Direkt zum Inhalt
Märkte 27. November 2023

Medizintechnik: Gewinnspannen sinken

Experten schlagen Alarm: Sinkende Margen in der Medizintechnik treffen deutsche Firmen besonders; auch das PFAS-Verbot ist eine Gefahr für den Standort.

Das Geschäft mit Labor- und Diagnostiklösungen gehört noch zu den profitabelsten Bereichen der Medizintechnik.
Das Geschäft mit Labor- und Diagnostiklösungen gehört noch zu den profitabelsten Bereichen der Medizintechnik.

Die Rentabilität der Medizintechnikbranche hat 2022 und 2023 weltweit deutlich abgenommen. Gründe sind steigende Kosten für Energie, Rohstoffe und Löhne, aber auch Lieferkettenprobleme. Unternehmen mit Sitz in Deutschland sind allerdings überdurchschnittlich betroffen, ihr EBITDA (Gewinn vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen und Goodwill-Amortisation) sank im ersten Halbjahr 2023 auf nur noch 14 % des Umsatzes, das sind 3 % weniger als im Vorjahreszeitraum und 8 % weniger als bei Wettbewerbern in Nordamerika.

Das zeigt die Global Medtech Study 2023, für welche die Unternehmensberatung Roland Berger mehr als 100 der weltweit führenden börsennotierten Unternehmen der Branche analysiert hat. Demnach zeigen sich gleichzeitig deutliche Unterschiede innerhalb der Branche: Am schlechtesten schneiden Hersteller von Einwegmaterial (12 % EBITDA) ab, während es in den Segmenten Labor- und Diagnostiklösungen (26 %), chirurgische Instrumente (22 %) sowie medizinische Hilfsmittel und Geräte (18 %) vergleichsweise gut lief.

Medizintechnik kann steigende Kosten nur bedingt weitergeben

„Der Umsatz der globalen Medtech-Branche steigt zwar nach wie vor im Schnitt um etwa acht Prozent pro Jahr, doch in jüngerer Vergangenheit sind die Kosten vor allem durch geopolitisch bedingte Energie- und Rohstoffpreissteigerungen sowie inflationsbedingte Lohn- und Gehaltserhöhungen überdurchschnittlich gestiegen“, sagt Thilo Kaltenbach, Partner von Roland Berger. „Die Unternehmen haben zwar versucht, die höheren Produktionskosten an die Kunden weiterzugeben, doch ist dies nur zum Teil gelungen. Dementsprechend sinken weltweit die Gewinnspannen der Unternehmen.“

Dabei zeigt die Analyse deutliche Unterschiede, sowohl regional als auch sektoral: So ist der Anteil der Unternehmen mit unterdurchschnittlicher Leistung in Deutschland größer als in Resteuropa, Nordamerika oder dem asiatisch-pazifischen Raum. Während etwa in den USA und Kanada die durchschnittlichen Margen von Mitte 2022 bis Mitte 2023 von 25 auf 22 % zurückgingen, sank das EBITDA europäischer Medtech-Unternehmen von 20 auf 17 % des Umsatzes; in Deutschland von 17 auf 14 %.

Ad

Am profitabelsten sind die Bereiche Labor und Diagnostik

Sektoral gesehen blieben die Bereiche Labor und Diagnostik mit einer mittleren Marge von 26 % im ersten Halbjahr 2023 am profitabelsten. Sie verloren einen Prozentpunkt gegenüber dem zweiten Halbjahr 2022 und fünf Punkte gegenüber dem pandemiebedingten Allzeithoch von 2021. Ähnliches gilt für Anbieter von chirurgischen Instrumenten und medizinischen Hilfsmitteln und Geräten, bei denen die Rentabilität mit 22 beziehungsweise 18 % inzwischen wieder etwa auf dem Niveau von vor der Pandemie liegt.

Deutsche Unternehmen in der Medizintechnik sind weniger rentabel als nordamerikanische und asiatische Konkurrenten.
Deutsche Unternehmen in der Medizintechnik sind weniger rentabel als nordamerikanische und asiatische Konkurrenten.


Die niedrigsten Gewinnspannen haben mit 12 % nach wie vor die Segmente Dienstleistungen und Verbrauchsmaterialien: Sie leiden unter inflationsbedingten Lohnerhöhungen und einer begrenzten Produktdifferenzierung. Dennoch konnten beide Segmente als einzige ihre Margen im ersten Halbjahr 2023 stabilisieren und sogar leicht verbessern. „Hier wirken Programme zur Leistungsverbesserung, die beispielsweise zu mehr Automatisierung und einer Verringerung des Personalbestands geführt haben“, so Marco Bühren, Principal bei Roland Berger.

