Institutsleiter Prof. Dr. Endres führte auf dem IKK-Kolloquium durch das IKK-Technikum : Hier finden sich moderne Maschinen zur Durchführung von Recyclingprozessen sowie Entwicklung neuer hochwertiger Rezyklate auch für den Automobilbau.
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Institutsleiter Prof. Dr. Endres führte auf dem IKK-Kolloquium durch das IKK-Technikum : Hier finden sich moderne Maschinen zur Durchführung von Recyclingprozessen sowie Entwicklung neuer hochwertiger Rezyklate auch für den Automobilbau.

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„Wir brauchen mehr Intelligenz beim Recycling“

Künftige Recyclingquoten erfordern neue Kunststoffstrategien im Automobilbereich. Das IKK-Kolloquium in Hannover zeigte konkrete und potenzielle Wege zu mehr Nachhaltigkeit.

Das IKK - Institut für Kunststoff- und Kreislauftechnik führt jährlich unter dem Leitthema „Nachhaltig mit Kunststoffen“ ein Kolloquium statt, dieses Jahr ging es mit Blick auf geplante Recycling-Quoten um neue Kunststoffstrategien im Automobilbau. In hochkarätigen Vorträgen wurden konkrete Lösungsansätze zum Recycling von Kunststoffen und Kunststoffbauteilen im Automobilbereich vorgestellt.

Dieses Jahr lud das IKK Anfang Juni auf den Maschinenbau Campus der Leibniz Universität Hannover. Institutsleiter Prof. Dr.-Ing. Hans-Josef Endres begrüßte auf dem IKK-Kolloquium zahlreiche Teilnehmer aus Industrie, Forschung und Branchenverbänden.

Recycling mit mehr Intelligenz

Das IKK selbst erforscht mit Schwerpunkt auf Recycling, Ressourceneffizienz und Carbon-Footprint den gesamten Lebenszyklus von fossilen und biobasierten Kunststoffen, von der Materialentwicklung bis zur Anwendung. Seinen Eröffnungsvortrag schloss Prof. Dr. Endres mit der Aussage: „Wir brauchen deutlich mehr Intelligenz beim Recycling, wenn wir das langfristige Ziel einer geschlossene Kreislaufwirtschaft, insbesondere in der Automobilindustrie, erreichen wollen.“ Zunächst gelte es „mehr Qualität ins Rezyklat zu bringen.“ Hier spiele die Forschung eine wichtige Rolle, „Analytik ist wesentlich für die Qualität beim Recycling.“ Laut Endres ließe sich über valide Inline-Messungen im Prozessstrom die Qualität sofort überprüfen und bei Abweichung könne der Verarbeiter bereits im laufenden Prozess gegensteuern.

Künftige Recyclingquoten im Automobil

Über zukünftige EU-Vorgaben bei Kunststoffen im Automobilbau sprach Frank Stammer von Tecpart, dem Verband für Technische Kunststoffprodukte. Laut Stammer reichen der EU die freiwilligen Verpflichtungen der Industrie zum Einsatz von Rezyklaten nicht, daher geht die Politik künftig den Weg gesetzlich vorgeschriebener Quoten. „Der Begriff Rezyklat ist gesetzlich nicht geschützt, die Gefahr des Greenwashing entsprechend hoch“, gab Stammer zu Bedenken. Eine entsprechende Entwicklung, Überarbeitung und Aktualisierung von entsprechenden Normen sei daher unerlässlich „Außerdem ist noch zu klären, auf welcher Grundlage wir die Quoten wie berechnen.“ .

Laut Stammer plant die EU eine Verordnung, die bis 2035 einen Rezyklat-Einsatz im Fahrzeugbau von mindesten 20 % vorsieht. „Bei der derzeitigen Recycling-Infrastruktur ist dies nicht zu schaffen, denn wir haben schlicht ein Mengenproblem“, so Stammer.

Mehr Qualität ins Rezyklat!

Christian Schiller, Geschäftsführer und Gründer von Cirplus, einem globalen digitalen Marktplatz für zirkuläre Kunststoffe, ergänzte diese Aussage. „Wir haben eigentlich kein Mengenproblem, sondern wir haben ein Qualitätsproblem.“ Abfälle gebe es in großen Mengen, doch würde aus diesen „zu wenig Qualität gezogen.“ Die Folge: Rezyklate in verlässlichen Qualitäten sind Mangelware, die geplanten Quoten im Automobilbau sind daher nicht erreichen.

