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3D-Drucker 12. Oktober 2020

Serienfertigung mit 3D-Druckern beginnt bei Stückzahl 1

Beispiele aus Medizintechnik und Motorsport zeigen, wie schon heute 3D-Drucker zur Serienfertigung genutzt werden, und was Unternehmen beachten sollten.
Kalex Engineering setzt bei der Herstellung von Komponenten für Race-Bikes auf Serienteile aus dem 3D-Drucker:
Kalex Engineering setzt bei der Herstellung von Komponenten für Race-Bikes auf Serienteile aus dem 3D-Drucker:

Beispiele aus Medizintechnik und Motorsport zeigen, wie schon heute 3D-Drucker zur Serienfertigung genutzt werden, und was Unternehmen beachten sollten.

Zum Thema „Serienfertigung mit 3D-Druckern“ hat Christopher König, das „Brain“ und Co-Gründer von Dreigeist, eine klare Meinung: „Additive Fertigung ist grundsätzlich Serienfertigung.“ Das Unternehmen Dreigeist begleitet 3D-Druck-Entwicklungen in Industrie und Forschung vom Konzept bis zur Serienreife.

3D-Drucker für Kleinserienfertigung wirtschaftlich interessant

In der konventionellen Produktion sind Großserien wirtschaftlicher als Kleinserien. „Diesen Effekt kann man mit additiver Fertigung aushebeln“, erklärt Christopher König. In der additiven Fertigung sei gerade die Kleinserie in Sachen Wirtschaftlichkeit interessant. Hier lägen die Hebel einfach an anderen Stellen. Auch die Serienqualität lasse sich additiv gut realisieren: „Um die immer gleichen Ergebnisse zu erhalten, muss man nur die Prozessüberwachung eng genug halten.“

Nachgelagerte Prozesse automatisieren

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Der Gründer von Dreigeist kennt beides: Hochindividuelle 3D-Druckprozesse, an deren Ende ein Unikat steht. Und Jobs, bei denen 750 Teile pro Stunde aus dem Drucker laufen. Wie wirtschaftlich Serienfertigung im 3D-Druck ist, hängt unter anderem vom „Postprocessing“ ab: Viele mit 3D-Druck gefertigte Komponenten müssen nachbearbeitet werden. „Das geschieht oft händisch und macht den Vorgang zeit- und kostenintensiv.“ Nachgelagerte Druckprozesse durch Automatisierung wirtschaftlicher zu gestalten, sei eine der großen Bestrebungen der Branche.  

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Um wirtschaftliche und sichere Serienfertigung ging es bei einem Projekt, das Dreigeist mit dem Medizintechnik-Spezialisten Eckert & Ziegler Bebig entwickelte. Dabei sollte ein Applikator für die Bestrahlung gynäkologischer Tumore weiterentwickelt werden. Das als Brachytherapie bezeichnete Verfahren gibt es schon lange, aber es hatte Grenzen: Bei bestimmten Tumoren war der Spielraum des Applikators aufgrund seiner Mechanik zu gering. Mit konventionellen Herstellungsverfahren ließ sich das Problem nicht lösen. Hilfe versprach man sich vom 3D-Druck. Auch strebte man zwei ehrgeizige Ziele an: Das Applikator Add-On Kit sollte eine CE-Kennzeichnung erhalten (die erste für ein Produkt dieser Art weltweit) und sicher in Serie gefertigt werden.

In der Medizintechnik muss das Verfahren exakt zu Anforderung passen

„Bei der additiven (Serien)fertigung gibt es keine Standardlösung“, erklärt Christopher König. „Man muss genau das Druckverfahren finden, das exakt zum Produkt und dessen Anforderungen passt.“ Im Fall des Applikators entschied man sich für die Verarbeitung eines biokompatiblen Photopolymers im Direct-Light-Processing (DLP) Verfahren. Weil sich damit die Geometrie des Applikators präzise, wiederholgenau und prozesssicher umsetzen ließ, war es besonders geeignet. Auch passte es ideal zum Druckmaterial – einem biokompatiblen Photopolymer. Die Fertigungszeiten waren kurz und die produzierbaren Stückzahlen entsprachen den Zielen des Medizintechnikunternehmens.

