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Werkstoffe 7. August 2023

Nachhaltiger Kunststoff aus Zuckerrohrresten

Aus den Pflanzenresten, die bei der Herstellung von Zucker aus Zuckerrohr übrig bleiben, haben Studenten der FH Münster einen nachhaltigen Kunststoff erzeugt.

Der erste Versuch ist geglückt (v. l.): Bence Ridder, Calvin Middel und Martin Althoff halten die Schulterstäbe aus Bagasse und Bio-Kunststoff in den Händen.
Der erste Versuch ist geglückt (v. l.): Bence Ridder, Calvin Middel und Martin Althoff halten die Schulterstäbe aus Bagasse und Bio-Kunststoff in den Händen.

Im Labor für Kunststofftechnologie am Fachbereich Chemieingenieurwesen der FH Münster riecht es nach Barbecue-Soße – oder zumindest erinnert der Duft, der aus der Spritzgießmaschine strömt, sehr stark daran. Bei 190°C verarbeitet die Maschine gerade einen Mix aus Bagasse und einem Biopolymer, um daraus einen recycelbaren, nachhaltigen Kunststoff herzustellen. Bagasse sind Pflanzenreste, die bei der Zuckerproduktion nach dem Auspressen von Zuckerrohr übrigbleiben.

Alltagsgegenstände aus nachhaltigem Kunststoff als Ziel

Der rauchig-süße Geruch kommt also nicht von ungefähr. Gemeinsam mit Labormeister Martin Althoff suchen die Design-Studenten Calvin Middel und Bence Ridder einen Weg, dieses Material sinnvoll zu Alltagsgegenständen zu verarbeiten.

Bence Ridder (l.) und Calvin Middel untersuchen für ihre Bachelorarbeit am Fachbereich Design der FH Münster, wie man aus dem Reststoff von Zuckerrohr recycelbare Alltagsgegenstände herstellen kann.
Bence Ridder (l.) und Calvin Middel untersuchen für ihre Bachelorarbeit am Fachbereich Design der FH Münster, wie man aus dem Reststoff von Zuckerrohr recycelbare Alltagsgegenstände herstellen kann.

Auf den Kapverdischen Inseln vor der Westküste Afrikas wird jede Menge Zuckerrohr angebaut, der vor allem zum Brennen des Zuckerrohrschnapses Grogue verwendet wird. „Die Bagasse ist im Grunde ein Abfallprodukt. 20.000 Tonnen fallen jährlich davon auf Kap Verde an und sie dienen nur als Brennmaterial für den Schnaps“, sagt Calvin Middel, dessen Mutter selbst von der Inselgruppe stammt.

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Regionale Produktion von Geschirr und Bechern angedacht

„Bence und ich haben uns gefragt, was man stattdessen mit dem Material machen könnte“, so Calvin Middel. Für ihre Bachelorarbeit im Produktdesign sind die Studenten deshalb nach Kap Verde gereist, um sich vor Ort über das Material zu informieren und herauszufinden, was die Menschen dort eigentlich benötigen. „Regionale Nahrungsmittel haben dort eine hohe Bedeutung“, sagt Bence Ridder. „Wir entwickeln deshalb in unserer Arbeit auch eine Bagasse-Presse, um aus dem Material zum Beispiel Einweg-Geschirr oder -Becher machen zu können, die aber biologisch abbaubar produziert werden.“

Martin Althoff bei den Tests des nachhaltigen Kunststoffs an der Spritzgießmaschine.
Martin Althoff bei den Tests des nachhaltigen Kunststoffs an der Spritzgießmaschine.

Um zu testen, ob das überhaupt möglich ist und um die Materialeigenschaften kennenzulernen, kommt das Labor für Kunststofftechnologie auf dem Steinfurter Campus ins Spiel. Bei Martin Althoff haben sie damit „offene Türen eingerannt“, wie sie sagen. Er hat sich unter anderem aufs Spritzgießverfahren spezialisiert – und wer eine gute Idee für Nachhaltigkeit in Sachen Kunststoff hat, tut an der FH Münster gut daran, zuerst bei ihm anzuklopfen.

Im Vorversuch haben die drei die Bagasse und das Biopolymer bei 170°C in einer Knetkammer vermengt, miteinander homogenisiert und bewertet. Im Nachgang haben sie aus der Rezeptur mit einem Compounder Granulat hergestellt. Dieses wird nun in der Spritzgießmaschine auf gut Glück verarbeitet. „Das ist die erste Versuchsreihe zur generellen Machbarkeit“, sagt Martin Althoff, während die Maschine im Labor rattert. „Jetzt sehen wir mal, was dabei herauskommt.“

Schon im ersten Versuch erfolgreich

Und der Versuch ist geglückt: Der Schulterstab, ein Probekörper, den Martin Althoff versuchsweise angefertigt hat, ist stabil. „Das sieht schon sehr gut aus. Viel besser als erwartet“, so der Fachmann. „Das funktioniert auf jeden Fall. Beim nächsten Mal sollten wir dem Kunststoff aber noch mehr Bagasse beifügen und die Verarbeitung optimieren.“

Nachdem Martin Althoff das Mengenverhältnis von Bagasse und Biopolymer optimiert hat, sind daraus per Spritzgießverfahren recycelbare Becher entstanden.
Nachdem Martin Althoff das Mengenverhältnis von Bagasse und Biopolymer optimiert hat, sind daraus per Spritzgießverfahren recycelbare Becher entstanden.

Zwei Wochen später steht die neue Mischung und beim nächsten Versuch entstehen daraus Becher. Die Machbarkeit ist damit bewiesen. „Mit der Materialmischung und der Bagasse-Presse könnten die Menschen auf Kap Verde niedrigschwellig solche Gegenstände herstellen“, freuen sich Bence und Calvin. Zunächst bewältigen sie damit nun ihre Bachelorarbeit und präsentierten den Entwurf „Cana“ der Öffentlichkeit bereits bei der Ausstellung Parcours an der MSD, der Münster School of Design.

„Wir könnten uns vorstellen, uns im Anschluss damit selbstständig zu machen und auf Kap Verde ein Unternehmen zu gründen“, überlegen die beiden. „Wir möchten, dass die Menschen dort auf kurzem Wege von unserer Arbeit profitieren und Bagasse nachhaltig verarbeiten können.“

Warum das Labor für Kunststofftechnologie der FH Münster  für tiefer gehende Forschungen zum 3D-Druck sogar eine eigene Anlage zur Filament-Herstellung in Betrieb genommen hat, erfahren Sie in diesem Beitrag der K-ZEITUNG .gk

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