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Unternehmen 29. Januar 2024

Boy: „Wir brauchen unbürokratische Investitionsanreize“

Die Nachfrage nach Spritzgießmaschinen ist stark gesunken, im Interview mit der K-ZEITUNG fordert Boy daher unbürokratische Investitionsanreize.

Alfred Schiffer, Geschäftsführender Gesellschafter von Boy (links) und Dr. Patrick Messer, Leiter Anwendungstechnik, plädieren dafür, in Deutschland unbürokratische Investitionsanzreize zu geben. Die britische Regierung habe jüngst vorgemacht, wie dies funktionieren kann.
Alfred Schiffer, Geschäftsführender Gesellschafter von Boy (links) und Dr. Patrick Messer, Leiter Anwendungstechnik, plädieren dafür, in Deutschland unbürokratische Investitionsanzreize zu geben. Die britische Regierung habe jüngst vorgemacht, wie dies funktionieren kann.

„Wir bräuchten in der EU und in Deutschland Investitionsanreize, die unkomplizierte Unterstützung bieten, um den veralteten, energetisch ineffizienten Maschinenpark auszutauschen“, sagt Alfred Schiffer, Geschäftsführender Gesellschafter von Boy. Im Interview mit der K-ZEITUNG berichtet er gemeinsam mit Dr. Patrick Messer, Leiter Anwendungstechnik, auch, was die eingebrochene Nachfrage weltweit konkret für den Maschinenbauer mit Sitz in Neustadt-Fernthal bedeutet, welche Märkte wie gut oder schlecht laufen und welche Auswirkungen der Personal- und Nachwuchsmangel auf das Unternehmen uns eine Kunden hat.

Herr Schiffer, wie war die geschäftliche Entwicklung bei Ihnen im vergangenen Jahr?

Alfred Schiffer: Seit der K 2022 beziehungsweise schon davor ist am Markt eine gewisse Investitionszurückhaltung erkennbar, die uns natürlich auch betrifft. Das vergangene Jahr war noch geprägt von den guten Auftragsbeständen aus dem Vorjahr, die wir abarbeiten. Aber der Auftragseingang ist kontinuierlich zurückgegangen.

Wie stark ist der Rückgang?

Schiffer: Die Zahl der Bestellungen ist in einem überdurchschnittlichen Maße zurückgegangen. Dabei waren alle Märkte mehr oder weniger gleichmäßig betroffen. Es gab immer mal wieder Kompensationen durch einige Märkte, doch waren diese nicht groß genug, um den Einbruch im Auftragseingang abzufedern. Unser Auftragsbestand schmilzt daher. Ergänzend muss man natürlich sagen, dass wir von einem sehr, sehr hohen Level kamen. Wir hatten teilweise einen sehr langen Auftragsvorlauf, sodass die Kunden lange auf ihre Spritzgießmaschinen warten mussten. Nun sind die Lieferzeiten deutlich kürzer geworden. Aber wir möchten uns als Unternehmen natürlich irgendwo zwischen diesen beiden Extremen bewegen. 

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Sie sagten, es gibt auch Bereiche, die gut laufen. Was konkret?

Dr. Patrick Messer: Nach Branchen gesehen bewegt sich vor allem die Medizintechnik kontinuierlich auf einem guten Niveau. Betrachtet man lokale Märkte, so gibt es einige aufstrebende Regionen und Länder. Dazu gehören zum Beispiel Indien – der Markt ist speziell, wächst aber stark – und die Türkei. In Europa kann man Slowenien hervorheben. Und auch der eine oder andere asiatische Markt läuft okay. Es finden aus Angst vor einer möglichen Eskalation des Konflikts mit Taiwan Produktionsverlagerungen von China in andere asiatische Länder statt. Aber in Summe gesehen machen diese Märkte die Einbrüche nicht wett.

Gibt es weitere Märkte mit Potenzial?

