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Recycling 19. Juni 2023

„Chemisches Recycling als Reset-Taste“

Interview mit Heikki Färkkilä, Vice President Chemical Recycling bei Neste Renewable Polymers – Chemisches Recycling als Reset-Taste, um Rohstoffe länger im Kreislauf zu führen – Notwendige Ergänzung zum mechanischen Recycling – Ab 2030 will Neste 1 Mio. jato Altkunststoff verarbeiten

Bis zu 85 % des Polymeranteils von Altkunststoffen lassen sich in Pyrolyseöl umwandeln.
Bis zu 85 % des Polymeranteils von Altkunststoffen lassen sich in Pyrolyseöl umwandeln.

Reduziert chemisches Recycling in einer Gesamtökobilanz tatsächlich Treibhausgasemissionen? Welchen Stellenwert hat chemisches Recycling im Vergleich zu mechanischen Verfahren und der thermischen Verwertung?

Das chemische Recycling wird derzeit stark diskutiert. In der Diskussion hat man gelegentlich den Eindruck, „Chemische Recycler“ tragen mit „Mechanischen Recyclern“ einen Wettstreit aus – um dieselben Abfallrohstoffe, politische Anerkennung, bessere Ökobilanzen. In diesem Kontext hat die K-ZEITUNG Heikki Färkkilä, Vice President Chemical Recycling bei Neste Renewable Polymers, interviewt.

Mit dem mechanischen Recycling und der rein energetischen Verwertung gibt es etablierte Verfahren im Umgang mit Kunststoffabfällen. Warum braucht es das chemische Recycling?

Heikki Färkkilä: Heutzutage wird die überwiegende Mehrheit an Kunststoffen aus fossilen Ressourcen hergestellt. Die Verbrennung von Kunststoffabfällen mit Energierückgewinnung ist daher im Grunde genommen gleichbedeutend mit der Verbrennung fossiler Ressourcen, die einen kurzen Umweg als Kunststoffprodukte genommen haben. Aus klimatechnischer Sicht ist die Verbrennung von Kunststoffabfällen daher nicht wünschenswert. Sie führt zu erheblichen Treibhausgasemissionen. Da sowohl bei der Strom- als auch bei der Wärmeerzeugung Fortschritte in Richtung emissionsfreier Alternativen gemacht werden, überzeugt der Ansatz immer weniger.

Indem Materialien durch Recycling im Kreislauf gehalten werden, können das Verbrennen und andere Szenarien wie die Deponierung oder – im schlimmsten Fall – die Vermüllung der Umwelt vermieden werden. Das mechanische Recycling ist in der Tat eine effiziente und bewährte Methode, um dies zu erreichen. Sie hat aber ihre Grenzen. Es gibt Abfallströme, die nur sehr schwer oder gar nicht mechanisch verwertet werden können. Zudem gibt es Anwendungen im Bereich Medizin oder Lebensmittelkontakt, die aus Gründen der Qualität und Reinheit nicht mit mechanisch recyceltem Material abgedeckt werden können. Bei anderen Anwendungen muss das recycelte Material mit neuen Kunststoffen gemischt werden, um die gewünschte Qualität zu erreichen.

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In all diesen Fällen kann das chemische Recycling ansetzen, indem es die Palette der recycelbaren Abfälle erweitert, den Einsatz von Rezyklaten in sensiblen Anwendungen ermöglicht und neue Kunststoffe in den Mischungen durch rezyklierte Kunststoffe ersetzt.

Heikki Färkkilä, Vice President Chemical Recycling bei Neste Renewable Polymers and Chemicals.
Heikki Färkkilä, Vice President Chemical Recycling bei Neste Renewable Polymers and Chemicals.

Kritiker sagen, chemisches Recycling sei sehr energieintensiv und die Materialausbeute gering, es sollte seitens der politischen Entscheider daher nicht als Recycling anerkannt und gefördert werden. Welche Argumente lassen sich gegen diese Kritiker anführen?

Färkkilä: Zweifellos ist das chemische Recycling energieintensiver als das mechanische. Allerdings werden dabei auch andere Abfallströme verarbeitet und andere Produkte hergestellt, indem schwer zu recycelnde Kunststoffabfälle zu neuwertigen Rohstoffen für neue Kunststoffe verarbeitet werden. Was die Energieintensität betrifft, so können Verflüssigungsverfahren auf Pyrolysebasis den größten Teil der benötigten Energie aus nicht kondensierbaren Gasen beziehen, die als Nebenstrom aus dem Abfall selbst entstehen. Dadurch wird der Bedarf an zusätzlicher Energie minimiert. Was die Ausbeute anbelangt, so können bis zu 85 Prozent des Polymeranteils von Altkunststoffen in Pyrolyseöl umgewandelt werden, das dann in sehr effizienten, großtechnischen Raffinerien zu Ausgangsmaterial für neue Kunststoffe weiterverarbeitet wird.

Bei der abschließenden Bewertung zählt am Ende die Ökobilanz der einzelnen Verfahren. Gibt es bereits anerkannte Ökobilanzen für das chemische Recycling und wenn ja, wie schneidet es im Vergleich zur energetischen Verwertung ab? Es gibt Stimmen, die behaupten, Abfall minderer Qualität in Zementfabriken zu verheizen sei die bessere Wahl.

