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Technik 20. Juli 2023

„Chemisches Recycling wird teurer als Neuware“

Im Interview beziehen Manfred Hackl, CEO von Erema, und Klaus Lederer, Business Development Manager Chemical Recycling, Position zum chemischen Recycling.

Manfred Hackl, CEO der Erema Group: Bei einer ehrlichen Prozessanalyse würde man sofort ganz klar sehen, dass der Energieeinsatz beim chemischen Recycling höher ist, als beim mechanischen Recycling.
Manfred Hackl, CEO der Erema Group: Bei einer ehrlichen Prozessanalyse würde man sofort ganz klar sehen, dass der Energieeinsatz beim chemischen Recycling höher ist, als beim mechanischen Recycling.

Im Rahmen der VDMA-Initiative „Let´s talk about Chemical Recycling“ erklären die Erema-Manager Manfred Hackl und Klaus Lederer ihre Sicht der Dinge zum chemischen Recycling von Kunststoffen und zeigen sich überzeugt: „Rezyklate aus chemischem Recycling werden teurer als Neuware sein“.

Die Verfahren zum mechanischen Recycling sind schon ausgereift. Chemisches Recycling dagegen ist noch vergleichsweise jung. Wird es sich auch etablieren können?

Klaus Lederer: Es spricht einiges dafür, die Nachfrage ist sicher gegeben. Die großen Brands brauchen Lösungen für ihre Verpackungen, der Druck der Öffentlichkeit nimmt zu und die Recyclingziele der EU sind sehr hoch. Da könnte das chemische Recycling womöglich seinen Beitrag leisten.

Klaus Lederer, Business Development Manager Chemical Recycling von Erema: „Wer erwartet, dass die Rezyklate aus chemischem Recycling günstiger sein werden als Neuware, wird enttäuscht werden.“
Klaus Lederer, Business Development Manager Chemical Recycling von Erema: „Wer erwartet, dass die Rezyklate aus chemischem Recycling günstiger sein werden als Neuware, wird enttäuscht werden.“

Es gibt aber einige offene Fragen. Eine Herausforderung ist etwa, das entsprechende Eingangsmaterial in der richtigen Qualität und Menge am richtigen Ort zu haben. Manche chemischen Recycler werden dieses Problem lösen können, andere nicht. Unklar ist derzeit ebenfalls, ob chemisches Recycling wirtschaftlich sinnvoll sein wird. Wer erwartet, dass die Rezyklate aus chemischem Recycling günstiger sein werden als Neuware, wird enttäuscht werden.

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Wenn man es aber als Wert betrachtet, dass man den Rohstoff immerhin im Kreislauf behält, auch wenn es teuer und energieaufwändig ist, kann es trotzdem Sinn machen. Auch in der Frage, ob chemisches Recycling der Umwelt nützt, gibt es derzeit noch viel Pro und Kontra. Für eine genauere Beurteilung des chemischen Recyclings wird man warten müssen, bis die ersten wirklich kommerziellen Werke laufen.

Die einen sagen, chemisches Recycling verbrauche viel mehr Energie als mechanisches, andere bestreiten das. Was meinen Sie?

Lederer: Es ist eine Frage der Sichtweise. Wenn man sagt, Kunststoff ist ein Energieträger und ein Großteil der benötigten Prozessenergie kann aus dem Kunststoff selbst kommen, dann ist der Energieverbrauch geringer, als oft behauptet. Wenn man aber berücksichtigt, dass deutlich mehr Energie hineingesteckt werden muss, als beim mechanischen Recycling, um zum Beispiel den Pyrolyse-Prozess zu befeuern und wenn man bedenkt, dass man danach erst recht wieder am Beginn der Wertschöpfungskette steht, nämlich beim synthetischen Rohöl, das anschließend wieder unter Energieeinsatz weiterverarbeitet werden muss, dann lässt sich die Behauptung nicht halten, chemisches Recycling verbrauche gar nicht so viel mehr Energie als mechanisches.

Manfred Hackl: Bei einer ehrlichen Prozessanalyse würde man sofort ganz klar sehen, dass der Energieeinsatz beim chemischen Recycling höher ist. Im mechanischen Recycling braucht man eine Temperatur von 250 Grad für das Waschen und für das Extrudieren. Danach hat man fertiges Regranulat. Beim chemischen Recycling beträgt der Energiebedarf für das Zerlegen des Ausgangsmaterials in seine chemischen Grundbausteine und das anschließende Zusammenfügen der Bestandteile ein Vielfaches.

