„Wir sehen den Trend zu günstigen Standardmaschinen“
Materialengpässe, die neue, günstige Standardmaschinen-Baureihe Smartplus und eine eigene Steuerung – darüber sprach die K-ZEITUNG mit der Wittmann Group.
Im Interview mit der K-ZEITUNG verraten Rainer Weingraber, Geschäftsführer Wittmann Battenfeld, und Valentia Faloci, Leiterin Vertrieb, wie die aktuelle Geschäftslage ist, welche Gründe es für den Start der neuen, kostengünstigen Standardmaschinen-Baureihe Smartplus gibt – und warum das Unternehmen nun die Steuerungen für Spritzgießmaschinen selbst entwickeln will.
Herr Weingraber, wie ist bei Ihnen aktuell die Auftragslage?
Rainer Weingraber: Unsere Auftragslage ist sehr gut, weltweit verzeichnen wir sehr hohe Auftragseingänge. Die Wirtschaft wächst insgesamt in einem sehr rasanten Tempo, was 2020 so in keiner Weise absehbar war. Das führt in gewisser Weise zu Überhitzungen, die dann zum Teil auch in Materialknappheit und Materialpreiserhöhungen am Zuliefersektor münden.
Können oder müssen Sie die gestiegenen Materialpreise an Ihre Kunden weitergeben?
Weingraber: Wir versuchen, die Preise im Grunde so weit wie möglich stabil zu halten und nur dort weiterzugeben, wo es absolut notwendig ist. Rabattierungen gestalten wir aus diesem Grund deutlich vorsichtiger als beispielsweise noch vor einem Jahr. Generell agieren wir sehr vorsichtig an diesem Punkt, weil sich Materialpreise über die Zeit immer in gewissen Kurven bewegen. Das heißt, die Preise für bestimmte Vorprodukte werden auch wieder sinken. Grundsätzlich bewegen sich unsere Preisanpassungen in einem Rahmen, der für die Kunden sehr gut nachvollziehbar ist. Wir wollen aus der jetzigen Situation keinen Profit schlagen. Es muss am Ende des Tages fair sein –auf das wollen wir ein besonderes Augenmerk legen. Alle unsere Kunden kämpfen aktuell mit Materialverknappungen, kennen also die Situation.
Valentina Faloci: Es gibt derzeit auch weniger eine Preisdiskussion mit den Kunden. Es ist eher das Thema Verfügbarkeit und Lieferzeiten, das die Kunden umtreibt. Dabei geht es am Markt nach meiner Wahrnehmung auch nicht darum, wer am schnellsten, sondern wer am zuverlässigsten liefern, also das versprochene Lieferdatum einhalten kann. Und hier pokern wir nicht.
Deutlich längere Lieferzeiten für Spritzgießmaschinen
Inwiefern haben sich die Lieferzeiten bei Standardmaschinen erhöht?
Faloci: Vor einem halben Jahr hatten wir noch zehn bis zwölf Wochen Lieferzeit bei Standardmaschinen, heute liegen wir teilweise bei über 20 Wochen. Unsere Auftragsbücher sind sehr gut gefüllt, zum Teil bis ins erste Quartal 2022 hinein. Doch ich bin mir sicher, dass sich die Lage auch wieder stabilisieren wird.
Weingraber: Bei gewissen Vorprodukten sehen wir auch schon eine Stabilisierung. Beim Stahlpreis zum Beispiel gehe ich davon aus, dass wir die Spitze erreicht haben. Auf welchem Niveau sich der Preis einpendeln wird, wird man sehen. Doch damit kommen wir zurecht in der Produktion. Der einzige Bereich, in dem die Materialbeschaffung nach wie vor extrem schwierig ist, ist die Elektronik. Und da lässt sich auch nicht sagen, wie sich dies in den nächsten Monaten weiterentwickeln wird. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als in sehr engem Kontakt zum Lieferanten zu sein und eine gewisse Flexibilität zu zeigen.
