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Werkzeug- und Formenbau 25. Oktober 2023

Durchgängige Fertigungsinformationen in unternehmensübergreifenden Prozessketten

Eine der größten Herausforderungen bei unternehmensübergreifender Prozessketten ist, den Fluss der Fertigungsinformationen optimal sicherzustellen. Professor Ludwig Gansauge von der Fakultät „Angewandte Naturwissenschaft und Wirtschaftsingenieurwesen“ der Technischen Hochschule Deggendorf und sein Team zeigen, wie’s geht

Prof. Ludwig Gansauge: „Es wird in den kommenden Jahren nicht darauf ankommen, ob die Toleranz einer Maschine noch um ein paar µm genauer wird oder ob eine Maschine noch ein paar Millimeter pro Sekunde schneller fräsen kann. Es kommt vielmehr darauf an, vorhandene Ressourcen effizienter zu nutze
Prof. Ludwig Gansauge: „Es wird in den kommenden Jahren nicht darauf ankommen, ob die Toleranz einer Maschine noch um ein paar µm genauer wird oder ob eine Maschine noch ein paar Millimeter pro Sekunde schneller fräsen kann. Es kommt vielmehr darauf an, vorhandene Ressourcen effizienter zu nutzen.“

Professor Gansauge, Kooperationen bei Werkzeugbauer gibt es jüngster Zeit öfter – sie sind auch ein Ausdruck des Wandels in der Branche. Die Unternehmen kooperieren, teilen beispielsweise Werkzeugaufträge in Pakete auf, die den Spezialitäten der einzelnen Unternehmen entsprechen, und so manches mehr. Ist das nicht eine vielversprechende Entwicklung?

Viele Betriebe nutzen inzwischen Farbcodierungen für teilautomatisierte Programmierung. Mit großem Erfolg: CAD/CAM mit Feature-Codierung und der damit verbundenen Automation über Features und Farben schafft in der Fertigungspraxis enorme Effizienz und Geschwindigkeit. 
Viele Betriebe nutzen inzwischen Farbcodierungen für teilautomatisierte Programmierung. Mit großem Erfolg: CAD/CAM mit Feature-Codierung und der damit verbundenen Automation über Features und Farben schafft in der Fertigungspraxis enorme Effizienz und Geschwindigkeit. 

Prof. Ludwig Gansauge: Es ist immerhin ein Anfang. Schließlich haben sich Werkzeug-, Modell- und Formenbauer in ihrer Historie als Konkurrenten begriffen. In den einst lokalen, bestenfalls regionalen Märkten waren die Fronten klar. Den Auftrag, den der andere Werkzeugbauer im Dorf bekommen hat, konnte man selbst nicht mehr bekommen. Nicht wenige Werkzeugbauer entwickelten sich aus dieser Situation heraus zu regelrechten Einzelkämpfern, Marktbegleiter wurden in der Regel als Konkurrenten wahrgenommen. Und obwohl die Märkte inzwischen global sind, verändern sich die Einstellungen nur langsam. Da sind erste zarte Kooperationen, wie sie teilweise in den vergangenen Jahren praktiziert wurden, durchaus ein Fortschritt. Aber so, wie sie gegenwärtig umgesetzt werden, bleibt viel Potenzial ungenutzt. Das lässt sich erst in einer echten Kollaboration erschließen.

Was meinen Sie damit?

Prof. Ludwig Gansauge: In der gegenwärtigen Form sehen wir in der Regel eben Kooperationen – das bedeutet zwar sehr wohl, dass man zusammenarbeitet, durchaus auf ein gemeinsames Ziel hin. Allerdings ist das noch keine durchgängige Zusammenarbeit im Sinn einer echten Wissensteilung mit Best Practice Erkenntnissen – eben eine echte Kollaboration. Denn nach der Verteilung der „Beute“ – des Gesamtauftrags, bestehend meist aus mehreren Werkzeugen, aufgeteilt in die jeweiligen Arbeitspakete der einzelnen Werkzeuge oder der Teilpakete bei der Werkzeugkomponentenfertigung – macht dann im Rahmen des jeweiligen Teil- Auftragspakets doch wieder jedes Unternehmen „sein eigenes Ding“.  Das lässt jede Menge Raum für Optimierung, der Weg zur echten Kollaboration, für die eine systematische, koordinierte und inhaltliche, technische Zusammenarbeit notwendig ist, ist da noch weit.

