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Management 8. Dezember 2020

Führungskräfte als „Sandwich-Manager“ sind oft überfordert

Führungskräfte haben es als „Sandwich-Manager“ zurzeit nicht leicht und sind oft überfordert – im Kollektiv kann man Krisenzeiten aber meistern.
Wenn Führungskräfte Beschlüsse der Unternehmensleitung an ihre Mitarbeiter weitergeben müssen, sind sie als "Sandwich-Manager" oft überfordert.
Wenn Führungskräfte Beschlüsse der Unternehmensleitung an ihre Mitarbeiter weitergeben müssen, sind sie als "Sandwich-Manager" oft überfordert.

Führungskräfte haben es als „Sandwich-Manager“ zurzeit nicht leicht und sind oft überfordert – im Kollektiv kann man Krisenzeiten aber meistern.

Je länger die Corona-Krise andauert, umso mehr Konfliktlinien und Gräben tun sich in vielen Unternehmen auf - zudem bröckelt die Identifikation der Mitarbeiter mit ihrem Arbeitgeber – primär weil die Führungskräfte top-down zu wenig mit ihnen kommunizieren und die „Sandwich-Manager“ oft überfordert sind.

„Bei uns geht es seit Monaten wie in einem Bienenschwarm zu, und das Ganze ist eigentlich nur noch ein Sauhaufen“, bricht es aus dem Abteilungsleiter in einem weltweit agierenden Konzern hervor. Der Abteilungsleiter ist abgrundtief enttäuscht von der oberen Führung in seinem Unternehmen. Er fühlt sich seit Monaten nicht nur extrem gefordert, sondern oft auch überfordert – vor allem, weil er selbst nicht weiß, wie es weiter geht. Und er ist emotional verletzt, weil er sich von seinen unmittelbaren Vorgesetzten im Stich gelassen fühlt, die sich, so seine Worte, „alle als kleine Diktatoren“ entpuppt haben.

Ähnliche Erfahrungen sammelt man zurzeit nicht selten, wenn man mit sogenannten „Sandwich-Managern“ in Unternehmen spricht, zu denen eine von Vertrauen geprägte Beziehung besteht. Dann bedarf es oft nur eines geringen Anstoßes, und schon bricht sich der über Monate angestaute Frust weitgehend ungefiltert seine Bahn.

Seine Wurzeln hat dieser Frust laut Aussagen des Managementberaters und -coaches Joachim Simon, Braunschweig, meist primär in der „Sandwichposition“, in der sich besagte Führungskräfte befinden. Sie müssen als Führungskräfte auf der operativen oder mittleren Ebene alle Beschlüsse der Unternehmensleitung und ihrer unmittelbaren Vorgesetzten nicht nur an ihre Mitarbeiter weitergeben, sondern auch vertreten. Das gebietet ihnen ihre Loyalitätspflicht. Zugleich wissen sie aber oft selbst nicht, warum diese getroffen wurden, und sie zweifeln nicht selten selbst an deren Richtigkeit.

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„Sandwich-Manager“ stehen an der emotionalen Front

Entsprechend hilflos sind sie, wenn ihre Mitarbeiter sie mit ihren Warum-weshalb-wieso-Fragen bestürmen. Dann können sie oft nur antworten „Wir müssen zurzeit corona-bedingt sparen“ oder „…andere Prioritäten setzen“. Eine Antwort, mit der sich ihre Mitarbeiter meist nicht zufrieden geben – speziell dann, wenn ihre Fragen mit existenziellen Sorgen und Nöten verknüpft sind, wie:

  • Wie lange muss ich noch kurzarbeiten und beziehe ich deshalb ein geringeres Gehalt?
  • Wird mittelfristig unser Bereich dichtgemacht und muss ich mit einer Kündigung rechnen?
  • Wird mein Projekt auf Eis gelegt, von dem ich mir auch einen Karrieresprung versprach?

Dann müssen die „Sandwich-Manager“ oft Zuversicht auszustrahlen „Es wird schon nicht so schlimm“ und von der Krise als Chance einherreden, obwohl sie sich selbst dieselben oder ähnliche Fragen stellen.

Nicht wenige fühlen sich dann als Heuchler oder gar als Verräter gegenüber ihren Mitarbeitern, mit denen sie aufgrund der jahrelangen Zusammenarbeit auch emotional verbunden sind. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie ahnen: Auf unserer Vorstands- oder Geschäftsführerebene werden schon viel weitreichendere Kursänderungen diskutiert als bisher verkündet – z.B.

  • der Rückzug aus gewissen Geschäftsfeldern,
  • die Schließung von Filialen und Niederlassungen,
  • die Fusion mit einem Mitbewerber,
  • ein massiver Personalabbau.

