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News 27. Februar 2018

Wandel der Mobilität und neue Freiräume im Interieur

VDI-Kongress PIAE beleuchtet den Einsatz von Kunststoffen im Automobilbau. Neben klassischen Themenfeldern werden auch E-Mobility und automatisiertes Fahren diskutiert.
Fahrzeugkonzepte der Zukunft bieten neue Freiräume im Interieur.
Fahrzeugkonzepte der Zukunft bieten neue Freiräume im Interieur.

VDI-Kongress PIAE beleuchtet den Einsatz von Kunststoffen im Automobilbau. Neben klassischen Themenfeldern werden auch E-Mobility und automatisiertes Fahren diskutiert.

Am 14. und 15. März sind Fachleute aus Wirtschaft und Forschung wieder zum weltweit größten Kongress für Kunststoffexperten in der Automobilindustrie in das Congress Center Rosengarten nach Mannheim eingeladen. Mit dem neuen Titel PIAE – Plastics In Automotive Engineering will das VDI-Wissensforum als Veranstalter sowohl das bewährte fachliche Konzept der "Kunststoffe im Automobilbau" fortsetzen, als auch dem Wandel in die internationale Richtung Rechnung tragen und verstärkt die Türen für Gäste aus aller Welt öffnen.

Auch in diesem Jahr werden aktuelle kunststofftechnische Anwendungen im Bereich Interieur, Exterieur, Motor, Werkstoffe und Technologien beleuchtet. Neben den traditionellen Themenfeldern stehen Beiträge aus den Bereichen Additive Fertigung, automatisiertes Fahren, Beleuchtung, E-Mobility, Infotainment, Shared Mobility, Simulation und Verbindungstechnik auf dem Programm. Neben den Sektionen "Neue Fahrzeugkonzepte" und "Interieur" widmet sich eine weitere dem Bereich Nutzfahrzeuge. Diese bietet den Nutzfahrzeugherstellern einen Einblick in die Welt der PKWs und den Fachaustausch mit den etwa 1500 Teilnehmern des Kongresses.

Automatisches Fahren der Zukunft bietet neue Freiräume im Interieur

Thomas Drescher, Leitung Fahrzeugtechnik und Konzernforschung für Elektronik und Fahrzeug bei Volkswagen in Wolfsburg wird zu Beginn der Veranstaltung die Fahrzeugkonzepte der Zukunft erläutern sowie damit zusammenhängend den Wandel der Mobilität, neue Freiräume im Interieur des PKW und die Herausforderungen an die Materialien darstellen.

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"Neue Antriebskonzepte, das automatische Fahren, sowie das Car-Sharing ermöglichen neue Fahrzeugkonzepte und Mobilitätsdienste. Entsprechend wird künftig jede Nische belegt, damit optimale Mobilitätskonzepte für die Bedürfnisse der Fahrgäste aber auch für Kommunen und Städte entstehen", erklärt er die Bedeutung des Themas.

"Insbesondere das automatische Fahren der Zukunft im Level 5 bietet neue Freiräume im Interieur des PKW. Der Fahrgast kann die Reisezeit besser nutzen – sei es für das Arbeiten, Ausruhen oder sogar Schlafen während der Fahrt. Gleichzeitig steigt der Anspruch an das Interieur bezüglich Komfort- und Wohlbefinden", so Drescher.

Der steigende Komfortbedarf des Kunden erfordere neue Bedienkonzepte und intelligente Oberflächen. "Das Fahrzeug wird künftig die Kundenbedürfnisse prädiktiv erfassen und automatisch bedienen. Hierfür wird die Integration von Elektronikkomponenten, wie Sensoren, Anzeige- und Bedienoberflächen in Sichtbauteilen erforderlich", benennt er einige Bauteilanforderungen.

Mit Blick auf mögliche Einsparpotenziale und Optimierungen sagt Drescher: "Durch intelligente Komponenten mit integrierter Elektronik wird die Fahrzeugmontage erleichtert und im Bedarfsfall auch der Service vereinfacht. Die Oberflächen im Fahrzeuginterieur werden zudem weniger Fugen erhalten und sind somit besser zu reinigen. Insbesondere im Car-Sharing wird die Robustheit und Reinigung des Fahrzeuges von besonderer Bedeutung sein."

