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Spritzgießmaschinen: Holmlos-Technik für Inhalatoren

Antriebsrohre für Inhalatoren produziert Gerresheimer auf holmlosen E-Victory Spritzgießmaschinen von Engel – und dies mit hoher Effizienz.

Mit der Umstellung auf ein wiederverwendbares System bekam das Antriebsrohr, das die Wirkstoffpatrone im Inneren des Inhalators umschließt, ein neues Design. Mit seinen vielen Funktions- und Montageelementen stellt es hohe Anforderungen an den Spritzgießprozess.

Weit über 100 Mio. Inhalatoren produziert Gerresheimer im Jahr am Standort Pfreimd in der Oberpfalz in verschiedenen Ausführungen und für unterschiedliche pharmazeutische Unternehmen auf Spritzgießmaschinen. „Maßhaltigkeit und Prozessstabilität sind unser oberstes Gebot“, sagt Peter Felber, Global Senior Director Operational Excellence von Gerresheimer. Eine hohe Maßhaltigkeit ist nicht nur für die automatisierte Montage wichtig, sondern vor allem für die zuverlässige Funktion der Produkte. Bei bestimmten Erkrankungen kann davon das Leben der Patienten abhängen. Die von Gerresheimer produzierten Inhalatoren enthalten zum Beispiel Medikamente gegen Asthma, chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) oder Mukoviszidose.

Antriebsrohre für Inhalatoren bestehen aus PBT

Die Drug-Delivery-Systeme bestehen jeweils aus einer Vielzahl anspruchsvoller Spritzgießteile. Auf E-Victory 740/180 Spritzgießmaschinen von Engel werden für solche Inhalatoren unter anderem so genannte Antriebsrohre produziert. Die zylindrischen Bauteile aus Polybutylenterephthalat (PBT) weisen verschiedene Montage- und Funktionselemente auf und umschließen im fertig montieren Inhalator die Wirkstoffpatrone. Mit der neuen Inhalator-Generation – hier ein Beispiel von Boehringer Ingelheim – hat ein Kunde von Gerresheimer auf ein umweltfreundliches, wiederverwendbares System mit austauschbaren Wirkstoffpatronen umgestellt. Einige funktionsrelevante Spritzgießteile mussten dafür neu konzipiert und konstruiert werden.

Als Systemanbieter begleitet Gerresheimer seine internationalen Kunden von der Produktentwicklung und Industrialisierung über die Produktion und Montage unter GMP- und FDA-Bedingungen bis zur Funktionsprüfung, Verpackung und Logistik.

Holmlose Schließeinheit hält Produktionszellen kompakt

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Die Antriebsrohre werden nach dem Spritzgießen automatisiert aus dem Werkzeug entnommen, in Trays gestapelt und ins Zwischenlager gebracht. Da auch das Hochregallager Teil des Reinraums ist, müssen die Teile nicht aufwändig verpackt werden. Sie stehen für die Montage jederzeit schnell wieder zur Verfügung. Das Besondere im Werk Pfreimd ist, dass alle Reinraum-Produktionsbereiche, die zusammen über 20.000 m2 umfassen, miteinander verbunden sind. Somit entfallen für das Personal während der Arbeit alle Ein- und Ausschleusvorgänge.

„Wichtig im Reinraum ist, dass die Produktionsfläche optimal genutzt wird“, macht Felber deutlich. Zur Steigerung der Flächenproduktivität setzt Gerresheimer deshalb immer mehr hoch belegte Mehrkavitätenwerkzeuge ein, die üblicherweise entsprechend große Spritzgießmaschinen erfordern. Die E-Victory Maschinen mit ihrer holmlosen Schließeinheit können hier ihre Stärken voll ausspielen. Da keine Holme stören, lassen sich die Werkzeugaufspannplatten bis an den Rand vollständig ausnutzen. Damit passen große Werkzeuge auf vergleichsweise kleine Spritzgießmaschinen, was bei engen Platzverhältnissen eine deutlich bessere Raumnutzung ermöglicht.

