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Märkte 4. April 2024

Automobilzulieferer in Deutschland vor Restrukturierung

Trotz Rekordwerten wird die Luft für Automobilzulieferer am Standort Deutschland dünner: Während ihr Umsatz 2023 um 9 % stieg, legten die OEMs um 11 % zu.

Automobilzulieferer in Deutschland stehen mit dem Rücken zur Wand, wie aktuelle Studien der beiden Prüfungs- und Beratungsgesellschaften EY und Deloitte belegen.
Automobilzulieferer in Deutschland stehen mit dem Rücken zur Wand, wie aktuelle Studien der beiden Prüfungs- und Beratungsgesellschaften EY und Deloitte belegen.

Die in Deutschland ansässigen Autohersteller und Automobilzulieferer haben ihre hierzulande erwirtschafteten Umsätze im Jahr 2023 insgesamt um 10 % auf 558 Mrd. EUR gesteigert – mehr als je zuvor. Dabei schnitten die Autohersteller mit einem Umsatzwachstum von 11 % erneut besser ab als die Zulieferer, die ein Plus von 9 % verzeichneten. Das sind Ergebnisse einer aktuellen Studie der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY, für die nur in Deutschland tätige Betriebe ab einer Größe von 50 Mitarbeitern analysiert wurden. Basis sind Zahlen des Statistischen Bundesamts und der Agentur für Arbeit.

Automobilzulieferer im Zehn-Jahres-Vergleich abgehängt

Demnach zeigt sich vor allem im Zehn-Jahres-Vergleich, wie weit die Schere zwischen OEMs und Automobilzulieferer auseinandergeht: Seit 2014 stieg der Umsatz der Zulieferer in Deutschland um 25 %, während die Hersteller mehr als doppelt so stark – um 59 % – zulegten.

„Auf den ersten Blick war das vergangene Jahr nicht schlecht für die deutsche Autoindustrie“, sagt Constantin M. Gall, Managing Partner und Leiter Mobility bei EY für die Region Europe West. „Die Rekordumsätze sind allerdings auch ein Ergebnis der hohen Inflation und stark gestiegener Einkaufs- und Materialpreise. Unterm Strich sorgten gerade die hohen Energie- und gestiegene Lohnkosten bei vielen Unternehmen für eine rückläufige Marge. Das gilt vor allem für die Automobilzulieferer, für die die Luft immer dünner wird. Und derzeit spricht wenig für eine Verbesserung der Lage – im Gegenteil: Der Konjunkturmotor stottert, der Neuwagenabsatz hat längst noch nicht das Vorkrisenniveau erreicht. Überkapazitäten und neue Rabattschlachten sind die Folge.“

18 % weniger Exporte nach China 2023

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Wichtige Wachstumsimpulse kamen zuletzt vom Export: Die Exporte von Fahrzeugen und Fahrzeugteilen stiegen im Jahr 2023 um 10 %, nachdem sie im Vorjahr bereits um 16 % gestiegen waren. Die beiden wichtigsten Exportmärkte schwächelten allerdings: Die Ausfuhren in die USA lagen nur minimal über denen des Vorjahrs, die Exporte nach China brachen sogar um 18 % ein. „Die Situation in den Exportmärkten USA und China ist schwierig – aufgrund der aktuellen geopolitischen Spannungen, einer gewissen Abschottung Chinas sowie der anstehenden Wahlen in den USA. Insgesamt sehen wir zunehmend Nationalisierungstendenzen, die für unsere stark exportorientierte Autoindustrie ein echtes Risiko darstellen“, so Gall. Wesentliche Zukunftsinvestitionen würden zunehmend außerhalb Deutschlands getätigt, warnt er.

Konsolidierung unter den Automobilzulieferern prognostiziert

Gall rechnet mit einer weiteren Konsolidierung unter den Automobilzulieferern, auch angetrieben durch den stockenden Hochlauf der Elektromobilität: „Wer als Zulieferer zukunftsfähig sein möchte, muss massiv in neue Technologien und investieren. Gleichzeitig werden im Elektrosegment bei weitem nicht die erwarteten und benötigten Stückzahlen erreicht. Das kostet die Branche aktuell sehr viel Geld und drückt auf die Marge.“

Constantin M. Gall, Managing Partner und Leiter Mobility bei EY:  „Wer als Zulieferer zukunftsfähig sein möchte, muss massiv in neue Technologien und investieren. Gleichzeitig werden im Elektrosegment bei weitem nicht die erwarteten und benötigten Stückzahlen erreicht. Das kostet die Branche aktuell sehr viel Geld und drückt auf die Marge.“
Constantin M. Gall, Managing Partner und Leiter Mobility bei EY:  „Wer als Zulieferer zukunftsfähig sein möchte, muss massiv in neue Technologien und investieren. Gleichzeitig werden im Elektrosegment bei weitem nicht die erwarteten und benötigten Stückzahlen erreicht. Das kostet die Branche aktuell sehr viel Geld und drückt auf die Marge.“

