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„Strategische Investitionen werden nicht angehalten“

2019 fast Rekordumsatz, nun gesunkene Umsätze – dennoch hält Arburg an seinen strategischen Investitionen fest, so Vertriebsgeschäftsführer Gerhard Böhm.
Gerhard Böhm, Geschäftsführer Vertrieb bei Arburg: „Strategische Investitionen werden nicht angehalten, der Blick geht weiter in das Jahr 2021/2022.“

2019 fast Rekordumsatz, nun gesunkene Umsätze – dennoch hält Arburg an seinen strategischen Investitionen fest, so Vertriebsgeschäftsführer Gerhard Böhm.

Die K-Zeitung sprach im Interview mit Böhm unter anderem darüber, welche Folgen die Coronavirus-Pandemie auf die Kunststoffbranche, die Spritzgießmaschinenbauer und deren Investitionen hat.

Herr Böhm, der Maschinenbau in Deutschland leidet enorm unter den Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie. Der VDMA berichtet, dass bei seinen Mitgliedern im April die Aufträge um rund ein Drittel eingebrochen sind. Wie sieht die Lage bei Arburg aus?
Böhm: Obwohl sich der Markt schon im Herbst schwächer zeigte, haben wir das vergangene Jahr mit einem hervorragenden Ergebnis abgeschlossen: Mit 738 Millionen Euro lag der Umsatz gerade einmal zwei Prozent unter dem Rekordwert von 2018. Es zeichnete sich für uns aber schon zu dem Zeitpunkt ab, dass wir dieses Jahr kein neues Umsatzhoch erreichen werden. Darauf haben wir uns frühzeitig eingestellt. Das Jahr startete auch verhalten. Aber Ende Februar, Anfang März hatten wir das Gefühl, es tut sich etwas am Markt, sodass das Geschäftsjahr tendenziell besser werden könnte als unser Plan. Doch dann hat uns das Coronavirus voll ausgebremst. Insofern können wir die Aussagen des VDMA für Arburg bestätigen. Das heißt, der Auftragseinbruch im Spritzgießmaschinenbau ist noch höher als im Maschinenbau allgemein; da bilden wir gemeinsam mit dem Werkzeugmaschinenbau das Schlusslicht. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir irgendwann auch wieder vorne liegen.

Gibt es Unterschiede in einzelnen Märkten, was die Nachfrage betrifft?
Böhm: In der Automobilindustrie geht im Moment sehr wenig. Aber auf der anderen Seite sehen wir, dass sich in Medizintechnik einiges tut, da durch die Coronavirus-Pandemie zum Beispiel Laborausrüstung stark nachgefragt ist. Auch der Packaging-Bereich läuft gut derzeit, da durch die Hygienevorschriften die Verpackung von Lebensmitteln mit Kunststoff wieder gewünscht ist.

Unterscheidet sich die Nachfrage auch weltweit gesehen? Das Coronavirus hatte China und die chinesische Wirtschaft als erstes im Griff. Gibt es dort Zeichen der Erholung?
Böhm:
Da ist wohl eher der Wunsch der Vater des Gedankens. Es hat natürlich in China nach Corona wieder eine Belebung gegeben. Aber man muss bedenken, dass auch chinesische Unternehmen in den europäischen Markt liefern. Und wenn der europäische Markt an bestimmten Stellen nichts abnimmt, dann ist es egal, ob ein Unternehmen in China oder in Europa produziert. Es braucht dann einfach keine zusätzliche Kapazität. Diesen Effekt sehen wir jetzt zum Beispiel in der Automobilindustrie. Für diese werden in China oder anderen asiatischen Ländern viele Teile produziert, aber die Stückzahlen sind aktuell noch sehr weit weg von denen vor der Krise.

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Kurzarbeit, aber weiter hohes Entwicklungstempo

Welche Maßnahmen haben Sie bei Arburg getroffen, um auf die massiv gesunkene Nachfrage zu reagieren? Gibt es bei Ihnen zum Beispiel Kurzarbeit?
Böhm:
Ja, wie auch bei so vielen Unternehmen im Land und in der Branche haben wir bei Arburg Kurzarbeit, in der Regel in den Produktionsbereichen ein Tag pro Woche. Außerdem haben wir die Zahl der Leiharbeitnehmer reduziert. Mit diesen Maßnahmen und der sehr guten Unterstützung unserer Belegschaft, die mit uns an einem Strang zieht, haben wir eine gute Kapazitätsanpassung hinbekommen. In den Administrations- und in den Entwicklungsbereichen machen wir ebenfalls Kurzarbeit – allerdings mit Augenmaß. Denn uns ist wichtig, trotz Corona und schwacher Wirtschaft auch weiter nach vorne zu kommen und innovative Technologien zu entwickeln.

