Engleder spricht darüber, dass viele Kunststoffverarbeiter derzeit in den USA statt in Europa investieren, warum der Spritzgießmaschinen-Absatz in China derzeit stockt, welche Auswirkungen die Abwanderung der Werkstoffhersteller auf die Branche in Europa hat, wie der Fachkräftemangel die Deindustrialisierung befeuert und dass es Engels Ziel ist, Volumen zu machen.
Herr Dr. Engleder, das vergangene Geschäftsjahr haben Sie mit einem Rekord abgeschlossen: Der Umsatz stieg um 13 % auf 1,7 Milliarden Euro. Welches waren die Wachstumstreiber?
Dr. Stefan Engleder: Wir hatten ein starkes Wachstum im Medical Bereich – und dies obwohl durch das Abebben der Corona-Pandemie der Markt für Diagnostik und Einweg-Artikel stark zurückgegangen ist. Doch es gibt viele andere Medizintechnikbereiche, insbesondere wenn es um die Bekämpfung von Volks- und Wohlstandskrankeiten wie zum Beispiel Diabetes geht, für die unsere Klein und Mittelmaschinen gefragt sind. Im Logistikbereich hatten wir vergangenes Jahr noch die Sonderkonjunktur mit Tethered Caps, also Verschlüssen für PET-Flaschen, die auch nach dem Öffnen an der Flasche bleiben. Das ist eine Vorgabe der EU und hat für gute Stimmung in den vergangenen zwei Jahre gesorgt – sowohl bei den Werkzeugbauern als auch für uns als Spritzgießmaschinenhersteller. Wir haben sehr viele vollelektrische E-Cap Maschinen verkauft. Wachstumstreiber war aber auch die Automobilindustrie.
Dabei klagen ihre Wettbewerber, dass das Geschäft mit der Automobilindustrie schwierig sei. Warum läuft es hier bei Engel so gut?
Engleder: Wir sind sehr gut vertreten im Bereich der Elektromobilität und hier werden die Kapazitäten derzeit hochgefahren. Gerade in Nordamerika ist der Markt sehr, sehr gut gelaufen. Zu Beginn unseres Geschäftsjahrs war das auch noch in China der Fall. In Deutschland und Zentraleuropa lief es genau anders herum: Nach einem verhaltenen Start hat die Automobilbranche hier einen tollen Endspurt hingelegt. Insbesondere von den deutschen und den französischen Tier-One-Lieferanten kamen sehr schöne Aufträge; dabei gehen deren Spritzgießmaschinen an Standorte rund um den Globus.
Chinesische Kunden kaufen zunehmend chinesische Maschinen
In China gibt es ja viele neue Player im Elektroautomobilbereich. Profitiert Engel davon?
Engleder: Ja, wir beliefern diese neuen Player, sowohl die OEMs als auch deren Tier-One-Lieferanten – allerdings immer mehr in den Bereichen, wo Hightech gefragt ist, also 2K- und 3K-Maschinen, und Maschinen mit Sondertechnologien. Im Standardspritzguss-Bereich kaufen die chinesischen Unternehmen zunehmend chinesische Spritzgießmaschinen. Local für local ist ja auch eine Vorgabe der chinesischen Regierung.
Wird Ihre Zweitmarke Wintec, die ja in China produziert wird, von den chinesischen Kunden als eine chinesische Marke wahrgenommen?
Engleder: Das ist schwierig zu sagen. Für uns ist Wintec mit Produktionsstandort in Changzhou unsere chinesische Zweitmarke . Aber rein legal gesehen gehört Wintec natürlich zur Firma Engel und ist damit eine Wholly Foreign-Owned Enterprise in China.
Gab es im vergangenen Geschäftsjahr Lieferengpässe bei Ihnen in der Supply Chain?
Engleder: Wir hatten große Herausforderungen, konnten diese aber gut lösen. Wahrscheinlich auch deshalb, weil die einzelnen Standorte lokal sourcen und weil wir etwa auch in den USA, China und Korea viele Ingenieure beschäftigt haben. Dadurch konnten wir glücklicherweise den gesamten Auftragseingang umsetzen.
Seit Januar 2023 Auftragseinbruch um 30 %
Was bedeutet dies für die Bilanz des laufenden Jahres?
