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News 2. Oktober 2023

Brinitzer: Unternehmen brauchen eine Verschnaufpause

Interview mit Dr. Ron Brinitzer, Geschäftsführer Kunststoffland NRW, zu den aktuellen Herausforderungen der Kunststoffbranche.

Dr. Ron Brinitzer, Geschäftsführer Kunststoffland NRW: „Die Unternehmen sind mit sehr hohen Kosten und umfangreichen Anforderungen konfrontiert, die ihnen das Leben schwer machen.“
Dr. Ron Brinitzer, Geschäftsführer Kunststoffland NRW: „Die Unternehmen sind mit sehr hohen Kosten und umfangreichen Anforderungen konfrontiert, die ihnen das Leben schwer machen.“

NRW ist „das“ Kunststoffland in Deutschland und traditionell auch das Bundesland mit den meisten Ausstellern auf der Fakuma. Im Vorfeld der Messe sprachen wir mit Dr. Ron Brinitzer, Geschäftsführer Kunststoffland NRW, über die Stimmung in Nordrhein-Westfalen, die aktuellen Herausforderungen für die Branche und mögliche Lösungen.

Die Fakuma steht in den Startlöchern. Wie ist das Stimmungsbild bei Ihren Mitgliedern kurz vor Messebeginn? Welche Themen sind die Haupttreiber?

Dr. Ron Brinitzer: Die Fakuma ist neben der K für die NRW-Kunststoffindustrie die wichtigste Messe im deutschsprachigen Raum. NRW ist deshalb stark vertreten und auch wieder mit dem vom Land geförderten Gemeinschaftsstand präsent. Von den 24 Ausstellern dort sind viele unsere Mitglieder. Viele weitere sind mit Einzelständen vertreten. Das zeigt, wie wichtig die Messe für die Wertschöpfungskette Kunststoff in NRW und für unsere Mitglieder ist.

Fokusthemen werden einmal mehr Nachhaltigkeit, Kreislaufwirtschaft und Recycling sein, Themen also, die uns schon länger begleiten und die uns auch noch länger begleiten werden, denn auf dem Weg zu geschlossenen Kreisläufen hat die Kunststoffindustrie noch eine Wegstrecke vor sich. Die Themen spiegeln auch unsere Verbandsarbeit gut wider, denn wir versuchen unsere Mitglieder natürlich bei dieser Mammutaufgabe zu unterstützen.

Messen sind aber immer auch Stimmungsbarometer und die Stimmung in der Industrie ist momentan alles andere als gut. Ohne Pessimismus verbreiten zu wollen: Das Erschreckende derzeit ist, dass eigentlich alle Segmente der Wertschöpfungskette zu kämpfen haben. Die Rohstoffhersteller in der Großchemie leiden unter den hierzulande zu hohen Energiepreisen, die ihre globale Wettbewerbsfähigkeit in Frage stellen, die vielen mittelständischen Verarbeiter kämpfen mit einem Nachfrageeinbruch aufgrund hoher Inflation und Zinssteigerungen gerade im Konsumgüterbereich oder auf dem Bau und die Recycler können ihre Rezyklate nicht mehr verkaufen, weil Neuware immer billiger angeboten wird. Deshalb bin ich sehr gespannt, ob die Leitthemen vor dem Hintergrund der wahrlich schwierigen Situation wirklich zünden werden.

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Mit welchen Aktivitäten wird Ihr Verband auf der Fakuma präsent sein?

Brinitzer: Zunächst ist Kunststoffland selbst auf dem NRW-Landesgemeinschaftsstand vertreten, hier hoffen wir auf viele gute Gespräche und neue Kontakte. Daneben ist die Messe immer auch Gelegenheit unsere Mitglieder zu treffen und zu hören wie das Geschäft läuft. Und schließlich freuen wir uns, dass wir wieder im Rahmen eines Messerundgangs, diesmal mit der NRW-Wirtschaftsstaatssekretärin Silke Krebs, die Gelegenheit haben werden, nicht nur die Stärken der NRW-Kunststoffindustrie zu erläutern, sondern gerade vor dem derzeitigen wirtschaftlichen Hintergrund auch die Sorgen und Notwendigkeiten der Branche zu transportieren.

Losgelöst von der Fakuma. Sie bilden mit Ihren Mitgliedern die gesamte Wertschöpfungskette ab, Ihr Verband ist Sprachrohr für die gesamte Branche. Welche Themen müssen jetzt dringend für die Kunststoffbranche vorangetrieben werden? Welche Projekte stehen an?

Die Situation in der Branche ist schwierig und zwar in allen ihren Teilen. Das mag ganz unterschiedliche Ursachen haben, aber am Ende sind die Unternehmen einfach mit sehr hohen Kosten und umfangreichen Anforderungen konfrontiert, die ihnen das Leben schwer machen. Darunter leidet das gesamte verarbeitende Gewerbe.

Als allererstes sind da die Energiepreise zu nennen, über die wir uns nicht zu wundern brauchen, weil sie Folge einer Angebotsverknappung sind. Der Aufbau neuer Erzeugungskapazitäten wird dauern. Deshalb müssen wir jetzt über einen Industriestrompreis genauso diskutieren wie über Entlastungen für den Mittelstand, denn darunter leiden tun alle.

Hier frage ich mich schon seit Jahren, warum wir in Deutschland politisch induzierte Preisbestandteile wie etwa die Stromsteuer oder den nationalen CO2-Preis nicht cleverer konstruieren, so dass sie automatisch abgesenkt werden, wenn der Marktpreis über ein bestimmtes Niveau steigt und sie erhöht werden, wenn der Marktpreis unter ein bestimmtes Niveau fällt. Schwankungen würden so ausgeglichen und Unternehmer könnten besser kalkulieren.

Darüber hinaus sollte die Politik dafür sorgen, dass nicht andauernd neue Belastungen auf die Unternehmen zukommen. Wenn ich mir angucke, was da alles noch auf die Kunststoffindustrie zurollt, wird mir ehrlich angst und bange: EU-Verpackungsverordnung, Altautoverordnung, CBAM, PFAS-Regulierung, und, und, und – das alles sind Regelungen, die enorme Kraftanstrengung erfordern und Geld kosten werden.

Die Unternehmen brauchen jetzt eine Verschnaufpause! Wir versuchen, in der Politik ein Bewusstsein für die Folgen dieser sicherlich gut gemeinten Vorhaben zu schaffen, etwa wenn wir im Oktober in Brüssel einen parlamentarischen Lunch für Europaabgeordnete machen, um aufzuzeigen, welche verheerenden Folgen ein Verbot von Fluorpolymeren für die gesamt Industrie und den Wirtschaftsstandort hätte.

Und da, wo wirtschaftliche Chancen bestehen, da muss Politik die Bremsen lösen. Wir wissen alle, wie schwer es ist, wenn hier jemand Genehmigungen braucht oder etwas Neues machen will. Ich glaube in Bezug auf die Kunststoffindustrie fest daran, dass das chemische Recycling neben dem mechanischen Recycling eine feste Rolle bei der Schließung der Kreisläufe einnehmen wird, und gerade wir in NRW könnten davon profitieren. Aber weder bei der Schaffung einer separaten Quote für das chemische Recycling im Verpackungsgesetz bis 2030, wie wir sie als Erste vorgeschlagen haben, noch bei der Anerkennung der Massebilanzierung sehe ich schnelle Erfolge.

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