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Märkte 30. Januar 2023

US-Steuergesetz: Einfluss auf die Kunststoffbranche?

Die K-Zeitung fragt: Hat das neue US-Steuergesetz des Inflation Reduction Act Einfluss auf die Kunststoffbranche?

Hat der Inflation Reduction Act mit seinen neuen Steuergesetzen Einfluss auf die Kunststoffbranche? Die K-Zeitung hat Experten nach ihrer Einschätzung gefragt.
Hat der Inflation Reduction Act mit seinen neuen Steuergesetzen Einfluss auf die Kunststoffbranche? Die K-Zeitung hat Experten nach ihrer Einschätzung gefragt.

Der „Inflation Reduction Act“, den die US-Regierung als neues Steuergesetz im Sommer 2022 auf den Weg gebracht hat, sorgt für Zündstoff – auch in der Kunstststoffbranche. Denn in Europa produzierende Unternehmen können dadurch ins Hintertreffen geraten. Wer in den USA fertigt, kann hingegen von dem 369 Mrd. USD schweren Paket profitieren.

Seinem Namen nach soll der „Inflation Reduction Act“ (IRA) die Inflation in den USA bekämpfen. Dabei unterstützt das Gesetz unter anderem energieeffiziente Produktionstechnologien. Subventionen und Steuergutschriften sind zudem daran geknüpft, dass Unternehmen US-Produkte verwenden oder in den USA produzieren.

Auf dem World Economic Forum in Davos Mitte Januar wurde der IRA heiß diskutiert. Die Begriffe „Handelskrieg“ und „Protektionismus“ fielen. Auch Kanzler Olaf Scholz mahnte die US-Regierung kürzlich, dass die Europäische Union durch den IRA nicht schlechter behandelt werden dürfe als unmittelbare US-Nachbarn wie Kanada oder Mexiko oder dass europäische Unternehmen bei ihren Aktivitäten in den USA diskriminiert würden.

Kühmann hofft auf mehr Investitionen in europäische Technologien

Thorsten Kühmann, VDMA: „Europa ist der wichtigste Markt für die hier ansässigen Hersteller von Kunststoff- und Gummimaschinen, doch unter den Randbedingungen des IRA könnte sich die Investitionslaune rasch eintrüben.“
Thorsten Kühmann, VDMA: „Europa ist der wichtigste Markt für die hier ansässigen Hersteller von Kunststoff- und Gummimaschinen, doch unter den Randbedingungen des IRA könnte sich die Investitionslaune rasch eintrüben.“
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„Aus Sicht des europäischen Kunststoffmaschinenbaus sehen wir sowohl positive als auch eher bremsende Auswirkungen des IRA“, sagt Thorsten Kühmann, Geschäftsführer des Fachverbands Kunststoff- und Gummimaschinen im VDMA. Deshalb zieht er eine gemischte Bilanz zu den Auswirkungen der US-Steuerrechtsreform. „Der IRA ist vor allem ein Bekenntnis der USA zu Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Die USA wollen damit Ihre Treibhausemissionen reduzieren und die Verpflichtungen aus dem Pariser Abkommen erfüllen. Das ist der gute Teil der Nachricht und deckt sich mit der Haltung, die wir in der Kunststoffindustrie in Europa teilen. Die neuen amerikanischen Steuergutschriften stehen überwiegend für Projekte im Bereich der erneuerbaren Energien zur Verfügung und wirken sich daher vornehmlich auf die Sektoren aus, die Teil dieser Wertschöpfungsketten sind. Daneben werden aber auch Investitionen in Ausrüstungen gefördert, die zur Reduzierung von Treibhausgasen beitragen. Dadurch könnten sich Investitionschancen ergeben, indem der für europäische Kunststoff- und Gummimaschinen wichtige US-Markt gestärkt wird und damit eine zusätzliche Investition in europäische Technologien auslöst.“