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Prof. Ludwig Gansauge: „Kollaboration umfasst das aktive, zielgerichtete und freiwillige Zusammenarbeiten aller Partner. Das geht weit über eine Kooperation hinaus. Hier sind alle Partner gemeinsam darauf ausgerichtet, Wissen zu teilen und gemeinsam zu generieren.“
Prof. Ludwig Gansauge: „Kollaboration umfasst das aktive, zielgerichtete und freiwillige Zusammenarbeiten aller Partner. Das geht weit über eine Kooperation hinaus. Hier sind alle Partner gemeinsam darauf ausgerichtet, Wissen zu teilen und gemeinsam zu generieren.“

Wie wird das Ihrer Meinung nach in Zukunft aussehen?

Prof. Ludwig Gansauge: Es wird in den kommenden Jahren nicht darauf ankommen, ob die Toleranz einer Maschine noch um ein paar µm genauer wird oder ob eine Maschine noch ein paar Millimeter pro Sekunde schneller fräsen kann. Es kommt vielmehr darauf an, vorhandene Ressourcen effizienter zu nutzen. Die Werkzeugbauakademie Aachen hat hier im Gesamtdurchschnitt der Betriebe über 60 Prozent Potenzial ermittelt. Dazu müssen sich die Werkzeugbaubetriebe vernetzen. Die müssen zusammenarbeiten, die vorhandenen Ressourcen müssen unternehmensübergreifend genutzt werden.

Professor Gansauge, Sie differenzieren deutlich zwischen den Begriffen „Kooperation“ und „Kollaboration“.  Wo ist da der Unterschied?

Prof. Ludwig Gansauge: Beides sind Formen der Zusammenarbeit. Aber während Kooperation fast immer einen systemischen, meist vertrieblich-auftragsbezogenen Charakter hat, reicht Kollaboration viel tiefer. Eine Kooperation wird vereinbart oder sogar angeordnet. Aber das sagt noch lange nichts über die Qualität dieses wie auch immer gearteten Miteinanders aus. Eine Kooperation im Sinne der Auftragsteilung oder Unterbeauftragung ist schnell vereinbart. Es geht um die Zulieferung von scharf abgegrenzten Projektbestandteilen, die für ausschließlich das Gesamtergebnis wichtig sind, nicht die Lösungswege der einzelnen Partner.

Schon eine Fräsbearbeitung ist ein e Aufgabe mit vielfältigen Herausforderungen. Die Herausforderung ist, hier sinnvolle Standards zu setzen und die Bearbeitung in die relevanten Parameter aufzugliedern. 
Schon eine Fräsbearbeitung ist ein e Aufgabe mit vielfältigen Herausforderungen. Die Herausforderung ist, hier sinnvolle Standards zu setzen und die Bearbeitung in die relevanten Parameter aufzugliedern. 

Wie funktioniert so eine Kooperation?

Prof. Ludwig Gansauge: Bei solch einer Kooperation erbringen die jeweiligen Unternehmen und Abteilungen klar definierte Leistungen, die in sich abgeschlossen sind und die in der Regel im Vorfeld vereinbart und darüber hinaus auch fest zugewiesen sind. Es ist also eine relativ starre Form der Zusammenarbeit, die zudem eine vergleichsweise grobteilige Abgrenzung der einzelnen Arbeitspakete bedingt. Die Partner werden bei dem Kooperationsmodell also quasi zu Unter-Auftragsnehmern, die separierten Auftragsteile werden individuell in den jeweiligen Organisationen nach Vorgabe bearbeitet und schließlich wieder zum Gesamtprojekt zusammengeführt.

Und bei einer Kollaboration – was ist da anders?

Prof. Ludwig Gansauge: Kollaboration umfasst das aktive, zielgerichtete und freiwillige Zusammenarbeiten aller Partner. Das geht weit über eine Kooperation hinaus. Hier sind alle Partner gemeinsam darauf ausgerichtet, Wissen zu teilen und gemeinsam zu generieren. Es geht darum, das Optimale zu suchen und festzuhalten, also miteinander zu lernen und sich gegenseitig zielgerichtet zu helfen. Echte Kollaboration kennt zudem keine Unternehmens- und Abteilungsgrenzen. Das bedeutet auch, dass Ressourcen gemeinsam und unternehmensübergreifend für das Erreichen des Ziels genutzt werden. Kollaboration entsteht aus der Verpflichtung der Beteiligten heraus, einen wirklichen Beitrag für die beteiligten Unternehmen, das gemeinsame Ziel, das organisationsübergreifende Team zu leisten.

