Strukturschäden in Leichtbauteilen aus Verbundwerkstoffen – etwa durch Vogelschlag an einer Flugzeugtragfläche – sind mit herkömmlichen Methoden der zerstörungsfreien Prüfung oft nur schwer zu erkennen. „Bisher müssen bei der zerstörungsfreien Prüfung mit Ultraschall speziell ausgebildete Mitarbeitende das Prüfteil von Hand abscannen“, erklärt Timo Reindl, Projektkoordinator am IKT der Uni Stuttgart. Die Bauteile werden jedoch immer größer und die Formen komplexer. Die händische Prüfung wird da schnell sehr aufwändig und sie ist fehleranfällig – mit gravierenden Folgen, gerade im Flugzeug- oder Fahrzeugbau.
Dazu kommt die zunehmende Flexibilität in der Produktion, bei der unter Umständen jedes Werkstück individuell ist und in einer Produktionsanlage seinen eigenen Weg geht. „Da muss dann auch die Abschlussprüfung an jedem individuellen Werkstück an jedem Punkt im Raum möglich sein“, ergänzt Yannick Bernhardt, wissenschaftlicher Mitarbeiter am IKT.
Verbundwerkstoffen auf den Zahn gefühlt
Das IKT entwickelt daher eine Lösung, um die zerstörungsfreie Prüfung multifunktionaler Hochleistungswerkstoffe zu automatisieren und optimieren. Dies erfolgt mit zwei autonom und synchron arbeitenden Forschungsrobotern, denen das IKT die Namen James (Joines Automatic Material Evaluation System) und Maid (Mobile Automatic Inspection Device) gegeben hat. Die flexible Dualroboteranlage wurde im Rahmen einer DFG-Großgeräteförderung am IKT unter der Leitung von Professor Marc Kreutzbruck errichtet.
James und Maid – ein jeder bringt etwa 4 t Gewicht auf die Waage – lassen sich auf Luftkissen frei im Raum bewegen. Wo genau sich die beiden gerade befinden, verrät ein Lasertrackingsystem. James sendet die Prüfsignale; Maid, der dafür mit hochsensibler Messtechnik ausgestattet ist, empfängt sie und wertet sie aus.
Die Prüfung umfasst drei Ebenen: So kann die Robotikplattform Fehler lokalisieren und deren Größe und Struktur bestimmen, aber auch Materialien charakterisieren und die Zuverlässigkeit einer Prüfaussage einordnen. Somit helfen die Roboter bei der Entscheidung, ob ein Bauteil betriebstauglich ist sowie bei der Vorhersage der Lebensdauer.
Prüfungen derzeit mit Luftultraschall
Derzeit macht die Anlage Versuche mit der Luftultraschallprüfung. Diese findet in der Industrie bisher noch wenig Verwendung, hat aber großes Potenzial, da bei diesem Verfahren kein Koppelmittel erforderlich ist, welches in die komplexen Sandwichteile hineinlaufen könnte. „Weitere Prüfmethoden wie die Phased-Array Ultraschallprüfung, aktive Thermographie, Wirbelstromprüfung, optische Shearografie wie auch Radar und Terahertzverfahren Vibrationsanalysen sollen im Laufe der Zeit folgen“, erklärt Tobias Schaible, Leiter der Abteilung Produktentwicklung am IKT. Mehr zu Prüfmethoden von Faserverbundkunststoffen am IKT lesen Sie hier.
Nach Training finden Roboter ihre Bahn selbst
Vor allem aber sind James und Maid lernfähig. Künftig sollen sie ihre Roboterbahn selbst finden und die zerstörungsfreie Bauteilprüfung vollautomatisiert durchführen. Hierfür können die Roboter manuell eingelernt werden (halbautomatisch) oder das Teaching erfolgt vollautomatisch, indem die Bahnplanung aus CAD-Daten am Computer erstellt wird.
Das Ziel der Stuttgart Wissenschaftler ist ein intelligentes Robotersystem. Hierbei erfassen die Roboter die Bauteilgeometrie mithilfe von optischen Scannern selbst, erstellen vollautomatisch ein Scanmuster und wählen das passende Werkzeug. Solche intelligenten Systeme erlauben nicht nur die automatisierte zerstörungsfreie Prüfung von Bauteilen, sondern liefert auch wertvolle Erkenntnisse für die kontinuierliche Optimierung des Prüfprozesses selbst.
Auch externe Organisationen können die Anlage nutzen
Hauptnutzer der Roboteranlage sind seitens der Universität Stuttgart neben dem IKT die Institute für Flugzeugbau (IFB) und für Intelligente Sensorik und theoretische Elektrotechnik (IIS) sowie die Materialprüfungsanstalt. Zudem werden im Rahmen von Kooperationen Institute der TU Dresden und der Universität Hamburg die Anlage zur Prüfung von Faserverbundstrukturen nutzen. Auch anderen Partnern im In- und Ausland steht die Anlage offen. Erste gemeinsame Projekte sind bereits skizziert.
Studierende, insbesondere aus den Bereichen Luft- und Raumfahrt, Maschinenbau, Elektrotechnik und Informatik können im Rahmen von Abschlussarbeiten oder als wissenschaftliche Hilfskräfte von der Anlage profitieren. Schaible: „Wir bieten ihnen die Möglichkeit, selbstständige Prüfungen von faserverstärkten Kunststoffbauteilen an einer Plattform durchzuführen, die weit über den Stand der Technik geht und somit den Blick über den Tellerrand ermöglicht.“ sk