Die Gründe für diese Situation sieht Schiller in einem Zusammenspiel folgender Faktoren: Intransparente Abfallmärkte, volatile Rezyklat-Märkte und unterentwickelte Recyclingtechnologien. Gerade mit Blick auf Intransparenz und Volatilität der Märkte könne „Künstliche Intelligenz als Schlüsseltechnologie für den Rezyklat-Einsatz im Automobil“ sehr nützlich sein, so Schiller in seinem gleichlautenden Vortag auf dem IKK-Kolloquium. Auf den Märkten beobachte er immer wieder Preisdiskussionen, „Nachhaltigkeit darf nichts kosten,.“

Doch es wird die Zeit kommen, wo die Einkäufer auch Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigen müssen. „Spätestens dann müssen wir Angebot und Nachfrage effizient zusammenbringen. Hier helfen KI-gesteuerte, digitale Marktplätze. Durch Digitalisierung und KI werden Rezyklate zur Commodity“, zeigt sich Schiller zuversichtlich.

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„Rezyklate in verlässlichen Qualitäten sind ein Nadelöhr für die Kreislaufwirtschaft im Automobilbau. Die Digitalisierung der Märkte gekoppelt mit Künstlicher Intelligenz kann dies ändern“, so Christian Schiller, Geschäftsführer Cirplus, auf dem IKK-Kolloquium.
Foto: Cirplus
„Rezyklate in verlässlichen Qualitäten sind ein Nadelöhr für die Kreislaufwirtschaft im Automobilbau. Die Digitalisierung der Märkte gekoppelt mit Künstlicher Intelligenz kann dies ändern“, so Christian Schiller, Geschäftsführer Cirplus, auf dem IKK-Kolloquium.

Für ausreichenden Mengen an Rezyklaten in verlässlichen Qualitäten braucht es aber auch weitere Investitionen in Recyclingtechnologien. Großes Potenzial liegt hier beim chemischen Recycling, das Rezyklate in Neuware-Qualität verspricht, allerdings auch in der Kritik steht (zu hoher Energieverbrauch, toxische Abfälle).

Sebastian Spierling vom IKK Hannover untersucht umfassende Ökobilanzen diverser Kunststoffsorten – von ihrer Produktion über ihre Nutzungsphase bis zu ihrem Lebensende. Bei dieser Gesamtbetrachtung kann laut Spierling das chemische Recycling mit dem mechanischen durchaus mithalten. So sei das Potenzial für die globale Erwärmung bei chemisch recyceltem Biokunststoff PLA sogar negativ (CO2-Senke). „Die Natur macht es vor: Riesige Mengen Zellulose werden auf und wieder abgebaut. Wir sollten diesen Prozess nachahmen.“

Leichtbau mit Hybriden – recycelbar?

Günther Lindbichler von KTM Technologies, bekannt für Cross-Motorräder, referierte über hybriden Leichtbau als Aspekt für mehr Nachhaltigkeit – auch mit Blick auf das Recycling. Beispiel: KTM wollte einen Bremsscheibenschutz leichter und nachhaltiger fertigen. Aluminium sollte durch einen Mix aus Thermoplast und endlosfaserverstärkten Duroplast ersetzt werden. Der Thermoplast ermöglicht eine geometrische Verstärkung durch Rippen und Aufnahme der Inserts, der Duroplast hält dank hoher Wärmeformbeständigkeit der Hitze der bremsscheiben stand.

Bis hier nichts neues. Die Herausforderung war nun die Entwicklung einer stoffschlüssigen Verbindung zwischen faserverstärkten Duroplasten und funktionalen Thermoplasten, die mit Blick auf das spätere Recycling wieder leicht trennbar sein sollte.

KTM entwickelte hierfür eine Conexus genannte Technologie: Eine spezielle Koppelschicht erlaubt eine stoffschlüssige Verbindung zwischen Duro- und Thermoplast. Sie enthält chemisch funktionelle Gruppen, die sich mit dem Duroplast vernetzten, beispielsweise beim Sheet Moulding Compound Pressing (SMC) oder Prepreg Compression Moulding (PCM). Zusätzlich enthält die Koppelschicht thermoplastische Gruppen, die sekundäre Bindungen sowie interpenetrierende Netzwerke zum Thermoplasten bilden – etwa beim Hinterspritzen des gepressten faserverstärkten Duroplasts.

KTM führte Kompatibilitätstests mittels Peel-, Gitterschnitt und Stempelabzug durch. Als Thermoplaste verwendetes man PA11/12 oder TPU, als Duroplaste PUR oder Vinylesterharz. Die Tests verliefen erfolgreich. Das Ergebnis. KTM hat ein stoffschlüssiges Leichtbau-Materialhybrid, dessen thermoplastische Komponente unter Temperatureinfluss leicht abgetrennt und regranuliert werden kann. Um die Nachhaltigkeit des Bremsscheibenschutzes weiter zu steigern, wurden die Carbonfasern im Duroplast durch Flachfasern, der herkömmliche Thermoplast durch eine biobasierte Type ersetzt.

