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News 26. Februar 2024

CO2-Fußabdruck für fossile Kunststoffe geschönt

Kunststoffe auf Erdölbasis haben einen höheren CO2-Fußabdruck als bislang angenommen. Das wirkt sich auf den Product Carbon Footprint von fossilen Kunststoffen aus.

 Der CO2-Fußabdruck von fossilen Kunststoffen ist nach aktuellen Datensätzen, die auch Methanemissionen bei der Gewinnung und Verarbeitung von Erdöl und Erdgas berücksichtigen, deutlich größer als bislang angenommen.
 Der CO2-Fußabdruck von fossilen Kunststoffen ist nach aktuellen Datensätzen, die auch Methanemissionen bei der Gewinnung und Verarbeitung von Erdöl und Erdgas berücksichtigen, deutlich größer als bislang angenommen.

Seit Jahren wird in der Ökobilanz-Community diskutiert, wie ein fairer Vergleich beim CO2-Fußabdruck zwischen erdöl-basierten Polymeren und solchen aus Biomasse, Carbon Capture and Utilisation (CCU) sowie Recycling möglich ist. Ein kritisierter Aspekt ist, dass die Prüfung bei fossilem Erdöl in der Regel Standardwerte verwendet, regionale Unterschiede und indirekte Klimawirkungen werden nicht in dem Umfang berücksichtigt, wie dies bei nicht-fossilen Produkten geschieht. Bei den – oft neuartigen – Polymeren aus nicht-fossilen Kohlenstoffquellen werden dagegen alle möglichen CO2-Emittenten mit großem Aufwand analysiert und in die Bilanzierung des Product Carbon Footprint einbezogen.

Die aktuellen Schweizer Ecoinvent-Daten, die die Grundlage für viele europäische Ökobilanzen bilden, beseitigen einige dieser Ungleichgewichte, da sie neue Daten zu fossilen Rohstoffen und Kunststoffen enthalten. In den Ecoinvent-Versionen 3.9 und 3.10 von Ende 2023 berücksichtigen die Daten erstmals auch sämtliche Methanemissionen bei der Gewinnung und Verarbeitung von Erdöl und Erdgas. GaBi von Sphera, eine weitere relevante Datenbank für Ökobilanzen, arbeitet ebenfalls an einer entsprechenden Aktualisierung ihrer Daten.

Neue CO2-Daten für Erdgas, Erdöl und Chemikalien

Ecoinvent v3.9 beinhaltet eine umfassende Überarbeitung der Daten zur Erdgas- und Erdölversorgung. Insbesondere enthält diese Version eine Aktualisierung der Erdgas- und Erdölversorgungsketten (Produktion, Ferntransport und regionale Verteilung). Auch der geografische Erfassungsbereich wurde erweitert. Zusammengenommen deckt die Ecoinvent-Datenbank nun 90 % der globalen Erdölproduktion und fast 80 % des Erdgases ab. Darüber hinaus werden mit der Aktualisierung der regionale Verbrauchsmix für Erdöl in Nordamerika und Europa sowie neue oder aktualisierte Erdgaslieferungen für 44 Länder eingeführt.

In der Ecoinvent v3.10 Datenbank wurden wesentliche chemische Grundstoffe und ihre Derivate neu erfasst, um deren Daten zu aktualisieren. Dazu gehören kurzkettige Alkene (Ethylen, Propylen, Buten und Butadien), monozyklische Aromaten (Benzol, Toluol und Xylole [p-, o-, gemischt]), Ethylenoxid und Ethylenglykol. Weitere wichtige Aktualisierungen umfassen die Erweiterung der technologischen und geografischen Abdeckung für Ethylen, Propylen, Wasserstoff und Methanol. Insbesondere führt Ecoinvent v3.10 Daten für China, die Vereinigten Staaten und Europa ein.

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Darüber hinaus wurde im Rahmen einer Zusammenarbeit zwischen IFEU, Plastics Europe und Ecoinvent eine verbesserte Disaggregationsebene für Steamcracking und die Herstellung von Polyolefinen (PE, PP), PVC und PET hinzugefügt, was die Transparenz dieser Prozesse erhöht.

CO2-Fußabdruck von fossilen Kunststoffen höher

Infolge der genannten Aktualisierungen hat sich der durchschnittliche CO2-Fußabdruck von Erdöl und Erdgas und deren Folgeprodukten zwischen Ecoinvent Version 3.8 und der neuesten Version 3.10 deutlich erhöht. Der CO2-Fußabdruck von fossilem Naphtha hat sich fast verdoppelt, und die CO2-Fußabdrücke von Standardkunststoffen sind um etwa 30 % gestiegen (PET 26 %, PE 34 % und PP 30 %).