Gall sieht viele Automobilzulieferer mit dem Rücken zur Wand: „Der erhoffte Hochlauf der Elektromobilität kommt nicht in Fahrt, es knirscht an allen Ecken und Ende, und es macht sich Unsicherheit breit. Denn noch gelten die ambitionierten Ziele der EU und das Verbrennerverbot ab 2035 – aber die Rufe nach einem Aufweichen der Ziele werden immer lauter. In gut einem Jahrzehnt sollen keine Verbrenner mehr in der EU zugelassen werden – aber in der Hälfte der 27 EU-Länder lag der Elektro-Marktanteil im vergangenen Jahr unter 10 Prozent, darunter große Märkte wie Italien, Spanien und Polen. Die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist sehr groß.“

Auch die Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Deloitte sieht in ihrem Restructuring Report 2023/2024, dass im Automobilsektor insbesondere die Zulieferer vor großen Herausforderungen stehen: „Während die Automobilhersteller Rekordgewinne verzeichnen, befindet sich die Zulieferindustrie inmitten grundlegender Branchentransformationsprozesse, die voraussichtlich nicht alle Marktteilnehmer überstehen werden“, erklärt Stefan Sanne, Partner bei Deloitte und Head of Turnaround & Restructuring.

Nur 56 % der Automobilzulieferer sind finanziell gesund

Nach Zahlen von Deloitte können derzeit nur 56 % der Automobilzulieferer als finanziell gesund betrachtet werden. 13 % der Lieferanten weisen sowohl kritische EBIT-Margen als auch eine kritische Verschuldung auf.  Unternehmen, die zu langsam sind, um die neuesten Technologie- und Verbrauchertrends umzusetzen oder neue Vorschriften einzuhalten, riskieren zu scheitern, so Deloitte. Dazu zählen vor allem die spezifischen Herausforderungen, die sich beispielsweise aus der Elektrifizierung und Digitalisierung, aber auch aus Nachhaltigkeitsanforderungen ergeben. Produkte rund um den Verbrennungsmotor stehen unter starkem Druck, während die Elektromobilität stark an Bedeutung gewinnt.

Um gegenüber der asiatischen Konkurrenz bestehen zu können, sind für traditionelle Automobil-Zulieferer Investitionen in Innovationen erfolgsentscheidend, mahnt Roland Berger. Bosch hat zum Beispiel für das Batterierecycling Europas erste vollautomatisierte Anlage zur Batterieentladung entwickelt. Sie steht in Magdeburg bei The Battery Lifecycle Company.
Automobil-Zulieferer: Druck durch asiatische Konkurrenz
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Personalabbau bei Automobilzulieferern setzt sich weiter fort

Die Beschäftigungssituation hat sich trotz der positiven Umsatzentwicklung zuletzt kaum verbessert: Zwar stieg die Zahl der in Deutschland beschäftigten Mitarbeiter laut EY im Jahr 2023 um 0,7 % auf etwa 780.000, wodurch der Negativtrend der vergangenen vier Jahre gestoppt wurde. Die Beschäftigung lag damit aber weiter deutlich unter dem Höchststand des Jahres 2018, als 834.000 Personen für Automobilhersteller oder -zulieferer in Deutschland tätig waren. Bei den Automobilzulieferern wurde zudem im vergangenen Jahr erneut ein Beschäftigungsrückgang (um 0,2 %) registriert. In den vergangenen zehn Jahren ist damit die Zahl der Mitarbeiter bei Zulieferern in Deutschland um 7,5 % gesunken. Im gleichen Zeitraum stieg die Beschäftigung bei den Herstellern um 4,3 %.

Beschäftigung am Standort Deutschland wird sinken

Angesichts der erheblichen Unsicherheiten, mit denen sich die Unternehmen konfrontiert sehen, rechnet EY-Manager Gall mit einem Beschäftigungsabbau im laufenden Jahr. „Zuletzt ist die Beschäftigung leicht gestiegen, was vor allem auf Aufbau an Software-Kompetenzen zurückzuführen ist. Der langfristige Trend zeigt aber klar nach unten: Die meisten großen Branchenunternehmen setzen auf Kostensenkungsprogramme. Zudem wird der Vormarsch der Künstlichen Intelligenz zu einem deutlichen Beschäftigungsrückgang in indirekten Bereichen wie IT, Personal, Marketing, Finanz- und Rechnungswesen führen. Zunehmend setzen die Unternehmen daher auf Einstellungsstopps und den Abbau von Managementebenen. Und langfristig wird der Hochlauf der Elektromobilität ohnehin zu einem deutlich geringeren Personalbedarf führen, weil die Herstellung von Elektrofahrzeugen weniger personalintensiv ist als die Herstellung von Pkw mit konventionellen oder Hybrid-Antrieben. Das wird unausweichlich zu einer niedrigeren Beschäftigung am Standort Deutschland führen.“

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