Bereiten Ihnen aktuelle Logistikthemen wie mangelnde Container-Verfügbarkeit oder die Schließung von chinesischen Häfen Probleme?
Weingraber: Die geschlossenen Häfen in China führen definitiv zu Lieferverzögerungen. Und die Preise für Transport und Logistik haben sich in den vergangenen Monaten wesentlich erhöht. Wir selbst beziehen aus China nicht besonders viele Bauteile für unsere Maschinen. Doch einige unserer Lieferanten beziehen natürlich Komponenten aus China – und insofern sind wir indirekt betroffen.
Der deutsche Markt war vergangenes Jahr das Sorgenkind von Wittmann Battenfeld. Sind diese Sorgen kleiner geworden?
Faloci: Ja definitiv, der deutsche Markt ist zurück, die Nachfrage aus der Automobilindustrie hat wieder angezogen. Wir sind sehr zufrieden mit der Entwicklung, wenn wir auch nicht wieder in allen Bereichen auf dem Vor-Corona-Niveau sind. Wir schauen gespannt, aber auch zuversichtlich auf die weitere Entwicklung des deutschen Marktes.
Sie haben Anfang dieses Jahres den Vertrieb neu ausgerichtet und sechs wichtige Felder dafür identifiziert: Medizintechnik, Mikrospritzguss, Packaging-Technologien, Elastomertechnik, Mehrkomponenten-Spritzguss und Leichtbau. Wie hat sich diese neue Organisationsstruktur in den ersten Monaten bewährt?
Faloci: Wir sind mit der neuen Vertriebsstruktur unserem Ziel näher gekommen, weiter zu diversifizieren. An der ein oder anderen Stelle haben wir neue Kunden und Aufträge für uns gewinnen können, die uns bei den genannten Themen bislang nicht auf ihrer Agenda hatten. Der Vertrieb in den Niederlassungen hat außerdem jetzt einen wesentlich besseren Zugriff auf das Know-how etwa im Verpackungsbereich als früher.
Weingraber: Wir haben gesehen, dass wir die Expertise, die wir ja größtenteils auch vorher schon im Haus hatten, heute näher und schneller zum Kunden bringen können. Durch die neue Organisationsstruktur und zum Teil durch neue Mitarbeiter für die neuen Zielmärkte haben sich die Kommunikationswege intern deutlich verkürzt – nicht zuletzt durch die digitalen Möglichkeiten von Wittmann Interactive.
In diesem Jahr nicht mehr als 400 Mio. EUR Umsatz
Werden Sie trotz der großen Herausforderungen einen Umsatz von über 400 Millionen Euro erzielen können?
Weingraber: Die Auftragsbücher würden es hergeben, aber aufgrund der Materialversorgungsengpässe rechne ich damit nicht mehr. Aber wir sind wieder auf Wachstumskurs – und wir haben in den vergangenen Jahren hier in Kottingbrunn kräftig investiert, um dieses Wachstum stemmen zu können. Und auch organisatorisch haben wir uns in der Firmengruppe für das Wachstum vorbereitet.
Können Sie uns ein Update zu Ihren Neubauprojekten geben?
Weingraber: Die größte Investition und Baustelle ist die Logistikhalle. Außerdem haben wir die Produktionsflächen für Groß- und Sondermaschinen noch einmal erweitert und auch das Technikum technisch auf den neuesten Stand gebracht, indem wir zum Beispiel Wittmann Interactive integriert haben, sodass wir auch Maschinenabnahmen digital besser durchführen können. Auch den Trainingsbereich haben wir vergrößert, um hier vor Ort besser Trainings durchführen zu können.
Am Standort Ungarn haben Sie im Frühjahr 2020 ein Nachbargrundstück dazugekauft. Wird das bereits für die Produktion genutzt?
Weingraber: Wir sind in Ungarn derzeit dabei, die Produktionskapazitäten bis an die Grenzen auszubauen, sodass wir den Output an Spritzgießmaschinen und Peripherie dort verdoppeln können. Maschinenseitig legen wir den Fokus in Ungarn auf Standardmaschinen.
