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Klimaneutralität mit Kunststoff wird funktionieren

Beim 28. Stuttgarter Kunststoffkolloquium wurde deutlich, dass die Kunststoffbranche durchaus bis 2050 klimaneutral und unabhängig vom Rohöl sein kann.

Nicht nur Prof. Dr.-Ing. Christian Bonten, Leiter des Instituts für Kunststofftechnik der Universität Stuttgart, stieß mit seinem Vortrag  „CO2-neutral durch Bio-Kunststoffe“ auf großes Interesse der Teilnehmer. 

Der mit Vertretern von Wissenschaft, Industrie und Verbänden hochkarätig besetzte Präsenzteil des 28. Stuttgarter Kunststoffkolloquiums stand unter dem Motto „Klimaneutrales Europa 2050 – Aufgaben der Kunststoffbranche“. Und obwohl die produzierte Menge an Kunststoff in den nächsten Jahren noch deutlich zunehmen wird, ließen die Referenten keinen Zweifel aufkommen, dass die Kunststoffbranche die großen Herausforderungen auf dem Weg zur Klimaneutralität und zum Verzicht auf fossile Rohstoffe meistern wird.

Kreislaufwirtschaft als Lösung für die Zukunft

Um welche Mengen es dabei geht, machte Dr. Alexander Kronimus, Geschäftsführer Klimaschutz und Kreislaufwirtschaft bei Plastics Europe Deutschland – PED – in seinem Eröffnungsvortrag deutlich. Nach Erhebungen der OECD werden heute weltweit rund 400 Mio. t Kunststoff pro Jahr verbraucht. Bis 2060 werden dies vermutlich um Faktor 2 oder sogar 3 mehr sein. Da mit dem zunehmenden Verbrauch automatisch auch die Abfallmenge ansteigen wird, kann es für Dr. Kronimus nur eine Lösung für die Zukunft geben: Kreislaufwirtschaft.

Dass hier trotz großer Anstrengungen noch reichlich Luft nach oben ist, zeigen aktuelle Werte aus Europa: 49,1 Mio. t verwendetem Kunststoff stehen derzeit 29,5 Mio. t gesammelter Kunststoffabfall gegenüber. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass eine große Menge von Kunststoffteilen in der Bauindustrie landet und dort die Verweilzeiten sehr hoch sind. Problematischer ist da schon, dass heute 42 % der Kunststoffabfälle energetisch genutzt – also verbrannt – werden und in Europa immer noch über 23 % auf Deponien landen. Heißt: nur ein gutes Drittel der gesammelten Kunststoffabfälle wird tatsächlich recycelt.

Mechanisches und chemisches Recycling nicht im Wettbewerb

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Welches Verfahren dabei zum Einsatz kommt, ist für Dr. Kronimus völlig klar: „Die verschiedenen Recyclingpfade stehen nicht im Wettbewerb. Das mechanische Recycling ist die effizienteste Lösung und alles, was sich mechanisch recyceln lässt, sollte auch mechanisch recycelt werden.“ Für den Rest, der danach übrig bleibt, ist nach Überzeugung von Dr. Kronimus das chemische Recycling ideal.

Ganz wichtig ist Dr. Kronimus dabei der Zeitfaktor: „Wir haben gezeigt, dass das Recycling funktioniert. Jetzt müssen wir schnell zu einer Skalierung kommen.“ Wenn das Recycling weiter massiv vorangetrieben wird, ist nach Überzeugung von Kronimus in Europa ein Rezyklatanteil von 61 % erreichbar, wobei 46 % aus dem mechanischen und 15 % aus dem chemischen Recycling stammen.

Nachwachsende Rohstoffe als Ergänzung

Die restlichen knapp 40 % können dann über Kunststoffe aus nachwachsenden Rohstoffen ergänzt werden. Zum Vergleich: Heute werden nur 13 % der chemischen Stoffe aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt, 86 % bestehen aus fossilen Rohstoffen – ein Anteil, der sich nach Vorgaben der EU bis 2045 auf null reduzieren soll, um die Klimaziele zu erreichen.

Wie gewohnt war auch das 28. Stuttgarter Kunststoffkolloquium für die Teilnehmer wieder eine exzellente Gelegenheit zum Netzwerken unter Gleichgesinnten. 

Dr. Norbert Niessner, Director Global Innovation von Inneos Styrolution, ging in seinem Vortrag sogar noch einen Schritt weiter: Für ihn liegt nicht nur die Lösung für die Zukunft der Kunststoffe im Recycling, er betonte auch, dass die Zukunft der Menschheit im Kunststoff liegt. Denn alle Alternativen bringen nach seiner Erfahrung ein Mehrfaches an Belastungen für die Umwelt mit sich, zum Beispiel durch einen höheren CO2-Ausstoß, schlechtere Eigenschaften oder höheres Gewicht.

Wie Kronimus sieht auch Niessner keinen Konflikt zwischen mechanischem und chemischem Recycling: „Wenn mechanisches Recycling funktioniert, sollte man das auch machen“, so seine Überzeugung. Schließlich hat das mechanische Recycling gegenüber Neuware deutliche Vorteile beim CO2-Äquivalent.

