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Optimierte Getriebehülse spart Ressourcen

40 g leichter, 60 % stabiler und 40 % günstiger sind Kunststoff-Getriebehülsen für eine elektrische Brems- und Schiebehilfe, nachdem KTJ sie optimiert hat.
Die Getriebehülsen für eine elektrische Brems- und Schiebehilfe, bevor (links) und nachdem KTJ sie optimiert hat. Sie besteht nun aus einem PA 12 mit 30 % Glasfaseranteil statt aus einem POM-H. Verbunden mit dem Leichtbauprinzip konnte das Gewicht um 40 g reduziert werden.

40 g leichter, 60 % stabiler und 40 % günstiger sind Kunststoff-Getriebehülsen für eine elektrische Brems- und Schiebehilfe, nachdem KTJ sie optimiert hat.

Durch das Optimierungsprojekt gelang es dem Kunststoffverarbeiter, in Zusammenarbeit mit seinem Kunden AAT Alber Antriebstechnik ein entscheidendes Kunststoffbauteil für das Getriebe eines Rollstuhlantriebs zu erneuern. Schon seit Jahren fertigt KTJ Kunststofftechnik Junker mit Sitz in in Obernheim die 100 mm lange Getriebehülse für die elektrische Brems- und Schiebehilfe V-Max von AAT. Sie hilft Rollstuhlnutzern, mühelos und angstfrei Gefällstrecken und Rampen mit bis zu 20 % Steigung zu befahren.

Früher ging es nicht ohne spanende Nachbearbeitung

KTJ musste den Rohling in der Vergangenheit nach dem Spritzgießen und dreiwöchiger Lagerung (Konditionierung) aufwendig nachbearbeiten. Alle Durchmesser erforderten eine spanende Überarbeitung. „Durch den immensen zeitlichen Aufwand und den Abfall entstehen hohe Kosten. Das ist einfach zu teuer“, erklärt KTJ-Geschäftsführer Jürgen Junker. Hinzu kam, dass die Getriebehülse aus Acetal-Homopolymer (POM-H) trotz Präzisionsarbeit gewisse Schwankungen aufgrund der fehlenden Dimensionsstabilität aufwies. POM-H bietet zwar ein gutes Gleitreibeverhalten und Laufruhe, die Festigkeit und Maßhaltigkeit des Teils entsprachen jedoch nicht den Idealvorstellungen.

Die Folgen: Wenn der Rollstuhlantrieb hohen Belastungen oder Temperaturwechsel ausgesetzt ist, können sich die Materialnachteile früher oder später bemerkbar machen. Der Antrieb beginnt unrund zu laufen. Die Verzahnung kann beschädigt werden und baut sich ab. Zähne können ausbrechen. Getriebeelemente greifen möglicherweise nicht mehr exakt ineinander.

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Projektziele für die Getriebhülse glichen der Quadratur des Kreises

Deshalb empfahl KTJ seinem Kunden AAT, Konstruktion und Material der Getriebehülse zu optimieren. Gesagt, getan. Beide Unternehmen starteten ein gemeinsames Entwicklungsprojekt auf Basis von Junkers interdisziplinärem Modell der Projektbegleitung. Die Projektziele für die Getriebehülse lauteten: keine Nachbearbeitung mehr, besseres Kunststoffmaterial, präziserer Spritzguss und niedrigere Herstellungskosten.

Die Lagersitze forderten alle heraus. Die Entwicklungspartner wollten unter allen Umständen verhindern, dass es weiterhin zu Schwachstellen kommen kann. Aber der Kunststoff offenbarte immer wieder Schwächen. Deshalb reifte die Idee, eine punktuell erhabene Lageraufnahme in Segmenten zu konstruieren: Feine, 0,3 cm erhabene Kacheln rund um den Zylinder bilden die Auflageflächen. Die anliegende Kraft verteilt sich auf diese Segmente. Durch eine Punktbelastung lassen sich Verzug und Schrumpfungen leichter im Kunststoffkörper ausgleichen, in dem die Segmente einzeln nacherodiert werden können. Die Klemmwirkung der Segmente funktioniert etwa wie ein umgekehrtes Bohrfutter. Junker weiß: „Damit muss man rechnen. Wir bewegen uns hier an konstruktions- und materialbedingten Belastungsgrenzen.“

Das Material war letztlich zu schwach, um der Krafteinwirkung durch Motor, Getriebe und Antriebswelle lebenslänglich standzuhalten. Das bisher verwendete POM-H des Typs Delrin 100 weist „nur“ ein Zug-E-Modul von 2900 MPa auf.

