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Strategien für die Dekarbonisierung der Kunststoffbranche

Energie- und Ressourceneffizienz sowie die Kreislaufwirtschaft sind laut Fraunhofer ISI Voraussetzungen für die Dekarbonisierung in der Kunststoffbranche.
Borealis-Standort in Kallo, Belgien

Energie- und Ressourceneffizienz sowie die Kreislaufwirtschaft sind laut Fraunhofer ISI Voraussetzungen für die Dekarbonisierung in der Kunststoffbranche.

In drei Szenarien zeigt eine neue Studie des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung ISI, dass sowohl ein ambitionierter Fortschritt bei der Energie- und Ressourceneffizienz als auch der Ausbau der Kreislaufwirtschaft zentrale Voraussetzungen für eine erfolgreiche Dekarbonisierung und damit Wende der Industrie darstellen – insbesondere bei den CO2-intensiven Grundstoffen wie Kunststoff oder Stahl. Ansonsten wäre der Bedarf von CO2-neutralen Sekundärenergieträgern weitaus höher, was zu höheren Kosten und noch größeren Herausforderungen beim Umbau des Energiesystems führen würde. Strategien zur Umstellung auf eine Kreislaufführung haben nach der Studie besonders große Wirkung.

Die Studie des Fraunhofer ISI berechnet drei Szenarien, um mögliche Transformationspfade für eine klimaneutrale Industrie aufzuzeigen. Im Fall der Kunststoffbranche beleuchtet das Institut mit Sitz in Karlsruhe sowohl die Kunstoffherstellung als auch die -verarbeitung. Die Schwerpunkte liegen bei der Elektrifizierung sowie der Nutzung von Wasserstoff oder synthetischen Kohlenwasserstoffen. Der Bericht des Projekts „Langfristszenarien für die Transformation des Energiesystems in Deutschland“ (Langfristszenarien 3) wurde im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz erstellt.

Dekarbonisierung mit verschiedenen Pfaden zur Treibhausgasneutralität

Die drei berechneten Szenarien erreichen eine Minderung der Treibhausgasemissionen im Industriesektor von etwa 97 % gegenüber dem Jahr 1990. Auf den Einsatz fossiler Energieträger sowie Biomasse wird vollständig verzichtet. Verbleibende Restemissionen sind verteilt auf mehrere, überwiegend relativ kleine Quellen von Industrieprozessen. Die Energieversorgung wird in den Szenarien jeweils stark auf Strom, Wasserstoff beziehungsweise Power-to-Gas umgestellt.

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Aufbau einer Wasserstoff-Transportinfrastruktur ist immer sinnvoll

Die Szenarien zeigen einen Wasserstoff-Bedarf von über 150 TWh pro Jahr alleine für die Versorgung der etwa 20 größten Chemie- und Stahlstandorte. Der Aufbau einer entsprechenden Versorgungsinfrastruktur könnte entlang bestehender Erdgas-Trassen geschehen. Klare Ausbauziele würden der Industrie Planungssicherheit beim Umbau des Anlagenparks bieten.

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Elektrifizierung ist die effizienteste Option für die CO<sub>2</sub>-neutrale Prozesswärme

Die Elektrifizierung ist in den meisten Branchen die effizienteste Möglichkeit der CO2-neutralen Versorgung mit Prozesswärme, da weniger Umwandlungsverluste wie bei der Erzeugung von Wasserstoff oder synthetischen Kohlenwasserstoffen beziehungsweise Power-to-Gas auftreten. Gleichzeitig sind für die Unternehmen die Unsicherheiten hinsichtlich der zukünftigen Verfügbarkeit von grünem Strom am Standort geringer. Hingegen verlangt eine Elektrifizierung bei den meisten Prozessen einen umfangreichen Umbau oder Austausch bestehender Heizkessel und Ofenanlagen. Dem Einsatz von hybriden Systemen, welche flexibel Wasserstoff, Strom oder Erdgas nutzen können, kann dabei eine Schlüsselrolle zukommen und der Industrie eine graduelle Transformation ermöglichen.