Laut Kühmann sind europäische Technologielösungen führend, wenn es um Klimaschutz und Energieeinsparung geht: „Die Steuergutschriften sind hoch genug, um die Kosten für grüne Energie in den USA drastisch zu senken, und davon wird die Kunststoffindustrie in den USA profitieren. Hinzu kommt die vorgesehene Laufzeit von zehn Jahren, was eine beispiellose Planungssicherheit bietet.“

Doch befürchtet der VDMA-Experte, dass „diese Vorteile für die Kunststoffindustrie in den USA zum Nachteil der Kunststoffindustrie in Europa werden könnten. Diese ist bereits heute wegen der gestiegenen Energiepreise unter Druck, und sie könnte durch staatlich geförderte Wettbewerbsvorteile in den USA noch weiter unter Druck geraten. Europa ist der wichtigste Markt für die hier ansässigen Hersteller von Kunststoff- und Gummimaschinen, doch unter den beschriebenen Randbedingungen könnte sich die Investitionslaune rasch eintrüben“, mahnt er.

Dürr sieht Nachteile für Europa durch neues US-Steuergesetz

In diese Richtung hatte im Dezember 2022 bereits Jochen Weyrauch, CEO von Dürr, argumentiert. Zum Maschinen- und Anlagenbauer mit Sitz in Bietigheim-Bissingen gehören zum Beispiel Homag und Hekuma. In der „Stuttgarter Zeitung“ warnte Weyrauch davor, dass durch den IRA Investitionsprojekte, die in Deutschland und Europa geplant waren, nun in die USA abwandern könnten. Er sieht einen „dramatischen Einfluss“ der US-Politik auf Unternehmensentscheidungen in Europa. Vor allem Zulieferer der Automobilbranche seien betroffen. Zwar müsse Dürr wegen des großen Bedarfs an E-Mobilität in Europa seine Kapazitäten dort nicht reduzieren. Er frage sich aber, „wo wir stärker aufbauen werden“. Bisher sei Dürr davon ausgegangen, dass der nächste Schub in Europa und in Deutschland stattfinde. Das sei wegen des IRA nun fraglich, denn dadurch hätten sich die Kosten „zuungunsten von Europa verschoben“.

Wittmann sieht kaum Auswirkungen auf die Kunststoffbranche

Michael Wittmann, Wittmann Group: „Mit dem IRA können gewisse Anreize für die Ansiedlung von Industriebranchen und Technologien gesetzt werden. Für eine Entscheidung zur Verlagerung von grünen Technologien in die USA sind aber auch andere Faktoren und Rahmenbedingungen von Bedeutung.“
Michael Wittmann, Wittmann Group: „Mit dem IRA können gewisse Anreize für die Ansiedlung von Industriebranchen und Technologien gesetzt werden. Für eine Entscheidung zur Verlagerung von grünen Technologien in die USA sind aber auch andere Faktoren und Rahmenbedingungen von Bedeutung.“

Michael Wittmann, President der Wittmann Group, hält die Sorgen allerdings für übertrieben: Der Betrag, den die US-Regierung für den IRA bereitstelle, ist nach seiner Meinung „zwar eindrucksvoll, beläuft sich aber auf nicht einmal 2 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung der USA. Damit können gewisse Anreize für die Ansiedlung von Industriebranchen und Technologien gesetzt werden, auf die diese Förderungen abzielen. Für eine wohlüberlegte Entscheidung zur Verlagerung von grünen Technologien in die USA sind jedenfalls auch andere Faktoren und Rahmenbedingungen von Bedeutung. Beispielsweise die Energiekosten und Energiesicherheit, die klarerweise einer Investition in den USA den Vorrang gegenüber Deutschland beziehungsweise Europa gibt.“

Wittmann ist sich außerdem sicher: „Das IRA Förderprogramm wird auf die Spritzgießmaschinenhersteller und wahrscheinlich die gesamte Kunststoffbranche in den USA und Europa nur eine geringe bis keine Auswirkung haben. Die Summe der Aktivitäten und Investitionen wird sich für die US-Kunststoffindustrie nicht wesentlich ändern. Möglicherweise werden Investitionen innerhalb der Branchen umgeleitet.“ Auch für das Geschäft der Wittmann Gruppe habe der IRA keinerlei Auswirkungen.

