Direkt zum Inhalt
Technik 7. Februar 2020

"Man muss Melamin differenziert betrachten"

Was ist dran an der Kritik an Konsumprodukten aus Melaminkunststoff? Ein Interview mit Dr. Holger von der Emde klärt auf.
Dr. Holger von der Emde, Geschäftsführender Gesellschafter der Ornamin-Kunststoffwerke: „Qualitätsmelamingeschirr erfüllt die hohen europäischen Anforderungen selbstredend.“
Dr. Holger von der Emde, Geschäftsführender Gesellschafter der Ornamin-Kunststoffwerke: „Qualitätsmelamingeschirr erfüllt die hohen europäischen Anforderungen selbstredend.“

Was ist dran an der Kritik an Konsumprodukten aus Melaminkunststoff? Ein Interview mit Dr. Holger von der Emde klärt auf.

Die aktuelle Debatte um die Qualität von Konsumprodukten aus Melaminkunststoff hat für eine gewisse Verunsicherung der Verbraucher gesorgt. Um Klarheit in die Diskussion zu bringen sprach die K-ZEITUNG mit Dr. Holger von der Emde, Geschäftsführender Gesellschafter der Ornamin-Kunststoffwerke GmbH & Co. KG, einem mittelständischen Familienunternehmen aus Minden/Westfalen, das innovative Ess- und Trinkhilfen entwickelt und produziert.

Herr Dr. von der Emde, was macht Kunststoffprodukte aus Melamin so besonders?
Dr. Holger von der Emde: Im Allgemeinen zeichnen sich Kunststoffprodukte aus Melamin durch eine besonders hohe optische und haptische Wertigkeit aus. Zudem sind Produkte aus Melamin extrem bruchstabil und dadurch sehr lange haltbar. Geschirr aus Melamin ist im Vergleich zu anderen Materialien wie Porzellan drei- bis fünfmal länger haltbar. Somit bietet Melamin neben ökonomischen auch ganz klare ökologische Vorteile.

Melamin verfügt über viele positive Materialeigenschaften

Weitere positive Materialeigenschaften im Sinne der Nachhaltigkeit sind niedrige Verarbeitungstemperaturen und das geringe Gewicht, wodurch weniger Emissionen beim Transport entstehen. Die niedrige Wärmekapazität von Kunststoffprodukten aus Melamin sorgt zudem für zusätzliche Energieeinsparung während des Gebrauchs. So kann zum Beispiel im Bereich der Gemeinschaftsverpflegung, zum Beispiel in Mensen, auf beheizte Tellerspender verzichtet werden. Ebenso sind weniger Aufheizzyklen während der Spülmaschinennutzung  notwendig. Des Weiteren verfügt Melamingeschirr über eine einzigartige Oberflächenbrillanz und ist aufgrund der Härte des Materials schnitt- und kratzfest.

Ad

Kaffeebecher to-go aus Bambus sind in aller Munde. Der Stiftung Warentest hat jüngst viel Kritik zur Qualität geübt. Wo trennt sich hier die Spreu vom Weizen gerade im Vergleich zu herkömmlichen Melamin-Mehrwegbechern aus Kunststoff?
von der Emde: Zunächst einmal bestehen die sogenannten „Bambus-Becher“ in Wirklichkeit häufig aus mit Bambusfasern gefülltem Melaminharz. Vergleicht man jedoch unterschiedliche Melamin-Becher miteinander, trennt sich die Spreu vom Weizen hinsichtlich der Auswahl des verarbeiteten Harzes und der Seriosität der Verarbeitung: Entscheidend ist, dass das verwendete Harz über eine Lebensmittelzulassung verfügt und dass es aufgrund der Verarbeitungstemperatur sowie der Aushärtezeit im Produktionsprozess chemisch vollständig ausreagiert. Nur wenn die Qualität des Materials sowie des Verarbeitungsprozesses sicher gestellt ist, können überhaupt erst die anspruchsvollen Migrationswerte gemäß EU Richtlinie VO (EU) 10/2011 eingehalten werden. Qualitätsmelamingeschirr erfüllt die hohen europäischen Anforderungen selbstredend.

Das Bundesinstitut für Risikobewertung hat in seiner Stellungnahme Nr. 046/2019 vom 25. November 2019 vor der Verwendung von Melamingeschirr, gerade in Bezug auf das Einfüllen heißer Medien gewarnt. Ist das gerechtfertigt?
von der Emde: Unter der Grundannahme, dass es sich um Qualitätsmelamingeschirr gemäß EU Richtlinie VO (EU) 10/2011 handelt und das Melamingeschirr zweckmäßig verwendet wird, ist der Stellungnahme des BfR eindeutig zu widersprechen. Vielmehr stimmen wir der früheren Stellungnahme des BfR Nr. 012/2011 zu, dass Verbraucherinnen und Verbraucher darauf verzichten sollen, „[...] Geschirr oder Küchenutensilien aus Melaminharz beim Braten und Kochen oder zum Erhitzen von Lebensmitteln in der Mikrowelle zu verwenden.“

Weiter heißt es dort auch: „Werden die Produkte bei Temperaturen bis zu 70 °C verwendet, bestehen aus gesundheitlicher Sicht keine Bedenken. Das trifft beispielsweise auf das Einfüllen von heißen Getränken und Speisen in Becher, Schüsseln oder Teller zu.“

Die aktuelle Empfehlung des BfR aus der Stellungnahme Nr. 046/2019 kann ich als Chemiker unter Berücksichtigung der in der EU Richtlinie VO (EU) 10/2011 formulierten Grenzwerte wissenschaftlich nicht nachvollziehen. Sie entbehrt meines Erachtens nach einer rationalen Grundlage.

