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Werkstoffe 29. September 2023

Die zwei Seiten der Biokunststoffe

Im Vorfeld der Fakuma 2023 sprachen wir mit Prof. Dr.-Ing. Christian Bonten, Leiter des Instituts für Kunststofftechnik der Universität Stuttgart, über die zwei Seiten der Biokunststoffe – biobasiert und biologisch abbaubar.

Prof. Dr.-Ing. Christian Bonten: „Ein richtiger Kreis wird geschlossen, wenn Kunststoffe, egal ob Bio oder herkömmliche Kunststoffe, wieder zu neuem Kunststoff werden.“
Prof. Dr.-Ing. Christian Bonten: „Ein richtiger Kreis wird geschlossen, wenn Kunststoffe, egal ob Bio oder herkömmliche Kunststoffe, wieder zu neuem Kunststoff werden.“

Biokunststoffe können biologisch abbaubar sein oder biobasiert, manche sogar beides zugleich – im Interview mit der K-ZEITUNG erklärt Prof. Dr.-Ing. Christian Bonten, was für welche Anwendungen Sinn macht und warum biologisch abbaubare Kunststoffe nicht die Lösung unserer Umweltprobleme sind.

Herr Prof. Bonten, beim Begriff Biokunststoff denken die meisten an biologische Abbaubarkeit, aber das ist doch nur eine Seite der Medaille…

Prof. Dr.-Ing. Christian Bonten: Stimmt. Ich habe schon sehr lange mit Biokunststoffen zu tun, denn ich habe vor meiner Zeit als Professor für einen Hersteller von Biokunststoffen gearbeitet. Was sich in dieser langen Zeit nicht geändert hat: Es kommen immer wieder Entwickler zu uns, die aufgefordert wurden, ihre Produkte künftig aus Biokunststoff herzustellen.

Dann stellen wir immer die entscheidende Frage: Was wollt Ihr? Wollt Ihr Kunststoffe, die biologisch abbaubar sind oder welche, die aus nachwachsenden Rohstoffen basieren? Selten ist beides gewollt, denn beide bieten ganz unterschiedlichen Nutzen.

Wenn wir dies jetzt unter dem Gesichtspunkt der Kreislaufwirtschaft betrachten: welche Art von Biokunststoff macht mehr Sinn?

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Bonten: Zum Schließen des Kreislaufs sind biologisch abbaubare Kunststoffe eigentlich nicht geeignet. Es klingt zwar nach Kreislauf, aber im Prinzip der Kohlenstoff des Kunststoffs der Natur zugeführt, aber wenn der Kohlenstoff aus Öl stammt – denn es gibt mehrere biologisch abbaubare Kunststoffe auf Basis von Erdöl - dann wird gar kein Kreis geschlossen. Ein richtiger Kreis wird geschlossen, wenn Kunststoffe, egal ob Bio oder herkömmliche Kunststoffe, wieder zu neuem Kunststoff werden.

Wenn wir in Europa ab 2050 fossile Rohstoffe für quasi nichts mehr, auch nicht mehr für die Herstellung von Kunststoffen nutzen dürfen, muss der Kohlenstoff aus anderen Quellen kommen. Das Recycling von Kunststoffen wird dann mit Sicherheit die größte und wichtigste Quelle sein, aber mit Recycling allein lässt sich der Bedarf nicht decken.

Warum?

Bonten: Einerseits, weil sich nicht 100 Prozent der Kunststoffe mechanisch oder chemisch recyceln lassen und andererseits, weil der Bedarf an Kunststoffen weiter steigen wird.

Es existieren Annahmen, dass durch recyclinggerechtes Design in Zukunft vielleicht zwei Drittel des Kunststoffbedarfs über das mechanische und chemische Recycling gedeckt werden können. Das heißt zugleich, dass ein Drittel aus anderen Quellen stammen muss.

Also aus nachwachsenden Rohstoffen bestehen, sprich biobasiert sein muss?

Bonten: Nicht nur – es gibt ja auch die Möglichkeit, Kunststoffe aus CO2 herzustellen, wie es zum Beispiel Covestro praktiziert hat. Die stoffliche Verwendung von CO2 könnte eine gute Lösung sein, wenn sie möglichst mit regenerativer Energie geschieht. Die stoffliche Nutzung ist wohlmöglich besser als das Pressen von CO2 in tiefe Erdschichten.

Rein technisch lassen sich alle Kunststoffe auch auf Biobasis herstellen, aber noch ist der Anteil mit etwa 1 % verschwindend gering.
Rein technisch lassen sich alle Kunststoffe auch auf Biobasis herstellen, aber noch ist der Anteil mit etwa 1 % verschwindend gering.

Vom Prinzip her könnte man doch alle Kunststoffe, die heute auf dem Markt sind, auch aus nachwachsenden Rohstoffen herstellen, oder liege ich da falsch?

Bonten: Dem Kohlenstoff-Atom, das wir für die Kunststoffherstellung brauchen, ist es völlig egal, ob es aus fossilen oder nachwachsenden Rohstoffen hergestellt oder aus CO2 gewonnen wird. Wir können also rein technisch alle Kunststoffe auch ohne fossilen Rohstoffe produzieren. Es ist aber auch eine Frage der Energie, die wir dafür aufwenden und, ob sie aus regenerativen Quellen stammt.

