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Spritzgießen 23. Februar 2018

Marquardt setzt mit Piovan Maßstäbe in Granulattrocknung

Marquardt baut in Mazedonien ein neues Montagewerk mit Spritzgießproduktion auf. Die zentrale Trocknungs- und Materialversorgungsanlage von Piovan ist modular aufgebaut und wächst mit.

Marquardt baut in Mazedonien ein neues Montagewerk mit Spritzgießproduktion auf. Die zentrale Trocknungs- und Materialversorgungsanlage von Piovan ist modular aufgebaut und wächst mit.

Energieeffizienz, Rückverfolgbarkeit und Produktionseffizienz – das waren die übergreifenden Ziele, die die Marquardt-Gruppe beim Aufbau eines neuen Standorts in Mazedonien für die Materialversorgung setzte. Konkret handelt es sich um das neue Montagewerk mit Spritzgießtechnik der Marquardt Schaltsysteme SCS in Veles/Mazedonien. Aktuell fertigt diese Marquardt-­Tochter im Automobilbereich für die VW Gruppe für Audi, VW, Porsche und Scania sowie für Daimler Cars, Opel, Jaguar Land Rover, Takata, TRW, Witte und BMW. Die Produkte sind vornehmlich Bedienfelder für Klimaeinheiten, Lichtschalter und Fahrwerkssteuerungen.

Verantwortliche und Geschäftsführer auf der Bühne am automatischen Materialverteiler Easy­link 60: Thomas Schnur, (v.l.) Leiter­ Kunststofftechnologie, Steffen Strobel, Projektleiter, Wolfgang Aicher, General Manager Marquardt Mazedonien, sowie Alexander Fuchs, Projektleiter Tristar
Verantwortliche und Geschäftsführer auf der Bühne am automatischen Materialverteiler Easy­link 60: Thomas Schnur, (v.l.) Leiter­ Kunststofftechnologie, Steffen Strobel, Projektleiter, Wolfgang Aicher, General Manager Marquardt Mazedonien, sowie Alexander Fuchs, Projektleiter Tristar

Qualitätsprodukte wie etwa Komponenten für den Sichtbereich im Fahrzeuginterieur stellen hohe Anforderungen an die Produktionstechnik, insbesondere auch an die Materialversorgung der Spritzgießfertigung. Die Vorgaben von Marquardt sahen daher die Planung und Realisierung einer zent­ralen Trocknungs- und Materialversorgungsanlage mit einem Rück­verfolgbarkeitskonzept (Trace­ability) vor, von der Materiallagerung bis zum fertigen Bauteil. Daneben war eine optimale Ener­gieausnutzung insbesondere in der Granulattrocknung gefordert.

Die Lieferung aller Systemkomponenten hatte aus einer Hand zu erfolgen. Ebenso umfasste der Auftrag die Montage aller Kompo­nenten inklusive Rohrleitungen und Unterstützungskonstruktionen sowie die Implementierung einer Software zur Prozessüberwachung und Steuerung der Mate­rialaufgabe, Trocknung und vollautomatischen Förderung über einen automatischen Materialverteiler. Geplant war der Neubau einer Spritzerei mit zunächst 20 Spritzgießmaschinen, wie jetzt realisiert; wobei die Produktion zukünftig Schritt für Schritt weiter auf 32 Maschinen und schließlich auf bis zu 80 Spritzgießmaschinen ausgebaut werden soll.

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Material rückverfolgbar bis zur Sackaufgabe

Das nun verwirklichte Konzept von Piovan sieht 25 Tagesbehälter vor, jeweils aus Edelstahl à 300 l, für Rohmaterialbereitstellungen getrocknet und ungetrocknet. Alle Behälter sind ausgestattet mit Schlüsselschaltern und Ampelsystem. Öffnungs- und Schließprozesse erfolgen erst nach Einlesen eines Barcodes bei gleichzeitiger optischer Anzeige des korrekten Scanvorgangs über ein Ampelsystem an jedem Behälter und direktem Feedback über den kabellosen Handscanner. Dieses Vorgehen gewährleistet die volle Rückverfolg­barkeit (Traceability) von der Sackaufgabe bis zur Verarbeitung. Nur der berechtigte und vorab über das System zugewiesene Behälter öffnet sich nach dem Scannen der Barcodes an den Sä­cken; alle anderen bleiben fest verschlossen. Wird ein falscher Barcode gescannt, so wird der Behälter automatisch gesperrt und aus dem System genommen, um ungewollte­ Materialvermischungen zu vermeiden. Alle Scans werden als Event geloggt und sind jederzeit nachvollziehbar.

Für die vollautomatische Förderung kommt der automatische Materialverteiler Piovan Easylink zum Einsatz. Die Gesamtlösung ist in das Piovan-Prozessleitsystem Winfactory 4.0 eingebunden. In dieser Konfiguration können alle Materialien alternativ auch als Oktabinware gefahren werden. Das System identifiziert die Okta­binware selbstständig über den Barcode.

Auf der Bühne ist ebenfalls eine autoadaptive Trockungsanlage Modula GMP 50 installiert.
Auf der Bühne ist ebenfalls eine autoadaptive Trockungsanlage Modula GMP 50 installiert.

Redundanztrockner sichert die Produktion

Gleich für die höchste Ausbaustufe­ des neuen Werks in Veles ist die Trocknerbühne ausgelegt. Hier sind drei autoadaptive frequenzgeregelte Piovan-Trocknungs­anlagen vom Typ Modula GMP50 Adaptive als Multi-Dryer-Anlage aufgebaut und zunächst mit 32 Trocknungsbehältern von 100 bis 400 l Inhalt verbunden. Die eingesetzte Lagerbühne ist ebenfalls durch den Piovan-Partner Tristar mit Sitz in Stutensee-Blankenloch bei Karlsruhe geliefert und installiert worden.