Optimiertes Werkstoffkonzept für einen perfekten Rundlauf

Jürgen Junker (rechts) und seine Kollegen schauen genau hin, wenn es darum geht, ein Kunststoffprojekt umfassend zu begleiten, Bauteile zu optimieren und Nachbearbeitung einzusparen.

Im ersten Schritt stellten sich die Partner daher die Materialfrage. Junker demonstrierte die Kraft eines PA 12 mit 30 % Glasfaseranteil. Dessen Zug-E-Modul liegt bei 6000 MPa. Dieses Polymer erfüllt die Stabilitätsanforderungen des Antriebs deutlich. Es ist nahezu schwundfrei, kommt so den geforderten Materialeigenschaften für einen perfekten Rundlauf sehr nahe. PA 12 erlaubt es darüber hinaus, die Wandstärke der Hülse zu reduzieren. Junker fügte noch ein Additiv hinzu, um die Gleiteigenschaften des Kunststoffs zu verbessern.

PA 12 lässt sich nicht nur verzugsarm, sondern auch leicht in komplexe und feinteilige Formen spritzen – wenn man das Fließ- und Temperaturverhalten genau kennt. Fräsende oder spanende Nachbearbeitung entfällt heute komplett. Man muss nur noch den Anguss abzwicken – und fertig ist die Getriebehülse.

Dann ging es an die Konstruktion. Die Entwickler entschieden sich für das Leichtbauprinzip. Das neue Konzept: Der zentrale Hülsenkörper erhielt eine säulenartige Architektur mit längs gerichteten konischen Rillen und Streben. Dieses Design war verwindungssteifer als die zuvor verwendete massive und klobige Hülsenwand und machte das Teil rund 40 g leichter.

Entscheidung für den Stangenanguss nach Füll- und Verzugssimulation

In dieser Projektphase kam es ganz besonders darauf an, dass die Spezialisten Hand in Hand arbeiten. „Wir führen CAD-Daten, Werkzeug-Know-how, Materialkenntnisse, Füll- und Verzugssimulation zusammen. Wir fokussieren uns ganz auf die Lösung für das eine Bauteil“, erläutert der KTJ-Chef. In der Füll- und Verzugssimulation ließen sich in bewährter Weise optimale Versiegelungszeiten und Anspritzpunkte ermitteln. Im Fall der Getriebehülse erwies sich ein Stangenanguss als zuverlässigste Variante.

Optimal geführte Temperierkanäle und 1200 bar Nachdruck sollten für eine homogenes Spritzgussergebnis sorgen. Ein neues Werkzeug mit allen notwendigen Formdetails krönte das gemeinsame Entwicklungsprojekt.

„Eine gut durchdachte Umsetzung einer Spritzteil-Lösung spart mehr Kosten als ein zunächst günstiges Werkzeugangebot. Schnell, unüberlegt und billig ist oft die teurere Lösung“, betont Junker. Er will seinen Kunden generell helfen, das volle Potenzial der Spritzgießtechnologie auszuschöpfen. Dabei kann es sich um ein ganz junges Projekt handeln, bei dem noch nicht klar ist, ob sich das geplante Bauteil überhaupt im Spritzgießverfahren fertigen lässt. Genauso steigt KTJ quer ein, wenn ein Projekt nicht vorankommt oder die Verantwortlichen unsicher sind. Je nach Komplexität stellt KTJ ein interdisziplinäres Team zusammen. Bei den Partnern handelt es sich um selbstständige Fachbüros, Konstrukteure, Werkzeugmacher und weitere spezialisierte Kleinunternehmen aus der Region. Auch ein Röntgeninstitut ist dabei.

sk

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