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Hochleistungskunststoffe 5. November 2020

So präzise wie gespant: Implantatschrauben aus PEEK

Pfaff gelingt es mit einer automatisierten Spritzgießzelle von Arburg, Mikro-Implantatschrauben aus PEEK so präzise zu fertigen als wären diese gespant.
Diese zwei Implantatschrauben für die Dentaltechnik aus PEEK fertigt Pfaff auf der Spritzgießzelle von Arburg, die 2011 angeschafft wurde.
Diese zwei Implantatschrauben für die Dentaltechnik aus PEEK fertigt Pfaff auf der Spritzgießzelle von Arburg, die 2011 angeschafft wurde.

Pfaff gelingt es mit einer automatisierten Spritzgießzelle von Arburg, Mikro-Implantatschrauben aus PEEK so präzise zu fertigen als wären diese gespant.

Die winzigen Implantatschrauben für die Dentaltechnik aus PEEK passen genau zur Strategie des Kunststoffverarbeiters mit Sitz im badischen Walkirch: „Sandkastenschaufeln fertigen wir nicht. Wir fokussieren uns auf Teile mit technischen Herausforderungen. Das war schon immer die Strategie meines Vaters – und daran halten wir weiter fest. Letztlich haben wir uns damit ein starkes Standbein in der Medizintechnik aufbauen können“, betont Geschäftsführerin Corinna Pfaff. Sie hat vor zwei Jahren die Leitung des Unternehmens in Waldkirch in der Nähe von Freiburg übernommen, das ihr Vater vor 28 Jahren aufgebaut hat.

Andras Buff und Corinna Pfaff leiten das Unternehmen, das mittlerweile 17 Mitarbeiter beschäftigt.
Andras Buff und Corinna Pfaff leiten das Unternehmen, das mittlerweile 17 Mitarbeiter beschäftigt.

„Wir fertigen schon lange Spritzgießteile für Unternehmen aus der Medizintechnik, doch haben wir den Bereich in den vergangenen Jahren nochmal erfolgreich intensiviert. So haben wir vor vier Jahren entschieden, uns in Zukunft komplett aus der Automobilbranche zu verabschieden, weil hier der Preisdruck immer größer wurde“, so Pfaff. Hin und wieder habe man noch Aufträge aus diesem Bereich, aber das seien Einzelfälle. „Wir stehen für Qualität und Präzision – und diese Strategie ist mit Preisdruck nicht realisierbar. Ich habe außerdem das Gefühl, dass man in der Medizintechnik als Lieferant mit wenig Reklamationen und guter Dokumentation viel mehr wertgeschätzt wird als im Automotive-Bereich.“

60 % der Umsätze macht das badische Unternehmen mittlerweile mit der Medizintechnik. Zu dieser Entwicklung hat die Zertifizierung nach EN ISO 13485, der Norm für Qualitätsmanagementsysteme für Medizinprodukte beigetragen, die 2011 erlangt wurde. „Derzeit ist diese Zertifizierung noch nicht für alle Kunden im Medizintechnikumfeld wichtig. Aber ich gehe davon aus, dass sich die Relevanz der Norm durch die EU-Medizinprodukteverordnung MDR stark ändern wird“, betont Pfaff. Die MDR sollte eigentlich bereits im Mai 2020 in Kraft treten. Dieser Zeitpunkte wurde durch die Corona-Pandemie aber um ein Jahr nach hinten verschoben.

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Fertigung nach Reinraumklasse 7

Ein weiterer Faktor für den Erfolg in der Medizintechnik war der Kauf einer kompletten Fertigungszelle mit Roboter in einer Reinraumbox der Klasse 7 bei Arburg, ebenfalls im Jahr 2011. Kern der Spritzgießzelle ist ein vollelektrischer 2K-Allrounder 370A 600-70 Alldrive, angedockt an ein Reinraummodul der Klasse 7 von Alpha Ionstax. Integriert in die Spritzgießzelle sind ein Sechs-Achs-Roboter von Kuka und eine Verpackungsanlage von A&D für das Handling und die Verpackung der fertig gespritzten Produkte unter Reinraumbedingungen. „Als kleines Unternehmen haben wir keine Ressourcen, um selbst eine so komplexe Fertigungszelle aufzubauen. Das würde an den Schnittstellen zwischen den einzelnen Systemen scheitern. Daher war es für uns keine Frage, diese Zelle bei Arburg als Turnkey-Anlage zu bestellen“, sagt die Geschäftsführerin.