Investitionen schon mit Blick auf kommende Jahre

Waren oder sind die Corona-Hilfspakete der Bundesregierung für Arburg ein Thema?
Böhm:
Das wurde in der Geschäftsführung bislang nie thematisiert. Da haben wir als Familienunternehmen, das nicht an der Börse gelistet ist, auch einen großen Vorteil. Natürlich stellen unsere Gesellschafter Forderungen hinsichtlich Kosteneinsparungen und Effizienzbestrebungen. Aber sie gehen sehr ruhig und souverän mit der Situation um, immer auch mit dem Blick nach vorne. Strategische Investitionen werden nicht angehalten, der Blick geht weiter in das Jahr 2021/2022.

Bei vielen Unternehmen gab es aufgrund der weltweiten Pandemie Störungen in der Lieferkette. Bei Arburg auch?
Böhm:
Wir produzieren ja ausschließlich in Loßburg – und Erfolgsfaktoren sind hier zum Beispiel unsere hohe Fertigungstiefe sowie unsere kurzen und sehr robusten Lieferketten. Dies war auch in dieser Zeit ein Vorteil. Wir waren nicht wie viele andere Unternehmen auf Lieferungen aus China oder Asien angewiesen, die vielleicht gar nicht kamen oder aufgrund von Quarantänemaßnahmen wochenlang in einem Hafen festlagen. Auf die Lieferung von Rohmaterial mussten wir hier und da mal einen Tag länger warten. Aber zu Produktionsausfällen ist es dadurch nie gekommen.

Und wie sah es mit Auslieferungen und Abnahmen von Maschinen aus?
Böhm:
Wir hatten im April zeitweise etwas Mühe, einzelne Maschinen schnell genug vom Hof zu bekommen, da die kurzfristige Beschaffung von Containern zum Teil etwas schwierig war. Aber ansonsten hatten wir keine großen Probleme bei den Auslieferungen. Auch der Transport nach Übersee hat relativ reibungslos geklappt. In Richtung Asien hat uns sicherlich geholfen, dass wir seit einigen Jahren auch Maschinen mit der Bahn durch Russland transportieren lassen. Maschinenabnahmen durch den Kunden sind zum Teil „remote“ erfolgt. Per iPad war der Kunde quasi live dabei und konnte zusammen mit dem Arburg-Ansprechpartner Punkt für Punkt alle Anforderungen des Lastenhefts überprüfen. Das ist eine zusätzliche Alternative, ersetzt jedoch nicht den persönlichen Kontakt. Mittlerweile kommen die Kunden für Maschinenabnahmen aber auch wieder zu uns ins Haus. Der Parkplatz füllt sich allmählich wieder.

Betrieb im neuen Schulungscenter wieder angelaufen

Apropos Kundenbesuche: Anfang März haben Sie das neue Schulungscenter in Loßburg eingeweiht – und dann kam Corona, und seitdem steht es verwaist da, oder?
Böhm:
Ja, das war sehr schade. Aber wir fahren den Schulungsbetrieb seit Mitte Juni wieder hoch, selbstverständlich mit einem entsprechenden Konzept zu Sicherheits- und Hygienemaßnahmen. Das heißt, Schulungen finden nun in kleinen Gruppen statt.

Sie sprachen von Maschinenabnahmen per Video. Alle Welt trifft und bespricht sich seit Beginn der Pandemie via Videokonferenz. Haben Sie den Eindruck, dass die Corona die Digitalisierung der Industrie beschleunigt?
Böhm:
Es wäre schön, wenn die Digitalisierung der Fabrik weiter vorangetrieben würde. Aber ich habe leider nicht den Eindruck, dass die Unternehmen die ruhigeren Zeiten gerade nutzen, um dies zu tun. Hier hat Corona nicht den Turboboost gezündet. Wir analysieren derzeit, welche Funktionalitäten in unserem Kundenportal arburgXworld sehr gut laufen und welche weniger gut. Auf hohe Akzeptanz stößt beispielsweise der Shop mit dem Ersatzteilgeschäft oder auch der Blick auf die Steuerung. Fragt man Kunden in Deutschland nach anderen Features, finden sie diese gut – sie nutzen sie aber nicht. In anderen Ländern wie den USA, Italien oder Spanien hingegen stehen die Verarbeiter dem deutlich offener gegenüber.

"Wir brauchen gute Nachrichten für die Trendwende"

Rechnen Sie mit einer schnellen Erholung der Wirtschaft und der Nachfrage nach Spritzgießmaschinen?
Böhm:
Wir gehen davon aus, dass die derzeitige Seitwärtsbewegung auf dem Markt noch eine Weile andauern wird, also auf alle Fälle noch bis ins Jahr 2021 hinein. Und die Lage bleibt hochgradig unsicher, da es in der Pandemie sicherlich auch wieder Rückschläge geben wird. Aber ich will nicht Schwarzmalen. Wenn wir das alle machen, führt dies nur zu einer weiteren Abwärtsspirale – und die müssen wir auf alle Fälle vermeiden. In der Wirtschaftskrise 2009 hatten wir dies zum Teil; da haben es manche Unternehmen nicht zugegeben, wenn bei ihnen gut lief. Es gibt auch jetzt viele Unternehmen, die gute Geschäfte machen, die sind aber still. Wir brauchen gute Nachrichten, um die Trendwende einzuläuten. Den Punkt haben wir offensichtlich bald erreicht.

Sabine Koll

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