Färkkilä: Wir haben eine extern geprüfte LCA-Studie für Nestes Ansatz zum chemischen Recycling durchgeführt. Sie zeigt, dass das chemische Recycling nicht nur einen Mehrwert für Kunststoffabfälle schafft und fossile Ressourcen durch recyceltes Material ersetzt, sondern auch Treibhausgasemissionen im Vergleich zum bestehenden System einspart: Tatsächlich sind unsere recycelten Rohstoffe mit fast 40 % weniger Treibhausgasemissionen verbunden als die Kombination aus fossilen Rohstoffen und der Verbrennung von Kunststoffabfällen.

Unsere Ergebnisse stimmen im Allgemeinen auch mit Ökobilanzen anderer Industrieunternehmen sowie mit einer Studie der Gemeinsamen Forschungsstelle der EU-Kommission überein – obwohl zu beachten ist, dass Ökobilanzen aufgrund von Unterschieden bei den zugrunde liegenden Daten und dem Umfang der Analyse oft schwer zu vergleichen sind.

Im Rahmen des chemischen Recyclings könnten verschiedene Arten von Mischkunststoffabfällen verarbeitet werden, doch um hohe Ausbeuten bei vertretbarem Energieeinsatz zu erzielen, sind halbwegs saubere und homogene Kunststoffabfälle erforderlich. Konkurrieren chemische und mechanische Recycler letztlich doch um qualitativ hochwertige Abfälle?

Färkkilä: Wenn Kunststoffabfälle für das mechanische Recycling in Frage kommen, sollten sie auch mechanisch recycelt werden. Alles andere wäre wirtschaftlicher Unsinn. Es stimmt allerdings, dass auch das chemische Recycling nicht jedes Material annehmen kann. Wir werden uns vor allem mit Polyolefinen befassen, die aufgrund von Verunreinigungen, Farbstoffen, Mehrschicht- oder Multimaterialstrukturen und ähnlichem einen geringen oder gar keinen Wert für das werkstoffliche Recycling haben. Neste erweitert die Palette der chemisch recycelbaren Materialien, indem es im Rahmen des vom EU-Innovationsfonds geförderten Projekts ‚Pulse‘ eigene Verarbeitungstechnologien einsetzt.

Welche Abfallfraktionen würde auch ein chemischer Recycler letztlich nicht mehr verwerten wollen?

Färkkilä: Chlor gehört zu den Stoffen, die bei chemischen Recyclingverfahren Schwierigkeiten bereiten. Daher werden Materialien wie PVC weiterhin auf eine Recyclinglösung warten müssen. Wir würden auch PET aussortieren, weil es hier bereits eine gut funktionierende Recyclingkette gibt.

Interessant ist, dass Sie in Ihrer Frage von “nicht mehr” sprechen: Jedes Mal, wenn ein Material mechanisch recycelt wird, nimmt die Qualität etwas ab, was dazu führt, dass es auf diesem Wege nicht unendlich oft recycelt werden kann. Das chemische Recycling bietet im Grunde eine Reset-Taste, die die Qualität des Materials wiederherstellt, so dass dieses dann wieder mehrmals mechanisch recycelt werden kann. Das unterstreicht einmal mehr die Komplementarität beider Wege.

Chemisches Recycling gilt aufgrund der Vorverarbeitung, des Energiebedarfs und des Einsatzes von Chemikalien/Katalysatoren als kostspielig. Unter welchen Voraussetzungen lässt sich chemisches Recycling wirtschaftlich betreiben?

Färkkilä: Die Kostenfrage hat uns dorthin gebracht, wo wir heute stehen: mit dem Rücken zur Wand gegen den Klimawandel. Nicht nur bei Kunststoffen haben wir den scheinbar billigen fossilen Weg gewählt. Aber fossile Ressourcen sind nur deshalb billig, weil wir die Folgekosten ignorieren. Ja, nachhaltigere Alternativen sind in den meisten Fällen teurer, aber sie sind eben auch nachhaltiger.

Glücklicherweise gibt es bekannte Marken und ein wachsendes Segment von Verbrauchern, die bereit sind, auf nachhaltigere Lösungen Wert zu legen. Gleichzeitig entwickelt sich auch die Regulierung, die notwendig ist, um die Einführung neuer Lösungen für die Kreislaufwirtschaft zu beschleunigen. Generell erwarten wir, dass die Kosten für das chemische Recycling mit der Lernkurve der Technologie und den steigenden Mengen sinken werden.

Neste plant, verflüssigten Kunststoffabfall als Rohstoff in seiner Raffinerie für fossile Öle zu verwenden, um ihn zu hochwertigem Drop-in-Rohstoff für die Produktion neuer Kunststoffe aufzuwerten.
Neste plant, verflüssigten Kunststoffabfall als Rohstoff in seiner Raffinerie für fossile Öle zu verwenden, um ihn zu hochwertigem Drop-in-Rohstoff für die Produktion neuer Kunststoffe aufzuwerten.