Dies kann als Ausgangspunkt dienen, die Auswirkungen von fossilen Rohstoffen erneut im Detail zu überprüfen und sie in Ökobilanzen angemessen zu berücksichtigen, da die Nutzung fossiler Rohstoffe schlussendlich die Hauptursache für den vom Menschen verursachten Klimawandel ist.

Ecoinvent-Daten bilden die Grundlage für viele Ökobilanzen. Neue Datensätze in der aktuellen Version 3.10 weisen im Vergleich zur Version 3.8 einen höheren CO2-Fußabdruck fossile Kunststoffe aus.
Ecoinvent-Daten bilden die Grundlage für viele Ökobilanzen. Neue Datensätze in der aktuellen Version 3.10 weisen im Vergleich zur Version 3.8 einen höheren CO2-Fußabdruck fossile Kunststoffe aus.

Die größeren CO2-Fußabdrücke fossiler Kunststoffe werden für den Vergleich mit ihren nicht-fossilen Gegenstücken aus erneuerbarem Kohlenstoff erheblich sein. Viele Berechnungen von CO₂-Fußabdrücken bzw. den Product Carbon Footprints müssen auf der Grundlage der aktualisierten Daten neu berechnet werden. Dabei ist zu erwarten, dass sich frühere Vergleiche zwischen fossilen und nicht-fossilen Kunststoffen weiter zugunsten nicht-fossiler verschieben werden.

Während der CO2-Fußabdruck, der mit der Herstellung von biobasierten Kunststoffen verbunden ist, nach bisherigen Berechnungen etwa 20 % bis 30 % niedriger war als der von fossilen Kunststoffen, wird nun erwartet, dass die Produktion und Verarbeitung biobasierter Kunststoffe tatsächlich 40 % bis 50 % weniger CO2 ausstoßen als ihre Pendants auf fossiler Basis.

Defossilisierung wirkungsvoller als angenommen

Michael Carus, Geschäftsführer der Renewable Carbon Initiative (RCI), sagt: „Die Defossilisierung der chemischen Industrie ist für den Klimaschutz wichtiger als bisher angenommen. Die Bedeutung von biobasiertem und CO₂-basiertem Kohlenstoff wurde unterschätzt, weil die Daten für Erdöl und Erdgas systematisch geschönt waren. Nun sind die ersten Schritte unternommen, um die wahren Auswirkungen der Erdölnutzung zu erkennen. Die Politik hat nun einen weiteren Grund, den Wandel der chemischen Industrie weg vom fossilen Kohlenstoff viel stärker zu unterstützen.“

Bio- und CO2-basierte sowie recycelte Produkte fördern

Carus erwartet, dass die Ergebnisse einen Einfluss auf die europäische Politik haben werden, die bisher wenig Förderunterstützung für erneuerbaren Kohlenstoff gezeigt hat. Bio- und CO2-basierte sowie recycelte Produkte sollten in der zukünftigen Politik eine viel größere Rolle spielen, so Carus. Zum Beispiel in der Verordnung über Verpackungen und Verpackungsabfälle (PPWR) oder im Transition Pathway für die chemische Industrie, dessen Umsetzung in der Europäischen Kommission derzeit vorbereitet wird.

Renewable Carbon Initiative will LCA-Datenbanken prüfen

Um diese neuen Aktualisierungen und ihre Auswirkungen vollständig zu verstehen, prüft die Renewable Carbon Initiative (RCI) ein Projekt, das die in Ecoinvent aktualisierten, fossilen CO2-Fußabdrücke mit denen anderer großer LCA-Datenbanken wie Ga-Bi und Carbon Minds vergleicht und die möglichen Folgen untersucht, die aus deren Korrektur entstehen könnten.

Die Renewable Carbon Initiative (RCI) ist ein globales Netzwerk von mehr als 60 namhaften Unternehmen, die sich für den Übergang von fossilem Kohlenstoff zu erneuerbarem Kohlenstoff (bio-basiert, CO2-basiert und recycelt) für alle organischen Chemikalien und Materialien einsetzen. Ihre Arbeit konzentriert sich auf wissenschaftliche Hintergrundberichte, Positionspapiere, Lobbyarbeit und Networking. mg

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