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Kreislaufwirtschaft funktioniert nicht ohne Information

Im Way-2-K-Branchen-Interview des VDMA erklärt Dr. Benedikt Benken, warum „Kreislaufwirtschaft nicht ohne Information funktioniert“. 

„Warum Kreislaufwirtschaft nicht ohne Information funktioniert“, erklärt Dr. Benedikt Benken im Interview. Der Direktor der Initiative R-Cycle sieht in dem neuen Standard R-Cycle, der auf der K-Messe vorgestellt wird, großes Potenzial. 

Dr. Benedikt Benken, Direktor der Initiative R-Cycle, spricht im Way-2-K-Branchen-Interview des VDMA auf dem Weg zur K-Messe über die Dimensionen und Ziele des Standards R-Cycle und warum „Kreislaufwirtschaft nicht ohne Information funktioniert“.

Herr Dr. Brenken, was ist R-Cycle und welche Ziele hat es?

R-Cycle hat zwei Dimensionen. Es ist einerseits ein offener Standard zur Realisierung des digitalen Produktpasses für Kunststoffe. Außerdem ist es eine industrieübergreifende Initiative, eine Vereinigung von Unternehmen, die den digitalen Produktpass mit entsprechenden Anwendungen vorantreiben und verbreiten wollen. Den Standard nutzen wir schon in ersten Projekten und konnten so seine Wirksamkeit unter Beweis stellen. Er wird zur K der Öffentlichkeit vorgestellt. 

Informationen über den Lebenszyklus von Kunststoffprodukten

Was ist das für ein Standard?

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Wir arbeiten mit der GS1 zusammen. Das ist eine Non-Profit-Organisation, die weltweit offene Standards für unternehmensübergreifende Prozesse entwickelt. Unter anderem auch die Global-Trade-Item-Numbers, die wir als Verbraucher als Barcodes mit Nummern auf den meisten Produkten kennen. Damit sind die Produkte weltweit identifizierbar. Wir haben uns anfangs gefragt, was uns für eine Kreislaufwirtschaft vor allem fehlt. Die Antwort lautete Informationen - für eine präzisere Sortierung und ein hochwertiges Recycling von Kunststoffprodukten. Diese Informationen müssen wir über den Lebenszyklus eines jeden Kunststoffprodukts bereitstellen. Wenn wir die Informationen austauschen wollen, brauchen wir einen Standard. GS1 hat schon entsprechende Standards, die wir auf den Anwendungsfall Kunststoffe anpassen können.

Was sind kunststoffspezifische Anpassungen?

Tatsächlich ging es in der ersten Phase darum herauszufinden, welche Daten denn überhaupt erhoben werden sollen und welche nicht. Man braucht gewisse Daten über eine Verpackung, damit der Sortierer zum Beispiel weiß, woraus diese besteht und wie er sie verwerten kann. Andererseits muss auch sichergestellt werden, dass keine Daten aufgenommen werden, die Betriebsgeheimnisse offenlegen, etwa Rezepturen. Wir haben das alles von Anfang an auch mit anderen Verbänden und Initiativen diskutiert, denn es ist wichtig, die Interessen der unterschiedlichen Stakeholder zu berücksichtigen. 

Wie muss man sich eine Kennung vorstellen?

Der Produktpass besteht aus drei Dingen. Zum einen aus einer ID-Nummer, damit das Produkt identifizierbar ist. Zum Zweiten aus Daten, die dazu aufgenommen werden. Das haben wir in dem Standard definiert. Das Dritte ist die Markierung, die Produkt und ID-Nummer zusammenbringt - ein Barcode, ein QR-Code, ein digitales Wasserzeichen. Wir sind offen für alle Arten von Markierungstechnologien und arbeiten hier mit unterschiedlichen Anbietern und Initiativen, wie zum Beispiel der Digital Watermarks Initiative Holygrail 2.0 zusammen. Unser Fokus bei R-Cycle ist die Datenerfassung- und bereitstellung entlang des Lebenszyklus. Je nach Anforderung können wir dann auf verschiedene Markierungstechnologien zurückgreifen.

Wie ist die Idee zu R-Cycle entstanden?