Einstieg in das Volumengeschäft mit günstigen Standardmaschinen
Sie steigen mit der servohydraulischen Maschinenbaureihe Smartplus nun in das Geschäft mit Standardmaschinen mit begrenzten Optionsumfängen ein – ein großer Schritt für Wittmann Battenfeld, weil es hier ja um das Volumengeschäft geht, oder?
Weingraber: Ja genau, in Ungarn wird künftig das Gros der neuen Smartplus Spritzgießmaschinen produziert. Prinzipiell ist dies aber auch in Kottingbrunn möglich, weil die Produktionslogiken in beiden Werken gleich sind. Aber in der Tat ist das für uns eine neue Herausforderung, weil wir für die Smartplus-Maschinen eine Produktionslinie ausbauen, in der wir den Produktionstakt deutlich reduzieren wollen. Doch das bedeutet auch, dass wir in vielen Bereichen eine stärkere Standardisierung und Prozessorientierung benötigen – bis hin zur Lagerhaltung.
Ist die Smartplus-Baureihe eine Antwort auf die europäischen und asiatischen Wettbewerber am Markt, die seit einiger Zeit verstärkt standardisierte Spritzgießmaschinen anbieten?
Faloci: Die Stärke von Wittmann Battenfeld war und ist, dass wir bei unseren Maschinen immer eine sehr, sehr hohe Flexibilität anbieten. Das wollen wir auch beibehalten. Diese Stärke ist gleichzeitig aber in gewisser Weise auch unsere Schwäche, weil wir Kunden, die für Standardanwendungen eine kostenoptimierte Maschine mit kurzen Lieferzeiten wünschen, keine Lösung anbieten konnten. Und genau für diese Zielgruppe sind die Smartplus-Maschinen konzipiert. Die asiatischen Anbieter am Markt sehen wir dabei nicht unbedingt als direkte Wettbewerber.
Valentia Faloci
„Smartplus ist unsere neue Lösung für die Kunden, die für Standardanwendungen eine kostenoptimierte Maschine mit kurzen Lieferzeiten wünschen.“
Wie schnell sollen diese Standardmaschinen lieferbar sein?
Faloci: Es gibt zwei Möglichkeiten: Zum einen werden wir Smartplus-Basismaschinen am Lager in Ungarn und in den Niederlassungen vorhalten, sodass diese Maschinen schnell mit Optionspaketen nachrüstbar sind. Das heißt, diese Maschinen sind sehr schnell lieferbar. Zum anderen kann der Kunde eine Smartplus-Maschine selbst konfigurieren. Doch dabei werden im Gegensatz zur Smartpower-Baureihe natürlich nicht alle Optionen nachrüstbar sein. Dazu gehören zum Beispiel die Parallelbewegung durch die Doppelpumpe oder die Proportionalventile. Die Zahl der verfügbaren Optionen liegt bei der Smartplus zwischen 50 und 100, während es bei der Smartpower weit mehr als 1000 Optionen gibt.
Welche Baugrößen sind angedacht?
Faloci: Wir gehen davon aus, dass vor allem kleinere Schließkräfte, also 600 oder 900 kN, gefragt sind. Aber wir schließen für die Zukunft auch größere Maschinen in der Baureihe nicht aus.
Auf welchen Märkten sehen Sie vor allem Potenzial für die Smartplus-Maschinen?
Faloci: Ich gehe davon aus, dass dies für die osteuropäischen Länder sowie für Italien und Spanien ein sehr interessantes Produkt ist. Sehr gespannt bin ich auf die Reaktion des deutschen Markts, der ja bekannt dafür ist, dass er individuelle Maschinenkonfigurationen mit vielen Sonderoptionen bevorzugt.
Weingraber: Die Smartplus-Baureihe soll uns die Türen öffnen zu Märkten und Kunden, die wir in der Form bislang nicht bedient haben – nicht nur in Europa, sondern zum Beispiel auch in Asien. Wir gehen davon aus, dass wir damit in Zukunft neues Wachstumspotenzial generieren werden.
