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Technik 26. Juni 2017

Composites von selbst wachsen lassen

US-Forscher haben ein Verfahren entwickelt, das die Struktur des Perlmutts von Austern zum Vorbild nimmt und in Zukunft für die einfache Herstellung hochstabiler und gleichzeitig elastischer Composites genutzt werden könnte.
Den Forschern um Prof. Kumar gelang es, die Nanopartikel dazu zu bringen, sich von selbst zu organisieren und so ein festes Composite zu erzeugen.
Den Forschern um Prof. Kumar gelang es, die Nanopartikel dazu zu bringen, sich von selbst zu organisieren und so ein festes Composite zu erzeugen.

US-Forscher haben ein Verfahren entwickelt, das die Struktur des Perlmutts von Austern zum Vorbild nimmt und in Zukunft für die einfache Herstellung hochstabiler und gleichzeitig elastischer Composites genutzt werden könnte.

US-Forscher an der New Yorker Columbia School of Engineering and Applied Science­ haben womöglich den ersten Schritt hin zu einer neuen Art der Kunststofferzeugung gemacht. Inspiriert von der Struktur von Perlmutt in Austernschalen haben sie Polymere mit einer speziellen Struktur geschaffen. Ansatzpunkt ist die Veränderung der Kristallisationsgeschwindigkeit. Indem die Wissenschaftler diese kontrollieren, ist es ihnen möglich, Nanopartikel in dem Kunststoff sehr gezielt verteilen zu können. Es gelang, die Nanopartikel in drei sehr unterschiedlichen Längenmaßstäben zu strukturieren. Diese­ Anordnung erwies sich als erheblich steifer als das Ausgangsmaterial, während die Verformbarkeit und das geringe Gewicht beibehalten werden konnten.

Großes Potenzial

Prof. Sanat Kumar ist unter anderem Experte für die Selbstorganisation von Polymeren.
Prof. Sanat Kumar ist unter anderem Experte für die Selbstorganisation von Polymeren.

"Im Wesentlichen haben wir eine einstufige Methode entwickelt, um ein Compositematerial zu erzeugen", sagt Sanat Kumar, ein Chemieingenieur und Experte für die Dynamik von Polymeren und ihre Selbstorganisation. "Unsere Technik kann die mechanischen und anderen physikalischen Eigenschaften von Kunststoffen mit Anwendungen in Automobilen, Schutzbeschichtungen und Lebens­mittel- und Getränkeverpa­ckungen verbessern. In Zukunft können wir auch zusätzlich elektronische oder optische Eigenschaften der Nanocompositemate­rialien erzeugen. Dies könnte die Herstellung neuer Werkstoffe und Funktionsgeräte ermöglichen, die in strukturellen Anwendungen wie Gebäuden eingesetzt werden könnten und die Fähigkeit hätten, ihre strukturelle Stabilität zu überwachen."

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Kristallisationsverhalten

Etwa 75 % der handelsüblichen Polymere sind laut Columbia Engi­neering teikristallin. Diese Materialien eignen sich laut den US-Forschern aufgrund ihrer geringen mechanischen Festigkeit nicht für bestimmte Anwendungen, etwa im Automobilbau. Durch die Zugabe von Füll- und Verstärkungsstoffen können die Eigenschaften drastisch verbessert werden.

Ein Beispiel aus der Natur für eine solche Compositestruktur sind Austernschalen. Sie bestehen zu 95 % aus anorganischem Aragonit und zu 5 % aus kristallinem Poly­mer (Chitin). Die hierarchische Nanopartikelordnung – eine Mischung­ aus spröden Plättchen und dünnen Schichten aus elastischen Biopolymeren – verbessert ihre mechanischen Eigenschaften erheblich. Darüber hinaus bilden sich parallele Aragonitschichten, die durch eine nanoskalige kristalline Biopolymerschicht zusammengehalten werden. Die Struktur erinnert an Ziegel und Mörtel.

Der Gral der Werkstoffforschung

"Die spontane Organsation von Nanopartikeln in einem Polymer zu einer gewollten Struktur ist der heilige Gral der Nanowissenschaften", sagt Dan Zhao, Doktorand bei Kumar. "Bisher gab es keine etablierte Methode, um dieses Ziel zu erreichen. Wir haben diese Herausforderung durch die kontrollierte skalenübergreifende Montage von Nanopartikeln durch die Nutzung der Kinetik der Polymerkristallisation gemeistert."

In amorphen Matrixmaterialien sei es erheblich einfacher, die Lage und Verteilung von Nanopartikeln zu steuern. Niemandem sei es aber bisher gelungen, ihre Anordnung in einer kristallinen Polymer­matrix zu bestimmen. Ein verwandter Ansatz beruhte auf dem soganannten Eis-Templating. Mithilfe dieser Technik konnten Wissenschaftler kleine Moleküle – vorwiegend Wasser – kristallisieren, um Kolloidpartikel zu organisieren, waren aber weit entfernt von der komplexen Organisationsform und daraus resultierenden Materialeigenschaften von natürlichem Perlmutt.

Kontrolliertes Verfahren

Die Forschungsgruppe um Kumar stellte fest, dass durch Mischen von Nanopartikeln mit einer Lösung von Polyethylenoxid bei einer bestimmten sehr niedrigen Temperatur eine Kontrolle der Organisation der Nanopartikel möglich wird. In der Nano-, Mikro- und Makroebene zeigte sich, dass die Partikel gleichmäßig von Polymer umhüllt waren und sich in einem gleichmäßigen Abstand zueinander organisiert hatten, als die Kristallisation begann. Die Nano­partikel verbanden sich dabei zu blattartigen Strukturen von 10 bis 100 nm, die wiederum Aggregate bildeten in der Größenordnung zwischen 1 und 10 μm.

"Diese kontrollierte Selbstorganisation ist deshalb so bedeutsam, weil die so entstandenen Materialien gleichzeitig steif und widerstandsfähig sind", sagt Kumar.„Darüber hinaus behalten die Materialien die niedrige Dichte der reinen semikristallinen Polymere. Das bringt erhebliche Gewichtsvorteile für strukturelle Anwendungen mit sich. Kumars Team will in den kommenden Monaten die Kinetik des Partikel­transports besser verstehen und beschleunigen und das Verfahren mit verschiedenen Materialkombinationen durchspielen. "Diese neuen Verbundwerkstoffe könnten eine tief greifende Wirkung auf nachhaltige Materialien sowie die Infrastruktur unserer Nation haben", so Kumar.

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