Holmlostechnik erlaubt große Werkzeuge auf kleineren Maschinen

Mehrere E-Victory Spritzgießmaschinen stehen für die Produktion der Antriebsrohre im Werk Pfreimd bereit.

Dieser Vorteil kommt gleichermaßen beim Einsatz von Mehrkavitätenwerkzeugen und der Produktion von geometrisch komplexen Bauteilen, die im Werkzeug Schieber und Kernzüge erfordern, zum Tragen. Die zum Abformen der Teile benötigte Schließkraft ist in beiden Fällen kleiner als die installierte Schließkraft einer Holmmaschine, deren Holmabstände groß genug wären, ein solches Werkzeug aufzuspannen. „Beim Einsatz einer Holmmaschine bräuchten wir für unsere Mehrkavitätenwerkzeuge eine höhere Schließkraftklasse“, sagt Helmut Neuper, Expert Injection Molding Technology bei Gerresheimer. „Die Holmlostechnik hilft uns, kleinere Maschinen mit einem niedrigeren Energieverbrauch auszuwählen.“

Da Handling-Systeme zum Entformen der Spritzgießteile direkt von der Seite aus in den Werkzeugbereich einfahren können, ist beim Einsatz holmloser Spritzgießmaschinen – hier lesen Sie mehr zur Geschichte der Holmlos-Maschinen von Engel, die 2019 30jähriges Jubiläum feierte – oft auch die Anlagenhöhe geringer als beim Einsatz von Holmmaschinen. Dies ermöglicht den Einsatz von Standardrobotern auch in niedrigen Produktionshallen.

Dynamische Plattenparallelität dauerhaft stabil

Der barrierefreie Zugang zur Schließeinheit macht manuelle Arbeiten am Werkzeug besonders einfach.

Mehr als 30 holmlose Spritzgießmaschinen betreibt Gerresheimer, und auch für viele zukünftige Projekte ist diese Bauart gesetzt. Der Weg dorthin war jedoch lang. „Es gab anfangs deutliche Vorbehalte gegenüber der holmlosen Schließeinheit bei uns im Haus“, berichtet Neuper. „Wie ist es mit der Plattenparallelität beim Öffnen und Schließen der Form? Kann man ohne Holme Präzisionsteile produzieren? Führt die Holmlostechnik zu einem schnelleren Verschleiß des Werkzeugs? – Diese Fragen beschäftigten unsere Fachexperten.“

Die Verantwortlichen wollten es dennoch wissen und nahmen 2016 Kontakt mit Engel auf. Nicht um eine holmlose Maschine für die Produktion zu bestellen, sondern zum Messen der dynamischen Plattenparallelität der holmlosen Schließeinheit. Über ein ganzes Jahr lang testete Gerresheimer eine E-Victory Maschine auf Herz und Nieren. Hierfür wurde ein Mehrachsen-Laser-Interferometer an der Oberseite des Werkzeugs befestigt und jeweils die Entfernung zur beweglichen Aufspannplatte erfasst – und das mehrfach über den gesamten Spritzgießzyklus bei verschiedenen Öffnungszuständen des Werkzeugs und bei verschiedenen Werkzeugtemperaturen.

Sehr hohe Führungsgenauigkeit mit Tests nachgewiesen

„Das Ergebnis hat uns überzeugt“, so Neuper. 2017 wurde am Standort Pfreimd eine erste E-Victory Spritzgießmaschine für den regulären Produktionsbetrieb installiert. Das Messen jedoch ging weiter. Eine erste Testreihe an der neuen Maschine begleitete die Inbetriebnahme. Es wurde sowohl kurz vor der Auslieferung der Maschine im Engel-Werk in Schwertberg als auch kurz nach der Installation vor Ort in Pfreimd gemessen. Ein weiterer, abschließender dynamischer Parallelitätstest fand 2019 statt. Das Ergebnis: Nach 2,5 Jahren Produktionsbetrieb hat sich die Parallelität der Werkzeugaufspannplatten nicht verschlechtert. „Wir haben mit den fundierten Tests nachweisen können, dass die Führungsgenauigkeit auf holmlosen Maschinen mindestens so gut ist wie auf Holmmaschinen“, betont Felber.