Sind in Europa bereits Anlagen in einem industriellen Maßstab in Betrieb?

Färkkilä: Derzeit befindet sich das chemische Recycling noch in einer Phase der Kommerzialisierung und Ausweitung, wobei mehrere Verflüssigungsprojekte im Gange sind. Als Neste raffinieren wir seit 2020 flüssige Altkunststoffe in unserer Raffinerie in Finnland. Für unser Projekt Pulse haben wir einen Zuschuss aus dem EU-Innovationsfonds in Höhe von 135 Millionen Euro erhalten, um die Raffineriekapazitäten weiter auszubauen. Wir streben dort eine Kapazität von 400.000 Jahrestonnen an. Dies ist ein Schritt in Richtung unseres Ziels, ab 2030 jährlich mehr als eine Million Tonnen Altkunststoff zu verarbeiten.

Kunststofferzeuger mischen fossile und nicht-fossile Rohstoffe in ihren Prozessen und ordnen über eine Massenbilanz die nicht-fossilen Mengen ganz bestimmten Endprodukten zu. Dies geschieht sogar über einzelne Produktkategorien und Standortgrenzen hinweg. Die Gefahr des Greenwashing ist groß. Untergräbt dies nicht die Anerkennung des chemischen Recyclings?

Färkkilä: Massenbilanzierung ist ein gängiges Konzept, nicht nur in der Kunststoffindustrie. Es ist sehr nützlich, wenn sich die Produkteigenschaften nicht unterscheiden und der Aufbau separater Infrastrukturen wirtschaftlich nicht tragfähig wäre. Beispiel Ökostrom: Wenn Sie von Ihrem Stromversorger Ökostrom beziehen, erhalten Sie die Garantie, dass die verbrauchte Menge aus erneuerbaren Energiequellen stammt, und fördern den weiteren Ausbau von Ökostrom. Der Strom für Ihren Fernseher kann aber auch aus einem Kohlekraftwerk stammen, denn das Netz ist ein und dasselbe.

Ähnlich verhält es sich bei Kunststoffen. Aus Sicht des Klimas ist das aber nicht wirklich wichtig. Was zählt, ist die Tatsache, dass fossile Ressourcen ersetzt und mehr recycelte oder erneuerbare Materialien verwendet werden. Wichtig ist dabei Transparenz. Die Gefahr des Greenwashings geht nicht von der Massenbilanzierung aus, sondern von der mangelnden Transparenz über die Massenbilanzierung. Unabhängige Zertifizierungssysteme sind erforderlich, um die Nachhaltigkeit zu bestätigen.

Wie wichtig sind die rechtliche Anerkennung und Massenbilanzierung für den Erfolg des chemischen Recyclings?

Färkkilä: Sie sind beide sehr wichtig. Ohne rechtliche Anerkennung wird es sehr schwierig, die für die Industrialisierung des chemischen Recyclings erforderlichen Investitionen zu rechtfertigen. Wer investiert Hunderte von Millionen oder Milliarden Euro in Recyclinganlagen, wenn noch nicht klar ist, ob es als Recycling anerkannt wird? Die politischen Entscheidungsträger haben das erkannt, aber die Bewegung hält noch nicht mit der Realität der Unternehmen Schritt, die investieren und große Anlagen bauen wollen.

Zudem wird die Massenbilanzierung gerade in der Anlaufphase sehr wichtig sein: Für einige Zeit wird es für die Industrie einfach nicht genügend recyceltes Material geben, um große Cracker ausschließlich damit zu betreiben. Was bleibt ihnen anderes übrig, als es mit anderen Materialien zu mischen? Wenn der Massenausgleich nicht akzeptiert wird, wird die Umstellung der Industrie erheblich behindert – und das gilt nicht nur für Rezyklate, sondern auch für erneuerbare Materialien, wo die Situation ähnlich ist.

Neste hat bereits erste Mengen Plastikabfall chemisch recycelt. Welche Erfahrungen hat Neste gesammelt? Welche weiteren Pläne hat Neste in diesem Bereich?

Färkkilä: Wir haben uns ein klares Ziel gesetzt: Ab 2030 wollen wir mehr als eine Million Tonnen Kunststoffabfälle pro Jahr verarbeiten. Bis heute haben wir in unserer Raffinerie in Porvoo, Finnland, fast 3.000 Tonnen verflüssigte Kunststoffabfälle verarbeitet und den recycelten Rohstoff an Kunden in der Industrie verkauft.

Die Erfahrungen aus diesen Läufen waren für Veränderungen in der Raffinerie von entscheidender Bedeutung, um sicherzustellen, dass wir einen kontrollierten und sicheren Übergang von konventionellen zu kreislauffähigen Rohstoffen vollziehen können, während gleichzeitig die Produktqualität für unsere Partner hoch bleibt.

In Zukunft wollen wir in unserer Raffinerie große Kapazitäten schaffen. Gleichzeitig arbeiten wir auch mit Entwicklern von Technologien zur Verflüssigung zusammen, wie dem US-Unternehmen Alterra Energy, um auch diese Kapazitäten zu erhöhen.

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