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News 8. Januar 2024

100 Millionen für das Recycling von Kunststoffgemischen

WSS-Forschungszentrum erhält 100 Mio. CHF für die Entwicklung katalytisch getriebener Produktionsverfahren zum effizienten Recycling von Kunststoffgemischen.

Professorin Regina Palkovits und Professor Jürgen Klankermayer vom Institut für Technische und Makromolekulare Chemie an der RWTH Aachen leiten das neue WSS-Forschungszentrum in Aachen, das dank der bislang größten Förderungsmaßnahme der Werner Siemens-Stiftung ein effizientes Recycling von Ku
Professorin Regina Palkovits und Professor Jürgen Klankermayer vom Institut für Technische und Makromolekulare Chemie an der RWTH Aachen leiten das neue WSS-Forschungszentrum in Aachen, das dank der bislang größten Förderungsmaßnahme der Werner Siemens-Stiftung ein effizientes Recycling von Kunststoffgemischen mittels Katalyse erforschen wird.

Mit seinem bislang größten Forschungsprojekt und dem damit verbundenen Aufbau eines WSS-Forschungszentrums will die Werner Siemens-Stiftung (WSS) ein effizientes und nachhaltiges Recycling von Kunststoffgemischen möglich machen.

Anlässlich ihres 100-jährigen Bestehens hatte die in Zug, Schweiz, ansässige Werner Siemens-Stiftung einen Ideenwettbewerb für die Gründung eines WSS-Forschungszentrums ausgeschrieben, das Technologien für eine nachhaltige Ressourcennutzung erforschen und entwickeln wird. Das Interesse war enorm: Hochkarätige Forscher aus Deutschland, Österreich und der Schweiz bewarben sich mit insgesamt 123 Ideenskizzen um dieses Großprojekt, das die WSS für einen Förderzeitraum von zehn Jahren mit einem Finanzvolumen von insgesamt 100 Mio. Schweizer Franken (CHF) ausstattet.

In einem ersten Schritt prüfte der Wissenschaftliche Beirat der Stiftung, unterstützt von einem interdisziplinären Projektteam mit großer Erfahrung in der Forschungsbewertung, die eingereichten Ideen. Auf seine Empfehlung hin wählten der Stiftungsrat und der Beirat der Familie im Frühjahr 2023 sechs Teams mit ihren Forschungsideen aus, die jeweils mit einem WSS-Forschungspreis, dotiert mit je 1 Mio. CHF, ausgezeichnet wurden. Ausgehend von ihren Ideen, entwickelten die Preisträger jeweils detaillierte Konzepte für ein Forschungszentrum und präsentierten sie im Dezember den Gremien der WSS.

Katalyse für eine Kreislaufwirtschaft

„Es war eine schwierige Entscheidung, wir hatten sechs hervorragende Projekte zur Auswahl“, sagt Dr. Hubert Keiber, der Obmann des Stiftungsrats der WSS. Die Wahl fiel schließlich auf das Projekt „Catalaix: Katalyse für eine Kreislaufwirtschaft“ unter der Leitung von Professorin Regina Palkovits und Professor Jürgen Klankermayer vom Institut für Technische und Makromolekulare Chemie an der RWTH Aachen.

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Den Ausschlag gegeben habe neben der exzellenten Wissenschaft des multidisziplinären Aachener Teams die Forschung zur sehr attraktiven Wiederverwendung der molekularen Bausteine von Wertstoffen auf einem hohen Produktionsniveau, erklärt Professor Matthias Kleiner, ehemaliger Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Leibniz-Gemeinschaft sowie langjähriges Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Werner Siemens-Stiftung. „Insbesondere das effiziente Recycling von Kunststoffgemischen wäre eine weitreichende, revolutionäre Innovation im Bereich Nachhaltigkeit. Man denke nur an die vielen Millionen Tonnen Plastikmüll in den Weltmeeren, für die es immer noch keine wirkliche Lösung gibt. Ich freue mich daher sehr über die Entscheidung für das Aachener Team und bin gespannt auf den Aufbau und die Entwicklung des WSS-Forschungszentrums.“