Ein verbindlicher parametrischer Konstruktionsbaukasten ist die Basis für eine Kollaboration zwischen Unternehmen. Durchaus nicht trivial – vor allem, wenn so etwas erst aufgebaut werden muss.  
Ein verbindlicher parametrischer Konstruktionsbaukasten ist die Basis für eine Kollaboration zwischen Unternehmen. Durchaus nicht trivial – vor allem, wenn so etwas erst aufgebaut werden muss.  

Das bedeutet im Umkehrschluss aber auch, dass die beteiligten Partnerunternehmen gemeinsam wie ein einziges funktionieren müssen. Aber wie soll das ohne größere Konflikte möglich sein, noch dazu in einer dermaßen individualistisch geprägten Branche wie dem Werkzeug-, Modell- und Formenbau?

Prof. Ludwig Gansauge: (lacht) Ja, das ist eine echte Herausforderung. Denn dafür müssen die einzelnen beteiligten Unternehmen eine gemeinsame Sprache sprechen, die es derzeit in der benötigten Form noch nicht gibt, da jeder seinen eigenen Standards und Gewohnheiten folgt. Wir an der Hochschule schreiben gerade dieses „Lexikon“. Und eine inhaltlich-technische Zusammenarbeit konsequent über die gesamte Prozesskette hinweg ist alles andere als trivial. Denn dazu ist ein ganzheitlicher Ansatz notwendig, der entlang der gesamten Prozesskette und damit eben auch über Unternehmensgrenzen hinweg greift. In einem derartigen Modell sind drei Felder wichtig: die Generierung der Information, ihre durchgängige Übertragung und letztlich ihre Interpretation. Und all das muss unmissverständlich und in jedem Partnerunternehmen nach den gemeinsamen Standards kommuniziert sein – schwierig, weil jedes Unternehmen ein wenig anders „tickt“ und seine eigene, individuelle Herangehensweise verfolgt, welche sich für die Einzelunternehmen bis heute ja durchaus bewährt hat.

Das hört sich jetzt aber ziemlich abstrakt an …

Prof. Ludwig Gansauge: … ist aber in der Praxis sehr greifbar. Ein maßgeblicher Teil der Information für die Werkzeug- und Komponentenherstellung wird bereits in der Konstruktion generiert. Hier lassen sich in unterschiedlichsten CAD/CAM-Paketen mit parametrischen Konstruktionsbaukästen Standards setzen. In der Konstruktion werden Informationen zu Werkzeug-, Bauteil- oder Artikelklassen, Feature-Codierung etwa über Farben, Informationen zu Technologie, Toleranzen, Änderungen, Material oder den Bearbeitungen erfasst. Dann wird die Prozesskette gespeist ... wenn es diese Standards in eindeutiger und optimierter Form im Unternehmen gibt. Weiter dann wird all das hochautomatisiert über die Prozesskette CAD/CAM – Planung – Steuerung – Bearbeitung – Montage – Musterung genutzt, wenn die Kommunikationsmethoden und -tools im Unternehmen vorhanden sind.

Prof. Ludwig Gansauge: „Nicht nur für Kooperationen gilt, dass die Zukunft auch in der Einzelfertigung, wie im Werkzeug-, Modell- und Formenbau in industriell gestalteten digitalisierten Produktionsprozessen liegt. Das erfordert einen systematischen und ganzheitlichen Ansatz.“
Prof. Ludwig Gansauge: „Nicht nur für Kooperationen gilt, dass die Zukunft auch in der Einzelfertigung, wie im Werkzeug-, Modell- und Formenbau in industriell gestalteten digitalisierten Produktionsprozessen liegt. Das erfordert einen systematischen und ganzheitlichen Ansatz.“

Aber da lauert ja schon die nächste Hürde auf die Unternehmer. Denn von einer durchgehend papierlosen Fertigung sind die Betriebe in der Branche mit Masse ja noch ein gutes Stück weit entfernt. Wie soll das gehen?

