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News 28. August 2023

Industrie braucht Kurskorrektur der Wirtschaftspolitik

Der Gesamtverband Kunststoffverarbeitende Industrie und das Institut der deutschen Wirtschaft fordern eine schnelle Kurskorrektur in der Wirtschaftspolitik.

Kern der aktuellen Misere sind nach Überzeugung des Instituts der deutschen Wirtschaft noch immer die nicht wettbewerbsfähigen Energiepreise, die besonders die energieintensive Industrie bedrohen. Gerade hier ist eine schnelle Kurskorrektur der Bundesregierung nötig.
Kern der aktuellen Misere sind nach Überzeugung des Instituts der deutschen Wirtschaft noch immer die nicht wettbewerbsfähigen Energiepreise, die besonders die energieintensive Industrie bedrohen. Gerade hier ist eine schnelle Kurskorrektur der Bundesregierung nötig.

Angesichts der aktuellen Konjunkturflaute in der Kunststoffverarbeitung mit einem deutlichen Umsatzrückrang im ersten Halbjahr 2023 fordert der Gesamtverband Kunststoffverarbeitende Industrie e.V. (GKV) als Spitzenverband des Industriezweigs die Bundesregierung zum Handeln auf, um mit einer Kurskorrektur und einem breit angelegten und unmittelbar wirksamen Befreiungsschlag die Wirtschaft aus der Krise zu führen.

Geringere Umsätze im Handel und in wichtigen Industriezweigen ließen den Umsatz der Kunststoff verarbeitenden Industrie in den Monaten Januar bis Juni 2023 nach Angaben des Statistischen Bundesamtes um 4,6 % gegenüber dem Vorjahr sinken. Die Zahl der Beschäftigten bewegt sich bisher auf dem Vorjahresniveau. Allerdings machen Branchenunternehmen vermehrt vom Instrument der Kurzarbeit Gebrauch, so der GKV. Auch das Geschäftsklima für die Hersteller von Kunststoffwaren ist ausweislich des Geschäftsklimaindex des Ifo Institut – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München e.V. weiter deutlich negativ.

Spürbarer Umsatzrückgang der Kunststoff verarbeitenden Industrie

Auch wenn ein Teil des Umsatzrückgangs auf gegenüber dem Vorjahr veränderte Rohstoffpreise zurückzuführen sein mag, so trifft der Umsatzrückgang in vielen wichtigen Kundenindustrien auch die Kunststoff verarbeitende Industrie spürbar. Besonders stark von der Konjunkturflaute betroffen sind die Hersteller von Halbzeugen (Platten und Folien aus Kunststoff), deren Umsätze um 10,8 % zurückgingen. Die Umsätze der Hersteller von Verpackungsmitteln aus Kunststoff waren mit 6 % ebenfalls rückläufig. Hier schlagen sich insbesondere die schwachen Umsätze im Einzelhandel und die Umsatzrückgänge in wichtigen Kundenindustrien, beispielsweise der Chemieindustrie, nieder.

Die Hersteller von Baubedarfsartikeln aus Kunststoff verzeichneten mit rund 8 % ebenfalls ein deutliches Umsatzminus. Gestiegene Zinsen dämpften die Nachfrage am Bau zuletzt spürbar. Zulegen konnten hingegen die Hersteller sonstiger Kunststoffwaren, insbesondere technischer Kunststoffprodukte, mit einem Umsatzplus von 4,7 %. Nach einem krisenhaften Vorjahr verzeichnete die Automobilindustrie zuletzt wieder deutliche Umsatzsteigerungen. Allerdings sind Experten skeptisch, ob der Aufschwung in der zweiten Jahreshälfte andauert.

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GKV-Präsidentin Dr. Helen Fürst: „In der aktuellen Verfassung droht dem Industrieland Deutschland die massenhafte Abwanderung von Produktion in andere Länder.“
GKV-Präsidentin Dr. Helen Fürst: „In der aktuellen Verfassung droht dem Industrieland Deutschland die massenhafte Abwanderung von Produktion in andere Länder.“

Ohne Kurskorrektur droht Abwanderung der Produktion

„In der aktuellen Verfassung droht dem Industrieland Deutschland die massenhafte Abwanderung von Produktion in andere Länder und ein langsames Ausbluten durch den fehlenden Nachwuchs an Fachkräften. Die deutsche Bundesregierung muss jetzt mindestens einen Gang hochschalten“, fordert GKV-Präsidentin Dr. Helen Fürst. „Das von der Bundesregierung angekündigte so genannte Wachstumschancengesetz reicht mit 6 Mrd. Euro Fördervolumen und diversen bürokratischen Hürden für die antragstellenden Unternehmen in keiner Weise aus, um der Industrie den notwendigen Schwung zurückzugeben und wird absehbar gerade die mittelständische Industrie nicht in dem notwendigen Maße erreichen“, so Fürst weiter.