Aber, um Ihnen eine Vorstellung von der aktuellen Bedeutung der biobasierten Kunststoffe zu geben: Gegenüber allen anderen Kunststoffen ist der Anteil immer noch verschwindend gering – die erhobenen Zahlen sind so bei ungefähr einem Prozent.

Und wie sieht es angesichts der zu erwartenden Steigerungen mit den verfügbaren landwirtschaftlichen Flächen aus? Reichen die aus, um künftig neben Nahrungsmitteln auch noch Kunststoffe herzustellen?

Bonten: Auf jeden Fall. Wenn wir davon ausgehen, dass rund zwei Drittel der benötigten Rohstoffe über das mechanische und chemische Recycling zurückgewonnen werden, brauchen wir ohnehin nur für das verbleibende Drittel nachwachsende Rohstoffe oder CO2.

Für die Herstellung aller heute auf der ganzen Welt produzierten Kunststoffe – das sind aktuell knapp 400 Mio. t – aus nachwachsenden Rohstoffen würde man nur etwa 4 % der heutigen landwirtschaftlich-genutzten Flächen benötigen. Nachdem künftig aber rund zwei Drittel der Kunststoffe über das Recycling hergestellt werden dürften, wären es nur etwas mehr als 1 %.
Für die Herstellung aller heute auf der ganzen Welt produzierten Kunststoffe – das sind aktuell knapp 400 Mio. t – aus nachwachsenden Rohstoffen würde man nur etwa 4 % der heutigen landwirtschaftlich-genutzten Flächen benötigen. Nachdem künftig aber rund zwei Drittel der Kunststoffe über das Recycling hergestellt werden dürften, wären es nur etwas mehr als 1 %.

Es gibt Untersuchungen, dass man für die Herstellung aller heute auf der ganzen Welt produzierten Kunststoffe – das sind aktuell knapp 400 Millionen Tonnen – aus nachwachsenden Rohstoffen vielleicht 4 % der heutigen landwirtschaftlich-genutzten Flächen benötigen würde. Wenn das Recycling aber in Zukunft etwa zwei Drittel des Bedarfs abdecken wird, reduziert sich dieser Bedarf auf gut ein Prozent. Wenn man nun bedenkt, dass die landwirtschaftlichen Erträge aufgrund Wetter, Klima etc. jährlich um etwa zehn Prozent schwanken, geht der Bedarf für die zukünftige Kunststoffherstellung in dieser Schwankungsbreite unter – und dies gilt sogar für den Fall, dass sich der Bedarf an Kunststoffen in Zukunft verdoppeln wird.

Nochmals zurück zu den biologisch abbaubaren Kunststoffen: Sie haben bei unseren letzten Gesprächen immer wieder betont: biologische Abbaubarkeit nur da, wo es nicht anders geht. Warum?

Bonten: Der biologische Abbau von Kunststoffen ist im Prinzip eine kalte Verbrennung, denn wenn die Bakterien den Kunststoffabfall verstoffwechseln, entstehen CO2 und Methan – genau die Stoffe, die einen großen Anteil am Klimawandel haben. Bakterien haben halt einen ganz ähnlichen Stoffwechsel wie wir Menschen. Wenn wir Kohlehydrate essen, entsteht Energie, aber auch CO2 und Methan. Das ist bei den Bakterien kaum anders.

Deshalb empfehle ich, nur dort biologisch abbaubare Kunststoffe zu verwenden, wo die Produkte als Abfälle zwangsläufig in der Umwelt landen. Bestes Beispiel sind die Rasentrimmer-Fäden, mit denen manche ihr Gras schneiden. Der Faden ist einem Verschleiß unterworfen und die Abfälle landen zwangsläufig in der Natur. Ähnliches gilt für die Wuchshüllen für junge Bäume oder Mulchfolien in der Landwirtschaft…

… und für die Kaffeekapseln.

Bonten: Mit einer gewissen Einschränkung auch für die Kaffeekapseln. Denn die könnte man ja auch öffnen, das Pulver auf den Kompost schütteln und die Kapseln in die Gelbe Tonne werfen – aber in der Praxis wird das nicht umgesetzt. Deshalb werden diese wohlmöglich bald verboten, wenn sie nicht biologisch abbaubar sind und mit dem Kaffeesatz gemeinsam in der braunen Tonne ensorgt werden können.

Allerdings muss man bei der biologischen Abbaubarkeit sehr genau hinsehen, welche Rahmenbedingungen vorliegen und was man mit dem Kunststoff erreichen will. Zum Beispiel bei den Wuchshüllen für die Bäume ist ein Kunststoff gefragt, der eine gewisse Zeit seine Schutzfunktion erfüllt und dann – plötztlich – zerfällt und im Idealfall als Dünger für die Bäume dient. Denn ein industriell kompostierbarer Kunststoff, der für den Zerfall Temperaturen oberhalb von 50 °C benötigt, ist hier genauso fehl am Platz wie bei den Kaffeekapseln.

Aber ich möchte nochmals betonen: Wenn es eine andere, vernünftige und praktikable Lösung der Abfallentsorgung gibt, würde ich diese vorziehen, damit wir den Kunststoff auch tatsächlich rezykliert wieder im Kreis führen können.

Biokunststoffe waren auch ein großes Thema beim diesjährigen 28. Stuttgarter Kunststoffkolloquium des IKT, das unter dem Motto stand „Klimaneutrales Europa 2050 – Aufgaben der Kunststoffbranche“. Mehr dazu in diesem Beitrag der K-ZEITUNG.

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