Prof. Ludwig Gansauge: Nicht nur für Kooperationen gilt, dass die Zukunft auch in der Einzelfertigung, wie im Werkzeug-, Modell- und Formenbau in industriell gestalteten digitalisierten Produktionsprozessen liegt. Das beginnt ja schon damit, dass das häufigste Tool in den Unternehmen immer noch die Excel-Tabelle ist. Die kann bestenfalls situative Momentaufnahmen liefern. Aber eine aktuelle und ganzheitliche Betrachtung des Gesamtprozesses, wie sie für die unternehmensübergreifende Kollaboration essenziell ist, kann damit natürlich nicht erfolgen. In der Folge fehlt so entlang der Prozesskette eine Stringenz auf Seiten der Informationen und Daten, die generiert und zwischen Abteilungen und Unternehmen oder gar über die Unternehmensgrenze hinweg eindeutig übertragen werden müssen. Noch dazu fehlen ohne einen systematischen und ganzheitlichen Ansatz oft die Erkenntnisse, was wo und wie wirklich gebraucht wird.

Aber in den meisten Werkzeug-, Modell- und Formenbauten scheinen die Prozessketten in der Fertigung doch schlüssig und funktionell aufgebaut zu sein, oder?

Prof. Ludwig Gansauge: Nun, was die Hardware, die Produktion und einzelne Prozessstationen angeht, ja. Auch die Prozessketten in der Produktion wirken zumindest auf den ersten Blick schlüssig. Schaut man aber genauer hin, gibt es da in den Unternehmen noch großen Optimierungsbedarf. Und insbesondere dann, wenn es über Unternehmensgrenzen gehen soll, klaffen da oft Lücken. Was oft fehlt, ist diese Stringenz auf Seiten der Informationen, der Daten, die generiert und zwischen Abteilungen und Unternehmen übertragen werden müssen.

Farbcodierte Konstruktionsdaten sind die Basis für eine gemeinsame Sprache, die von allen beteiligten Partnern verstanden werden kann. So ist auf technischer Seite eine Eindeutigkeit im Informationsfluss gewährleistet.
Farbcodierte Konstruktionsdaten sind die Basis für eine gemeinsame Sprache, die von allen beteiligten Partnern verstanden werden kann. So ist auf technischer Seite eine Eindeutigkeit im Informationsfluss gewährleistet.

Dazu ist aber die Excel-Tabelle nicht wirklich geeignet …

Prof. Ludwig Gansauge: … und genau da fangen die Probleme an. Denn solange der Informationsfluss über verschiedene Kanäle von Hand gesteuert werden muss, ist ein konsistenter, aktueller Informationsfluss schon im eigenen Unternehmen schwierig zu realisieren. Geschweige denn über Unternehmensgrenzen hinweg. Ein derartiger manuell geprägter Prozess beeinträchtigt Sicherheit und Verlässlichkeit im gesamten Produktentstehungsprozess. Das betrifft letztlich alle beteiligten Abteilungen und Unternehmen gleichermaßen. Eine Durchgängigkeit bei den Daten und Informationen lässt sich nur in einem komplett digitalisierten Prozess sicherstellen.

Davon sind aber viele Unternehmen der Branche noch sehr weit entfernt. Nicht gerade optimalen Voraussetzungen, oder?

Prof. Ludwig Gansauge: Naja, ganz so schlimm ist es nicht. Inzwischen wächst das Bewusstsein für diese Thematik, und immer mehr Unternehmen suchen nach Lösungen. Inzwischen durchaus auch vernetzt in Arbeitskreisen oder im Austausch mit Wegbegleitern. Es existiert bereits fundiertes Wissen über den Gesamtprozess und über die grundlegenden Anforderungen daraus. Was zum Handeln aber oft fehlt: mögliche Einstiegsbetrachtungen, methodische Analysen, Hilfe bei den essenziell notwendigen Klassifikationen und deren technisch inhaltlichen Beitrag für den Gesamtprozess. So bleibt es oft bei der bloßen Optimierung von Einzelprozessen. Nicht zuletzt auch, weil in den Unternehmen meist auch die wirtschaftlichen Möglichkeiten und die Ressourcen sehr begrenzt sind.