Steffen Pietzonka, Hella: Licht wird zum Kommunikationsmedium und es entsteht eine voll-adaptive Beleuchtung im und am Fahrzeug.
Steffen Pietzonka, Hella: Licht wird zum Kommunikationsmedium und es entsteht eine voll-adaptive Beleuchtung im und am Fahrzeug.

Beleuchtung im Kontext der Megatrends

Die vier Megatrends der Automobilindustrie – automatisiertes Fahren, Effizienz/Elektrifizierung, Fahrzeugvernetzung/Digitalisierung und Individualisierung/Personalisierung – werden die gesamte Branche nachhaltig verändern. Der Automobilbeleuchtung kommt dabei eine besondere Rolle zu, da sich deren Relevanz in unterschiedlicher Dimension und Ausprägung in jedem Trend wiederspiegelt.

Steffen Pietzonka, Head Global Marketing OE Lighting bei Hella in Lippstadt, wird sich zur PIAE mit dieser Thematik auseinandersetzen. "Durch die immer stärkere Vernetzung von Licht- und Elektroniksystemen, intelligente Software-Algorithmen sowie perspektivisch durch die Nutzung weiterer Informationen durch den Nutzer selbst oder durch Umfelddaten werden neue Anwendungen ermöglicht. Licht wird zum Kommunikationsmedium und es entsteht eine voll-adaptive Beleuchtung im und am Fahrzeug, angepasst an die Nutzerpräferenzen, welche situativ bestmöglich die Bedarfe unterstützt", so Pietzonka.

Lichtsystem mit der Markierung einer Sicherheitszone um einen Radfahrer, projiziert aus einem hochauflösenden Scheinwerfer.
Lichtsystem mit der Markierung einer Sicherheitszone um einen Radfahrer, projiziert aus einem hochauflösenden Scheinwerfer.

Die Relevanz dieser Entwicklungen findet sich bei allen Lichtfunktionalitäten im und am Fahrzeug: neue, intelligente Scheinwerfersysteme, attraktive Heckbeleuchtungen, innovative Karosserie-Lichtfunktionen und adaptive Fahrzeuginnenbeleuchtungen. "Zuallererst geht es bei den neuen Lichtkonzepten jedoch darum, die Fahrzeugbeleuchtung im Rahmen der Digitalisierung vollumfänglich auszurichten, das heißt: neue Lichtfunktionen und -lösungen anzubieten, die das Fahren attraktiver, angenehmer, sicherer und komfortabler machen und durch intelligente Ansteuerung den Energiehaushalt effizient nutzen", benennt Pietzonka die Möglichkeiten.

Auch der Elektromotor muss leichter werden

In der Sektion E-Mobility wird Dr. Thomas Walther, Leiter Anwendungstechnik bei Arburg in Loßburg, Pro Lemo vorstellen – eine Produktionstechnologie für Leichtbaumotorenkonzepte.

Rotor mit Soft Magnetic Composites für Leichtbau-Elektromotor
Rotor mit Soft Magnetic Composites für Leichtbau-Elektromotor

"Um elektrische Ein-Achs-Antriebsstränge für die Massenmärkte Elektromobilität oder Maschinenbau wirtschaftlich einsetzen zu können, sind innovative Fertigungs- und Leichtbautechnologien für die Großserie gefragt. Hier setzt das Projekt Pro Lemo an, in dem mehrere Partner an Produktionstechniken für effiziente Leichtbaumotoren für Elektrofahrzeuge arbeiten", so Walther.

Pro Lemo beschäftigt sich unter anderem mit der Massenfertigung von Teilen aus metallgefüllten Polymerwerkstoffen. Im Zwei-Komponenten-Spritzgießverfahren werden Rotorscheiben von Elektroantrieben produziert. Im ersten Schritt entsteht die Innenkontur aus glasfaserverstärktem PA6 als Verbindung zur Welle. Zur Herstellung der angespritzten Rotorsegmente wurde als Basismaterial ein sogenanntes Soft Magnetic Composite (SMC) ausgewählt, das aus dem Matrixwerkstoff PA6 besteht und mit einer Permalloy-Legierung Fe8Ni92 hoch gefüllt ist. "Das Projekt war für alle Teilnehmer so erfolgreich, dass bereits Patente angemeldet wurden", unterstreicht Dr. Walther die Bedeutung.

