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Unternehmen 18. Oktober 2023

Arburg: „Wir müssen Local for Local produzieren“

Im Interview mit der K-Zeitung erklärt Vertriebsgeschäftsführer Gerhard Böhm, warum und wie Arburg die Strategie Local for Local weiter verfolgen wird.

Arburg-Vertriebsgeschäftsführer Gerhard Böhm geht davon aus, dass Arburg seine Local-for-Local-Fertigungsstrategie künftig weiter ausbauen wird.
Arburg-Vertriebsgeschäftsführer Gerhard Böhm geht davon aus, dass Arburg seine Local-for-Local-Fertigungsstrategie künftig weiter ausbauen wird.

Deutlicher Auftragsrückgang auf den Märkten weltweit, neue Konkurrenz auf europäischen Märkten durch chinesische Low-Cost-Maschinenbauer, internationale Fertigungsstrategie Local for Local – darüber sprachen wir mit mit Gerhard Böhm, Geschäftsführer Vertrieb bei Arburg.

Herr Böhm, Arburg feiert seit einem guten halben Jahr 100 Jahre Familienunternehmen Hehl. Was war Ihr persönliches Highlight der Feiern?

Gerhard Böhm: Stimmt, das war ein Jahr voller Feierlichkeiten. Wir haben im Februar in Loßburg begonnen und dann bis zum Sommer unsere Niederlassungen rund um den Globus einbezogen. Und auf der Fakuma schließen wir das Ganze dann ab. Unter anderem war ich in China und in Singapur dabei. Das waren sehr schöne Feiern mit einem jeweils landestypischen Rahmenprogramm. Am meisten gefreut habe ich mich, dass unsere Kunden die Events sehr genossen haben und die Verbundenheit mit Arburg so deutlich wurde. Das war nochmals ein anderer Charakter als etwa bei einem Open House, das doch immer einen eher technischen Touch hat.

Die Jubiläumsfeiern fallen ausgerechnet in ein Jahr, das für die gesamte Branche hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung alles andere als schön ist.

Böhm: Das ist leider richtig. Ich glaube, wir sollten die Tragweite der Entwicklung nicht unterschätzen. Dazu muss man natürlich auch sagen, dass die Auftragseingänge und in der Folge der Umsatz 2022 für alle auf einem absoluten Höhepunkt waren. In der Tat ist der Auftragseingang seit dem dritten Quartal 2022 im Spritzgießmaschinenbereich rückläufig. Und ich weiß nicht, ob wir den Tiefpunkt schon erreicht haben.

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Gibt es aktuell denn keinen Markt, auf dem es gut läuft?

Böhm: In Europa läuft es in Italien noch ganz passabel. Die Türkei kann man ebenfalls positiv hervorheben. Dies gilt auch für die USA einschließlich der Freihandelszone in Mexiko, aber auch dort sind die Bestellungen Anfang des Jahres eingeknickt. Letztlich rettet all dies die Gesamtsituation nicht. Wenn man sich anschaut, woher wir kommen, läuft es derzeit alles andere als gut. Da tröstet auch nicht, dass wir alle im gleichen Boot sitzen. Nach den jüngsten Euromap-Zahlen haben die europäischen Spritzgießmaschinenhersteller im zweiten Quartal 2023 in einigen Baugrößen im Vergleich zum Vorjahresquartal rund 50 Prozent weniger Maschinen verkauft.

Gute Bilanz für 2023 erwartet durch hohen Auftragseingang

Mit welchem Ergebnis werden Sie das laufende Geschäftsjahr beenden?

Böhm: Vom Umsatz her gesehen wird 2023 für uns kein schlechtes Jahr, weil wir noch viele Aufträge aus dem Vorjahr mit hinübergenommen haben. Genaue Zahlen werden wir auf der Fakuma bekanntgeben.

Das heißt, die Bilanz 2024 wird deutlich schlechter ausfallen wird, oder?

Böhm: Ganz klar. Damit dies nicht eintritt, müsste in den letzten Monaten des Jahres noch ein Wunder geschehen. Daran glaube ich allerdings nicht. Bezogen auf den gesamten deutschen Maschinenbau waren die Spritzgießmaschinenhersteller die ersten mit rückläufigen Auftragseingängen. Deshalb hege ich nun die Hoffnung, dass wir auch die ersten sind, bei denen das Geschäft wieder anziehen wird.

Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass die Spritzgießmaschinenbranche sozusagen ein Frühindikator für den gesamten Maschinenbau ist?

Böhm: Wir sind in vielen Bereichen extrem eng am Konsum des täglichen Lebens. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: In einem extrem heißen Sommer geht der Getränkekonsum nach oben, sodass viele Flaschen und Deckel benötigt werden. Und wenn das Wetter umschlägt, dann werden Flaschen und Deckel genau in dem Moment nicht mehr benötigt. Wenn der Verbraucher sich entscheidet, bestimmte Produkte nicht mehr zu kaufen, weil sie ihm zu teuer geworden sind oder er sich gut eingedeckt hat, dann schlägt das sofort auf den Absatz der Kunststoffartikel und auf uns als Maschinenbauer durch. Wir hatten ja alle große Befürchtungen, dass die Corona-Pandemie auf den Konsum drücken wird. Doch exakt das Gegenteil ist eingetreten: Der Konsum ist in dieser Zeit in der ganzen Welt weit über das normale Niveau hinaus fast senkrecht auf ein exorbitant hohes Level gestiegen. Im Nachhinein muss man sagen, es war eigentlich klar, dass es auf diesem Level nicht weiter nach oben gehen konnte. Heißt, Covid-19 hat die Weltwirtschaft durch das geänderte Konsumverhalten viel deutlicher aus dem Gleichgewicht gebracht, als uns das bewusst war. Wenn man das Wirtschaftssystem mit einem schwingenden System vergleichen will, dann schwingt das Pendel nun fulminant zurück – um sich dann, hoffentlich, wieder der langjährigen Wachstums-Trendlinie anzunähern. Ich denke, wir werden Geduld brauchen, um zu einem wie auch immer gearteten Normal zu kommen.

Spielt die hohe Inflation, die wir zum Beispiel in Deutschland haben, keine Rolle bei der aktuellen Investitionszurückhaltung?

Böhm: Die Inflation ist natürlich ein Hemmnis. Meiner persönlichen Meinung nach hätte man bereits während der Pandemie, als der Konsum so dermaßen durch die Decke ging, die Geldpolitik ändern und das Geld verknappen müssen. In der Retrospektive ist man natürlich immer schlauer. Auch der Zusammenbruch der Lieferketten während der Pandemie ist meines Erachtens in erster Linie auf diesen Konsum-Hype zurückzuführen. Der Bedarf an Materialien und Bauteilen war so extrem hoch, dass er einfach nicht gedeckt werden konnte. Die Exportzahlen belegen dies ja. Dass Unternehmen in der Phase noch ihre Lagerhaltung aufgestockt haben und es in China Hafenschließungen gab, haben den Effekt noch verstärkt, waren aber nicht ursächlich.

Wie haben sich die Preise für Ihre Maschinen entwickelt?

Böhm: Ein schwieriges Thema. Zum einen sind angesichts der Verknappung der Aufträge auf dem Markt wieder Preis-Battle angesagt. Zum anderen argumentieren die Einkäufer der Kunden, dass unsere Maschinen wieder günstiger sein müssten, weil ja die Preise für Rohstoffe wie Stahl und Komponenten seit dem Peak Anfang vergangenen Jahres wieder deutlich gesunken sind. Wir müssen den Kunden dann erklären, dass die Preise im Vergleich zu der Vor-Covid-Zeit immer noch weit vom ursprünglichen Niveau entfernt sind. Im Moment sind wir einfach froh, dass sich die Preisrally beruhigt hat und in Summe eine gewisse Stabilität zu verzeichnen ist.

Inflation drückt auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit

Erschwert die hohe Inflation Exporte nach Asien oder in die USA?

Böhm: Die Inflation ist in Japan oder China bei weitem nicht so hoch wie im europäischen Raum. Insofern sind Spritzgießmaschinen aus diesen Ländern auf dem internationalen Markt deutlich wettbewerbsfähiger im Vergleich zu unseren. Das ist ein echtes Thema.

Stellen die Lieferketten Sie noch vor Herausforderungen?

Böhm: Nein, das spielt für uns keine Rolle mehr. Im Markt waren ja zum Teil Elektronikbaugruppen knapp, aber mit unserer Tochter AMK Motion haben wir da sicher eine Sonderrolle eingenommen, weil wir die Antriebstechnik damit in den eigenen Reihen haben und nicht auf externe Lieferanten angewiesen sind. Das gilt ebenso für unsere Maschinensteuerung.