Gezielter Abbau von Kunststoffgemischen dank Katalyse

Die Forscher werden ein Zentrum aufbauen, das den Weg ebnen soll zu einer kreislauffähigen chemischen Industrie. Im Mittelpunkt der Forschungsarbeiten steht die Katalyse – jene Technologie, welche die Geschwindigkeit chemischer Reaktionen erhöht oder sie erst ermöglicht. Katalysatoren helfen dabei, die Ausgangsstoffe für eine Vielzahl von Produkten zu schaffen, die für unser tägliches Leben unverzichtbar sind.

Im Technikum des Instituts für Technische und Makromolekulare Chemie an der RWTH Aachen werden in Autoklaven chemische Versuche bei hohem Druck durchgeführt und Reaktorsysteme für katalytische Reaktionen im größeren Maßstab betrieben.
Im Technikum des Instituts für Technische und Makromolekulare Chemie an der RWTH Aachen werden in Autoklaven chemische Versuche bei hohem Druck durchgeführt und Reaktorsysteme für katalytische Reaktionen im größeren Maßstab betrieben.

Aber noch immer aber landet ein Großteil dieser Produkte am Ende ihrer Lebenszeit im Abfall. Das Team um Palkovits und Klankermayer will das ändern, indem es solche Produkte durch neu entwickelte Katalysatoren und Verfahren ganzheitlich gezielt abbaut zu wiederverwendbaren molekularen Bausteinen. „Bislang haben Chemikerinnen und Chemiker meist neue Katalysatoren gesucht, die Bindungen knüpfen“, sagt Jürgen Klankermayer. „Aber es braucht auch Katalysatoren, die Bindungen brechen, und wir müssen bei der Herstellung das Recycling gleich mitdenken.“

Erster Fokus auf dem Kunststoffsektor

Der erste Fokus des WSS-Forschungszentrums liegt auf dem Kunststoffsektor. Der Mensch produziert 400 Mio. t Kunststoff pro Jahr – bis 2050 dürften 16 Gigatonnen zusammenkommen; so viel wiegen alle Menschen, Tiere und Pilze auf der Erde gemeinsam. Nur etwa 9 % aller Kunststoffe werden heute rezykliert – etwa PET-Flaschen, die zerkleinert und wieder zu neuen PET-Flaschen geformt werden.

Kunststoffabfall wird für die chemische Reaktion vorbereitet und in den Mahlbehälter einer Laborkugelmühle gefüllt.
Kunststoffabfall wird für die chemische Reaktion vorbereitet und in den Mahlbehälter einer Laborkugelmühle gefüllt.

Für einen ganzheitlichen Ansatz sind solche eindimensionalen Kreisläufe aber nicht geeignet, so Palkovits. „Verschiedene Kunststoffe werden in verschiedenen Mengen produziert, und ihre Lebensdauer ist unterschiedlich: Eine Verpackung muss nach vielleicht einem halben Jahr wieder in den Kreislauf integriert werden, eine Gebäudeisolation erst nach 30 Jahren.“

Vielseitig einsetzbare molekulare Bausteine

Die Forscherinnen und Forscher des WSS-Forschungszentrums werden deshalb daran arbeiten, eine mehrdimensionale Kreislaufwirtschaft nach dem „Open-Loop-Prinzip“ zu etablieren. Das bedeutet: Durch katalytisch getriebenes Recycling werden molekulare Bausteine hergestellt, die derart vielseitig einsetzbar sind, dass sie sich in verschiedene Wertschöpfungsketten und Materialkreisläufe einspeisen lassen. „So wird es möglich, bislang isolierte Stoffkreisläufe zu verknüpfen und eine flexible Kreislaufwirtschaft zu entwickeln“, sagt Prof. Jürgen Klankermayer.