In mechanischem Recycling wird viel geforscht, um immer bessere Rezyklatqualitäten zu bekommen. Ist die Forschung obsolet, wenn man beim chemischen Recycling alle Ausgangsstoffe sowieso in die Urbestandteile zerlegt?

Hackl: Das sehen wir absolut nicht so. In den letzten Jahren hat sich im mechanischen Recycling extrem viel bewegt, auch, weil die gesamte Industrie vieles gemeinsam entwickelt. So konnten Lösungen realisiert werden, die vor wenigen Jahren noch undenkbar waren. Die Regranulatqualität ermöglicht mittlerweile auch sehr anspruchsvolle Anwendungen.

Hinzu kommt: Das mechanische Recycling ist jetzt schon ein funktionierendes ökologisch und ökonomisch sinnvolles Geschäftsmodell. Es ist wirtschaftlich, es ist skalierbar. Deshalb sehe ich es keinesfalls so, dass die Entwicklung des mechanischen Recyclings durch das chemische hinfällig werden wird. Wir werden auch im mechanischen Recycling noch Weiterentwicklungen sehen. Wir bei Erema, zum Beispiel, haben im Juni unser neues Forschungs- und Entwicklungszentrum für mechanisches Recycling in unserer Zentrale in Ansfelden eröffnet – eine Zehn-Millionen-Euro-Investition. Aber: Das chemische Recycling hat seine Berechtigung für bestimmte Materialströme, für die das mechanische Recycling nicht geeignet ist.

Welche Rollenverteilung wäre dann in Zukunft aus Ihrer Sicht sinnvoll?

Lederer: Das Ziel muss sein, dass sich beide Technologien ergänzen. Und zwar so, dass das chemische Recycling diejenigen Materialien verarbeitet, die mechanisch nicht recycelt werden können. Das sind zum Beispiel gemischte Kunststoffe wie Mehrschichtfolien oder faserverstärkte Kunststoffe. Oder auch solches Material, das als Endprodukt später einmal mit Lebensmitteln in Berührung kommen soll. Wenn das chemische Recycling es schafft, die schlechteren Materialien zu verarbeiten und in einen Kreislauf zu bringen, dann ist das eine wertvolle Ergänzung.

Die Rollenverteilung wäre dann: Abfall vermeiden. Wenn das nicht geht, kommt das mechanische Recycling, und erst wenn das an seine Grenzen stößt, kommt das chemische Recycling zum Zuge. Diese Hierarchie ist sinnvoll, weil das chemische Recycling teurer und energieaufwändiger ist. Wir bei Erema versuchen, mit unserer Extrusionstechnologie die chemischen Recycler so zu unterstützen, dass sie potentiell schwierig handzuhabende Materialströme verlässlich und energieeffizient in ihren chemischen Recyclingprozess bringen können. Damit leisten wir einen wichtigen Beitrag, chemisches Recycling so weit zu entwickeln, dass es am Ende eine wirkliche Ergänzung zum mechanischen Recycling sein kann.

Erema bedient also mit seinen Recyclingmaschinen beide Verfahren. Wo sehen Sie welches Potenzial?

Hackl: Für das mechanische Verfahren bieten wir heute schon die gesamte Verfahrenstechnik an. Anhand der stark steigenden Nachfrage in den letzten beiden Jahren sehen wir, wie dynamisch sich das mechanische Recycling entwickelt.

Mit den Chemarema-Anlagen hat Erema ein System zur mechanischen Materialaufbereitung für das Chemische Recycling im Programm.
Mit den Chemarema-Anlagen hat Erema ein System zur mechanischen Materialaufbereitung für das Chemische Recycling im Programm.

Für den chemischen Prozess liefern wir ein Verfahren für die mechanische Aufbereitung, die vielfach am Beginn der Prozesskette steht, um Inputströme für nachfolgende chemische Recyclingprozesse vorzubereiten. Auch in diesem Bereich sehen wir viel Potenzial. Wir haben schon einige Aufträge bekommen. Das ist aber derzeit noch überschaubar, denn es wurden weltweit bisher noch kaum große Werke für das chemische Recycling fertig gestellt. Wir wollen auf jeden Fall beide Potenziale heben.

Wird die Kreislaufwirtschaft durch das chemische Recycling beschleunigt?

Hackl: Das ist frühestens mittel- oder langfristig so. Aber das chemische Recycling kann heute schon helfen, das Image des Kunststoffs zu verbessern. Denn man kann sagen, dass letztlich sehr viele Kunststoffe recycelt werden können. gk

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