Was bekommen Sie von Kundenseite mit? Wird es bei den Kunststoffverarbeitern nach Ihrer Einschätzung Kurzarbeit und Insolvenzen auf breiter Front geben? 

Böhm: Ich glaube, das kommt jetzt massiv. Lange Zeit waren sie geduldig mit Auftragsrückgängen und Kürzungen, waren froh, dass sie nicht mehr rund um die Uhr und am Wochenende arbeiten mussten. Jetzt aber sind sie an dem Punkt angekommen, wo der Planungshorizont sehr kurz ist, die Abrufzahlen unter Plan bleiben und Projekte verschoben werden. Dann steht die Produktion auch relativ schnell still.

Kurzarbeit für Anfang 2024 angedacht

Auch die ersten Unternehmen in den Bereichen Kunststoffmaschinenbau und Chemie haben Kurzarbeit angemeldet. Wie sieht es bei Arburg aus?

Böhm: Wir bereiten uns ebenfalls auf eine geänderte Auslastungssituation vor und denken über Kurzarbeit Anfang kommenden Jahres nach.

Welche Rolle spielen nach Ihrer Wahrnehmung die hohen Energiepreise in Deutschland als Investitionshemmnis?

Böhm: Die Energiepreise sind ja nicht mehr auf dem hohen Niveau, auf dem sie zu Beginn des Ukraine-Kriegs einmal waren. Ich glaube, wenn die Auslastungssituation der Unternehmen insgesamt besser wäre, würde man diese Diskussion längst nicht so hoch aufhängen. Prinzipiell ist die Stimmung in der deutschen Industrie nicht gut. Viele Unternehmen (nicht nur aus dem Bereich Kunststoff) investieren zwar, aber wegen der Kosten vielleicht nicht vorrangig in Deutschland. Wir gehen mit Idealismus voran im Sinne von Nachhaltigkeit und bei erneuerbaren Energien. Aber dass das Thema Nachhaltigkeit ganz grundsätzlich und an jeder Ecke Geld kostet, das muss uns allen schon klar sein.

Im Interview mit der K-Zeitung plädierte Böhm dafür, dass CO2 künftig zu einer Art Währung wird, die jedem Produkt ein Preisetikett anhängen wird. Dann werde nicht mehr alleine der reine Verkaufspreis über den Erwerb von Spritzgießmaschinen entscheiden, sondern auch deren CO2-Footprint.
Im Interview mit der K-Zeitung plädierte Böhm dafür, dass CO2 künftig zu einer Art Währung wird, die jedem Produkt ein Preisetikett anhängen wird. Dann werde nicht mehr alleine der reine Verkaufspreis über den Erwerb von Spritzgießmaschinen entscheiden, sondern auch deren CO2-Footprint.

Wie halten es die Kunden bei den Spritzgießmaschinen mit der Nachhaltigkeit? Ist das ein Verkaufskriterium?

Böhm: In leider sehr vielen Fällen entscheidet noch immer der Preis über den Zuschlag. Der eine oder anderen Kunde berücksichtigt mittlerweile bei seiner Kaufentscheidung unser Rating in punkto Nachhaltigkeit. Aber niemand beziffert dafür einen Wert – also etwa im Sinne von: Die Maschine darf X Prozent teurer sein, weil ihr CO2-Fußabdruck niedriger ist. Es ist daher notwendig, dass CO2 künftig zu einer Art Währung wird, die jedem Produkt ein Preisetikett anhängen wird. Heute erstellen wir ja auch auf Basis der Leistungsparameter der Maschine und der Energiekosten eine Wirtschaftlichkeitsberechnung. Und wenn CO2 einen Wert hat, dann kann man diesen mit einbeziehen.

Nimmt angesichts der Energiepreise auch in Europa der Anteil elektrischer Maschinen zu?

Böhm: Unter Energieeffizienzgesichtspunkten liegt unsere neue hybride Baureihe ja sehr nahe an vollelektrischen Maschinen, und das bei sehr interessanten Kosten. Und sie ist eine elektrische Maschine. Zusammen mit den vollelektrischen Maschinen wird dieser Markt weiter an Zuwachs gewinnen – aus Energiegründen, aber auch aus Wettbewerbssicht. Viele unserer Mitbewerber verkaufen ja ausschließlich elektrische Maschinen.