Reindustrialisierung der USA: Arbeitskräfte fehlen

Auch sieht Wittmann nicht, dass der IRA die Reindustrialisierung der USA weiter vorantreiben wird: „Die US-Industrie und ebenso die Kunststoffindustrie haben sich unabhängig vom IRA in den Jahren nach der Pandemie über massive Investitionsschübe aufgrund hoher Konsumnachfragen, die noch dazu massiv durch Hilfsprogramme der letzten und der aktuellen Regierung angetrieben wurden, freuen dürfen. Ein weiterer Faktor für das hohe Investitionsaufkommen waren verstärkte Onshoring-Aktivitäten von US-amerikanischen Produktionsunternehmen, die ihre Aktivitäten in China sukzessive zurückschraubten. Viele Projekte wurden näher zum US-Markt oder direkt in die USA verlagert. Die Konsequenz war eine weitere Erhöhung der Inflationsrate, speziell der Kerninflation, und ein superknapper Arbeitsmarkt. Die Grenzen der Reindustrialisierung der USA dürften aktuell nicht fehlende Investitionen und Förderprogramme sein, sondern die Grenzen, die sich aus dem knappen und teuren Arbeitsmarkt ergeben. Der IRA hat das Potenzial Industriebereiche zu stärken, die von der Förderung profitieren, während andere Bereiche wegen des begrenzten Pools an Arbeitskräften und der hohen Kosten in das nahe Ausland ausweichen müssten.“

Reifenhäuser begrüßt Subvention nachhaltiger Produktionsanlagen

Ulrich Reifenhäuser, Reifenhäuser Gruppe: „Das Investitionsprogramm stellt einen signifikanten Impuls für klimafreundliche Investitionen in den USA dar. Insofern kann auch die Kunststoffindustrie, sowohl in den USA als auch in Europa, davon profitieren.“
Ulrich Reifenhäuser, Reifenhäuser Gruppe: „Das Investitionsprogramm stellt einen signifikanten Impuls für klimafreundliche Investitionen in den USA dar. Insofern kann auch die Kunststoffindustrie, sowohl in den USA als auch in Europa, davon profitieren.“

Ulrich Reifenhäuser, CSO der Reifenhäuser Gruppe, sieht ähnlich wie VDMA-Experte Kühmann Chancen und Risiken durch den IRA: „Das Investitionsprogramm stellt einen signifikanten Impuls für klimafreundliche Investitionen in den USA dar. Insofern kann auch die Kunststoffindustrie, sowohl in den USA als auch in Europa, davon profitieren. Die konkreten Auswirkungen werden sich im Einzelnen erst mittelfristig zeigen.“ Kritisch sieht Reifenhäuser hingegen „die Local-Content-Auflagen für Subventionsleistungen, die vorschreiben, dass wesentliche Vorleistungsteile aus den USA kommen müssen.“ Bei genauerer Betrachtung stelle man aber fest, dass diese Vorschriften nicht bei allen IRA-Programmen gelten oder je nach Programm sich nur auf einen begrenzenten Teil der möglichen Förderung beschränken.

Reifenhäuser weiter: „Wir als Reifenhäuser Gruppe sehen in der Transformation zu einer ressourcenschonenden und klimafreundlichen Kreislaufwirtschaft eine Chance, um mit energieeffizienten Fertigungstechnologien für recyclingfähige Produkte mit hohen Rezyklat-Anteilen erfolgreich zu wachsen. Mit unseren US-amerikanischen Tochtergesellschaften verfügen wir zudem über eine lokale Fertigung und ein etabliertes Vertriebsnetz, um unsere US-Kunden vor Ort bestens zu betreuen. Daher begrüßen wir generell die Subvention nachhaltiger Produktionsanlagen und sehen darin ebenfalls Potenzial für die Reindustrialisierung der US-Wirtschaft.“

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