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Robotik 13. April 2023

Automation: Flexibler durch neue Produktionsarchitektur

Zehn Fraunhofer-Institute haben im Leitprojekt Swap eine Architektur entwickelt, welche die Produktion durch Modularisierung flexibler machen soll.

Das Produktionssystem Swap-IT entscheidet flexibel, wie ein Auftrag ausgeführt werden soll und verteilt die Aufgaben an gerade verfügbare Maschinen oder Roboter.
Das Produktionssystem Swap-IT entscheidet flexibel, wie ein Auftrag ausgeführt werden soll und verteilt die Aufgaben an gerade verfügbare Maschinen oder Roboter.

In einer neu entwickelten Produktionssprache werden Aufträge formuliert, die dann durch Maschinen oder Roboter flexibel und autonom bearbeitet werden. Hersteller sind dadurch in der Lage, die Abläufe in der Fabrikhalle flexibel an ihre Zielvorgaben anzupassen. Die Fraunhofer-Institute stellen ihre Produktionsarchitektur auf der Hannover Messe vom 17. bis 21.4. 2023 vor.

Flexibilität statt statischer Strukturen

Hinter dem Begriff Swap steckt ein Konzept für „Heterogene, auslastungsoptimierte Roboterteams und Produktionsarchitekturen“. Die Grundidee der darauf basierenden Architekturlösung Swap-IT zielt auf ein skalierbares cyber-physisches Produktionssystem, das sehr schlank ist und sich flexibel auf unterschiedlichste Produktionsprozesse anwenden lässt. Durch seinen modularen Aufbau bricht die Produktionsarchitektur Swap-IT die statischen Strukturen und schematischen Abläufe klassischer Produktionsstätten auf und flexibilisiert die Arbeitsschritte. Eine einheitliche und semantisch vereinfachte Beschreibungssprache für Maschinen, Prozesse und auch Produkte ermöglicht die Einbindung von Betriebsmitteln wie Maschinen, Robotern oder autonomen Transportsystemen. Im Ergebnis entsteht eine intelligent agierende und anpassungsfähige Produktionsumgebung. 

Beschreibungssprache formuliert den Auftrag

Ein zentraler Bestandteil von Swap-IT ist die Beschreibungssprache Production Flow Description Language (PFDL), eine Entwicklung der Fraunhofer-Forscher, die im Rahmen des Projektes erarbeitet wurde. Sie bindet sowohl das herzustellende Endprodukt als auch die zur Herstellung nötige Maschinentechnik ein. Die PFDL dient dazu, vor dem Start der Fertigung das jeweilige Endprodukt oder Bauteil zu definieren und anschließend die gewünschten speziellen Merkmale zu ergänzen. „Geht es um eine Autotür, werden beispielsweise zunächst grundlegende Abmessungen beziehungsweise die Geometrie der Tür und dann deren individuelle Eigenschaften wie Lackierung oder Tönung der Scheiben beschrieben. Um den Prozess zu vereinfachen, kann die PFDL ein CAD-Modell laden, das dann nur noch individuell angepasst werden muss“, erklärt Peter Detzner, Experte für cyber-physische Produktionssysteme und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer IML.

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Die neue Produktionsarchitektur realisiert die Herstellung von Bauteilsegmenten auf mehreren kleinen Maschinen, die im Folgeprozess zusammengeführt werden können.
Die neue Produktionsarchitektur realisiert die Herstellung von Bauteilsegmenten auf mehreren kleinen Maschinen, die im Folgeprozess zusammengeführt werden können.

Damit ist ein Auftrag formuliert, der von einem auftragszentrischen Produktionssystem eigenständig umgesetzt werden kann. Über die Maschinenschnittstelle werden alle Teilschritte des Auftrags umgesetzt. Dies geschieht, indem die in der jeweiligen Maschine hinterlegten Services aufgerufen werden. Im Anschluss können die für die Umsetzung des Auftrags nötigen Maschinen und Roboter zielgerichtet mit der Arbeit beginnen. Der entscheidende Vorteil: Da in der PFDL zwar die prinzipielle Reihenfolge der Arbeitsschritte festgelegt ist, aber nicht, welche Maschine welche Aufgabe übernimmt, entscheidet die Swap-IT-Software, wie genau der Auftrag ausgeführt werden soll und vergibt einzelne Aufgaben an gerade verfügbare oder günstig platzierte Maschinen. Das Produktionssystem berücksichtigt dabei viele unterschiedliche Faktoren wie den aktuellen Status der Anlagen, die Laufzeit der jeweiligen Aufgaben oder bisherigen Aufgaben und auch die Kosten, die der Betrieb der Maschine verursacht. Auf die Verteilung von Aufgaben spielt auch der Name Swap-IT, zu Deutsch „Tausche es“ an.

