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Digitalisierung 28. November 2023

Industrie 4.0: Kein Einfluss auf Energieeffizienz

Können Unternehmen durch Digitalisierung die Energieeffizienz in ihrer Produktion steigern? Eine aktuelle Studie erteilt dem eine Absage.

Energieeffizienz erhöhen durch Digitalisierung? Für Nachhaltigkeitsziele und die Dekarbonisierung der Industrie stellt sich dies meist als unwirksam heraus.
Energieeffizienz erhöhen durch Digitalisierung? Für Nachhaltigkeitsziele und die Dekarbonisierung der Industrie stellt sich dies meist als unwirksam heraus.

„Das oft postulierte Mantra ‚Energieeffizienz erhöhen durch Digitalisierung‘ stellt sich für Nachhaltigkeitsziele und die Dekarbonisierung der Industrie meistens als unwirksam heraus“, stellt Stefanie Kunkel klar, Erstautorin einer neuen Studie des Forschungsinstituts für Nachhaltigkeit (RIFS) in Potsdam. Das Institut hat untersucht, inwieweit es stimmt, dass die Digitalisierung in der Industrie 4.0 die Energieeffizienz verbessert und damit die Energieintensität in der Industrie verringert. Das Forschungsteam hat dafür zehn Industriesektoren Chinas – dazu gehört auch die Kunststoffherstellung – zwischen 2006 und 2019 auf entsprechende Zusammenhänge analysiert. Zwar haben bereits einige Studien die Auswirkungen digitaler Technologien auf den Energieverbrauch analysiert, wenige davon jedoch im chinesischen Kontext.

„Darüber hinaus wird das Konzept von Industrie 4.0 in bisherigen Studien kaum anerkannt“, sagt Kunkel. „So wurde etwa in einigen Studien das Konzept der Industrie 4.0 stark vereinfacht - beispielsweise sind Roboter mit dem Einsatz von künstlicher Intelligenz gleichgesetzt worden. Dabei ist die Wissens- und Innovationsdimension dieser Technologie unbeachtet geblieben.“ Auch hätten frühere Studien seltener den Gesamt-Energieverbrauch ausgewertet und sich zumeist auf relative Energieverbräuche oder Energieeffizienz konzentriert. Dies könne dazu führen, dass das Ziel einer absoluten Reduktion von Energieverbräuchen aus dem Blick gerate, die jedoch für eine Dekarbonisierung des industriellen Sektors wichtig seien.
 Wachstums- versus Energieeffizienzeffekte

Was den Gesamtenergieverbrauch im verarbeitenden Gewerbe in China betreffe, so zeigen die Ergebnisse, dass es keinen signifikanten Zusammenhang zwischen dem Grad von Industrie 4.0 und dem Energieverbrauch gibt. „Die Beziehung ist zwar positiv, aber nicht signifikant“, so Kunkel. So könne beispielsweise der Einsatz von Robotern anstelle von Handarbeit in der derzeit weniger digitalisierten Textilherstellung den Energieverbrauch der Textilherstellung erhöhen. Häufig träten sogenannte „digitale Rebound-Effekte“ auf, wenn die durch Digitalisierung erzielten Effizienzgewinne zu Kosteneinsparungen führten. Die eingesparten Ressourcen könnten ganz oder teilweise reinvestiert werden, und einen Teil oder die Gesamtheit der Effizienzgewinne kompensieren. Außerdem habe Digitalisierung generell einen wachstumsfördernden Effekt, der in der Regel ebenso den Energieverbrauch erhöhe. 



Es gibt jedoch andere Studien, die den Ergebnissen von Kunkel und ihren Kollegen widersprechen, weil sie eine die Energieintensität der Industrie senkende Wirkung von Robotern und industrieller Digitalisierung festgestellt hätten – also einen effizienzsteigernden Effekt. Kunkel konnte eine negative Korrelation zwischen Industrie 4.0 und Energieintensität jedoch lediglich für bereits stark digitalisierte Sektoren belegen. Eine Erklärung hierfür könnte sein, dass in einem bereits stark vom Einsatz digitaler Technologien geprägten Sektor wie etwa dem Transportsektor Innovationen der Industrie 4.0 besser im Fertigungssystem integriert werden können und Effizienzpotenziale stärker zum Vorschein treten.