Laut Christopher König ist die Validierbarkeit einer der Schlüssel für industrielle Serienfertigung. Wer zulassungsfähige Produkte herstellen möchte, muss jeden Fertigungsschritt nachweisen können und branchenspezifische Anforderungen erfüllen. Aktuell produziert Eckert & Ziegler Bebig den Applikator in Losgrößen zwischen 300 und 400 Stück. Rein drucktechnisch wäre mehr möglich, aber: Noch wird die Los-Obergrenze von mehreren – händisch abgewickelten – Bearbeitungsschritten wie Reinigung, Sterilisation und Verpackung limitiert. Aktuell arbeiten die Nürnberger Entwickler an unterschiedlichen Automatisierungslösungen für personalintensive Teilprozesse.

3D-Drucker überzeugen im Motorsport mit überlegenen Gestaltungsfreiheiten

Christopher König, Geschäftsführer der Dreigeist GbR: „Aus technologischer Sicht ist der 3D-Druck industrietauglich – aber die erfolgreiche Implementierung braucht Zeit.“
Christopher König, Geschäftsführer der Dreigeist GbR: „Aus technologischer Sicht ist der 3D-Druck industrietauglich – aber die erfolgreiche Implementierung braucht Zeit.“

Kalex Engineering stellt Rennbikes für die FIM Motorrad-Meisterschaft Moto2 her. Das Entwicklungsteam aus dem Augsburger Raum gewann bereits acht Weltmeistertitel. Nachdem Komponenten im Motorsport extrem klein und leicht sein müssen, sind die Designs der Teile oft sehr komplex. Was den „Freiheitsgrad“ bei der Bauteilgestaltung betrifft, ist die 3D-Druck-Fertigung mit Kunststoff den konventionellen Verfahren oft überlegen. Seit 2017 produziert Dreigeist für Kalex additiv gedruckte Teile in Kleinserie. „Wie bei jedem Projekt, schauten wir auch hier zuerst auf die Anforderungen“, erklärt Christopher König. „Was soll das Bauteil leisten, was muss es aushalten?“

Bei den Wasserausgleichsbehältern der Rennbikes war beispielsweise die Temperatur- und Vibrationsbeständigkeit des Materials ausschlaggebend: Schließlich muss der Tank kochendem Wasser ebenso standhalten wie den ständigen Erschütterungen im Fahrbetrieb. Halterungen und Aufnahmen für Analyse-Kabelbäume oder Onboard-Kameras gehören zu den leichtesten Übungen – sie sind an allen Bikes gleich. Fahrerspezifische Komponenten wie individuelle ergonomische Bauteile – z.B. Griffe, Hebel oder Sitzelemente - schöpfen hingegen das volle Potenzial des werkzeuglosen Herstellungsverfahren aus.

Nicht nur technisch eine Herausforderung

Additive Serienfertigung im Rennsport ist nicht nur technisch eine Herausforderung; auch der Umgang mit einer neuen Generation von filigranen Bauteilen will gelernt sein: Einige Komponenten hielten anfangs manch zupackenden Mechanikerhänden nicht stand. Nachdem das Handling der Teile in einer Arbeitsanweisung beschrieben worden war, klappte der Einbau jedoch tadellos; Im Einsatz selbst haben sich die Teile schnell bewährt.

Dass additiv gefertigte und im Motorraum verbaute Teile hohen Belastungen standhalten, zeigt das Beispiel einer Ansaugbrücke für den 70er-Jahre-BMW eines Oldtimer-Liebhabers. Eigentlich war das gedruckte Ersatzteil nur als Zwischenlösung gedacht: Nach seiner Reparatur sollte das Originalteil wieder eingebaut werden. Doch das war wider Erwarten bislang unnötig: Nach zwei Jahren funktioniert die Zwischenlösung aus dem Drucker nach wie vor einwandfrei. Sicher auch deshalb, weil man sich für das Material Somos® Taurus vom Hersteller DSM entschieden hatte, das passende mechanische Eigenschaften und die nötige Temperaturbeständigkeit aufweist.

Lebensdauer und Endstabilität nahe an konventionell gefertigten Komponenten

Was ihre Belastbarkeit betrifft, können additiv gefertigte Teile annähernd die Lebensdauer und Endstabilität konventionell gefertigter Komponenten erreichen. Ob dies gelingt ist abhängig von verschiedenen Faktoren: dem Material, der Geometrie der Teile, der Verarbeitung und den Einsatzbedingungen.

Additive Serienfertigung ist nicht an bestimmte Losgrößen gebunden: „Die Maschine macht, was ich will, wann ich will“, erklärt Christopher König. Der Vorteil: Kapital wird nicht gebunden, Unternehmen können zeitnah auf tatsächlichen Bedarf reagieren.

Heidrun Schoppelrey/gk

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