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Beschleunigter Ausbau der Erneuerbaren für steigenden Strombedarf essentiell

Eine vollständige Elektrifizierung der Prozesswärme würde den Stromverbrauch der Industrie in Deutschland in etwa verdoppeln – auf über 400 TWh pro Jahr. Eine Fokussierung auf Wasserstoff oder Power-to-Gas würde einen noch höheren Strombedarf für die Erzeugung der entsprechenden Energieträger mit sich bringen. Entsprechend ist ein beschleunigter Ausbau der Erneuerbaren (besonders Wind und Solarenergie) für die Stromerzeugung sowie die Beseitigung von Netzengpässen eine sowohl notwendige wie auch robuste Strategie.

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Kunststoffbranche: CO<sub>2</sub>-Kreislauf über den Lebenszyklus wird etabliert

Diese Transformation hin zu einer nahezu CO2-neutralen industriellen Produktion setzt laut Fraunhofer ISI grundlegende Weichenstellungen voraus. Einige wichtige Voraussetzungen sind für alle drei Szenarien:

Neue CO2-neutrale Herstellungsverfahren sind ab 2025/2030 marktfähig und auf den industriellen Maßstab skaliert. Sie erreichen 100 % Bestandsdiffusion bis 2050 in den Grundstoffbranchen, besonders in der Chemie, Stahl- und Zementindustrie.

  • Grüner Strom, Wasserstoff oder Power-to-Gas sind großflächig verfügbar und verdrängen fossile Energieträger vollständig.
  • Grüner Wasserstoff oder Power-to-Gas versorgen Chemie und Stahlindustrie.
  • Kreislaufwirtschaft setzt sich weiter durch: Elektrostahl wird für Qualitätsstähle verwendet, stärkeres Kunststoffrecycling.
  • Materialeffizienz entlang der Wertschöpfungskette steigt deutlich, besonders in der Bauwirtschaft.
  • Energieeffizienz wird weiter ambitioniert gesteigert und vorhandene Potenziale werden über beste verfügbare Techniken ausgeschöpft.
  • CO2 wird Rohstoff und ein CO2-Kreislauf über den Kunststoff-Lebenszyklus wird etabliert, einschließlich einer Infrastruktur für Abscheidung und Transport
  • Der Umbau und Ausbau der Transportinfrastruktur für Wasserstoff und Strom geschieht großflächig und zügig, sodass er auch in stark betroffenen Regionen nicht zum Flaschenhals der Industrietransformation wird Der Aufbau eines Wasserstoff-Transportnetzes sollte große Industrienachfrager zentral berücksichtigen.
Joint Venture für chemisches Recycling
Neste und Ravago gründen ein Joint Venture für chemisches Recycling von Kunststoffabfällen. In den Niederlanden soll eine Anlage für 55.000 jato entstehen.

Perspektive für den Betrieb CO<sub>2</sub>-neutraler Herstellungsverfahren

„Die von uns berechneten Szenarien zeigen, dass besonders die nächsten Jahre für das Erreichen der Klimaziele entscheidend sind. Das neue Sektorziel des novellierten Klimaschutzgesetzes verstärkt den Handlungsdruck zusätzlich und kann nur erreicht werden, wenn die Politik den regulatorischen Rahmen so anpasst, dass die Industrie eine klare Perspektive für den wirtschaftlichen, groß-industriellen Betrieb CO2-neutraler Herstellungsverfahren hat“, sagt Dr. Tobias Fleiter, Leiter des Geschäftsfelds „Nachfrageanalysen und -projektionen“ am Fraunhofer ISI. „Die von uns identifizierten robusten Strategieelemente sollen kurzfristige Entscheidungen und Weichenstellungen ermöglichen, wenngleich langfristig natürlich noch große Unsicherheiten bestehen.“

sk

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