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Unternehmen

Regierung hat keine Zeit für Experimente

Branchenverband Tecpart forderte auf der Jahrestagung von der Politik schnelle und wirkungsvolle Entscheidungen für die Kunststoff verarbeitende Industrie.

Der neugewählte Tecpart-Vorstand (v.l.): Thorsten Eymael, Michael Trapp, Tecpart-Geschäftsführer Michael Weigelt, Andreas Kriener-Wierling, Aline Henke, Vorsitzender  Felix Loose, Rainer Zies, Rouven Steffens und Andreas Röders.
Der neugewählte Tecpart-Vorstand (v.l.): Thorsten Eymael, Michael Trapp, Tecpart-Geschäftsführer Michael Weigelt, Andreas Kriener-Wierling, Aline Henke, Vorsitzender  Felix Loose, Rainer Zies, Rouven Steffens und Andreas Röders.

Die deutschen Kunststoffverarbeiter konnten im ersten Halbjahr 2022 ihren Umsatz um 13,3 % steigern, die Hersteller von technischen Teilen um 6,2%. „Dies darf nicht über die wahren Probleme hinweg täuschen“, mahnte Felix Loose, Vorstandsvorsitzender von Tecpart, dem Branchenverband der rund 900 Hersteller von technischen Teilen, dem größten Segment der Kunststoffverarbeitung, auf der Jahrestagung des Verbands.

Wo die aktuellen Probleme liegen, wird denn auch bei den Herstellern von technischen Teilen besonders deutlich. Die teils verzehnfachten Energiepreise können neben den ebenfalls stark gestiegenen Material-, Personal- und Logistikpreisen so schnell nicht an den Markt weitergegeben werden, wie sie auf der anderen Seite steigen. Wesentliche Ursache ist der preistreibende Effekt des Merit-Orderprinzips für den Strompreis.

Regierung hat die Chance vertan, einen Strompreisdeckel einzuführen

„Es ist die vertane Chance der Bundesregierung, in dem Entlastungspaket keinen Industriepreisstromdeckel einzuführen. Es wäre völlig ausreichend gewesen, wenn die preistreibende Gasstromproduktion aus der Preisbildungsberechnung gezogen worden wäre. Zudem ist es uns völlig unverständlich, wie ein grüner Wirtschaftsminister auf CO2-schädliche Kohleverstromung setzt, statt die 16 Mrd. kWh Atomstrom am Netz zu lassen“, so Felix Loose.

Keine Zeit für Experimente

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„Herr Scholz – es ist keine Zeit für Experimente“ so Loose weiter, „wir können nicht auf das Prinzip Hoffnung setzen, schon irgendwie durch den Winter zu kommen“. Wenn die Regierung jetzt nicht schnell handelt, wird ein etwaig dann günstiger Industriestrom die Unternehmen nicht mehr erreichen, so die Überzeugung von Tecpart.

Hinzu kommen nach Überzeugung von Tecpart weitere Einschläge: Die Kaufkraft schwindet, in der Industrie bleiben jetzt schon Investitionen aus. Wie das Kölner Institut der Wirtschaft ermittelt hat, wurden durch die Krisen bereits 70 Mrd. EUR nicht in die Decarbonisierung investiert. Der Maschinenbau rechnet mit zurückgehenden Aufträgen in 2023, die in der Bauindustrie bereits sichtbar sind. Auch in wichtigen Kundenindustrien gehen die Auftragsbestände und die Auftragseingänge bedrohlich zurück.

Für Tecpart sind die Folgen klar: Wenn den Unternehmen und den privaten Haushalten über den Energiemarkt weiter Liquidität entzogen wird, werden sich Insolvenzen in der Industrie nicht vermeiden lassen. Dann wird die erwartete Rezession zu einer steigenden Arbeitslosigkeit führen.

Politische Entscheidungen dringend nötig

Um die Insolvenzwelle in der Zulieferindustrie zu verhindern muss es dringend politische Entscheidungen geben, so Tecpart. Ziel müsse es sein, zu verhindern, dass das Rückgrat unserer Industrie, der Mittelstand und die Automobilindustrie, dem Land verloren gehen. Abwanderungen und Unternehmensaufgaben stehen vor der Tür, mahnt Tecpart und ruft deshalb die Bundesregierung auf, sofort wirksame Entlastungen für die Industrie einzuführen.

An erster Stelle stehen für den Branchenverband ein Strompreisdeckel, denn der preisbestimmende Faktor darf nicht mehr durch Gaskraftwerke gesetzt werden, sowie eine Liquiditätssicherung durch Aussetzen oder Strecken der Rückzahlungsmodalitäten für Coronakredite.

Weitere Forderungen von Tecpart sind das Schaffen von Übergangszeiträumen und das befristete Aussetzen der Insolvenzantragspflicht, die Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke bis 2024, um nicht die Gasmangellage weiter zu verschärfen sowie die Verlängerung und Ausdehnung des Energiekostendämpfungsprogramms auf die gesamte Kunststoff verarbeitende Industrie. Zudem verlangen die Hersteller technischer Kunststoffteile die Überprüfung der Abschaltpriorität im Gasbereich zu Gunsten der Grundstoffindustrie.

Lichtblick: Kunststoff bleibt  Treiber der Decarbonisierung

Trotz der angespannten Lage gibt es jedoch für Tecpart unverändert Lichtblicke. So wird die Kunststoff verarbeitende Industrie ein Treiber bei der Decarbonisierung bleiben. Denn werkstoffbedingt benötigen Kunststoffprodukte weniger Energie bei der Verarbeitung und durch das meist geringere Gewicht wird zudem weniger Energie während der Nutzung verbraucht. Der steigende Einsatz von Rezyklaten leistet einen weiteren Beitrag zur Ressourcenschonung.

Die im Tecpart organisierten Compoundierer und Recycler leisten hier schon seit Jahren Pionierarbeit. Durch die Gremienarbeit von Tecpart in der europäischen und der nationalen Normung wird diese Leistung der Industrie abgesichert und vorangetrieben. Im engen Dialog mit den Abnehmerindustrien findet zudem ein Austausch zwischen den Kunststoffverarbeitern, deren Kunden und den Recyclern statt. Loose mahnt an dieser Stelle, dass hier jedoch mehr Mitwirkung aus der kunststoffverarbeitenden Industrie erforderlich ist, um die mindestens 50 Vorhaben auch leisten zu können.

Welche weiteren Rahmenbedingungen Tecpart-Geschäftsführer Michael Weigelt für die Transformation der Kunststoffbranche zur klimaneutralen Produktion fordert, erfahren Sie in seinem Gastkommentar. gk

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