Regierungskoalition „uneinig oder erkennbar gänzlich unwillig“

„Bei wichtigen Anliegen der Industrie wie international wettbewerbsfähigen Strompreisen, einer großen Unternehmenssteuerreform und eines kräftigen Investitionsschubs für die Digitalisierung unserer Wirtschaft ist die Regierungskoalition auf Bundesebene uneinig oder erkennbar gänzlich unwillig. Stattdessen belastet die Regierung die Industrie beispielsweise durch die Abschaffung des Stromsteuerspitzenausgleichs zur Unzeit. Das schadet dem Industrieland Deutschland“, sagte Fürst.

Die Präsidentin des GKV führte weiter aus: „Um die Wirtschaft aus der Krise zu führen, ist ein breit angelegter und unmittelbar wirksamer Befreiungsschlag für die Wirtschaft erforderlich, welcher unter anderem folgende Maßnahmen enthält: Die Stromsteuer muss auf das europäische Mindestniveau abgesenkt werden. Es wäre sinnvoll, dass der Bund die Netzentgelte vollständig in den Bundeshaushalt übernimmt. Wir brauchen Unternehmenssteuern, deren Niveau international wettbewerbsfähig ist. Der private Wohnungsbau und die energetische Sanierung von Wohngebäuden müssen endlich von der Überfrachtung mit Standards befreit werden. Deutschland muss deutlich schneller und konsequenter ausländische Fachkräfte aktiv werben.“

IW: „Es ist Zeit für eine neue Wachstumsagenda“

Auch das Institut der deutschen Wirtschaft IW sieht die Bundesregierung vor gewaltigen Herausforderungen aufgrund der schwächelnden Konjunktur, anhaltender Inflation und Sorgen vor einer Deindustrialisierung. „Die wirtschaftliche Lage ist ernst, die Konjunkturaussichten bleiben trüb. Wenn die Koalition ihre Zukunftsversprechen ernst meint, muss sie ihre Streitereien beiseitelegen und Wachstumspolitik betreiben“, so die mahnenden Worte der Kölner Wirtschaftswissenschaftler. „Es ist Zeit für eine neue Wachstumsagenda“, fordert deshalb das IW und präsentiert zur anstehenden Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg fünf Maßnahmen, um die Wirtschaftsflaute zu beenden:

1.         Kern der aktuellen Misere sind noch immer die nicht wettbewerbsfähigen Energiepreise, die besonders die energieintensive Industrie bedrohen. Hier muss der Staat zügig helfen, sonst droht die Deindustrialisierung. Ein Energie-Sofortpaket könnte die Lösung sein: Dafür muss die Bundesregierung die Stromsteuer senken oder abschaffen und die Netzentgelte reformieren – beides ginge nach Überzeugung des IW auch kurzfristig.

2.         Nachdem nun auch aus der eigenen Fraktion Gegenwind kommt, sollte Olaf Scholz seinen Widerstand gegen den Industriestrompreis aufgeben. Das Modell des Wirtschaftsministers ist für das IW ein bedenkenswerter Vorschlag – durch die Bindung an den Börsenstrompreis würde die Politik Anreize für den Ausbau der Erneuerbaren Energien setzen.

3.         Deutschland ist ein Hochsteuerland: Im Jahr 2022 lag die effektive Steuerbelastung für Unternehmen in Deutschland bei 28,8 % – der EU-Durchschnitt hingegen bei 18,8 %. Um das Investitionsklima zu verbessern, sollte die Bundesregierung den Solidaritätszuschlag endgültig abschaffen, so das IW – immerhin eine Entlastung von 7 Mrd. EUR für die Unternehmen.

4.         Der Umbau unserer Volkswirtschaft gelingt nur, wenn die Unternehmen ihre innovative Kraft entfalten können. Dafür sollte die Koalition nach Überzeugung der IW-Wissenschaftler – wie grundsätzlich im Wachstumschancengesetz vorgesehen – eine Investitionsprämie auf den Weg bringen, die steuerliche Forschungsförderung verbessern und den steuerlichen Verlustabzug großzügig ausweiten, das gibt den Firmen Raum für Zukunftsinvestitionen.

5.         Beim Wachstumschancengesetz darf sich die Koalition keine weiteren Verzögerungen erlauben. Das Gesetz ist sicher nicht so gut wie sein Name, wenngleich es das Steuerrecht an wichtigen Stellen reformiert. Ins Gesetzblatt muss es trotzdem so schnell wie möglich – schon allein um den Märkten zu zeigen, dass diese Regierung handlungsfähig ist und es ernst meint. Jetzt ist nicht die Zeit für Koalitionsstreit, mahnt das IW.

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