Neue Herausforderungen durch chinesische Low-Cost-Hersteller

Auf die chinesischen Low-Cost-Hersteller, die ja nun verstärkt auf den europäischen Markt drängen, trifft dies aber nicht unbedingt zu. Wie nehmen Sie diese auf dem europäischen Markt wahr?

Böhm: Bislang war vor allem die Türkei ein Einfallstor für chinesische Hersteller. Gerade eben war auf der Messe in Mailand zu beobachten, dass italienische Händler chinesische Maschinen als Low-Cost-Alternative in ihr Portfolio packen. Jeder einzelne wird nicht die großen Stückzahlen verkaufen, aber am Ende addiert es sich dann noch zu einem Anteil, der für uns europäische Hersteller durchaus eine Herausforderung darstellt. Auch wenn asiatische Hersteller in Europa verstärkt Maschinen produziert, werden wir das alle hier merken. Der Anteil vom Kuchen wird kleiner. Am unteren Technologieende wird das Wachstum für einen europäischen Hersteller grundsätzlich schwierig in der Zukunft. Denn auch das Mindset der Spritzgießer verändert sich: Deutlich mehr abhängig vom Endprodukt wird die Maschinenwahl getroffen und damit ein Mix im Maschinenpark in Kauf genommen.

Wollen Sie diese Kundschaft nicht bedienen?

Böhm: Natürlich wollen wir diese Kundschaft ebenfalls bedienen. Aber man muss auch realistisch bleiben. Ab einem bestimmten Punkt wird dieses Marktspektrum zu einem Haifischbecken. Am unteren Ende wird es immer einen Wettbewerber geben, der eine Spritzgießmaschine für 500 Euro weniger anbietet. Und auch aus strategischer Sicht macht es für uns dann keinen Sinn mehr.

Welche Chancen hat Arburg als europäischer Hersteller in Zukunft?

Böhm: Wir haben schon sehr gute Voraussetzungen, um als europäische Firma weiterhin eine sehr gute führende Position einzunehmen. Wir können unsere Karten ausspielen bei den Themen Nachhaltigkeit, Wirtschaftlichkeit und Energieverbrauch. Insbesondere das Thema Nachhaltigkeit wird künftig sicherlich auch noch weiter gedacht als heute. Wir werden darüber sprechen, welche Verantwortung wir als Lieferant in Bezug auf die Lebenszeit einer Maschine und auch darüber hinaus haben. Also: Wie lässt sich ein Produkt am Lifecycle-Ende verwerten.

Arburg hält Strategie „local to local“ für richtig

Mit einem Werk in Serbien streut das chinesische Unternehmen Haitian sein Risiko, das von einem Decoupling von Handelsbeziehungen ausgeht. Denken Sie in irgendeiner Form auch über solche Schritte nach? 

Böhm: Ja das tun wir durchaus; die Strategie „local to local“ halten wir für richtig. So sind wir in Asien mit einem Regional Headquarter aufgestellt und haben in China, den USA und Tschechien diesen Weg mit jeweils einer „Arburg Technology Factory“ eingeschlagen. Damit machen wir Technologie und Turnkey auf lokaler Ebene.

Wird es also irgendwann eine Arburg-Fabrik in Übersee geben?

Böhm: Der Begriff Fabrik passt da vielleicht noch nicht ganz, aber es gibt ja viele Modelle, viele Abstufungen auf dem Weg dahin. „Made in Germany“ verliert an Bedeutung zugunsten eines internationalen Fertigungsverbunds, der Komponenten austauscht. Wie das Konzept genau ausgestaltet wird, ist dann eine strategische Entscheidung. Aber es geht letztlich um die Risikostreuung.

Was erwarten Sie angesichts der aktuellen Situation von der Fakuma?

Böhm: Die Fakuma wird sicher gut besucht sein. Es besteht ein hohes Interesse an Technik. Das wird aber wohl nicht direkt in Geschäft münden, setzt dafür aber entscheidende Impulse. Da braucht man ein wenig Geduld. Jetzt ist der richtige Moment, um sich ausführlicher zu informieren als in Zeiten, als die Auftragslage kaum Freiräume ließ. Maßnahmen zur Energieeffizienz sind ein gutes Beispiel: Wenn beim Kunden der Schornstein raucht, hat er keine Zeit für solche Themen. Im Moment haben die Firmen aber ein Ohr dafür – und auch die Zeit, entsprechende Maßnahmen umzusetzen.

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