Spritzgießmaschinen flexibel bei kurzen Projektlaufzeiten

Haben die holmlose Schließeinheit gemeinsam auf Herz und Nieren getestet: (von links)P eter Felber (Gerresheimer), Mario Oppelt (Engel Deutschland), Helmut Neuper (Gerresheimer), Markus Malleck und Franz Pressl (beide Engel Austria).

Holmlose Spritzgießmaschinen von Engel besitzen einen massiven Rahmen. Die Schließeinheit wird dadurch ideal abgestützt und biegt sich auch bei sehr schweren Werkzeugen nicht durch. Mit zusätzlich erhältlichen Führungsschuhen für die bewegliche Werkzeughälfte, wie sie auch Gerresheimer nutzt, lässt sich das Werkzeuggewicht beinahe unbegrenzt erhöhen. Die zentralen Biegeelemente sorgen dafür, dass die bewegliche Aufspannplatte auch unter Schließkraft dem Werkzeug exakt folgt und sich der Parallelität der beiden Werkzeughälften anpasst.

Eine dritte konstruktive Besonderheit der holmlosen Schließeinheit sind die Force Divider, die die Schließkraft gleichmäßig über die gesamte Aufspannfläche verteilen. Diese sichern auch beim Einsatz von Mehrkavitätenwerkzeugen eine konstant hohe Teilequalität ohne Gratbildung.

Für die konstant hohe Qualität der Antriebsrohre ist die Schließeinheit aber nicht allein verantwortlich. „PBT ist schwierig zu verarbeiten“, berichtet Neuper. Engel hat die Plastifiziereinheit der E-Victory Spritzgießmaschinen gezielt an die Anforderungen von PBT angepasst und die Schnecken mit einem entsprechenden Schermischkopf ausgeführt.

„Wir erwarten von unseren Lieferanten sehr viel Flexibilität“, sagt Felber. „Bei uns bestimmt das Werkzeug die Maschine; nicht die Maschine das Werkzeug.“ Eine besondere Herausforderung dabei sind die kurzen Projektlaufzeiten. Meistens laufen die Werkzeugkonstruktion und die Projektierung der Spritzgießmaschinen zeitgleich. Da müssen Verarbeiter und Maschinenhersteller sehr gut abgestimmt sein, um keine Zeit und auch kein Geld zu verlieren.

Konnektivität definiert neue Anforderungen

Die Spritzgießfertigung ist voll automatisiert. Alle Logistikvorgänge werden mit Robotern und fahrerlosen Transportsystemen ausgeführt. Das Hochregallager ist an den insgesamt 20.000 m2 großen Reinraum angeschlossen.

Viel Flexibilität für Sonderlösungen auf einer weitgehend standardisierten Maschinenbasis – so lautet die Strategie von Gerresheimer, die Engel sehr gut unterstützt. Wenn es die Situation erfordert, auch mit einem kopfüberhängenden Knickarmroboter, von dem Mario Oppelt von Engel Deutschland berichtet: „Der Platz für das ursprünglich geplante Linearhandling reichte einfach nicht aus.“ Felber ergänzt: „Bei Engel steht bei jedem Projekt von Beginn an die gesamte Mannschaft dahinter. Das ist es, was unsere Partnerschaft auszeichnet und schnelle Entscheidungen ermöglicht.“

Für die Zukunft haben die beiden Partner gemeinsam viel vor. „Formula D“ lautet das Programm, das Gerresheimer in die digitale Zukunft führt. „Die Konnektivität und die erweiterte Nutzung von Prozessdaten der Spritzgießmaschine spielen in Zukunft eine ganz zentrale Rolle“, so Felber. „Wir wissen, dass Engel auch beim Thema Digitalisierung gut aufgestellt ist und diesen Weg mit uns gehen kann. Sowohl hier in Pfreimd als auch an allen anderen Standorten in der Welt.“

Susanne Zinckgraf, Manager Public Relations, Engel Austria

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