Direkt zum Inhalt
Kreislaufwirtschaft 29. November 2023

Kreislauf muss bezahlbar sein

Philipp Lehner, CEO von Alpla, erklärt im Interview, wie auch ohne Regulierung und aufwändige Sammelsysteme ein Kreislauf mit Kunststoff funktionieren kann.

Philipp Lehner, CEO von Alpla: „Ich finde es zum Teil illusorisch, wie heute über Kreislauf gesprochen wird, ohne im gleichen Atemzug die Leistbarkeit mit in Betracht zu ziehen.“
Philipp Lehner, CEO von Alpla: „Ich finde es zum Teil illusorisch, wie heute über Kreislauf gesprochen wird, ohne im gleichen Atemzug die Leistbarkeit mit in Betracht zu ziehen.“

Der Verpackungshersteller Alpla hat in den letzten Jahren viele Millionen Euro ins Recycling von Kunststoffen investiert und ist dabei auch unkonventionelle Wege gegangen. Wir sprachen mit CEO Philipp Lehner über die wahren Ursachen des „Marine Litter“ und angepasste Lösungen, um Kunststoff auch bei schwierigen Rahmenbedingungen im Kreislauf zu halten.

Herr Lehner, rein technisch gesehen, ist Kunststoff den anderen Verpackungsmaterialien in fast allen Kriterien überlegen, hat aber trotzdem insbesondere durch die Verschmutzung der Meere – Stichwort Marine Litter – einen schlechten Ruf. Wo sehen Sie den größten Hebel, um den Eintrag der Kunststoffverpackungen ins Meer zu reduzieren?

Philipp Lehner: Die Wahrnehmung in der Bevölkerung wird getriggert durch die Schildkröten, die sich in Kunststoffabfall verfangen haben. Dadurch steht die These im Raum: Verursacher des Marine Litter muss die Konsumgüter Industrie sein und es muss wahrscheinlich auch die Verpackung sein.

Aber wir leben weiter und wir lernen weiter. Es gibt inzwischen mehrere Studien und Schätzungen, die davon ausgehen, dass bis zu 70% der Kunststoffabfälle im Meer von der Fischerei stammen. Das Schöne dabei ist nicht zwingend, dass die Verpackung nur der kleinere Teil ist. Das Schöne ist, dass wir jetzt wissen, wo das große Problem steckt und wir die entsprechenden Maßnahmen ergreifen können.

Auf Verpackungsseite ist es nach wie vor so, dass nur einige wenige Wasserlinien – zehn an der Zahl – für den Großteil der Verschmutzung durch Verpackungsabfälle verantwortlich sind.

Ad

Und was können wir dagegen tun?

Lehner: Die Analysen unseres Teams zeigen: Es gibt zwei Märkte für Recycling oder Wiederverwendung von Verpackungsmaterial. Es gibt die strukturierten und die unstrukturierten. Bei strukturierten Märkten ist klar, wer für den Müll die Verantwortung trägt, ihn abholt beziehungsweise entsorgt. In unstrukturierten Märkten organisieren sich Sammler, Abnehmer und Verwerter selbst.

Was wir jetzt aber gelernt haben: Die effektive Sammelrate hat nicht zwingend damit zu tun, ob das Sammeln strukturiert oder unstrukturiert erfolgt. Nehmen wir als Beispiel Indien. Indien hat bei festen Verpackungen aus PET, wie Flaschen oder Schalen, eine Recyclingrate von rund 90 Prozent und bei HDPE nur geringfügig weniger.

Das ist sehr, sehr hoch – fast so hoch wie Deutschland mit einem strukturierten Umfeld, und das ist beachtlich. Und da gibt es noch einige andere Märkte, die ähnliche Zahlen verzeichnen. Heißt: Strukturiert oder unstrukturiert hat nichts mit effektiver Sammlung zu tun.

Wovon hängt denn dann eine effektive Sammlung ab?

