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News 20. März 2018

Der künftige Autowerkstoff ist ein Hybrid

Die Werkstoffe für die Mobilität der Zukunft sind Metall-Kunststoff Hybride. Da waren sich alle Experten auf dem PIAE-Kongress einig.
Gut besucht: Rund 1.300 Teilnehmer sind am 14. und 15. März zur VDI-Veranstaltung "Plastics in Automotive Engineering" in das Congress Center Rosengarten nach Mannheim gekommen.
Gut besucht: Rund 1.300 Teilnehmer sind am 14. und 15. März zur VDI-Veranstaltung "Plastics in Automotive Engineering" in das Congress Center Rosengarten nach Mannheim gekommen.

Die Werkstoffe für die Mobilität der Zukunft sind Metall-Kunststoff Hybride. Da waren sich alle Experten auf dem PIAE-Kongress einig.

Kunststoffe als Leichtbauwerkstoff sind schon lange die Entwicklungstreiber im Automobilbau. Doch den künftigen Anforderungen werden Kunststoffe allein nicht gerecht. Die zeigte der diesjährige Fachkongress "Plastics in Automotive Engineering" (PIAE) mit seinen rund 1.300 Teilnehmer am 14. und 15. März in Mannheim. Das etablierte Thema Leichtbau wurde dieses Jahr ganz klar in Richtung hybrider Materialkonzepte diskutiert.

Prof. Rudolf Stauber (r.), langjähriger Kongressleiter der VDI-Veranstaltung „Kunststoffe im Automobilbau“, die jetzt PIAE Plastics in Automotive Engineering heißt, übergibt das Zepter an den künftigen Tagungsleiter Thomas Drescher.
Prof. Rudolf Stauber (r.), langjähriger Kongressleiter der VDI-Veranstaltung „Kunststoffe im Automobilbau“, die jetzt PIAE Plastics in Automotive Engineering heißt, übergibt das Zepter an den künftigen Tagungsleiter Thomas Drescher.

"Leichtbau in Multi-Material-Design ist ein wesentlicher Schlüssel für die Realisierung zukunftsträchtiger, ressourceneffizienter Mobilitätslösungen", sagte der künftige PIAE-Tagungsleiter Thomas Drescher, bei Volkswagen verantwortlich für die Konzernforschung Elektronik und Fahrzeug. Laut Drescher ermöglichen Kombinationen aus Stahl, Alu, Kunststoff, Fasern, eine Verbindung aus formgebenden und umformenden Herstellverfahren und somit komplexere Bauteile. Zudem böten hybride Bauteile Chancen, den Montageaufwand in der Produktion zu erleichtern und Werkzeugkosten zu reduzieren.

Kein Ende der Diät beim E-Auto

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Interessant ist ein neuer Blick auf den Leichtbau bei batterieelektrischen Fahrzeugen. Hier ist nicht mehr wie bislang angenommen die Reichweite das entscheidende Argument. Denn laut Automobil-Experte Prof. Ferdinand Dudenhöffer bringt Leichtbau bei Elektrofahrzeugen aufgund der Energierückgewinnung (Rekuperation) beim Bremsen keine nennenswerten Vorteile hinsichtlich ihrer Reichweite. "Dennoch wird der Leichtbau hier immer wichtiger", erklärte Drescher auf einer Fachpressekonferenz während der PIAE-Tagung, "denn schwere Batterien erfordern den Leichtbau bezüglich der zulässigen Gesamtfahrzeugmasse und der jeweiligen Achs- und Reifentraglasten." Die Reichweite von Elektroautos werde dagegen eher von der Effizienz der Akkus bestimmt.

Thomas Drescher, Leiter Konzernforschung Elektronik und Fahrzeug bei Volkswagen und künftiger Leiter der Tagung Plastics in Automotive Engineering: "Bei der Elektromobilität wird der Leichtbau wichtiger, nicht so sehr wegen höherer Reichweiten, sondern bezüglich der zulässigen Gesamtfahrzeugmasse und der jeweiligen Achs- und Reifentraglasten."
Thomas Drescher, Leiter Konzernforschung Elektronik und Fahrzeug bei Volkswagen und künftiger Leiter der Tagung Plastics in Automotive Engineering: "Bei der Elektromobilität wird der Leichtbau wichtiger, nicht so sehr wegen höherer Reichweiten, sondern bezüglich der zulässigen Gesamtfahrzeugmasse und der jeweiligen Achs- und Reifentraglasten."

Auch bei BMW sieht man die Zukunft im Multimaterialmix. "Der richtige Werkstoff an der richtigen Stelle", so beschreibt Joachim Melzig, Leiter Vorentwicklung Interieur Hausfertigung der BMW Group in Landshut, die Zielsetzung des Autobauers aus Bayern. Die BMW Group hat in dem Sondermodell des aktuellen BMW M4 erstmalig ein Tragrohr aus 100 % Kunststoff im Einsatz. Hier wird eine ehemals Stahlkonstruktion durch eine vergleichbare Struktur aus einem thermoplastischen Hochleistungskunststoff ersetzt. Doch mit Blick auf einen Großserieneinsatz ist die Wirtschaftlichkeit der reinen Kunststoffvariante aufgrund des hohen Materialpreises und der hohen statischen und vor allem dynamischen Kräfte im Bereich der Lenksäule nur sehr schwer zu erreichen.