Sie erinnert sich: „Die Anschaffung war für uns eine Rieseninvestition, zumal die Anlage in der Anfangszeit nicht vollständig ausgelastet war, sondern nur zu 25 Prozent. Doch den großen Optimismus, dass sich ein solches Invest in die Zukunft langfristig für uns rechnen wird, habe ich von meinem Vater. Er war damals auch überzeugt, dass wir damit neue Anfragen und Aufträge erhalten werden. Und das hat sich im Laufe der vergangenen Jahre als richtig erwiesen.“

Langjährige Erfahrung in der Verarbeitung von PEEK

Anlass für den Kauf der Spritzgießzelle war ein Auftrag für die Fertigung von winzigen Dentalbohrern aus PEEK, eine Innovation, die vor allem unerfahrenen Zahnärzten die Arbeit erleichtert: Der Bohrer aus Kunststoff entfernt das weiche Dentinkaries, trifft er aber auf gesundes, hartes Zahnbein, wird er stumpf. Dadurch sinkt das Risiko, dass der Zahnarzt mit dem Bohrer die Wurzel trifft – und der Patient somit eine Wurzebehandlung benötigt. Diese Dentalbohrer produziert Pfaff nach wie vor, und zwar in verschiedenen Größen.

Der nächste große Auftrag, für den Pfaff die Fertigungszelle von Arburg nutzt, kam zwei Jahre später: Ein Massageball für das Narbengel von Bepanthen, bestehend aus zwei Komponenten: Für die eigentliche Kugel wird ein PE, für die Achse ein PP verwendet.

Weitere Aufträge folgten, zuletzt für die Produktion von winzigen, filigranen Implantatschrauben mit Abdeckkappe. Diese kommen zum Einsatz, um Zahnimplantaten eine feste, belastbare Einheilung zu ermöglichen, bevor später der endgültige Zahnersatz in Form einer Einzelkrone, einer Brücke oder einer Zahnprothese implantiert wird. Um die Kappe herum formt sich das Zahnfleisch wie um einen natürlichen Zahn.

Implantatschrauben wurden zuvor spanend hergestellt

Kern der Spritzgießzelle ist ein vollelektrischer 2K-Allrounder 370A 600-70 Alldrive, angedockt an ein Reinraummodul der Klasse 7 von Alpha Ionstax. Integriert in die Spritzgießzelle sind ein Sechs-Achs-Roboter von Kuka und eine Verpackungsanlage von A&D für­ das ­Handling­ und­ die­ Verpackung­ der­ fertig­ gespritzten­ Produkte­ unter­ Reinraumbedingungen.
Kern der Spritzgießzelle ist ein vollelektrischer 2K-Allrounder 370A 600-70 Alldrive, angedockt an ein Reinraummodul der Klasse 7 von Alpha Ionstax. Integriert in die Spritzgießzelle sind ein Sechs-Achs-Roboter von Kuka und eine Verpackungsanlage von A&D für­ das ­Handling­ und­ die­ Verpackung­ der­ fertig­ gespritzten­ Produkte­ unter­ Reinraumbedingungen.

In der Vergangenheit hat der Medizintechnikhersteller die Implantatschrauben mit Abdeckkappe zerspanend aus einem PEEK-Halbzeug gefertigt. „Das war natürlich aufwändig und teuer, da ein hoher Anteil Abfall entstand. Außerdem ist das Handling dieser filigranen Bauteile beim Zerspanen sehr schwer“, so Pfaff. Daher hatte der Kunde den Wunsch, die gerade einmal 0,027 g wiegenden Implantatschrauben ohne anschließenden Zerspanvorgang zu fertigen. „Solche Projekte, die hochkomplex sind, bereiten uns den größten Spaß, denn hier können wir unser ganzes Know-how in Sachen PEEK-Verarbeitung und Mikrospritzgießen in die Waagschale legen“, sagt Andreas Buff, der Ehemann von Corinna Pfaff. Er ist im Familienunternehmen technischer Leiter, Prokurist und gleichzeitig der kreative Kopf.

Das Verarbeiten von PEEK auf der Spritzgießmaschine ist nicht trivial: Die Werkzeugformen werden auf 200 °C aufgeheizt, die Materialtemperatur beim Spritzgießen liegt bei etwa 400 °C. Das erfordert eine hohe Präzision auf Seiten der Spritzgießmaschine und des Werkzeugs.
Damit alles perfekt aufeinander abgestimmt ist, stand Pfaff dem Kunden wie fast immer bei solchen Projekten von Anfang an mit Rat und Tat zur Seite.