Engmaschige Kontrollen der deutschen Hersteller

Als Geschirrhersteller, der in Deutschland produziert, kann ich zudem aus eigener Erfahrung bestätigen, dass die Lebensmittel- und Veterinärämter sehr engmaschig und in regelmäßigen Abständen auf Basis unangekündigter Besuche vor Ort die Produktqualität überprüfen. Dabei unterliegt die Untersuchung der Stichproben den bereits sehr strengen Richtwerten der EU-Richtlinie VO (EU) 10/2011. Zumindest für unsere Produktion und unsere Produkte kann ich sagen, dass diese Prüfungen, ergänzt um eigens veranlasste Untersuchungen bei zugelassen Laboren, den Schutz des Verbrauchers sicherstellen.

Importe aus Fernost machen Probleme

Und wo liegt nun das Problem?
von der Emde: Das eigentliche Problem in der Melamin-Diskussion sind allzu häufig die aus Fernost stammenden Importe – auch die vermeintlichen Bambus-Becher oder anderes Bambus-Geschirr. Wie genau die Überprüfung der Waren aus dem Ausland gewährleistet wird, entzieht sich meiner Kenntnis. Allerdings gehe ich aufgrund von Erfahrungsaustausch mit anderen Unternehmen davon aus, dass im Vergleich zu in Deutschland produzierten Waren verhältnismäßig weniger genau kontrolliert wird. Das Problem potenziert sich, wenn Handelsware erst am Point-of-Sale geprüft wird. Gleichzeitig werden damit die Qualitätsanbieter von Melaminkunststoff in Sippenhaft genommen.

Was könnte man tun, um das Image von Kunststoffprodukten im Allgemeinen und Melaminkunststoff im Besonderen zu verbessern?
von der Emde: Zunächst einmal ist, abgesehen von der Möglichkeit des werkstofflichen Recyclings bei thermoplastischen Kunststoffen, meiner Meinung nach keine generelle Unterscheidung zwischen Kunststoffprodukten und Melaminkunststoffprodukten notwendig. Die wichtigste Frage ist, ob sich die Produzenten an die gesetzlichen Vorgaben halten und gegenüber den Verbrauchern eine transparente Konformitätsarbeit leisten.

Kunststoff ist ökonomisch und ökologisch häufig überlegen

Zudem wäre eine differenzierte Stellungnahme und Berichterstattung hinsichtlich Mehrweg- und Einwegprodukten aus Kunststoff von großer Bedeutung. Setzt man Kunststoff sinnvoll ein, erhält man extrem nachhaltige Produkte, die solchen aus alternativen Materialien ökonomisch sowie ökologisch häufig überlegen sind. Denn die Materialeigenschaften von Kunststoff bieten auf der gesamten Prozesskette Vorteile: niedrige Verarbeitungstemperatur, niedriges Gewicht und damit Vorteile beim Transport und Wiederverwertbarkeit.

Innerhalb vernünftiger Rückgabesysteme können Kunststoffprodukte werkstofflich recycelt werden, sodass aus ihnen Rohmaterial gewonnen und somit ihr Lebenszyklus weiter verlängert werden kann – Stichwort Cradle to Cradle.

Aus Nachhaltigkeitsaspekten ist und bleibt Kunststoff ein unschlagbares Material, ein verantwortungsvoller Umgang in Sachen Erzeugung, Verarbeitung, Verwendung und Entsorgung mit dieser „Ressource“ vorausgesetzt. Und genau das muss in einer differenzierten Berichterstattung herausgearbeitet werden – denn den „Kunststoffmüll im Meer“ mit nachhaltigen Kunststoffprodukten über einen Kamm zu scheren, ist meines Erachtens nach ungerechtfertigt und erzeugt zunehmend eine Abwehrhaltung in der Gesellschaft gegenüber einer außerordentlich leistungsfähigen und nachhaltigen Materialklasse.

gk

Passend zu diesem Artikel

Die Dosieranlagen DM 40x von Sonderhoff tragen Fermapor K31 Fast-Cure Schaumdichtungen konturgenau auf die Tür-Module auf, während der 6-Achsen-Roboter für das Teilehandling zuständig ist.
Technik
Große Vielfalt für den Automobilbau in Schanghai
Sonderhoff präsentiert seine Produkte für die Automobilindustrie in China auf der 17. Shanghai International Automobile Industry Exhibition. Besondere Highlights auf dem Sonderhoff-Stand sind die emissionsarmen und schnell härtenden Polyurethan-Schaumdichtungssysteme Fermapor K31 und die neu entwickelten 2-Komponenten-Klebstoffe Fermaglue auf Polyurethanbasis. Die Besucher erleben die Präzision der 3-Komponenten-DM 403 Misch- und Dosiermaschine bei Live-Demonstrationen am Stand.