Es sei wichtig, Abfall als wertvolle Ressource zu verstehen, ergänzt Prof. Regina Palkovits. Deshalb gelte es, beim Recycling molekulare Bausteine herzustellen, die den größtmöglichen chemischen Wert behielten. „Wir wollen Kunststoffe nicht ganz abbauen bis zum Synthesegas oder sie gar zu CO2 verbrennen, sondern sie nur so weit verkleinern, dass sie gut wiederverwendbar sind.“ Zudem sollen die künftigen Bausteine nachhaltiger werden, am besten biologisch abbaubar. „Es bringt nichts, ein schlecht rezyklierbares Produkt erneut herzustellen“, sagt Palkovits.

Funktion der Katalyse zur Materialumwandlung nachgewiesen

Dass die Idee funktionieren kann, hat das Forschungsteam bereits mehrfach demonstriert. So entwickelte es ein neues katalytisches Verfahren, um den Kunststoff Polyethylen durch Zusatz von Biomasse in bio-abbaubare Polymilchsäure umzuwandeln. Auch PET baute das Team zu einem wiederverwendbaren Baustein ab – und entfernte in dem Prozess zugleich den Weichmacher Bisphenol A.

Reaktoraufbau zur katalytischen Reaktion von Kunststoffabfall mit gasförmigen Komponenten.
Reaktoraufbau zur katalytischen Reaktion von Kunststoffabfall mit gasförmigen Komponenten.

Das ist ein wichtiger Aspekt des Ansatzes: Die heute rund 200 kommerziell verfügbaren Kunststoffklassen werden oft nicht in Reinform verwendet, sondern kombiniert und mit Zusatzstoffen wie Weichmachern, Stabilisatoren, Flammschutzmitteln oder Farbstoffen versetzt. „In der Forschung wird meist mit sehr reinen Materialien oder Modellverbindungen gearbeitet“, sagt Jürgen Klankermayer. „Aber um industriell Wirkung zu erzielen, müssen unsere Katalysatoren in realen Materialien funktionieren.“

Industrielle Anwendung der Verfahren im Blick 

Bereits von Anfang an hat das Team die Anwendung seiner Verfahren im Blick. Untersucht werden deshalb nicht nur die einzelnen Moleküle und die Materialien mitsamt Inhaltsstoffen, sondern auch die Herstellungsverfahren bis hin zu den Wirtschafts- und Logistiksystemen, in denen sich die Kunststoffe befinden. Dafür sind Forschende der Verfahrenstechnik zuständig. Sie beurteilen frühzeitig, ob sich eine Katalyse in einen industriellen Prozess einbinden lässt oder wie Stoffbilanz und Energiebedarf aussehen. Forscher der Nachhaltigkeits- und Systembewertung wiederum schätzen ab, welche neu geschaffenen Moleküle nachhaltig sind und auf dem Markt überhaupt gefragt sein könnten.

„Wir freuen uns und sind stolz, dass die Werner Siemens-Stiftung ihr Vertrauen in unser Projekt setzt“, sagen Regina Palkovits und Jürgen Klankermayer. Beide sind überzeugt, dass das WSS-Forschungszentrum in Aachen dank der großzügigen Unterstützung zu einem Leuchtturmprojekt mit internationaler Strahlkraft wachsen und einen wichtigen Beitrag zur nachhaltigen Transformation der Chemieindustrie leisten wird.

Bislang größtes Projekt der Werner Siemens-Stiftung WSS

Für die Werner Siemens-Stiftung, die hervorragende wissenschaftliche Projekte generell langfristig und sehr gut ausgestattet fördert, ist das WSS-Forschungszentrum ein „Jahrhunderprojekt“ und das größte Vorhaben, das sie bisher finanziert hat. „Zum Jubiläum wollten wir ein ganz besonderes Projekt lancieren und damit einen Beitrag leisten zu einem nachhaltigen Umgang mit den Ressourcen unseres Planeten“, sagt Stiftungsrats-Obmann Dr. Hubert Keiber. „Wir sind überzeugt, dass uns das mit dem Projekt Catalaix gelingt und das WSS-Forschungszentrum in Aachen ein großer Erfolg wird.“

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