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Recycling 20. Dezember 2019

Zu oft übersehen: Die guten Seiten der Kunststoffe

Zu oft werden Kunststoffe als Umweltfrevel dargestellt – zu selten die guten Seiten der Kunststoffe beleuchtet. Höchste Zeit für ein Plädoyer für Kunststoff.
Die guten Seiten der Kunststoffe geraten zu oft aus dem Blickfeld. Zeit für ein Plädoyer für Plastik.
Die guten Seiten der Kunststoffe geraten zu oft aus dem Blickfeld. Zeit für ein Plädoyer für Plastik.

Zu oft werden Kunststoffe als Umweltfrevel dargestellt – zu selten die guten Seiten der Kunststoffe beleuchtet. Höchste Zeit für ein Plädoyer für Kunststoff.

In der Öffentlichkeit hat Kunststoff derzeit einen denkbar schlechten Ruf, denn die guten Seiten werden gerne übersehen. Zu bedrückend wirken die im Fernsehen, in Zeitungen und Magazinen verbreiteten Bilder von tropischen Plastikmüllhalden und an Stränden angeschwemmten Flaschen und Plastikspielzeugen. Was kaum jemand weiß: 90 % des Kunststoffs in den Weltmeeren gelangen über zehn Flüsse dort hin. Die fließen alle in Afrika und Asien, so das Leipziger Helmholtz-Institut.

Vor allem Verpackungs-Kunststoffe stoßen aktuell auf scharfe Ablehnung. „Plastikfasten“ gilt als der neue Trend zu umweltgerechtem Verhalten. Wer dieser Idee folgt, meidet eingeschweißte oder in Kunststoffbehältern abgefüllte Produkte. Darauf haben sich spezielle „Unverpackt“-Läden eingestellt. Dort bringen die Kunden zum Einkauf Gläser, Stoffbeutel und Schachteln mit – Hauptsache, der Heimtransport erfolgt gänzlich ohne Kunststoff.

Kunststoff hat viele gute Seiten – aber in der Umwelt nichts zu suchen

Auch wenn nur eine kleine Minderheit auf Verpackungskunststoffe so strikt verzichtet: Klar ist, dass die Ablehnung von Plastik reale Gründe hat. Es stimmt, dass ein Teil der Kunststoffe in der Natur landet, wo sie nichts zu suchen haben. Es ist zutreffend, dass diese Kunststoffteile und Plastikverpackungen schwer abbaubar sind. Es stimmt aber auch, dass solche Naturvermüllung mit Plastik vor allem in Asien und Afrika in großem Maßstab geschieht.

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Deutschland unterhält mit dem „grünen Punkt“ ein aufwendiges System zum Sammeln und Verwerten von Kunststoffabfällen. Zudem gelten die Deutschen als Weltmeister im Sammeln und Trennen von Wertstoffen. Auch wenn das System nicht perfekt ist: Das Plastik in den Meeren wird nicht weniger, wenn deutsche Lebensmittelhändler ihren Kunden keine Kunststoff-Tragetaschen mehr mitgeben.

Glas und Papier mit hohem Ressourcenverbrauch

Was gerne übersehen wird: Oft haben die Alternativen zu Kunststoffen gravierende Nachteile. So lässt sich Glas zwar einfach recyceln. Doch der Energieaufwand dafür ist hoch: So müssen gebrauchte Weinflaschen oder Gurkengläser zum Einschmelzen auf über 1.000 °C erhitzt werden, um neues Rohmaterial zu gewinnen.

Bei Mehrwegflaschen entfällt zwar dieser Aufwand. Doch sie müssen vor der Wiederverwertung heiß gespült werden. Zudem kostet der Transport der schweren Flaschen viel Energie: vom Hersteller zum Großhandel, weiter zum Einzelhändler und wieder zurück. Zudem sind sie schwer zu tragen. Ohne Auto lassen sich Getränkekästen nur mühsam transportieren. Hinzu kommt die Verletzungsgefahr durch Glasbruch.

Aus diesen Gründen verwenden die Getränkehersteller zunehmend Mehrwegflaschen aus Kunststoff. Bei ihnen fällt der Energieverbrauch für den Transport erheblich geringer aus. Deswegen bewertet sogar der Naturschutzbund in seinem „Nabu-Mehrweg-Guide“ die leichten Plastikflaschen als umweltfreundlicher im Vergleich zu Glasflaschen.

Papiertüten aus Umweltsicht keine gute Alternative

Ähnlich verhält es sich bei den Papiertüten: Zwar hat Papier gegenüber Plastik das bessere Image. Doch als umweltfreundliche Alternative zum Plastikbeutel taugen Papiertüten nicht. Denn ihre Herstellung erfordert reichlich Holz, Wasser und Energie. Für die Herstellung von Papiertüten wird frisches Holz verarbeitet. Denn Recyclingpapier ist kaum belastbar, weil die Fasern so kurz sind. Laut Umweltbundesamt ist der Energieaufwand für die Herstellung von einer Tonne Papier genauso hoch wie der von einer Tonne Stahl.