Schiffer: Vietnam ist ein zunehmend interessanter Markt für uns. Unternehmen, die in China fertigen, verlagern dorthin zum Teil ihre Fertigung. Aber wir haben dort auch große deutsche Bestandskunden, die dort schon lange fertigen. Der Markt in Großbritannien ist übrigens auch sehr stabil geblieben. Dort hat man erkannt, dass man sich bestimmte Transformationen, die wir uns in der EU glauben erlauben zu können, in dem Maße nicht gibt. Außerdem wird dort jetzt ein superattraktives, unkompliziertes Investitionsprogramm für grüne Industrien gestartet. Das funktioniert ohne Antragstellung und ohne Energieberater. Die Unternehmen müssen nur entsprechende Maschinen kaufen. Unternehmer wollen ja etwas bewegen – und sich nicht damit befassen, wie man Förderanträge ausfüllt.

Wäre dies eine Idee für die deutsche Regierung?

Schiffer: So etwas in der Art, das Verarbeitern unkomplizierte Unterstützung bietet, den veralteten, energetisch ineffizienten Maschinenpark auszutauschen, bräuchten wir in der EU und in Deutschland auch. Damit würde Energie gespart, die Verarbeiter könnten wirtschaftlicher arbeiten, und wir als Maschinenbauer würden unsere Werke auslasten. Davon würden also alle profitieren. Und dies würde zur Belebung der Industrie beitragen.

Messer: Die Bundesregierung hat den Bürokratieaufwand zudem nochmals erhöht. Wenn man heute beispielsweise eine alte Spritzgießmaschine mit 600 kN Schließkraft und einer mittleren Leistungsaufnahme von 8 kW für die Fertigung eines Artikels durch eine moderne Maschine mit 800 kN Schließkraft und 3 kW mittlerer Leistungsaufnahme ersetzen möchte, so ist das in Verbindung mit einer Bafa-Förderung nicht mehr ohne weiteres möglich. Denn mittlerweile gibt es eine Regelung, nach der eine Abweichung der Schließkraft nach oben nur um 10 % zulässig ist, auch wenn ein und derselbe Artikel mit einer modernen 80 t Maschine energieeffizienter gefertigt werden kann, als mit einer alten 60 t Maschine

Im vergangenen Jahr wurde der US-Markt immer wieder gelobt. Können Sie dem zustimmen?

Schiffer: Der US-Markt war lange Zeit für uns sehr stark, aber seit einem guten halben Jahr zeigt auch er Schwächen.

Und wie nehmen Sie den chinesischen Markt aktuell wahr?

Schiffer: Wir haben ja jeweils eine Vertretung in Nord- und in Südchina. Die Auftragslage war dort im vergangenen Jahr okay, aber natürlich auch leicht im Minus. Die gesamte chinesische Wirtschaft hat ja bei weitem nicht die geplanten Wachstumszahlen erreicht. Meines Erachtens wird das Geschäft dort auch schwieriger werden, da der chinesische Staat in vielen Bereichen die Abkapselung von der Weltwirtschaft anstrebt. Das ist genau die umgekehrte Entwicklung, wie sie die letzten 20 bis 25 Jahre stattgefunden hat. Aus einer Deglobalisierung werden meiner Meinung nach aber alle Nationen als Verlierer hervorgehen.

Sehen Sie im Moment Licht am Ende des Tunnels? 

Schiffer: Ich sehe nicht komplett schwarz. Es gibt wie gesagt Märkte, die unvermindert gut laufen. Und auch das ein oder anderen Projekte macht wieder Hoffnung. Doch viel wird davon abhängen, wie die Politik die Zukunft gestaltet – Stichwort Energiepreise und -verfügbarkeit – oder was sonst noch auf der Welt passieren wird, also zum Beispiel wirtschaftliche oder kriegerische Ereignisse. Es gibt ein ganzes Bündel an Unwägbarkeiten, welche die Investitionsentscheidungen unserer Kunden beeinflussen können. Diese können auch rein psychologischer Natur sein. Um Ihnen ein Beispiel zu nennen: Als im Dezember der Bundeshaushalt für dieses Jahr unklar war, befürchteten viele Kunststoffverarbeiter, dass es Fördermaßnahmen für die Transformation der Wirtschaft dieses Jahr nicht mehr geben wird; also etwa Bafa-Zuschüsse für die Erneuerung alter Maschinenflotten. Anfang Dezember war das Bafa-Portal für die Antragstellung aufgrund der unklaren Haushaltslage komplett abgeschaltet – eine krasse Aktion. Das sorgte für große Irritationen bei den Unternehmen.