Engleder: Das ist nun die Kehrseite der Medaille, denn seit Januar 2023 ist der Auftragseingang um rund 30 % eingebrochen. Das heißt, unsere Auftragsbücher sind nur mehr bis zum Herbst gefüllt. Insbesondere bei Maschinen mit weniger als 10.000 kN Schließkraft herrscht Kaufzurückhaltung; vor allem betrifft das Zentraleuropa. Die Verarbeiter kämpfen hier immer noch mit den hohen Energiepreisen. Hinzu kommen Faktoren wie die Abwanderung so mancher deutscher Betriebe, Unsicherheiten wie der Ukraine-Krieg oder auch der Fachkräftemangel. Die chinesischen Automobilhersteller sind ebenfalls auf die Bremse gestiegen. Sie haben in den vergangenen Jahren stark investiert, jetzt sind ihre Kapazitäten nicht ausgelastet. Das tatsächliche Marktwachstum entspricht nicht dem prognostizierten. Dadurch sehen wir in China in den nächsten sechs bis zwölf Monaten geringeres Potenzial für Neuinvestitionen in Spritzgießmaschinen. Wir hoffen, dass der Markt dort in der zweiten Jahreshälfte wieder anzieht.
Sind auch große Maschinen vom generellen Markteinbruch betroffen?
Engleder: Bei den Großmaschinen mit mehr als 20.000 kN Schließkraft ist dies tatsächlich noch kein Thema, da sind unsere Fertigungskapazitäten bis Ende des Jahres ausgelastet. Diese Entwicklung ist auch wiederum auf die E-Mobilität im Automotive-Bereich zurückzuführen. Und da sehen wir auch den Trend, dass im Karosseriebereich sehr viel Stahl durch Kunststoff substituiert wird., dafür braucht es Großmaschinen. So haben wir beispielsweise eine 120.000-kN-Maschine für den Automotivebereich im Auftragseingang.
Engleder: Nordamerikanischer Markt ist der Wachstumsmotor
In Europa läuft es derzeit für Sie nicht rund, in China auch nicht. Rettet es der US-Markt?
Engleder: Ja, der nordamerikanische Markt ist für uns der Wachstumsmotor. Dazu zählen neben den USA auch Mexiko und Kanada. Diese drei Märkte laufen derzeit extrem gut. Das Reshoring sorgt dafür, dass in moderne Technologien investiert wird – sei es im Bereich Mobility, aber auch Medical und Infrastruktur. Hinzu kommt, dass derzeit viele unserer deutschen Kunden überlegen, in den USA oder Mexiko ein neues Werk zu bauen oder das vorhandene zu erweitern.
Sehen Sie Besonderheiten im US-Markt?
Engleder: Der Bedarf an komplexer Automatisierung ist in den USA extrem hoch. Wir haben aus diesem Grund ja auch unser Automatisierungswerk in York mit einem siebenstelligen Euro-Betrag ausgebaut und jetzt doppelt so viel Platz wie vorher. Der Umsatz dort ist im vergangenen Geschäftsjahr um 20 % gestiegen. Allerdings trübt sich auch in den USA das Klima etwas ein; die hohen Zinsen sorgen gerade dafür, dass der ein oder andere Verarbeiter seine Kaufentscheidung ein wenig schiebt. Das heißt, die Amerikaner machen industriepolitisch vieles richtig, während in Europa vieles falsch läuft. Die USA haben schon vor 20 Jahren deindustrialisiert, und haben bemerkt, dass dies nicht der richtige Weg war.
Was läuft Ihrer Meinung nach industriepolitisch falsch in Europa?
Engleder: Natürlich müssen wir uns von den fossilen Brennstoffen abkoppeln. Aber der Wachstum muss dabei sichergestellt sein, denn Verzicht wird die Umwelt und das Klima nicht retten. Wir Europäer müssen uns meiner Meinung nach die Stellung, die wir global haben, bewahren. Derzeit sind wir auf dem besten Wege, die Position zu verlieren, industriepolitisch mitzureden...
Was beunruhigt Sie?
Engleder: Viele klassische Mittelständler aus unserer Branche verkaufen ihre Unternehmen, weil sie die Zukunftshoffnung verlieren, oder bauen sich neue Standbeine auf - entweder in Nordamerika oder in Osteuropa, der Türkei oder Nordafrika. Hohe Rohstoffpreise, wenig Marge, hoher Druck aus Fernost – das ist schon eine schwierige Gemengelage. Hinzu kommt, dass auch die chemische Industrie immer stärker auf andere Kontinente wandert. Die Werkstoffentwicklung ist aber ganz zentral für Innovationen im Kunststoffbereich. Wir als Maschinenhersteller haben in der Vergangenheit viele Innovationen nur deshalb auf den Weg bringen können, weil der Entwicklungsprozess mit Kunden und Materialherstellern so eng war. Genau dafür steht Engel ja. Wenn nun die Werkstoffentwicklung wegzieht, frage ich mich , wo wir in Europa in zehn Jahren stehen. Vor dem Hintergrund sehe ich es als Vorteil, dass Engel mit dem Produktionsnetzwerk global aufgestellt ist und auch Entwicklungszentren rund um den Globus hat. Alleine in China beschäftigten wir aktuell rund 100 Entwickler.
Sehen Sie schwarz für den Industriestandort Zentraleuropa?