Dr. Thomas Walther, Arburg: Um elektrische Ein-Achs-Antriebsstränge wirtschaftlich einsetzen zu können, sind neue Fertigungs- und Leichtbautechnologien für die Großserie gefragt.
Dr. Thomas Walther, Arburg: Um elektrische Ein-Achs-Antriebsstränge wirtschaftlich einsetzen zu können, sind neue Fertigungs- und Leichtbautechnologien für die Großserie gefragt.

"Die industrielle Hauptanwendung ist die Fertigung effizienter Leichtbaumotoren für Elektrofahrzeuge und den Massenmarkt Elektro-Motorenbau. Auch bei Arburg als Maschinenhersteller könnte es Eigenbedarf für diese Antriebe geben: Die Spritzeinheit der Größe 400, die auch an der Projektmaschine zum Einsatz kommt, könnte ein effizientes Einsatzfeld für die Leichtbaumotoren darstellen. Langzeittests zum Qualitätscheck dieser Antriebstechnik unter Serienbedingungen sind bereits geplant", so Walther.

Durch den Einsatz neuer Materialien und Technologien lassen sich im Vergleich zu herkömmlich geblechten Rotoren sowohl das Gewicht von Elektroantrieben als auch Wirbelstromverluste und Wärmeentwicklung signifikant reduzieren. Im konkreten Fall sank das Gesamtgewicht des ursprünglichen Antriebs mit Stahlhohlwelle um mehr als 9 kg von 44,8 kg auf jetzt nur noch 35,6 kg. Das entspricht einer Reduzierung der Massenträgheit um 14,1 %.

Leichtbau im Netzwerk der Open Hybrid Lab Factory

Leichtbauthemen sind komplex und erforderten daher umfassende und vernetzte Kompetenzen. Wie dies mit der Open Hybrid Lab Factory (OHLF) in Wolfsburg gelingt, wird der 2. Vorstandsvorsitzende Jens-Jürgen Härtel zur PIAE erläutern. "In der OHLF wird die gesamte Wertschöpfungskette zur Herstellung kostengünstiger Leichtbaustrukturen für den Fahrzeugbau abgebildet – von der konzeptionellen Auslegung, über den hybriden Fertigungsprozess bis hin zum Recycling und Life Cycle Engineering. Jeder Prozessschritt ist dabei mit international agierenden Technologieführern besetzt", beschreibt er die Potenziale.

In der Open Hybrid Lab Factory wird die gesamte Wertschöpfungskette zur Herstellung kostengünstiger Leichtbaustrukturen für den Fahrzeugbau abgebildet.
In der Open Hybrid Lab Factory wird die gesamte Wertschöpfungskette zur Herstellung kostengünstiger Leichtbaustrukturen für den Fahrzeugbau abgebildet.

Mit Blick auf mögliche Einsparpotenziale sagt Härtel: "Es geht beim funktionsintegrierten, hybriden Leichtbau immer um die bestmögliche Funktionserfüllung durch den richtigen Werkstoff an der richtigen Stelle. Nehmen wir das Beispiel Golf 7: Hier wurden im verstärkten Maße hoch- und höchstfeste Stähle eingesetzt. Damit konnten in etwa zehn Prozent des Karosseriegewichts im Vergleich zum Vorgänger eingespart werden, bei zum Teil deutlich höherer Anforderung bezüglich Low- und Highspeed Crash. Zukünftig wird ein noch stärkerer Materialmix aus zum Beispiel faserverstärkten Kunststoffen, Aluminium, Stahl oder auch Magnesium Einzug in den Fahrzeugbau finden. Natürlich müssen dabei auch weiterhin alle Sicherheitsanforderungen erfüllt werden."