Sind Materialknappheit und Lieferengpässe noch ein Thema für Sie?

Messer: Am Anfang vergangenen Jahres war dies noch ein Thema, mittlerweile ist die Verfügbarkeit aber kein Problem mehr. Die Preisentwicklung bei gewissen Kaufteilen – also zum Beispiel Gussteile oder Elektronikbausteine – setzt uns allerdings jetzt zu. Das Preisniveau von vor der Corona-Zeit haben wir leider nicht wieder erreicht; und die Inflation hat in den zurückliegenden Monaten für einen weiteren Anstieg gesorgt.

Haben Sie aufgrund dieser Entwicklung Ihre Preise nach oben angepasst?

Schiffer: Ja, wir mussten die Preise im vergangenen Jahr zweimal anheben. Ob dies das Ende der Fahnenstange ist, wissen wir nicht. Das hängt davon ab, was passieren wird – etwa mit den Energiepreisen und der Inflation. Wenn es so bleibt wie zurzeit, keine neuen Schockwellen ausgelöst werden und die Inflation weiter sinkt, könnte dies die Rückkehr zu einer normalen Entwicklung bedeuten. Ich gehe allerdings nicht davon aus, dass wir unsere Preise wieder auf das Niveau von 2021 werden senken können, denn die Lohn- und Gehaltserhöhungen müssen wir natürlich auch einpreisen.

Konnten sie die Preiserhöhungen für Kaufteile vollumfänglich an ihre Kunden weitergeben?

Schiffer: Nein, das ist nicht möglich, zumal alle Spritzgießmaschinenbauer derzeit am Markt um Aufträge konkurrieren. Das heißt, wir haben einen Käufermarkt und es wird wieder laut verhandelt. Unsere Margen werden dadurch kleiner. Und letztlich geht dies natürlich zulasten unseres Gewinns. Aber das sind die normalen Zyklen im Investitionsgütergeschäft.

Messer: Vor zwei Jahren hatten wir ja noch die genau umgekehrte Situation, nämlich einen Anbietermarkt: Damals lauteten die Fragen der Kunden: Können Sie liefern und wenn ja wie schnell?

Planen Sie angesichts der schlechten Auftragslage Kurzarbeit?

Schiffer: Ja, seit Anfang Januar 2024 arbeiten wir kurz. Mit solchen Umsatzeinbußen geht es nicht anders.

Sehen Sie im Moment auch die Entwicklung, dass Kunden ihre Fertigung ins Ausland verlagern?

Messer: Ja, das beobachten wir durchaus. In solchen Phasen mit steigenden Preisen suchen viele Kunststoffverarbeiter nach Möglichkeiten, die Kosten zu senken. Dabei würde ich nicht unbedingt sagen, dass Produktionen verlagert werden. Neue Projekte werden vielmehr im Ausland angegangen – auch weil die Regularien dort vielfach weniger streng sind.

Schiffer: Das heißt für uns derzeit in vielen Fällen, dass wir die Spritzgießmaschinen in die USA, in die Türkei oder nach Vietnam liefern. Für uns macht das keinen Unterschied, weil wir auf allen wichtigen Spritzgießmärkten präsent sind.

Gibt es bei Ihnen Überlegungen, im Ausland zu fertigen?

Schiffer: Grundsätzlich ist Neustadt-Fernthal unser Fertigungsstandort. Sollte es aber Entwicklungen geben, welche den Maschinenexport in die USA extrem einschränken oder erschweren sollten, wären wir in der Lage, binnen eines knappen Jahres dort eine Produktion hochzufahren. Das Gebäude dafür ist vorhanden, wir haben dort in der Vergangenheit bereits über einen längeren Zeitraum Maschinen gebaut. Auf den nordamerikanischen Markt könnten wir definitiv nicht verzichten. Aber das ist derzeit keine Maßnahme, die wir wollen.