Engleder: Ich gehe davon aus, dass die Energiekrise einmal vorbei sein wird und hoffe, dass dieser Ukraine-Krieg irgendwann einmal beendet ist. Was substanziell aber bleiben wird, ist der Fachkräftemangel. Und der bereitet unserer Industrie ein Riesenproblem, weil der demografische Wandel nicht aufzuhalten ist. Die Einwanderungspolitik in Deutschland und Österreich ist nicht so aufgestellt, dass wir High-Potentials aus dem Ausland anlocken. Und immer weniger junge Leute interessieren sich für ein technisches Studium, geschweige denn für ein Studium der Kunststofftechnik. Genauso wie unserer Kunden bilden auch wir bei Engel immer mehr Quereinsteiger aus und bringen ihnen Kunststoff-Know-how bei. Doch wenn ein Verarbeiter nicht einmal mehr Mitarbeiter findet, die zu einem Quereinstieg bereit sind, verlassen sie das Land in Richtung der Emerging Markets.
Mit Services gegen den Fachkräftemangel in Europa
Sind vor diesem Hintergrund des Fachkräftemangels ihre digitalen Tools auf den Maschinen verstärkt gefragt?
Engleder: Ja natürlich. Überall dort, wo Fachkräfte fehlen oder nicht entsprechend ausgebildet sind, zahlen unsere digitalen Inject-4.0-Lösungen genau darauf ein. IQ Weight Control wird beispielsweise mittlerweile auf gut jeder dritten Maschine ausgeliefert – und es wird auch verwendet. Alle unsere Assistenzsysteme haben den Anspruch, dass sie von Nicht-Kunststoffexperten bedient werden können. Darüber hinaus haben wir bei Engel weitere Maßnahmen ergriffen, damit unsere Kunden dem Fachkräftemangel entgegentreten können. Dazu gehört zum einen das Thema Training, diesen Bereich bauen wir derzeit aus, um auch gezielt auf die Anforderungen der unterschiedlichen Märkte eingehen zu können. Auch hier stehen Quereinsteiger im Fokus. Zum anderen bauen wir den Bereich Services aus. Wir bieten nun beispielsweise individuelle Rahmenverträge für Wartung und Instandhaltung der Spritzgießmaschinen mit Service Level Agreements an, weil unseren Kunden dafür das Personal fehlt. Das geht bis hin zu einer 24/7-Betreuung mit verfügbaren Servicetechnikern von Engel. Dies ist für uns ein Schwerpunkt, in den wir auch investieren.
Welche Auswirkungen haben die gestiegenen Energiepreise auf das Kaufverhalten Ihrer Kunden?
Engleder: Es werden mehr elektrische Spritzgießmaschinen bei uns gekauft. Daneben steigt die Zahl der Maschinen, die wir mit Temperierlösungen ausliefern; mittlerweile sind es ein Drittel aller Spritzgießmaschinen, in Deutschland sogar über 50 %. Die Kunden sparen mit dem Temperierwasserverteiler E-Flomo in Kombination mit einem E-Temp Temperiergerät viel Energie, also bares Geld, ein. Und selbst in Ländern wie Mexiko, Indien oder auch China, wo die Energiepreise deutlich unter dem Niveau von Zentraleuropa liegen, werden Temperierlösungen stark nachgefragt. Dort geht es um die Verfügbarkeit von Strom. Der wird dort zeitweise für mehrere Stunden abgestellt; und Kunden mit einem geringen Verbrauch werden von den Energieversorgern bevorzugt am Netz gehalten.
Wie haben sich angesichts von Inflation, Materialknappheit und -preissteigerungen die Preise für Ihre Maschinen entwickelt?
Engleder: In den vergangenen 21 Monaten mussten wir die Preise mehrmals erhöhen. Dabei haben wir lediglich die Materialpreissteigerungen an die Kunden weitergegeben. Aktuell sehen wir eine Stagnation der Preise. Die Kosten für Antriebs- und Steuerungskomponenten sind auf einem sehr hohen Niveau geblieben. Für Transport, Stahl bezahlen wir derzeit weniger, Guss hingegen ist aufgrund der Verknappung nach wie vor deutlich teurer als vor der Krise
Werden die Maschinenpreise absehbar sinken?
Engleder: Betrachtet man die Inflationsstatistiken der westlichen Industrieländer, ist eher nicht davon auszugehen. Bei einem nachhaltigen Trend zu sinkenden Kosten werden wir auch unsere Preise wieder nach unten korrigieren, denn unser Ziel ist es schon, Volumen zu machen. Wir wollen wachsen mit einer gesunden Profitabilität und entsprechend stellen wir uns natürlich auch dem Wettbewerb. Auch wenn die Krise das neue Normal zu sein scheint, bin ich zuversichtlich, was die Zukunft betrifft.