Metall-Kunststoff-Faser Hybride für die Großserie

"Für die Umsetzung im Großserieneinsatz liegt der Gedanke an einer Metall-Kunststofflösung nahe. Für die Fahrerseite wurde eine Lösung mit einem höheren Metallanteil gewählt. Im Gegenzug dazu konnte auf der Beifahrerseite ein günstiger Kunststoff mit Glasfaserfüllung eingesetzt werden", erklärt Melzig. Laut Melzig bieten damit Metall-Kunststoff Hybride ein hohes Potenzial hinsichtlich bezahlbaren Leichtbau in Verbindung mit Funktionsintegration. Darüber hinaus ergeben sich Vorteile in Montage und Logistik. "Ein wesentlicher Aspekt zur Umsetzung von Hybridstrukturen ist jedoch die intensive, fachbereichsübergreifende Zusammenarbeit unterschiedlicher Technologien."

Jens-Jürgen Härtel, zweiter Vorstandsvorsitzender der Open Hybrid Labfactory, Wolfsburg, bläst in dasselbe Horn. "Ziel muss es sein, neue hybride Werkstoffkombinationen und Prozesstechnologien zu entwickeln, die die Grundlage für eine großserienfähige Herstellung von Leichtbaukomponenten für den Fahrzeugbau darstellen", erklärt er und führt aus: "Aufgrund der vorteilhaften Eigenschaften lastpfadoptimierter Faserhalbzeuge fokussiert die Open Hybrid Labfactory gezielt diejenigen Technologien, die zur wirtschaftlichen Herstellung funktionsorientierter Leichtbaukomponenten in einem Multi-Material-Ansatz aus Kunststoff, Faser und Metall dringend benötigt werden."

Gewichtsersparnis bis zu 40 %

Prof. Dr. Niels Modler, Mitglied des Vorstands am Institut für Leichtbau und Kunststofftechnik der TU Dresden, setzt auf Hybridstrukturen: "Die Kombination verschiedener Werkstoffe ermöglicht eine bestmögliche Ausnutzung des Leichtbaupotenzials der jeweiligen Komponente."
Prof. Dr. Niels Modler, Mitglied des Vorstands am Institut für Leichtbau und Kunststofftechnik der TU Dresden, setzt auf Hybridstrukturen: "Die Kombination verschiedener Werkstoffe ermöglicht eine bestmögliche Ausnutzung des Leichtbaupotenzials der jeweiligen Komponente."

Prof. Dr. Niels Modler, Mitglied des Vorstands am Institut für Leichtbau und Kunststofftechnik der TU Dresden, setzt ebenfalls auf Hybridstrukturen: "Die Kombination verschiedener Werkstoffe ermöglicht eine bestmögliche Ausnutzung des Leichtbaupotenzials der jeweiligen Komponente. Nach Schätzung des VDI ist es möglich, durch Einsatz derartiger Strukturen eine Gewichtsersparnis von bis zu 40 Prozent zu erzielen", erläutert er. Als aktuelles Beispiel nennt er eine neuartige Leichtbau-A-Säule für Porsche, entwickelt in einer neuen 3D-Hybrid-Bauweise aus hochfestem Stahl, endlosfaserverstärktem Thermoplast und faserverstärkter Thermoplast-Rippenstruktur: "Diese hochkomplexe Bauteilstruktur wird in einem vollständig automatisierten und qualitätsüberwachten Fertigungsprozess hergestellt und spart gegenüber einer herkömmlichen A-Säule aus Metall rund fünf Kilogramm an Gewicht. Die Versuche haben darüber hinaus gezeigt, dass die Performance gegenüber der monolithischen Metallbauweise zusätzlich um 25 Prozent gesteigert werden konnte."

Ergo: Der PIAE-Kongress als der weltweit größte Kongress für Kunststoffexperten in der Automobilindustrie hat dieses Jahr den Fokus auf den Leichtbau in Multimaterialbauweise gelegt. Er spielt nicht mehr nur in der Forschung und Entwicklung eine zentrale Rolle, sondern ist längst bei der OEMs und Automobilzulieferern angekommen. Nur durch Materialsubstitution an der richtigen Stelle und Funktionsintegration lässt sich wirtschaftlich Gewicht einsparen.

Neuer Tagungsleiter schreibt Konzept fort

Insgesamt präsentierte sich der Kongress, der bislang unter dem Titel "Kunststoffe im Automobilbau" firmierte, auch in diesem Jahr wieder in Form von strategischen Übersichtsvorträgen aus Markt und Forschung, Kunststoffinnovationen im Fahrzeugbau und Praxisbeispielen seitens der Verarbeiter. So soll es auch künftig unter dem neuen Tagungsleiter Thomas Drescher bleiben, der das Zepter des langjährigen Kongressleiters Prof. Rudolf Stauber übernimmt. "Die Erfolgsgeschichte der Tagung, die dieses Jahr bereits zum 42. Mal stattfand, wird fortgeschrieben", so Drescher. Und was wird anderes? "Mit dem neuen Titel PIAE – Plastics In Automotive Engineering werden wir künftig einen klaren Fokus auf die Internationalisierung legen. Und im Programmausschuss werden wir neben dem VDI selbst und Vertretern der Fahrzeughersteller verstärkt weitere Partner mit einbeziehen, vom Rohstofflieferanten, über die Maschinen- und Werkzeughersteller bis zu den Verarbeitern", kündigte Drescher an.

Im kommenden Jahr wird der internationale Kongress PIAE - Plastics in Automotive Engineering am 3. und 4. April 2019 wie gewohnt in Mannheim stattfinden.

mg

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