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Editorial 23. Februar 2021

Wird Abfall zum begehrten Rohstoff?

Die EU will mit Abgaben, Steuern und Quoten den Einsatz von Rezyklaten befördern. Doch es mangelt an sortenreinem Kunststoffabfall als Rohstoff.
Matthias Gutbrod, Redakteur der K-ZEITUNG
Matthias Gutbrod, Redakteur der K-ZEITUNG

Die EU will mit Abgaben, Steuern und Quoten den Einsatz von Rezyklaten befördern. Doch es mangelt an sortenreinem Kunststoffabfall als Rohstoff.

Kunststoffe sind als Rohstoff zu wertvoll, um sie als Abfall wegzuwerfen, predigt seit sehr vielen Jahren der Verband der Kunststofferzeuger Plastics Europe. Doch kaum jemand wollte sie haben, die Kunststoffabfälle. Bis 2017 wurde ein Großteil nach China verbracht, China wollte dann nicht mehr, nun schiffen die Abfall-Container nach Südostasien, Polen und in die Türkei. Die Abfälle werden dort allerdings kaum verwertet – stattdessen häufen sich die Deponie-Brände, auch im EU-Mitglied Polen.

Dies zeigt: Die meisten Kunststoffabfälle sind eben nicht wertvoll. Zumindest nicht unter ökonomischen Aspekten. Die Nachfrage nach Rezyklaten macht derzeit nur rund sechs Prozent der Kunststoffnachfrage in Europa aus. Kein Wunder, lag der Preis für Neupolymere lange unter dem für vgl. Rezyklate.

Abgaben und Quoten sollen Einsatz von Rezyklaten befördern

Brüssel will das ändern. Unter den Schlagworten Nachhaltigkeit und Klimaschutz will die EU mit Abgaben, Steuern und Quoten den Einsatz von Rezyklaten befördern. Die Maßnahmen sollen Anreize schaffen, um bei der Gestaltung von Kunststoffartikeln und -verpackungen die Erfordernisse in Bezug auf Recycling zu berücksichtigen und mehr Rezyklate einzusetzen.

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Eine der erste Maßnahme ist nun eine Abgabe (keine Steuer!): Pro Tonne nicht recyceltem Kunststoff bei Abfällen sind 800 Euro fällig. Drei Viertel davon fließt in den EU-Corona-Hilfsfond. Die EU-Kommission schätzt, dass allein Deutschland rund 1,3 Mrd. jährlich abführen muss. Und das ist gut so. Denn Kunststoff wird erst dann zu schade zum Wegwerfen auf polnische Mülldeponien, wenn sich dies für Akteure in Wertschöpfungskette ökonomisch nicht mehr rechnet.

Es ist der politische und gesellschaftliche Druck, durch den sich die Märkte für Rezyklate und Neupolymere weitgehend voneinander entkoppeln werden. Die Recyclinglandschaft könnte bis Ende 2021 ganz anders aussehen als heute. Zumal auch große Markeninhaber vor allem bei Verpackungen für FMCG-Produkte (Fast Moving Consumer Goods) aus Imagegründen auf Rezyklate setzen wollen. Die steigende Nachfrage könnte schon in 2021 zu einem Engpass bei hochwertigem recyceltem Material im Markt führen.

Sortenreiner Abfall als Rohstoff: Verfügbarkeit deckt die Nachfrage nicht

Sortenrein sortierter Kunststoffabfall wird dann tatsächlich zu einem begehrten Rohstoff, dessen Verfügbarkeit die Nachfrage nicht deckt. Genau an dieser Stelle hat die EU nicht zu Ende gedacht: Denn die neue Abgabe fließt in den EU-Haushalt, sie dient nicht dazu, die Trenn- und Recyclingkapazitäten in der EU zu erweitern und zu modernisieren, um die Verfügbarkeit hochwertiger Rezyklate zu gewährleisten. Verarbeiter müssen dann auf Neuware ausweichen, die Lenkungswirkung der EU-Abgabe verpufft.

Insofern trifft der Gastkommentar von Ingemar Bühler, Hauptgeschäftsführer von Plastics Europe Deutschland, zur neuen Kunststoffabgabe und zum Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft der EU-Kommission ins Schwarze: „Es muss vor allem darum gehen, die Verfügbarkeit und Qualität von Sekundärrohstoffen sicherzustellen und Innovationen zu fördern.“ Erst dann werden Kunststoffe tatsächlich zu wertvoll, um sie wegzuwerfen.

Matthias Gutbrod

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