Das Team an der THD hat über mehrere Jahre an der Farbcodierung gearbeitet. Die bereits vorhandenen Farbenwelten wurden systematisiert und so erweitert, dass jetzt alle 16,7 Mio. Farben nutzbar sind. Das macht nichts kaputt von dem, was bisher existiert, erschließt aber viel mehr Möglichkeiten: Hinter diesen Farben, die als Codierung zu verstehen sind, lassen sich unterschiedlichste Informationen hinterlegen, die die Unternehmen benötigen.
Das Team an der THD hat über mehrere Jahre an der Farbcodierung gearbeitet. Die bereits vorhandenen Farbenwelten wurden systematisiert und so erweitert, dass jetzt alle 16,7 Mio. Farben nutzbar sind. Das macht nichts kaputt von dem, was bisher existiert, erschließt aber viel mehr Möglichkeiten: Hinter diesen Farben, die als Codierung zu verstehen sind, lassen sich unterschiedlichste Informationen hinterlegen, die die Unternehmen benötigen.

Aber Daten, die einmal erfasst sind, müssten sich doch sehr leicht in alle Abteilungen und Unternehmen übertragen lassen. Wo ist hier der Haken?

Prof. Ludwig Gansauge: Na, wenn’s doch so einfach wäre! In der Realität gibt es jede Menge Grenzen: Abteilungsgrenzen, Systemgrenzen bei Software und Hardware, aber auch Unternehmensgrenzen. Die schnell, einfach und vor allem sicher und unmissverständlich zu überwinden ist eine weitere große Herausforderung. Viele Betriebe nutzen inzwischen Farbcodierungen für teilautomatisierte Programmierung. Mit großem Erfolg: CAD/CAM mit Feature-Codierung und der damit verbundenen Automation über Features und Farben schafft in der Fertigungspraxis enorme Effizienz und Geschwindigkeit. Aber das war’s dann auch schon wieder – es sind leider in der Regel alles nur Insellösungen, und weiteres Potenzial der Farben bleibt hier meist auf der Strecke. Heute hat jedes Unternehmen sein eigenes Farbschema und ein eigenes Verständnis, was wie und warum codiert werden sollte.

Welche Möglichkeiten stecken denn noch in der Farbcodierung, und wie können die Unternehmen dieses Potenzial zu erschließen?

Prof. Ludwig Gansauge: Man kann eine Klassifikation oder Codierung - gerne auch mit Farbsystematik - für die Materialklassifikation und deren Auswirkung für die Fertigungsprozesse der Werkzeugkomponenten beispielsweise gleichermaßen auf die Qualitätsprüfung / Vermessung übertragen. Dann besteht der Vorteil nicht nur in der möglichen hocheffizienten 100-Prozent-Kontrolle. Oder auch auf die Produktionsauswirkung einzelner Werkzeugkomponenten bzw. Features. Oder für hochgradige Automation in der NC-Programmierung. Oder für hocheffizientes Toolmanagement von Zerspanungswerkzeugen mit multiplen Schnittwerten für die unterschiedlichsten Rahmenbedingungen der Zerspanung. Auf diese Weise wird auch der Bezug zwischen dem gefertigten Ergebnis, der erreichten Qualität, und der Entstehung eben dieser Qualität geschaffen. Die Codierung kann aber auch für genaue Anweisungen oder Vorgaben in der Montage oder an Zerspanungsprozesse Fräsen / Erodieren / Schleifen etc. genutzt werden. Das alles kann man sich in unserem hochschuleigenen Werkzeugbau umgesetzt ansehen.

Prof. Ludwig Gansauge: „Um einen durchgängigen Informationsfluss entlang der gesamten Prozesskette sicherzustellen, müssen alle relevanten Bestandteile der gesamten Prozesskette interpretiert und verarbeitet werden. Entsprechend der spezifischen Anforderungen müssen sämtliche Bearbeitungsfeatures und Prozessparameter wie etwa Schnittwerte oder die Anzahl der erosiven Nachschnitte in Farben codiert sein.“
Prof. Ludwig Gansauge: „Um einen durchgängigen Informationsfluss entlang der gesamten Prozesskette sicherzustellen, müssen alle relevanten Bestandteile der gesamten Prozesskette interpretiert und verarbeitet werden. Entsprechend der spezifischen Anforderungen müssen sämtliche Bearbeitungsfeatures und Prozessparameter wie etwa Schnittwerte oder die Anzahl der erosiven Nachschnitte in Farben codiert sein.“

Wie lässt sich diese Lücke schließen?