Investitionen in Robotics und Digitalisierung

Für Bühren sind die sinkenden Gewinnspannen ein Beleg für den Druck, dem die Medtech-Branche aktuell ausgesetzt ist. Doch die Studie zeigt auch, dass nicht alle Unternehmen gleich betroffen sind und manche deutlich besser abschneiden als andere. „Wer in der aktuell schwierigen Wettbewerbssituation bestehen will, muss sich fragen, was die erfolgreicheren Unternehmen besser machen als die Nachzügler“, sagt Kaltenbach. „Ein Allheilmittel gibt es nicht, aber unsere Analyse zeigt, dass die stärksten Firmen vier Merkmale gemeinsam haben: erstens eine herausragende unternehmerische Führung, zweitens eine kohärente Strategie, drittens eine hohe Umsetzungskompetenz und viertens eine angemessene Größe und Finanzlage. Es ist nun auch an der Zeit, die Investitionen in Robotics und Digitalisierung in profitable Geschäftsmodelle zu übersetzen. Langfristig kommt noch die ‚Licence to operate‘ dazu, für die es eine gute Umwelt-, Sozial- und Governance-Strategie (ESG) braucht. Wer an diesen Hebeln ansetzt, hat gute Chancen, die eigene Rentabilität und damit den Geschäftserfolg auf Dauer zu sichern.“

Reduzierung von Einkaufskosten steht im Fokus

Auch der Industrieverband Spectaris schlug im November auf der Medica 2023 in Düsseldorf Alarm: „Obwohl der Umsatz steigt, sinkt die Ertragslage vieler Medizintechnikunternehmen aufgrund der gestiegenen Kosten in allen Bereichen“, betonte Marcus Kuhlmann, Leiter Medizintechnik. Eine aktuelle Studie von Spectaris und der Unternehmensberatung Enomyc bestätigt, dass die Reduzierung von Einkaufskosten in der Branche flächendeckend im Fokus steht. Gleichzeitig binden die Optimierung der Liquidität sowie die Einführung und Aktualisierung von IT-Systemen erhebliche Managementkapazitäten.

Das Jahr 2023 wird die deutsche Medizintechnikindustrie nach Einschätzung des Verbands mit einem nur schwachen realen Umsatzwachstum abschließen. Im Zeitraum Januar bis August 2023 lag der Gesamtumsatz laut Statistischem Bundesamt zwar nominal um mehr als 8,5 % über dem Ergebnis des Vorjahreszeitraums. Gleichzeitig sind aber auch die Erzeugerpreise um 6,8 % gestiegen. Spectaris erhebt die Branchenzahlen auf Basis der Zahlen des Statistischen Bundesamts. Dabei handelt es sich um Angaben zu den deutschen Betrieben zur Herstellung von Medizintechnik mit mehr als 20 Beschäftigten.

Internationales Geschäft wird zunehmend wichtig

2022 erwirtschafteten die rund 1.470 deutschen Medizintechnikhersteller mit ihren fast 160.000 Beschäftigten laut Spectaris (hier geht es zum aktuellen Jahrbuch „Die deutsche Medizintechnik-Industrie“) einen Umsatz von 38,4 Mrd. EUR, davon 67 % im Ausland. „Es zeichnet sich ab, dass das internationale Geschäft auch im laufenden und in den kommenden Jahren eine tragende Rolle spielen wird“, erklärte Kuhlmann. Die deutschen Ausfuhren von Medizintechnik legten in der ersten Jahreshälfte 2023 um mehr als 10 % zu. Insbesondere die Exporte nach Nordamerika und Asien verzeichneten dabei deutliche Zuwächse. Bis 2027 rechnet die Beratungsgesellschaft Frost & Sullivan mit einem jährlichen Wachstum des Weltmarktes für Medizintechnik von 5 %.

Auf dem deutschen Markt stellt die finanzielle Schieflage vieler deutscher Kliniken eine Herausforderung dar. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) warnte bereits zum Jahresbeginn vor einer Insolvenzwelle im stationären Bereich im zweiten Halbjahr 2023, von der bis zu 20 % der Krankenhäuser betroffen sein könnten. Bei den Pflegeeinrichtungen sieht das Bild nicht anders aus: Im Jahr 2022 sind bereits 142 Pflegeeinrichtungen in die Insolvenz gegangen – ein Trend, der sich auch 2023 bislang fortgesetzt hat.

Drohendes Verbot von PFAS-Chemikalien setzt der Branche auch zu

Kuhlmann warnte daher: „Die Lage im Inland wird immer kritischer, verschärft durch einen Bürokratieaufwand, der durch die neue europäische Medizinprodukteverordnung ein besorgniserregendes Ausmaß angenommen hat, hohe Kosten verursacht und dringend benötigte Personalkapazitäten bindet.“ Und: Mit dem geplanten Verbot von PFAS-Chemikalien und anderen Hochleistungswerkstoffen drohen zahlreiche Medizinprodukte vom Markt zu verschwinden, wenn keine Ausnahmen für solche essentiellen Anwendungsbereiche und für unbedenkliche PFAS eingeräumt werden. Kuhlmann: „Dass der regulatorische Rahmen überwiegend in Brüssel gesetzt wird, darf keine Entschuldigung sein: Die deutsche Politik muss ihren Einfluss schnell und entschlossen geltend machen, um den Gesundheitsstandort Deutschland und die Medizintechnik am Standort Deutschland zu erhalten.“

Passend zu diesem Artikel