Handlungsbedarf bei Sammelsystemen und bei Design for Recycling

Handlungsbedarf sieht Niessner derzeit noch bei den Sammelsystemen und sogar noch mehr beim Design for Recycling – zum Beispiel durch den Einsatz von Monomaterial. Denn Niessner ist fest überzeugt: Ohne deutliche Verbesserungen beim Design for Recycling wird die Kreislaufwirtschaft nicht funktionieren.

Nachdem sich der künftige Bedarf an Kunststoffen aber nicht komplett über Recyclingmaterial decken lässt, setzt auch Niessner als zweiten großen Hebel für die Umsetzung einer Kreislaufwirtschaft auf nachwachsende Rohstoffe – in der Übergangszeit auch im Mix mit fossilen Rohstoffen.

Wie Dr. Niessner beim Stuttgarter Kunststoffkolloquium erklärte, werden bei Inneos Styrolution bereits Cracker mit einem gewissen Anteil an Bio-Naphta betrieben, wobei die Qualität der Endprodukte erhalten bleibt. „Der Betrieb mit 100 Prozent Bioprodukten funktioniert – noch – nicht, sollte aber das Ziel sein“, so Niessner.

Verluste klimaneutral auf Bio- oder CO2-Basis auffüllen

Mit seinem Vortrag „CO2-neutral durch Bio-Kunststoffe“ schloss Prof. Dr.-Ing. Christian Bonten – zusammen mit Prof. Dr. Marc Kreutzbruck Leiter des IKT und Hausherr der Veranstaltung – nahtlos an die Ausführungen von Dr. Niessner an. So erklärte Bonten auch, warum ein Kunststoffkreislauf komplett mit Rezyklat nicht möglich ist: „Es gibt in der Wertschöpfungskette immer unvermeidbare Verluste und was verloren geht, müssen wir künftig mit Kunststoffen aus Bio-Masse oder auf CO2-Basis wieder auffüllen.“

In seinem Vortrag räumte Prof. Bonten gleich mit mehreren Vorurteilen auf – insbesondere bei den Begriffen bio-basiert und bio-abbaubar. Denn ein bio-basierter Kunststoff, der aus nachwachsenden Rohstoffen besteht, kann zwar bio-abbaubar sein, muss es aber nicht. Ganz im Gegenteil. So arbeiten Forscher derzeit mit Hochdruck daran, Bio-Kunststoffe noch stabiler zu machen, um deren Haltbarkeit zu verlängern und damit in weiteren Bereichen unabhängig vom Rohöl zu werden. Beispiele sind Bio-PE und Bio-PA aus Zuckerrohr, die durchaus die Eigenschaften von herkömmlichem PE und PA erreichen, aber nicht mehr bio-abbaubar sind.

Bio-abbaubar nur wenn es nicht anders geht

Generell warnte Prof. Bonten auch vor falschen Erwartungen und falschen Einsatzbereichen von bio-abbaubaren Kunststoffen. Seine Philosophie: „Bio-abbaubare Kunststoffe am besten nur dann einsetzen, wenn keine andere Chance besteht oder wenn sie zwangsläufig in den Boden gelangen, zum Beispiel bei Folien für die Landwirtschaft oder Fäden für Rasentrimmer.

Falsch ist laut Bonten auch die Meinung, dass ein zunehmender Einsatz von bio-basierten Kunststoffen die Ernährung der Bevölkerung gefährden würde. „Selbst wenn wir alle Kunststoffprodukte auf Biobasis umstellen würden, hätte wir kein zusätzliches Hungerproblem. Dafür ist die benötigte Menge einfach zu klein“, so Bonten.

Auf eine ganz andere Möglichkeit zur Herstellung von Kunststoffen, bei der sogar CO2 verbraucht wird, ging Prof. Dr.-Ing. Bernhard Rieger von der TU München mit seinem Vortrag „CO2-basierte Kunststoffe“ ein. Wie Rieger erklärte, fällt CO2 bei vielen Prozesse als Nebenprodukt an – und zwar in großen Mengen. Statt – wie jüngst in der Nordsee geschehen – mit großem Aufwand und Energieverbrauch das CO2 zu verflüssigen und mit einer ehemaligen Bohrinsel in den Boden zu pressen, lässt sich CO2 auch sehr gut als Rohstoffe zumindest für einige Kunststoffe nutzen.

Massenkunststoff aus CO2 ist möglich

Problem dabei war bisher der damit verbundene hohe Energieverbrauch – war, denn wie Prof. Rieger beim Stuttgarter Kunststoffkolloquium ausführte, haben Wissenschaftlern der TU München nach langer Suche einen Katalysator entdeckt, der günstig ist, sehr gut funktioniert und mit dem sich aus CO2 der Kunststoff PHB herstellen lässt. Aus diesem – wie Rieger sagte – „hidden champion“ der Kunststoffe wurden bei Tests bereits Staubsaugerdeckel erfolgreich hergestellt. Für Prof. Rieger ist damit der Beweis erbracht: „Massenkunststoff aus CO2 ist möglich.“ 

Weiter Informationen zum Präsenzteil des erstmals zweigeteilten 28. Stuttgarter Kunststoffkolloquiums finden Sie hier

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