Prof. Ludwig Gansauge: Wir haben dazu an der THD über mehrere Jahre gearbeitet, es gab ein umfassendes Forschungsprojekt, und daraus resultiert jetzt mindestens ein Patent. Die bereits vorhandenen und erfolgreich genutzten Farbenwelten, die es schon seit Anfang der 2000er-Jahre gibt und die auch erfolgreich eingesetzt werden, haben wir systematisiert und so erweitert, dass wir jetzt alle 16,7 Mio. Farben nutzen können. Wir machen nichts kaputt von dem, was bisher existiert, haben nur viel mehr Möglichkeiten: Hinter diesen Farben, die als Codierung zu verstehen sind, lassen sich unterschiedlichste Informationen hinterlegen, die die Unternehmen zum Austausch benötigen.  Diese mächtige Codierungs- und Farbsystematik ist der Schlüssel für eine klare und eindeutige Kommunikation – im Unternehmen über alle Prozesse hinweg und auch zwischen kollaborierenden Unternehmen.

Was ist dazu notwendig?

Prof. Ludwig Gansauge: Um einen durchgängigen Informationsfluss entlang der gesamten Prozesskette sicherzustellen, müssen all ihre relevanten Bestandteile interpretiert und verarbeitet werden. Die hochkomplexe Herausforderung ist unter anderem, technologische oder prozessual bedingte Informationen, Toleranzen jeder Art, Oberflächenqualitäten, Materialien, Härtegrade und Ähnliches vollumfänglich und klar zu definieren. Entsprechend der spezifischen Anforderungen müssen sämtliche Bearbeitungsfeatures und Prozessparameter wie etwa Schnittwerte oder die Anzahl der erosiven Nachschnitte in Farben codiert sein. Darüber hinaus müssen auch alle relevanten Informationen vorhanden sein.

In der NC-Programmierung muss die im CAD vergebene Farbe interpretiert werden. In der Regel verrät sie grundlegende Feature-Details wie etwa ein Gewinde – Links- oder Rechtsgewinde, Steigung und vieles mehr. Oder eine bestimmte Passung – H5 oder H7. Im CAD existiert nur ein einziges festes Maß. In der Fertigung ist aber der gesamte Toleranzbereich zu nutzen, um kostengünstig Qualität zu liefern.
In der NC-Programmierung muss die im CAD vergebene Farbe interpretiert werden. In der Regel verrät sie grundlegende Feature-Details wie etwa ein Gewinde – Links- oder Rechtsgewinde, Steigung und vieles mehr. Oder eine bestimmte Passung – H5 oder H7. Im CAD existiert nur ein einziges festes Maß. In der Fertigung ist aber der gesamte Toleranzbereich zu nutzen, um kostengünstig Qualität zu liefern.

Wie stellt sich so etwas in der Praxis dar?

Prof. Ludwig Gansauge: Wenn wir etwa die NC-Programmierung betrachten - hier muss die im CAD vergebene Farbe interpretiert werden. In der Regel verrät sie grundlegende Feature-Details wie etwa ein Gewinde – Links- oder Rechtsgewinde, Steigung und vieles mehr. Oder eine bestimmte Passung – H5 oder H7. Im CAD existiert nur ein einziges festes Maß. In der Fertigung ist aber der gesamte Toleranzbereich zu nutzen, um kostengünstig Qualität zu liefern. Änderungen, technologische Vorgaben und auch ein Teil der Toleranzen sind heute bereits hinterlegt. Doch für eine vollständige Beschreibung der Anforderungen über die weitere Produktionskette reichen die Farbtabellen, die heute in den Unternehmen eingesetzt werden, bei weitem noch nicht.

Wie also sieht aber der Idealfall aus, und wo besteht denn Ihrer Meinung nach derzeit dringender Handlungsbedarf? Was ist zudem für ein derartiges unternehmensübergreifendes Informationsmanagement entlang der Prozesskette notwendig?

Prof. Ludwig Gansauge: Bleiben wir beim Beispiel eines Werkzeugs. Das wird in mehreren Ebenen klassifiziert. Dazu gehört zunächst das Produktionsverfahren oder die Größe. Danach erfolgt die Standardisierung. Hier wäre es aus meiner Sicht sogar sinnvoll, über eine neue Norm für die Branche nachzudenken. Erst nach der Klassifikation der Elemente, der Standardisierung und Strukturierung der Ergebnisse in jeder Abteilung in einer gemeinsamen verbindlichen „Sprache“ ist eine ausreichende Genauigkeit und Beherrschung aller weiteren Schritte möglich. Und erst dann ist der Schritt zur unternehmensübergreifenden Kollaboration sinnvoll möglich.