Stefanie Kunkel, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit (RIFS), plädiert dafür, Industrie 4.0 an Nachhaltigkeitszielen zu orientieren. Dies trage dazu bei, die wachstumsfördernde Wirkung von Industrie 4.0 auf Ziele wie die Dekarbonisierung und Förderung der Kreislaufwirtschaft zu richten.
Stefanie Kunkel, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit (RIFS), plädiert dafür, Industrie 4.0 an Nachhaltigkeitszielen zu orientieren. Dies trage dazu bei, die wachstumsfördernde Wirkung von Industrie 4.0 auf Ziele wie die Dekarbonisierung und Förderung der Kreislaufwirtschaft zu richten.
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Die Autoren geben als Limitation zu Bedenken, dass in bisherigen Studien digitalisierungsbedingtes Offshoring nicht berücksichtigt und Verringerungen der Energieintensität möglicherweise fälschlich der Digitalisierung selbst zugeschrieben worden seien. Um solche Effekte teilweise zu erfassen, haben die Potsdamer Wissenschaftler den Indikator „CO2-Importe“ stellvertretend für die Energieintensität der importierten Güter einbezogen. Es zeigten sich signifikante positive Zusammenhänge zwischen CO2-Importen und der Ausprägung von Industrie 4.0, was darauf hindeuten könnte, dass mit steigendem Grad an Industrie 4.0 auch steigende CO2-Importe in die Fertigung assoziiert sind. Jedoch sei weitere Forschung erforderlich, um die zugrunde liegenden Dynamiken zu verstehen.

Offshoring kann den Gesamtenergieverbrauch steigern

Eine Schlussfolgerungen der RIFS-Studie besteht darin, dass ein Fokus auf das Mantra „Energieeffizienz erhöhen durch Digitalisierung“ für Nachhaltigkeitsziele und die Dekarbonisierung der Industrie unwirksam sein kann, wenn dies aufgrund von Wachstums- und Offshoring-Dynamiken zu einem insgesamt steigenden Gesamtenergieverbrauch führe. Es sollten weitere Faktoren berücksichtigt werden, wie etwa Auswirkungen auf Industrieverlagerungen, sektorspezifische Auswirkungen verschiedener digitaler Technologien, menschliche Fähigkeiten, Innovationen zu implementieren und sie in Richtung Nachhaltigkeit zu lenken, als auch die gleichzeitige Integration erneuerbarer Energien in der industriellen Fertigung. Das RIFS-Team empfiehlt ebenso, neben Energievariablen künftig weitere Nachhaltigkeitsindikatoren wie Ressourcenverbrauch und Elektroschrott durch digitale Technologien in die Nachhaltigkeitsbewertung der Industrie 4.0 einzubeziehen.

Betrachtung der gesamten Supply Chain wichtig

Die Forscher des RIFS empfehlen vor diesem Hintergrund, Innovationen im Bereich der Industrie 4.0 auf die Reduktion des Energie- und Ressourcenbedarfs entlang der gesamten Wertschöpfungskette auszurichten – etwa durch internationale Zusammenarbeit und Vereinbarungen wie Lieferkettenabkommen. So könne verhindert werden, dass Industrie 4.0 zu einer verstärkten Verlagerung energieintensiver Herstellungsprozesse in Länder mit niedrigeren Umweltstandards führt. Außerdem könne eine konsequente Orientierung der Industrie 4.0 an Nachhaltigkeitszielen dazu beitragen, die wachstumsfördernde Wirkung von Industrie 4.0 auf Ziele wie die Dekarbonisierung und Förderung der Kreislaufwirtschaft zu richten. sk

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