nicht leisten, einen der produktivsten Industriebereiche mit einer enormen Wertschöpfung, die sich allein für den Fiskus mit weit über 40 Milliarden Euro Steuern pro Jahr auszahlt, aus dem Land zu vertreiben.“ Die energieintensiven Unternehmen seien unverzichtbar in den Wertschöpfungsketten, besonders auch für den Klimaschutz. „Ohne die energieintensive Wirtschaft dreht sich kein Windrad und es fährt auch kein Elektroauto“, so Große Entrup.

IW schlägt Senkung oder Abschaffung der Stromsteuer vor

Die nicht wettbewerbsfähigen Energiepreise, die besonders die energieintensive Industrie bedrohen, sieht auch das Institut der deutschen Wirtschaft IW als Kern der aktuellen Misere Hier müsse der Staat zügig helfen, sonst drohe die Deindustrialisierung, heißt es aus Köln. Als Lösung schlägt das IW ein Energie-Sofortpaket vor: Dafür müsste die Bundesregierung die Stromsteuer senken oder abschaffen und die Netzentgelte reformieren – beides ginge nach Überzeugung des IW auch kurzfristig.

Warum die deutsche Industrie dringend eine Kurskorrektur der Regierung braucht, erfahren Sie in diesem Beitrag der K-ZEITUNG.

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