Die Top-Manager müssen das „Schiff“ auf Kurs halten

Solche Themen werden in den Chefetagen vieler Unternehmen hinter verschlossenen Türen bereits diskutiert, weiß Prof. Dr. Georg Kraus, der geschäftsführende Gesellschafter der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal, der nahezu täglich Strategiemeetings auf der Vorstandsebene moderiert. Denn selbstverständlich müssen die Top-Entscheider in den Unternehmen solche Szenarien durchspielen wie: Welche Konsequenzen hätte es für unser Unternehmen,

  • wenn das Thema Corona, z. B. weil das Virus mutiert, uns noch jahrelang begleitet,
  • wenn sich im Gefolge der Corona-Pandemie das Kaufverhalten unserer Kunden radikal ändert,
  • wenn ein Mitbewerber aufgrund unseres gesunkenen Börsenkurses und unserer geringen Liquidität eine feindliche Übernahme probiert?

Und selbstverständlich müssen sie auch prüfen, welche Handlungsoptionen hätten wir, wenn das Szenario A, B oder C eintritt. Und hierzu zählt auch, sich zu fragen: Was tun wir, wenn der Worst Case eintritt? „Das gehört schlicht zum Job der Unternehmensführer“, sagt Dr. Kraus kurz. Offen im Mitarbeiterkreis über ihre strategischen Überlegungen sprechen, das können, ja dürfen die Top-Manager aber nicht, zumindest wenn ihr Unternehmen börsennotiert ist.

Top-Manager befinden sich oft in einem Dilemma

Doch auch die Top-Entscheider in nicht-börsennotierten Unternehmen können nicht alles gleich lauthals verkünden, was sie mittel- oder langfristig in Betracht ziehen. Denn sie müssen stets bedenken: Welche Auswirkungen hätte es auf die Beziehung zu unseren Kunden, Lieferanten und Kapitalgebern wie Banken, wenn sie erfahren würden, dass wir erwägen z.B. eine bestimmte Produktlinie einzustellen oder unseren Service auszulagern?

Aus seiner Position heraus verständlich ist es deshalb, wenn der eingangs erwähnte Abteilungsleiter in seinem Frust die Top-Entscheider in seinem Unternehmen pauschal als Lügner bezeichnet. Faktisch müssen sie sich jedoch aufgrund ihrer Funktion in der Organisation auch taktisch verhalten. Fakt ist aber auch: Die Top-Entscheider in den Unternehmen nehmen oft nicht ausreichend die Stimmung in ihrer Organisation wahr, weil das sogenannte „Employee-Voice“ nur gefiltert zu ihnen empor dringt.

Schon in normalen Zeiten sprechen viele Führungskräfte mit ihren Mitarbeitern zu wenig über ihre Arbeit und ihr Befinden. In Krisen- oder Marktumbruchzeiten wie den aktuellen, in denen sie noch stärker als sonst als Entscheider und Manager gefragt sind und selbst unter Anspannung stehen, ist dies gehäuft der Fall. Dann sagen die Top-Entscheider in den Unternehmen nicht selten, nachdem sie weitreichende Beschlüsse trafen, zu den ihnen nachgeordneten Führungskräften: „Kümmert ihr euch darum, dass….“ Und diese sagen wiederum zu den ihnen nachgeordneten Führungskräften, weil sie selbst unter Stress stehen: „Kümmert ihr euch darum, schließlich seid ihr ja Führungskräfte.“ Und die Führungskräfte, die in der Hierarchie eher unten stehen? Die beißen sprichwörtlich die Hunde.

Ein Bröckeln der Identifikation vermeiden

Viele Unternehmen kämpfen denn auch zurzeit damit, dass die Identifikation der Mitarbeiter mit ihnen umso mehr bröckelt, je länger die Corona-Pandemie andauert. Das gilt in erster Linie für die Kurzarbeiter, die zum Teil seit Monaten zuhause sitzen und von ihrem Arbeitgeber nichts mehr gehört haben. Das gilt zudem in verstärktem Maße für die Mitarbeiter im Homeoffice. Denn sie geraten im Führungsalltag schnell in Vergessenheit, weil sie sozusagen nicht präsent sind. Und weil zudem das sonst übliche „Gespräch en passant“, sei es im Flur oder in der Kantine, entfällt, findet bei ihnen oft zwar noch eine allgemeine Information z.B. im wöchentlich anberaumten Telefon- oder Video-Call statt, doch letztlich keine Führung. Auch dies lässt mit der Zeit die Identifikation mit der Arbeit und dem Arbeitgeber sinken.

Solche schleichenden Prozesse, die in vielen Unternehmen erkennbar sind, können auf die Dauer fatale Konsequenzen haben. Denn wenn die Unternehmen kurz-, mittel- oder langfristig einen Kurswechsel vollziehen oder gar einen Sanierungsprozess durchlaufen müssen, sind sie auf die aktive Unterstützung zumindest durch ihre Kernmannschaft angewiesen. Denn alleine schafft das Management den Turnaround nicht.

