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Materialversorgung 7. September 2017

Wie funktioniert nun "Trocknen"?

Foto 22 - Mo erklärt die physikalischen Zusammenhänge beim Trocknen
Wassergehalt [g] in einem m³ Luft bei verschiedenen Taupunkten.
Wassergehalt [g] in einem m³ Luft bei verschiedenen Taupunkten.

Foto 22

- Mo erklärt die physikalischen Zusammenhänge beim Trocknen

Um Material zu trocknen, ist ihm die Feuchtigkeit zu entziehen. Das klingt zunächst sehr platt. Vordergründig naheliegend ist die Idee, eine möglichst hohe Trockentemperatur zu wählen, um das Material schnell zu trocknen. Schließlich steigt mit höherer Temperatur die Aufnahmefähigkeit der Luft für Wasserdampf. Dem sind allerdings durch das Material selbst Grenzen gesetzt, denn schließlich darf der Kunststoff nicht geschädigt werden. Folglich muss die Trockentemperatur beispielsweise deutlich unter dem Schmelzpunkt bleiben. (Auf weitere Schädigungsmöglichkeiten soll hier nicht näher eingegangen werden.) Doch auch mit einer Temperatur unterhalb des Schmelzpunktes in Verbindung mit einer längeren Trockendauer sind Risiken verbunden, etwa die Übertrocknung des Materials.

Wie also das Wasser aus dem Granulat bekommen, ohne es zu schädigen? In diesem Zusammenhang sind zwei Aspekte von Bedeutung,

  • die Bindungskräfte zwischen den Wasser- und den Kunststoffmolekülen, sowie
  • die Dampfdruckdifferenz zwischen dem Dampfdruck an der Oberfläche des Kunststoffs und dem Partialdampfdruck von Wasser in der Luft, auch als Konzentrationsgefälle bezeichnet.
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Bei den Bindungskräften zwischen den Wasser- und den Kunststoffmolekülen, den so genannten Van-der-Waals-Kräfte, handelt es sich um materialspezifische, schwache Kräfte, die von der Stärke der polaren Gruppen im Material abhängen. Mit steigender Temperatur verringern sich die Kräfte zwischen den Wasser- und den Kunststoffmolekülen. Ein Beispiel aus der Natur für die Wirkungsweise der Van-der-Waals-Kräfte liefern Geckos: Sie haben an den Füßen viele feine Härchen, die jeweils nur wenig Kraft übertragen können. Aufgrund der Vielzahl an Härchen und der damit verbundenen Summe aller Kräfte ist es Geckos dennoch möglich, Decken und Wände entlang zu laufen.

Eine weitere wichtige Rolle spielt die Dampfdruckdifferenz, das so genannte Konzentrationsgefälle. Es wird bestimmt durch die Differenz zwischen der Ausgangsfeuchte des zu trocknenden Materials und dem Feuchtegehalt (Taupunkt) der Trockenluft. Dahinter steckt das Bestreben von hygroskopischen Materialien, ein Feuchtegleichgewicht mit der sie umgebenden Luft herzustellen.

Dieses Feuchtegleichgewicht ist abhängig von der Kunststoffart und -temperatur, sowie von den Klimadaten der Luft (relative Feuchte, Temperatur und Druck). Durch Erwärmen der Luft oder eine tiefere Taupunkttemperatur entsteht eine Dampfdruckdifferenz (und damit ein Konzentrationsgefälle) mit der Folge, dass das Wasser vom Granulat zur Luft diffundiert. Bei höheren Temperaturen gibt das Granulat auf Grund nachlassender Bindungskräfte das Wasser leichter ab, während gleichzeitig die Luft das Wasser wesentlich "begieriger" aufnimmt. Die Wasser-Affinität der Luft steigt.

Die Geschwindigkeit, mit der das Wasser, aus dem Granulatinneren zur Oberfläche diffundiert, die sogenannte Diffusionsgeschwindigkeit, ist ihrerseits vom Material abhängig, das getrocknet werden soll. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Diffusion zu Beginn der "Wasserwanderung" aufgrund des zunächst höheren Konzentrationsgefälles schneller abläuft. Mit abnehmendem Konzentrationsgefälle verringert sich also die Diffusionsgeschwindigkeit, bis erneut ein Feuchtegleichgewicht erreicht ist.

Nicht zuletzt aufgrund der beim Trocknen von Kunststoffen vergleichsweise geringen absoluten Wassermengen verdeutlichen die vorgenannten Aspekte, dass die Prozessluft zur Trocknung nicht nur eine geeignete Temperatur haben muss. Sie darf zudem selbst nur einen geringen Wassergehalt haben, damit das zur Trocknung notwendige Konzentrationsgefälle aufgebaut werden kann, um die für die Verarbeitung notwendige Restfeuchte zu erreichen.

Nun ist bei der Kunststofftrocknung vielfach von Taupunkten von -20 bis hin zu -60°C zu lesen. Ob eine sehr tiefe Taupunkttemperatur tatsächlich vorteilhaft ist, darf jedoch in den meisten Fällen bezweifelt werden. Zwar trägt, ganz allgemein betrachtet, eine tiefe Taupunkttemperatur der Trockenluft zumindest bedingt dazu bei, dass ein Material schneller trocknet. Doch begrenzt wird dieser Effekt wie beschrieben von der maximalen Diffusionsgeschwindigkeit, die wiederum material- und temperaturabhängig ist.

Zudem ist das Trocknen der Luft auf tiefe Taupunkttemperaturen mit einem hohen Energieaufwand verbunden und mit dem Risiko, das Material zu übertrocknen. Daher genügt für das Trocknen der meisten hygroskopischen Kunststoffe tatsächlich eine Taupunkttemperatur von ca. -20°C.

Schließlich kommen die Erfahrungswerte der Trocknerhersteller ins Spiel, die aus zahlreichen eigenen Versuchen sowie auf Basis von Informationen aus der betrieblichen Praxis in der Lage sind, ausbalancierte Einstellempfehlungen zur Verfügung zu stellen.

Das Ziel ist, einen praxisgerechten Kompromiss zwischen "schnell genug" und "schonend" zu finden.

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