Die Papiertüte kommt in der allgemeinen Wahrnehmung viel zu gut weg.
Die Papiertüte kommt in der allgemeinen Wahrnehmung viel zu gut weg.

Die Schweizer Materialforschungsanstalt Empa in St. Gallen hat 2014 den Ressourcenbedarf von Taschenmaterialien verglichen. Danach müsste eine Papiertasche 7,4-mal so oft benutzt werden wie eine Plastiktüte aus Recyclingmaterial, um ihren höheren Herstellungsaufwand auszugleichen. Das wird aber selten passieren, da Papiertüten nicht reißfest sind und bei Nässe sofort aufweichen. Was immer die Papiertüte sein mag: umweltfreundlich ist sie nicht.

Baumwolltaschen sogar eine Umweltsünde

Ein vielleicht noch besseres Image als die Papiertüte hat die Baumwolltasche. Sie verbindet tatsächlich zwei Vorteile: Sie ist biologisch abbaubar und im Unterschied zur Papiertüte recht reißfest. Aber: ihre Herstellung gestaltet sich noch aufwendiger. Das liegt vor allem am hohen Bedarf an Wasser und Ackerfläche für den Baumwollanbau und den langen Transportwegen. Die Ökobilanz der Baumwolltasche ist so niederschmetternd, dass sie nach den Schweizer Forschungsergebnissen 82,4-mal wiederverwendet werden müsste, um mit einer nur einmal verwendeten Plastiktüte gleichzuziehen.

Der Sieger: die Platiktüte

Die Vergleiche zeigen: Papier- und Baumwolltaschen haben ein prima Image. Doch sie sind die Loser unter den Tragetaschen. Gewinner ist die korrekt entsorgte Plastiktüte.

Ähnlich ist die Situation bei Getränkeflaschen. So wiegt zum Beispiel eine 1,5 l Mehrwegflasche aus PET im Durchschnitt 28,9 g. Eine nur 0,7 Liter große Glasflasche bringt dagegen rund 600 g auf die Waage. Zudem ist sie aufwendiger herzustellen, teurer zu transportieren und geht leichter zu Bruch. Biologisch abbauen lässt sich Glas ebenfalls nicht. Einziger Vorteil der Glas-Mehrwegflasche: Statt etwa 25-mal lässt sie sich etwa 50-mal wieder befüllen – sofern sie diese vielfache Nutzung schadlos übersteht.

PET-Flaschen international oft unentbehrlich

Wie wichtig Kunststoffflaschen sein können, zeigt der Blick auf andere Länder und Kontinente. In Mexiko-Stadt zum Beispiel verwendet die Bevölkerung Trinkwasser fast nur aus Flaschen, da das Vertrauen in die öffentliche Wasserversorgung gering ist. Jeder der 8,9 Mio. Einwohner konsumiert dort im Durchschnitt 255 l abgepacktes Wasser pro Jahr. Für diese Art der Versorgung gibt es derzeit keine Alternative.

Bottle-to-Bottle: aus alten PET-Flaschen werden neue.
Bottle-to-Bottle: aus alten PET-Flaschen werden neue.

Bei Naturkatastrophen stellen Flaschen aus Kunststoff meist die einzige Möglichkeit zur Wasserversorgung der Bevölkerung dar. Bei den empfohlenen 2 l Flüssigkeit pro Tag und Person müssen Hilfsdienste beträchtliche Wassermengen herbeischaffen und verteilen. Zum Beispiel hat 2017 der Hurrikan „Maria“ die Wasserversorgung in Puerto Rico zerstört. Eine US-Hilfsorganisation transportierte daraufhin kurzfristig 73,5 Mio. l Trinkwasser auf die Karibikinsel. Abgefüllt war das Wasser in 1,5 l und eine Gallone (3,79 l) große PET-Flaschen. Dadurch konnten die Helfer das benötigte Trinkwasser einfach an die Einwohner verteilen.

In Schwellen- und Entwicklungsländern sind Kunststoffflaschen beliebt und oft unentbehrlich. Leider kann die Entsorgung bislang mit dem Verbrauch nicht Schritt halten. In weiten Teilen von Afrika und Asien wird der Hausmüll auf Müllkippen gelagert. So war es auch in Deutschland bis Ende der 1970er-Jahre üblich. Von solchen Kippen kommt es oft zu Verwehungen von Kunststoffen in Flüsse. Vor nur einem Jahr wurde in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba die erste Müllverbrennungsanlage Afrikas eröffnet. So lassen sich endlich Kunststoffe beseitigen und zur Energiegewinnung nutzen.

Statt die sinnvolle Nutzung von Verpackungskunststoffen bei uns zu behindern, wäre die Unterstützung des Baus von Müllverbrennungsanlagen in Afrika und Asien deshalb die deutlich bessere Lösung.

Claudia Wörner

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