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Editorial 5. Dezember 2022

Kunststoffe gänzlich ohne fossile Rohstoffe?

Kann die Kunststoffindustrie ab 2045 gänzlich ohne fossile Rohstoffe wirtschaften? Plastics Europe legt ein Konzeptpapier hierfür vor.

Matthias Gutbrod, Redakteur K-ZEITUNG
Matthias Gutbrod, Redakteur K-ZEITUNG

Fossile Rohstoffe sind aktuell noch die mit Abstand wichtigsten Energieträger und Kohlenstoffquellen für die Kunststoffindustrie. Doch infolge extensiver Nutzung fossiler Rohstoffe wird die globale Erwärmung befeuert.

Vollständige Defossilisierung der Kunststoffindustrie

Gänzlich ohne fossile Quellen auskommen – dieses Ziel verfolgen nicht nur Klimaaktivistinnen, sondern ab sofort auch Plastics Europe Deutschland (PED). Der Verband der Kunststofferzeuger hat dafür von Experten ein Konzept unter der Überschrift „Kreislaufwirtschaft Plus“ erarbeiten lassen. In dem Mitte Oktober veröffentlichten Papier heißt es: Wesentliches Ziel ist es, ab dem Jahr 2045 auf fossile Quellen zu verzichten – also die vollständige Defossilisierung der Wertschöpfungsketten in der Kunststoffindustrie.

Die Branche ist von diesem Ziel noch meilenweit entfernt – unverstellbar, wie diese Jahrhundert-Transformation bis 2045 gelingen könnte. PED macht in seiner „Handlungsempfehlung für eine Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie“ Vorschläge – auch mit Blick auf die politischen Akteure. Als Schlüsseltechnologien der fossilfreien Zukunft werden mechanisches und chemisches Recycling genannt, ergänzt durch Biomasse für biobasierte Kunststoffe. Abfälle, die nur thermisch-energetisch genutzt werden können, sollen mit CCU-Technik (CO2-Abscheidung und Nutzung) gekoppelt werden.

Abfälle, Biomasse und CO2 als Rohstoffe

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Also: Die Kohlenstoff-Quellen für die Kunststoffe der Zukunft sind Abfälle, Biomasse und CO2. Ein Fokus in dem PED-Papier liegt beim chemischen Recycling, verbunden mit der Forderung an die Politik, es dem mechanischen Recycling endlich gleichzustellen. Aus Sicht des Verbandes ist diese Forderung verständlich, schließlich ist chemisches Recycling kompatibel mit dem aktuellen Geschäftsmodell der Erzeuger – man wechselt lediglich von fossilen Rohstoffen als primäre auf Abfall als sekundäre Rohstoffquelle.

Im letzten Quartal dieses Jahres hat die chemische Recyclingindustrie eine wichtige Schwelle erreicht. Die ersten kommerziell aktiven Anlagen sind in Betrieb, und eine beträchtliche Anzahl soll im Laufe des Jahres 2023 folgen. Noch größere Kapazitäten sind in der Pipeline. Sie sollen zeigen, dass ihre Technologien so skaliert werden können, dass sie effizient und rentabel arbeiten.

Chemisches Recycling braucht viel Abfall – zu viel?

Doch das chemische Recycling wird mit wachsenden Kapazitäten immer hungriger nach Abfällen als Rohstoffquelle (und nach viel grüner Energie). Ein Zielkonflikt bei der Defossilisierung tut sich auf, steht doch die Minimierung von Abfällen (Reduce) auch in dem PED-Konzept an erster Stelle. Der Ausbau des chemischen Recyclings jedoch schafft Lieferketten, die auf einen wachsenden Strom von (Kunststoff)abfällen angewiesen sind (Lock-in-Effekt). Auch ist die Frage der Konkurrenz um die Beschaffung dieser Sekundärrohstoffe mit dem mechanischen Recycling nicht geklärt. Man redet zwar von sich ergänzenden Technologien und Stoffströmen – doch die Milliarden-Investitionen ins chemische Recycling müssen mit ausreichend viel Abfall gefüttert werden.

Es liegt an der chemischen Recyclingindustrie zu zeigen, dass sie ihre Behauptungen und Versprechungen einhalten kann, ohne diesen Lock-in-Effekt hervorzurufen, indem sie wirklich als ergänzende Technologie zum werkstofflichen Recycling agiert. Der Nachweis, dass sie dies kann, steht noch aus.

Auch der notwendige Ausbau regenativer Energien mit entsprechenden Netzen für die Unmengen an grünen Gigawattstunden, die es für diese Art der Defossilisierung braucht – man muss schon sehr optimistisch sein, daran zu glauben, dass dies bis 2045 geschieht. Im PED-Konzept „Kreislaufwirtschaft Plus“ steht dennoch, wie es gehen könnte.

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