Zirkuläres Design in der Automobilbranche

Auch Mike Herbig von Audi fokussierte auch auf dem IKK-Kolloquium auf die Kreislauftechnik. Die beginnt mit einem zirkulären Design und entsprechender technischer Auslegung der Bauteilkomponenten. Die Prinzipien hierfür: erstens Materialeinsatz reduzieren, zweitens Bauteile wieder- oder für andere Zwecke weiterverwenden, drittens rohstoffliche Verwertung. Für das konstruktive Design in der Automobilbranche bedeutet dies, neue Ziele zu verfolgen: Komplexitätsreduktion, längere Haltbarkeit oder leichtere Austauschbarkeit modularer Komponenten, ihre Aufbereitung für eine zweite Nutzung ermöglichen.

Kurz gesagt: Sowohl für verwendeten Materialen und Bauteilkomponenten gilt: Reduktion Varianten, Reduktion des Gewichts, Trennbarkeit Materialien, Verwertbarkeit am Lebensende. Für Audi heißt dies künftig, den Einsatz von Sekundärmaterial zu steigern, die Lebensdauer von Bauteilen zu verlängern, den Austausch von Bauteilen zu vereinfachen, die Sortenreinheit oder Trennbarkeit der Materialien für das Recycling zu verbessern.

Über die Kreislauffähigkeit von Kunststoffbauteilen als Bestandteil zukünftiger Automobilgenerationen sprach auch Simon Hoebel von Mercedes Benz. Das selbstgesteckte Ziel des Autobauers: Bilanzielle CO2-Neutralität entlang der gesamten Wertschöpfungskette in der Neufahrzeugflotte ab 2039. Ein Meilenstein auf dem Weg dorthin: Erhöhung des Sekundärrohstoffanteils für die PKW-Flotte auf durchschnittlich 40 % ab 2030.

Kreislauffähige Material- und Bauteilgestaltung

„Eine kreislauffähige Material- und Bauteilgestaltung ist der Enabler für die Kreislaufwirtschaft in der Automobilindustrie. Die Herausforderungen liegen laut Hoebel in der hohen Materialkomplexität, in den Querkontaminationen und der Degradation der Werkstoffe beim Einsatz“, so Hoebel. Die Recyclingfähigkeit von Thermoplasten müsse in Tests, die einen Fahrzeuglebenszyklus darstellen, vor ihrer Verwendung geprüft werden. Zudem seien mithilfe einer Alterungssimulation neue Auswahlkriterien für Werkstoffe zu entwickeln, die End-of-Life Szenarios berücksichtigen.

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Das IKK verfügt über modernste Instrumente zur Kunststoffanalytik. „Analytik ist wesentlich für die Qualität beim Recycling“, so Institutsleiter Prof. Dr. Endres.
Foto: IKK/Nico Niemeyer
Das IKK verfügt über modernste Instrumente zur Kunststoffanalytik. „Analytik ist wesentlich für die Qualität beim Recycling“, so Institutsleiter Prof. Dr. Endres.

„Um den künftigen Bedarf der Automobilindustrie an hochwertigen Rezyklaten decken zu können, brauchen wir die Evaluierung neuer Recyclingtechnologien für bisher ungenutzte Kunststoffströme“, erklärte Hoebel. Als infrage kommende Technologien nannte er neue Möglichkeiten der Polymer-Stabilisierung für ein verbessertes mechanisches Recycling, für mit Betriebsmitteln kontaminierte Kunststoffe das physikalische bzw. chemische Recycling für selektierte bzw. gemischte Abfälle.

Für jeden Kunststoff eine Alternative

Auch der Zulieferer Röchling hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt: „Wir möchten unseren Kunden für jeden unserer bisherigen Kunststoffe eine Alternative aus Biokunststoffen oder aus Rezyklaten anbieten können“, so Dr. Axel Höfter von Röchling Industrial. Röchling setzt dabei auf die massenbilanzierte Verwendung biobasierter und recycelter Rohstoffe. „Die Massenbilanzierung fördert die Verwendung nachhaltiger Materialien und nutzt dafür bestehende, effiziente Produktionsketten für fossilbasierte Kunststoffe“, schildert Dr. Höfter die Vorteile. Zudem seien die Qualitätsmerkmale identisch mit fossiler Neuware.

Dr. Axel Höfter stellte auch die Frage nach der Bewertung von Nachhaltigkeit. Es brauche klare Standards und Methode zur Ökobilanzierung eines Produktes über seinen gesamten Lebensweg. Röchling finanziert derzeit eine Promotion am IKK zum Thema Ökobilanzierung und ihre Integration als Werkzeug für bestehende Unternehmensprozesse. mg