Die Idee ist bei Reifenhäuser entstanden. Wir entwickeln dort Technologien für besser zu recycelnde Verpackungen. Dabei stellte sich ein Grundproblem heraus: Was nützt es, wenn wir voll recyclingfähige Verpackungen entwickeln und unsere Kunden sie in den Markt bringen, die Verpackung am Ende aber trotzdem in der thermischen Verwertung landet. Im Abfallsortierprozess werden heute Verpackungen nur sehr begrenzt als recyclingfähig erkannt. Eine ausreichend präzise Sortierung findet nicht statt. Dabei liegen alle Informationen, die man für ein besseres Recycling benötigt, in unseren Maschinen und Anlagen vor. Wir nutzen sie bereits, um die Prozesse zu steuern. Warum sollte man diese Informationen nicht unternehmensübergreifend für das Recycling nutzen können? Mit diesen Informationen kann man Kunststoffabfall besser sortieren und höhere Rezyklat-Qualitäten erzielen. Diese recycling-relevanten Informationen sollten jedem Produkt mitgegeben werden. Das war der Anfang von R-Cycle. 

Welche Pilotprojekte gibt es schon?

Wir haben zum Beispiel mit Exxon Mobil Rohstoffsäcke hergestellt, die wir immer im Kreis gefahren haben. Das heißt sie wurden produziert und direkt wieder recycelt. Dank des digitalen Produktpass von R-Cycle konnten die recycling-relevanten Verpackungseigenschaften im Recyclingprozess ausgelesen werden. Diese Informationen ermöglichen es, gebrauchte Säcke gezielt als Rohstoff dem Recyclingprozess zuzuführen. Unser Partner Brückner Maschinenbau hat mit weiteren Partnern eine Chipstüte produziert, die aus einer Folie mit Metallbeschichtung besteht und dennoch voll recyclingfähig ist. Am Ende wurde aus dem Rezyklat wieder eine Folie. Das sind zwei von vielen Beispielen, die zeigen, wie der Einsatz des digitalen Produktpass ein datenbasiertes Sortieren und Recyceln ermöglicht. Die Einsatzmöglichkeiten sind dabei nicht nur auf Verpackungen beschränkt. Für ein Projekt mit der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und dem chinesischen Agrarministerium haben wir Agrarfolie produziert, die einen digitalen Produktpass hat. Es wird gescannt, welcher Bauer auf welchem Feld welche Folie aufbringt. Beim Einsammeln wird auch wieder gescannt und man kann eine Mengenbilanz erstellen: Wieviel Folie wurde ausgebracht, wie viel wurde eingesammelt? Somit kann sichergestellt werden, dass die gesamte Folie wieder eingesammelt und recycelt wird. 

Produktpass für die Kreislaufwirtschaft

Der digitale Produktpass nützt also nicht nur der Kreislaufwirtschaft?

Es gibt viel mehr Potenziale und die wollen wir weiterentwickeln. Das große Ziel ist es natürlich, die Daten zu nutzen, um besser zu recyceln. Aber bis das wirklich im großen Maßstab Anwendung findet und entsprechende Infrastrukturen aufgebaut sind, wird es noch etwas dauern. In der Zwischenzeit wollen wird aber schon Nutzen aus dem digitalen Produktpass ziehen. Damit lässt sich zum Beispiel die Recyclingfähigkeit eines Produktes bewerten. Man kann mit den Daten zum Beispiel den CO2-Fußabdruck eines Produktes berechnen oder Prozesse im Sinne von Industrie 4.0 optimieren. Das sind alles Anwendungen, die wir mit unterschiedlichen Partnern diskutieren und umsetzen. In unserer R-Cycle Community haben sich bereits über 20 marktführende Unternehmen zusammengefunden, und wir suchen stetig weitere, um das Potenzial digitaler Produktpässe in möglichst vielen Anwendungen zu erproben. 

Kann man sagen, der digitale Produktpass ist Voraussetzung für die Kreislaufwirtschaft?

Absolut. Kreislaufwirtschaft funktioniert nicht ohne das Teilen von relevanten Informationen zwischen den beteiligten Stakeholdern entlang des Lebenszyklus. Es genügt nicht, nur am Lebensende Informationen über das Produkt bereitzustellen. Maschinen, die mit R-Cycle vernetzt sind, können aus dem digitalen Produktpass präzise Informationen zu den jeweiligen Vorprodukten beziehen und ihre eigenen Daten entsprechend ergänzen, was einen Mehrwert für die Verarbeiter im nachgelagerten Prozess darstellt. Schlussendlich nutzen wir mit R-Cycle das Potenzial der Digitalisierung für nachhaltige Stoffkreisläufe, wie es unter anderem auch im Rahmen des Circular Economy Action Plan der Europäischen Union politisch gefordert wird. VDMA/ak

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