Zeit und Energie in Mitarbeiterführung investieren

Generell gilt: Führungskräfte sind nur solange Führungs-Kräfte, wie ihnen Mitarbeiter folgen. Folgen ihnen keine Mitarbeiter mehr, sind sie schlicht wirkungslos und somit verzichtbar. Deshalb sollten alle Führungskräfte top-down in Krisen- und Marktumbruchzeiten wie den aktuellen, mehr Zeit in das Führen ihrer Mitarbeiter investieren, selbst wenn sie das Gefühl haben: Ich habe Wichtigeres und Dringlicheres zu tun. Dann sollten sie – gegebenenfalls mit einem Coach – ihre Prioritätensetzung überdenken.

Führung bedeutet dabei nicht nur, den Mitarbeitern eine Perspektive zu vermitteln und ihnen zu sagen, was es zu tun gilt. Wichtig ist es laut Cornelia Mast auch, den Mitarbeitern darzulegen, warum man in der aktuellen Situation als Führungskraft zum Teil selbst nervöser, gereizter, scheinbar aktionistischer usw. als gewohnt reagiert, „denn aus dem Verstehen erwächst Verständnis und hieraus wiederum Vertrauen“. Ebenfalls zur Führungsaufgabe zählt der Versuch, nicht nur sich selbst immer wieder bewusst zu machen, sondern auch den Mitarbeitern zu vermitteln, in welchen Dilemmata oder Zwickmühlen die oberste Unternehmensführung steckt – also der Versuch, „den Horizont der Mitarbeiter zu weiten“, ergänzt die Unternehmensberaterin, die als Ex-CEO und - CFO besagte Dilemmata aus eigener Erfahrung kennt.

Durch symbolische Handlungen Vertrauen schaffen

Der Versuch, Verständnis zu bewirken, gelingt jedoch nur, wenn das Top-Management zumindest durch symbolische Handlungen den Mitarbeitern signalisiert „Ihr seid uns wichtig“ und „Wir versuchen eine Balance zwischen den Interessen der verschiedenen Stakeholder zu wahren“, betont Doll. Solche symbolischen Handlungen können sein:

  • Der Vorstand oder die Geschäftsführung stellt sich einmal pro Woche in einem Video-Call den Fragen aller Mitarbeiter – auch derjenigen in Kurzarbeit.“
  • Er verzichtet auf einen Teil seines Gehalts für Mitarbeiter, die corona-bedingt in eine finanzielle Schieflage geraten.

Diese sind wie das Investieren von viel Zeit in das Führen der Mitarbeiter auch wichtig, weil sich im Zuge der Corona-Pandemie noch viele Konfliktlinien in den Unternehmen auftun werden, an die heute noch niemand denkt. Solche Konfliktlinien sind aktuell in vielen Unternehmen:

  • Warum dürfen gewisse Mitarbeitergruppen bereits wieder normal arbeiten, während andere noch mit den entsprechenden Gehaltseinbußen in Kurzarbeit sind?
  • Warum müssen z.B. die Produktionsmitarbeiter täglich zur Schicht erscheinen, während ihre Vorgesetzten aus Infektionsschutzgründen im Homeoffice arbeiten?

Solche Dinge gilt es, den Mitarbeitern zu erklären.

Die Führungskräfte beim Führen unterstützen

Eine weitere Konfliktlinie wird in naher Zukunft entstehen, wenn sich so manch Unternehmen fragt, weil viele seiner Büromitarbeiter weitgehend im Homeoffice arbeiten: Braucht unter diesen Voraussetzungen noch jeder Mitarbeiter ein eigenes Büro bzw. seinen persönlichen Schreibtisch? Rational betrachtet gewiss nicht; doch spätestens wenn der eventuelle Verzicht auf solche „Besitztümer“ bzw. „Privilegien“ und „Statussymbole“ in den Unternehmen zur Debatte steht, gewinnt das Thema „New Work“ eine ganz neue Dynamik. Dann tun sich nicht nur neue Konflikte auf, sondern stellen sich auch Fragen wie:

  • Wie wirkt es sich auf die Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen aus, wenn sie in ihm keinen persönlichen Ort bzw. Platz mehr haben?
  • Schwächt es das Wir-Gefühl in unserer Organisation, wenn das Führen auf Distanz vom Ausnahme- zum Regelzustand wird?

Zudem sollten sie firmenintern mehr Foren schaffen, auf denen sich ihre Führungskräfte über die Ist-Situation und die aktuellen Herausforderungen im Führungsbereich austauschen können. Dies ist auch nötig, um ein gewisses Alignment zu gewährleisten – also dafür zu sorgen, dass die Führungskräfte sich im Betriebsalltag bei der Mitarbeiterführung von weitgehend denselben Zielsetzungen und (Verhaltens-)Maximen leiten lassen. Denn sonst praktiziert in dem Unternehmen irgendwann jede Führungskraft ihren eigenen Führungsstil, eine gemeinsame Führungskultur ist jedoch nicht mehr erkennbar.

Joachim Simon/aki

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