Touch-Funktionen mit gedruckter Elektronik

In der Sektion "Fertigung für Nutzfahrzeuge" wird Dominik Malecha, Bereichsleiter Oberflächentechnik-Formteile beim Kunststoff-Institut Lüdenscheid, über Touch-Funktionen mit gedruckter Elektronik und haptischem Feedback auf Formteiloberflächen sprechen. Fest steht: Die Integration von elektronischen Funktionen in die Oberfläche von Kunststoffformteilen – und damit die Herstellung von "smarten Produkten" – ist eines der aktuellsten Themen. Dem Trend, konventionelle Bedienfunktionen durch Touch-Funktionen mit entsprechender Rückmeldung zu ersetzen, folgen die meisten Branchen. "Begleitet wird dieser Trend oftmals von einer großen Verunsicherung hinsichtlich der praktischen Herangehensweise bei der Fertigung neuer Produkte, aber auch von allgemeiner Unkenntnis über die eventuelle Tragweite dieser neuen Technologien", so Malecha.

Das Kunststoff-Institut Lüdenscheid erarbeitet und erforscht neue Prozesse zur Integration gedruckter Elektronik mittels Film-Insert-Molding. Neu sind beispielsweise Erkenntnisse, die im Bereich der eingesetzten Materialen gewonnen werden, zum Beispiel Verformungsgrad oder Beständigkeit. Auf dieser Basis kann das Einsatzspektrum für zukünftige Anwendungen definiert und erweitert werden. Es werden dabei Verfahren eingesetzt, die auf moderne, größtenteils noch zu entwickelnde Folientechniken übertragen werden können.

Dominik Malecha, Kunststoff-Institut Lüdenscheid: Die Integration von elektronischen Funktionen in Kunststoffformteile wird enorm vereinfacht und schafft zahlreiche Freiräume beim Produktdesign.
Dominik Malecha, Kunststoff-Institut Lüdenscheid: Die Integration von elektronischen Funktionen in Kunststoffformteile wird enorm vereinfacht und schafft zahlreiche Freiräume beim Produktdesign.

"Die Integration von elektronischen Funktionen in Kunststoffformteile wird auch zukünftig weiterhin enorm vereinfacht und schafft, bei gleichzeitiger Kosteneinsparung für Einzelkomponenten und Montage, zahlreiche Freiräume im Hinblick auf das Produktdesign. Durch das Einbringen kleiner Bauelemente, wie zum Beispiel LEDs, können zukünftig Vorteil und Nutzen des Prozesses ergänzt und deutlich erweitert werden. Um die Technologie erfolgreich in eine Anwendung zu vermitteln, ist jedoch eine serientaugliche Kontaktierungsschnittstelle unabdingbar, deren Anbindung heutzutage eine der größten technischen Herausforderungen in diesem Segment darstellt", betont Malecha.

Ergänzendes Rahmenprogramm

Seit über 41 Jahren besuchen jährlich etwa 1.500 Teilnehmer aus 12 Nationen den VDI-Kongress "Kunststoffe im Automobilbau". Mit dem neuen Titel PIAE soll das Grundkonzept fortgesetzt und erweitert werden. So wird ein wechselndes, unterstützendes Expertengremium, welches gemeinsam mit dem Programmausschuss die Kongressinhalte definiert, eine klare Ausrichtung auf die automobilen Megatrends sicherstellen.

Und auch zur PIAE können die Teilnehmer wieder die parallel stattfindende Fachausstellung mit 110 Ausstellern entlang der gesamten Prozesskette sowie den angegliederten Automobilsalon mit aktuellen Modellen im Bereich Pkw und Nutzfahrzeug besuchen und mit Experten unmittelbar am Objekt in fachlichen Austausch treten. Ergänzend zum Kongress bietet zudem das World-Café eine Plattform, über die Zukunft der Kunststoffe zu diskutieren.

Unmittelbar vor dem Kongress bieten ausgewählte Spezialtage die Möglichkeit, vertiefendes Wissen zu erwerben. Themen sind: Kunststoffschäume im Fahrzeug, Dekorative Kunststoff-Oberflächen im Automobil nach VDA 16 und Kunststoffverglasung im Fahrzeug.

Annedore Bose-Munde

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