So wird jeder Auftrag passend zu den Vorgaben individuell und zugleich effizient ausgeführt. Bei der klassischen Fertigung mit ihren standardisierten Arbeitsstationen ist diese Fall-zu-Fall-Flexibilität nicht erreichbar. „Die langfristige Vision dahinter ist, dass beispielsweise beim Bau eines Automobils nach Erstellung des Auftrags Maschinen und Robotersysteme als gut organisiertes Team an den Komponenten des Autos arbeiten. Dies gilt ebenso für andere Branchen wie etwa die optische Industrie oder den Flugzeugbau“, erklärt Niels Schmidtke, Projektleiter und Leiter der Geschäftsstelle des Fraunhofer-Verbunds Produktion.

Individuelle Zielvorgaben für jede Produktion

„Die verantwortlichen Mitarbeiter können im PFDL-Auftrag auch Zielvorgaben hinterlegen. Sie könnten bestimmen, dass die Herstellung besonders energieeffizient oder besonders schnell oder mit maximaler Auslastung der Anlagen und Maschinen ausgeführt werden soll“, erläutert Andreas Ebner, Experte für Kognitive Industrielle Systeme am Fraunhofer IOSB. Diese Zielvorgaben lassen sich jederzeit ändern. Bei einer spontan eintretenden Auftragsspitze können die Mitarbeiter beispielsweise die schnelle Herstellung als Zielvorgabe für das System setzen, auch wenn dies im Einzelfall dann mehr Energiekosten verursacht. Die Produktion kann so problemlos auf Nachbestellungen oder auf die Modifikation der Produkteigenschaften bei einer neuen Produktversion reagieren.

Darüber hinaus ist die Produktionsarchitektur in der Lage, die Herstellung eines besonders großen Bauteils auf mehrere Maschinen aufzuteilen. So könnte die Fertigung der großen Pressform, die später zum Ausformen einer Automobil-Seitenwand dient, auf kleinere Maschinen aufgeteilt werden, die jeweils nur ein Segment herstellen. Die Segmente werden nachgelagert zusammengefügt. Auf diese Weise können statt schwer verfügbarer und teurer Maschinen preiswertere kleine Maschinen eingesetzt werden.

Industrie 4.0 weitergedacht

Die Architektur von Swap-IT ist für viele verschiedene Branchen anwendbar, beispielsweise auch im Flugzeugbau.
Die Architektur von Swap-IT ist für viele verschiedene Branchen anwendbar, beispielsweise auch im Flugzeugbau.

„Mit Sensorik, Vernetzung oder Digitalem Zwilling sind Informationen über das Geschehen in der Fabrikhalle verfügbar. Swap-IT nutzt die Daten, um die Produktion von starren Abläufen zu befreien. Sie ist der nächste logische Schritt“, so Detzner.

Die Fraunhofer-Experten haben bei der Entwicklung der Beschreibungssprache PFDL und bei der Konzeption von Swap-IT großen Wert darauf gelegt, die Komplexität so weit wie möglich zu reduzieren. So wird bei der Implementierung im Unternehmen das Vokabular von PFDL auf das individuelle Anwendungsszenario zugeschnitten. „Damit erzielen wir einen optimalen Kompromiss zwischen größtmöglicher Flexibilität und einem schlanken System“, erläutert Ebner. Zudem arbeiten die Forscher an einem praxisnahen Vorgehensmodell zur Implementierung von Swap-IT, um den Unternehmen die Umstellung auf die neue Produktionsarchitektur zu erleichtern.

Vielfältige Demos auf der Hannover Messe zeigen, dass die Swap-IT-Architektur dafür konzipiert wurde, sehr unterschiedliche Anwendungsbereiche abzudecken. sk

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