PEEK-Verarbeitung ohne Gratbildung

„Wichtig ist uns und dem Kunden, dass vor allem die Gewinde der Implantatschräubchen perfekt ausgespritzt sind und dass die Schrauben keinerlei Gratbildung aufweisen. Eine sehr hohe Präzision ist hier also gefragt“, erklärt Andreas Buff. „Theoretisch könnte man die Grate durch anschließendes Gleitschleifen entfernen, aber das wäre nochmal ein zusätzlicher Arbeitsschritt, den wir ausschließen wollten. Deshalb haben wir uns beim Werkzeug für den Einsatz von präzise geführten Schiebern entschieden, welche die Schraubkontur entformen. Sie sorgen bei den Implantatschrauben heute ebenso für gratfreie Bauteile und eine hohe Genauigkeit wie die elektrische Spritzgießmaschine von Arburg.“

Eine weitere An- und gleichzeitig Herausforderung war, den Anspritzpunkt möglichst unsichtbar zu machen. Mit dem bloßen Auge ist er tatsächlich nicht erkennbar – weder bei der Version mit einem großen Kopf noch bei der mit einem flachen Kopf. „Genau so soll es sein“, freut sich Buff. „Nur unter dem Mikroskop kann man sehen, wo der Anspritzpunkte jeweils ist.“ Bei der kleinen Schraube mit flachem Kopf wurde der Anspritzpunkt unten gewählt, bei der mit dem großen Kopf hingegen oben am Kopf in der Schräge, also dort, wo man ihn nicht vermuten würde. „Da muss das Werkzeug natürlich stimmig sein, damit es genauso rauskommt, wie es hier der Fall ist.“

Der Unternehmenssitz von Pfaff in Waldkirch einschließlich Produktion ist eine ­historische­ Fabrikhalle­. Diese hat vor zwei Jahren einen modernen Anbau erhalten: Seitdem sitzen die Mitarbeiter der Verwaltung in einem Open-Space-Büro­ über­ der­­ Maschinenhalle­.
Der Unternehmenssitz von Pfaff in Waldkirch einschließlich Produktion ist eine ­historische­ Fabrikhalle­. Diese hat vor zwei Jahren einen modernen Anbau erhalten: Seitdem sitzen die Mitarbeiter der Verwaltung in einem Open-Space-Büro­ über­ der­­ Maschinenhalle­.

Elektrische Maschine mit hoher Präzision

Für Buff ist auch klar, dass die elektrische Spritzgießmaschine ihren Teil zum Ergebnis beiträgt: „Wenn es um solche Ultrahochpräzisionsbauteile geht, führt kein Weg an einer elektrischen Spritzgießmaschine vorbei. Ich will nicht sagen, dass man das Ergebnis auf einer hydraulischen Maschine nicht erzielen könnte. Aber unsere Versuche zeigen immer wieder, dass man länger braucht, um den Prozess für ein fehlerfreies Produkt einzufahren. Und dann kann es passieren, dass bei der nächsten Charge wieder alles anders ist. Die Reproduzierbarkeit des Prozesses ist bei der elektrischen Alldrive definitiv höher.“

Die Serienfertigung der verschiedenen Versionen der Implantatschraube ist in diesem Jahr bei Pfaff auf der Fertigungszelle von Arburg gestartet. Unterm Strich erzielt der Kunde damit Kosteneinsparungen. „Die Kosten für das Werkzeug schlagen bei diesem Projekt natürlich zu Buche, aber ab einer Stückzahl von 5.000 Teilen haben sich diese amortisiert“, rechnet Buff vor. Der Kunde ist auf alle Fälle sehr zufrieden mit dem Ergebnis – und hat Pfaff bereits ein weiteres Projekt in Aussicht gestellt.

Weitere Bestellung einer Vollelektrischen

Und Pfaff investiert weiter in die Maschinen-Ausstattung: Vor Kurzem wurde eine weitere vollelektrische Spritzgießmaschine bei Arburg in Auftrag gegeben, die den Maschinenpark auf 15 Spritzgießmaschinen aufstocken wird. „Wir schauen bei jeder Maschinenbestellung über den Tellerrand und fragen bei anderen Herstellern an. Doch wir landen letztlich immer wieder bei Arburg. Zum einen ist der Service hervorragend. Das betrifft nicht nur die Ersatzteilbeschaffung, sondern auch die anwendungstechnische Beratung. Aktuell arbeiten wir an einem Projekt für winzige Linsen. Dabei hilft uns ein Anwendungstechniker aus Loßburg sehr gut weiter“, so Buff. „Außerdem steigen viele Hersteller aus, wenn sie hören, dass wir auch mal kleine Spritzaggregate mit Schnecken von 15 cm Durchmesser auf einer größeren Maschinen einsetzen wollen. Bei Arburg ist das mit dem Mikrospritzgießmodul kein Thema.“

Sabine Koll

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