Erstmals komplett selbstentwickelte Steuerungsgeneration
Rainer Weingraber
„Wir haben in der Gruppe das Know-how für Steuerungstechnik und elektronische Komponenten. Insofern ist die eigene Steuerung ein logischer Schritt.“
Die neue Maschinenbaureihe wird auch eine neue Steuerung haben. Was steckt dahinter?
Weingraber: Wir haben in der Unternehmensgruppe durch die Automation und Peripherietechnik das Know-how für Steuerungstechnik und elektronische Komponenten. Außerdem haben wir auch bisher schon für die Spritzgießmaschinen die Steuerungssoftware selbst entwickelt – insofern ist es für uns ein logischer Schritt, erstmals mit einer eigenen Steuerung in Serie zu gehen. Die neue Maschinenbaureihe ist insofern ein sehr guter Startpunkt dafür, in den nächsten Jahren werden auch weitere Baureihen mit der eigenen B8-Steuerung ausgestattet.
Faloci: Ich will aber hinzufügen, dass sich durch diese Entscheidung für den Bediener im Prinzip nichts ändert. Er erhält weiterhin seine gewohnte Bedienlogik, da wird er sich nicht umstellen müssen.
Auf der Fakuma wird die Smartplus-Produktionszelle mit einem neuen Condition Monitoring System mit dem Namen CMS-Light ausgestattet sein. Was steckt dahinter? Und was unterscheidet es von Ihrem bisherigen CMS-System?
Weingraber: Das bisherige CMS-System war ursprünglich ausgelegt für große, umfangreiche Spritzgießmaschinen wie die Macropower-Serie mit sehr viel Sensorik – und somit war das CMS selbst auch sehr komplex. Für einfachere Maschinen wie beispielsweise die neuen Smartplus ist dieses System einfach nicht passend. Das ist wie mit Kanonen auf Spatzen zu schießen. Kein Kunde wird eine einfache Standardmaschine mit aufwändiger Sensorik ausrüsten. Doch auch diese Kunden wollen zunehmend Condition Monitoring Systeme – und genau die bedienen wir mit dem CMS-Light. Das neue System wird sich gezielt auf die Analyse bestimmter kritischer Komponenten wie beispielsweise die Pumpe konzentrieren und unter anderem einen sogenannten achsabhängigen Gesundheitsfaktor ermitteln. Die jeweiligen Gesundheitsfaktoren geben dem Bediener eine Rückmeldung über etwaigen Verschleiß oder Probleme in der zugehörigen Bewegungsachse der Maschine. Damit können wir das System auch zu einem niedrigeren Preis anbieten als das bestehende CMS-System, das wir übrigens auch weiter entwickeln. Wir sind überzeugt, dass die Zustandsüberwachung künftig eine große Rolle spielen wird.
Eine ganze Reihe von neuen Produkten gibt es also bei Wittmann Battenfeld zur Fakuma. Welche Erwartungen haben Sie an die Messe?
Weingraber: Wir bereiten uns auf die Fakuma so vor, wie wir es in der Vergangenheit immer gemacht haben – mit sehr hoher Motivation und hohem Engagement. Wir sind sehr gut vorbereitet. Wir erwarten, dass die Besucher vorrangig aus Deutschland, Österreich und der Schweiz kommen. Durch das Hygienekonzept werden wir heuer auch weniger Exponate auf dem Stand zeigen als in der Vergangenheit. Und auch die Zahl der Mitarbeiter auf dem Stand haben wir leicht reduziert. Was wir den Besuchern nicht live vor Ort zeigen können, bringen wir ihnen über Wittmann Interactive nahe. Das heißt, über das Tool können wir live in die Niederlassungen zu den Experten vor Ort schalten, um ein Verfahren oder eine Anwendung zu zeigen. Wir schauen sehr positiv und mit Vorfreude auf die Messe.
Sabine Koll
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