Lehner: Wie in jedem Markt zählt auch hier, dass es einen Zweitmarkt gibt. Also einen nachfolgenden Markt, der aus dem Abfall Wertschöpfung generieren kann. Wenn das gegeben ist, dann findet sich der Markt von ganz alleine – man muss also gar nicht regulieren. Entscheidend ist, dass der Müll einen Wert bekommt.

Das ist speziell bei festen Kunststoffen so, wie PET, HDPE und zum Teil auch PP, die dann in einem nachfolgenden Recyclingprozess wieder verarbeitet werden können und sich erneut als Verpackung oder in anderen Anwendungen einsetzen lassen.

Für uns als Verpacker ist es deshalb das Wichtigste, dass wir Verpackungen herstellen, die ein zweites Leben haben können. Das ist bei manchen Kategorien wie zum Beispiel Flexibles nicht oder nur sehr schwer möglich.

Warum?

Lehner: Bei Flexibles machen die wirtschaftlichen Möglichkeiten für den Sammler keinen Sinn. Denn nach unserer Erfahrung muss ein Sammler in einem unstrukturierten Umfeld pro Tag rund 30 Kilogramm Material sammeln können, damit er beim Verdienst über dem Minimaleinkommen liegt. In der Regel kann das möglich sein, in manchen Märkten kann der Sammler auch das Zwei- oder Dreifache des regionalen Minimumlohns erzielen, beispielsweise in Teilen Afrikas.

Wenn die Sammler für ihr Sammelgut einen Preis bekommen, wird das Material auch gesammelt und es gibt keine Verpackungen mehr, die herumliegen. Denn dann gibt es Einkunftsmöglichkeiten für Leute, die in diesem Markt aktiv sein wollen.

Also muss man gar keine aufwändigen Sammelsysteme aufbauen wie bei uns, sondern nur dem Produkt einen Wert geben, damit sich das Sammeln lohnt?

Lehner: Genau – natürlich braucht man dazu Marktmechanismen wie eine stabile Abnahme und eine relativ transparente und nachvollziehbare Preisfindung. Aber wenn das gegeben ist, dann richten sich ganze Märkte danach aus. Ich finde das sehr spannend, denn dann kann der Markt das tun, was er am besten kann: Probleme lösen. Dafür muss das Sammeln aber wirtschaftlich sein und darum müssen die Verpackungen im zweiten Leben einen Wert haben.

Generell gilt: Verschiedene Lösungen haben verschiedene Anwendungsfälle und ich denke, wir müssen alle in Betracht ziehen, wenn wir wirklich einen Kreislauf schaffen wollen, der auch in unstrukturierten Märkten umsetzbar ist.

Ich finde es zum Teil illusorisch, wie heute über Kreislauf gesprochen wird, ohne im gleichen Atemzug die Leistbarkeit mit in Betracht zu ziehen. Denn die Idee, in Deutschland Regularien auf den Weg zu bringen, die dann Länder wie Indien kopieren, wird nur funktionieren, wenn diese Länder auch etwas davon haben und sich die Waren nicht unnötig verteuern. Denn wenn das indische Shampoo nicht mehr eine Rupie kostet, sondern zwei, ist das System zum Scheitern verurteilt, denn die Leute können sich das nicht mehr leisten.

Alle künftigen Lösungen müssen in dieser Balance bleiben und dazu brauchen wir auch in der Kreislaufwirtschaft verschiedene, an die regionalen Gegebenheiten angepasste Lösungen.

Wo sehen Sie denn abseits der Verpackungen noch Potenzial für mehr Recycling?

Lehner: Großes Potenzial für Verbesserungen haben zum Beispiel die Hersteller von Konsumgütern, die jetzt gefordert sind, Design for Recycling Konzepte umzusetzen, damit auch hier ein Nachmarkt entstehen kann. Hier findet bereits ein Umdenken statt. Auch in den klassischen Segmenten, bei denen eine Farbenvielfalt sehr wichtig war, entsteht jetzt ein Umdenken und die Unternehmen arbeiten an wirklich neue Designs, die es erlaubt, die Flaschen nach dem Gebrauch besser recyceln zu können. Hier steckt auf jeden Fall noch großes Potenzial.

 

Passend zu diesem Artikel