Ein großes Thema für Kunststoffverarbeiter ist derzeit die Personalknappheit und der fehlende Nachwuchs. Wie sehen Sie das?

Schiffer: Das wird vor allem langfristig zu einem großen Problem für die Branche. Für die einzelnen Unternehmen ist dies fast nicht lösbar. Ich sehe dies vielmehr als eine globale Herausforderung für die Gesellschaft, die Politik und die Erziehung im Elternhaus. Geht die Entwicklung so weiter wie bisher, werden wir in zehn Jahren einem Heizungsmonteur mehr bezahlen als einem Rechtsanwalt. Ich kenne sogar Kunden, die aufgehört haben, in technischen Berufen auszubilden. Sie haben schlichtweg resigniert. Andere stellen Seiteneinsteiger ein, quasi als Notlösung.

Messer: Die Ergebnisse der neue Pisa-Studie sind ein weiterer herber Rückschlag für den Standort Deutschland, vor allem was die Naturwissenschaften angeht. Der Nachwuchs ist für unsere Themen nur noch schwer zu begeistern. Und wenn die Begeisterung schon in der Schule fehlt, dann ist sie später nicht mehr zu entfachen.

Stellen Sie das bei Dr. Boy auch fest?

Schiffer: Ja, wir sehen dies auch im eigenen Unternehmen. Wir besuchen sehr viele Events gezielt für Schulabgänger, aber da interessieren sich nur wenige Schüler für uns, Kunststofftechnik ist einfach nicht en vogue. Hinzu kommt, dass es immer mehr Schulabgänger mit katastrophalen Zeugnissen gibt. Da fehlt einfach zu viel Basiswissen für eine Ausbildung als Mechatroniker oder Industriekaufmann. Wir als Ausbildungsbetrieb können diese eklatanten Lücken unmöglich schließen. Im Fachkräftebereich sieht es für uns etwas besser aus, freie Stellen können wir meist gut besetzen. Da kommt uns sicher entgegen, dass es hier bei uns im ländlichen Raum nur wenige große Unternehmen gibt, die Personal absaugen. Hinzu kommt, dass wir ja keine spanende Fertigung mit Ruß und Öl haben und die Arbeitsumgebung daher angenehmer ist. Und wir haben keine Schichtarbeit.

Helfen Automatisierung und Digitalisierung, dem Fachkräftemangel zu begegnen?

Messer: Ja und nein. Auf der einen Seite kann man damit Aufgaben lösen, für die man sonst mehr Personal bräuchte – etwa für die Montage von Baugruppen. Auf der anderen Seite benötigt man für die Automatisierung und Digitalisierung, da sie ja Komplexität hineinbringt, qualifizierte Mitarbeiter.

Schiffer: Die einfachere Bedienbarkeit und Programmierbarkeit von Automationslösungen ist deswegen auch ein ganz großes Thema für die Branche. An der Stelle profitieren wir auch vom Fachkräftemangel, denn wir liefern zunehmend mehr automatisierte Spritzgießzellen an die Kunden aus.

Lesen Sie dazu auch: Boy: „Krise pusht die Low-Cost-Automation“

Was erwarten Sie für 2024? 

Schiffer: Ich bin optimistisch in das neue Jahr gegangen. Ich kann mir vorstellen, dass die Konjunktur im Laufe des Jahres wieder anziehen wird. Wir haben einige gute Projekte in der Vorhand. Allerdings glaube ich nicht daran, dass die Kurve wieder schnell ganz steil nach oben gehen wird. In die Zukunft zu schauen, wird zunehmend schwieriger. Es gibt einfach so viele Faktoren, die wir als Unternehmen nicht selbst beeinflussen können. Wichtig ist für uns, dass wir die kaufmännischen Grundsätze der Unternehmensführung möglichst gut beachten.

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