Prof. Ludwig Gansauge: „Die quasi automatische Übersetzung von ‘Sprache Betrieb 1’ in ‘Sprache Betrieb 2’ schafft auf technischer Ebene eine Möglichkeit, die es bis heute so nicht gibt. Sie ist die Basis für eine Plattform zum sicheren Austausch von Daten und Informationen. Aber die Farben werden sicher keine persönlichen Gespräche ersetzen können – den persönlichen Austausch zwischen den Mitarbeitern wird es auch weiterhin geben.“
Prof. Ludwig Gansauge: „Die quasi automatische Übersetzung von ‘Sprache Betrieb 1’ in ‘Sprache Betrieb 2’ schafft auf technischer Ebene eine Möglichkeit, die es bis heute so nicht gibt. Sie ist die Basis für eine Plattform zum sicheren Austausch von Daten und Informationen. Aber die Farben werden sicher keine persönlichen Gespräche ersetzen können – den persönlichen Austausch zwischen den Mitarbeitern wird es auch weiterhin geben.“

Und hier schafft die Codierung in Form von 16,7 Mio. Farben als gemeinsame „Sprache“ eine verbindliche Basis?

Prof. Ludwig Gansauge: Da wir die Codierung als Farbgebung für jedes einzelne Feature und dessen Entstehung auf den Maschinen für unterschiedlichste für die Prozesskette relevante Informationen nutzen können, übernehmen sie die Rolle als wichtigste informationstechnische Grundlage entlang der Produktentstehung – bis in die Massenproduktion hinein, Stichwort FMEA. Sie ermöglichen einerseits eine sehr weitreichende Automatisierung innerhalb eines Unternehmens, wo sie auch dabei helfen können, Abteilungsgrenzen, die ja oft eine Hürde sind, zu überwinden. Darüber hinaus ist die Farbcodierung aber auch eine Möglichkeit, die Informationen beispielsweise eindeutig und durch das „Lexikon“ in die andere Sprache übersetzt, an beliebige andere Unternehmen weiterzugeben. Beim anderen Unternehmen sorgen die transparenten Farbcodierungen dann dafür, dass die Information quasi übersetzt in der Form und der Sprache dort landet, die man dort gewohnt ist.

Das heißt, die Farben sind weit mehr als nur ein reiner Informationsträger?

Prof. Ludwig Gansauge: Ja. Diese quasi automatische Übersetzung von „Sprache Betrieb 1“ in „Sprache Betrieb 2“ schafft auf technischer Ebene eine Möglichkeit, die es bis heute so nicht gibt. Sie ist die Basis für eine Plattform zum sicheren Austausch von Daten und Informationen. Aber die Farben werden sicher keine persönlichen Gespräche ersetzen können – den persönlichen Austausch zwischen den Mitarbeitern wird es auch weiterhin geben.

Auf technischer Ebene klingt das ja alles ganz plausibel und erstrebenswert – aber es verlangt von den Beteiligten wohl auch ein sehr hohes Maß an Offenheit und Vertrauen. Ist solch eine weitreichende Kollaboration unter diesem Gesichtspunkt nicht nur eine schöne Utopie?

Prof. Ludwig Gansauge: Nein. Wir kennen ein Pilotprojekt mit sechs Werkzeugbauunternehmen, die das und mehr jetzt praktizieren, die das regelrecht feiern. Natürlich muss zwischen den Unternehmen ein Grund- und Wertekonsens bestehen, und es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass diese Werkzeugbauer alle aus dem Umfeld des Verbands Deutscher Werkzeug- und Formenbauer (VDWF) kommen. Was jetzt noch fehlt, sind moderne Möglichkeiten wie Web-Plattformen im Internet, mit denen sich die Informationen auch auf Mitarbeiterebene herunterbringen lassen. Die auch einen Austausch zwischen Mitarbeitern etwa mit gleichen Interessen oder Berufsgruppen im neuen Verbund unkompliziert ermöglichen. Plattformen, auf denen sie Wissen teilen und erweitern können – das ist der nächste Schritt in die Zukunft. Sehr wichtig ist dabei, dass diese nicht nur durch Einzelunternehmen aus der Zuliefer- oder Maschinenbranche entstehen. Damit nicht profitorientierte Einzelinteressen, sondern Kollaborationen mit Wert für viele Betriebe entstehen können.

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