Einer der drei Trockenlufterzeuger fungiert in dieser Konfiguration als Redundanztrockner, welcher im Regelbetrieb mit reduzierter Luftmenge den im Prozess befindlichen Trocknern zuarbeitet. Im Falle einer Störung oder Wartung an einem der Prozesstrockner schaltet sich der Redundanztrockner vollautomatisch zu und ersetzt den ausfallenden Trockenluft­erzeuger. „Damit ist eine 100-prozentige Prozesssicherheit der Trocknung gewährleistet“, unterstreicht Tristar-Geschäftsführer Alexander Fuchs.

Diese Prozesse laufen permanent unter Berücksichtigung/Überwachung der effektiven Materialverbräuche und damit der wechselnden Anforderungen an die Trocknung vollautomatisch ab. „Das selbstanpassende, patentierte Trocknungssystem Modula-Adaptive garantiert somit absolut konstante Betriebsbedingungen auf niedrigstem Energieniveau – und das ohne jeglichen Eingriff seitens des Anlagenbedieners“, betont Fuchs.

Alle Einstellungen laufen dank der umfangreichen Materialdatenbank vollautomatisch ab. Die rele­vanten Material- und Verarbeitungsparameter wie Prozessluftmenge, Trocknungstemperatur und Verweilzeit sind mit den Marquardt-spezifischen Material­nummern allesamt im System hinterlegt und werden mit wenigen Klicks dem jeweiligen Trocknungsbehälter zugeordnet. Dieser überwacht und regelt selbstständig die tatsächlich benötigte Tempera­tur, Trocknungszeit und Luftmenge. So erhält zum Beispiel das Fördersystem erst nach Ablauf der jeweils benötigten Trocknungszeit die Freigabe zur Entnahme des Materials aus dem jeweiligen Trichter, um sicherzustellen, dass auch ungenügende Trocknung ausgeschlossen ist.

Fuchs erläutert: „Alle Trocknungstrichter kommunizieren in Echtzeit mit den zentralen Trockenlufterzeugern, so dass diese exakt die Prozessluftmenge liefern, die in Summe tatsächlich aktuell benö­tigt wird, um energetisch im optimalen Verarbeitungsfenster zu arbeiten. So gewährleistet die Trocknerkonfiguration hohe Trocknungsqualität bei einem minimierten Energieverbrauch; zuverlässig, reproduzierbar und dokumentiert.“

Die eigentliche Materialförderung ist mit zwei Vakuumkreisen reali­siert worden plus einer zusätz­lichen gemeinsamen Stand-by-Pumpe. Je ein Kreis versorgt die Spritzgießmaschinen und die Trocknerbeschickung. Diese Vaku­umkreise sind zunächst ausgelegt auf die zweite Ausbaustufe mit zukünftig bis zu 32 Spritzgießmaschinen im Werk.

Blick auf die Materialaufgabe und die zentrale Vakuumanlage unterhalb der Lagerbühne: In Veles/<br>Mazedonien entstehen vor allem Bedienfelder für automobile Aggregate.
Blick auf die Materialaufgabe und die zentrale Vakuumanlage unterhalb der Lagerbühne: In Veles/<br>Mazedonien entstehen vor allem Bedienfelder für automobile Aggregate.

Hilfspumpe auf Stand-by

Alle Kreise sind mit leistungstechnisch gleichen, modernen Vakuumerzeugern ausgestattet, so dass eine vollautomatische 2+1-Schaltung verwirklicht werden konnte. Eine Pumpe schaltet sich im Normalbetrieb zyklisch im Wechsel immer einem der zwei Kreise zu, so dass die Betriebsstunden aller Kreise auf etwa die gleiche Laufzeit kommen. Im Falle einer Störung schaltet sich die Stand-by-Pumpe vollautomatisch zu. Im Wartungsfalle ist eine händische Umschaltung der Stand-by-Pumpe möglich. Die unterbrechungsfreie Produktion ist mit dieser Redundanz stets gewährleistet.

Eine weitere bedienerfreundliche Besonderheit im Bereich der Mate­rialförderung stellen Piovans Pureflo-Materialförderabscheider zur Beschickung der Trockner und Spritzgießmaschinen dar. Diese speziellen Förderabscheider kommen aufgrund ihres speziellen Materialeingangsstutzens ganz ohne die sonst notwendigen Filter­siebe zur Trennung des Material-Luft-Gemischs aus. Zum einen entfällt somit die zeitaufwendige Reinigung der Siebe und damit Arbeitsaufwand, zum anderen arbeitet der Abscheider auch energetisch auf einem gleichbleibenden niedrigen energetischen Niveau und der Vakuumerzeuger muss stabil weniger Leistung für das gleiche Förderresultat gegenüber herkömmlichen Geräten aufwenden, da es keine lästigen verstopften Filter mehr gibt.

„Darüber hinaus trägt dieses Konzept auch maßgeblich zur Arbeitssicherheit bei, da sich die zu reini­genden Siebe der konventionellen Abscheider oft in großen Arbeitshöhen befinden und somit eine Gefahr beim Reinigen darstellen“, schildert der Tristar-Geschäftsführer. Auch hier setzt Verarbeiter Marquardt mit den eingesetzten Pureflo-Abscheidern von Piovan auf Sicherheit.

Am neuen Standort setzt Marquardt auch in der Spritzerei seine Standards nach dem Best-Practice-Ansatz durchgängig um.
Am neuen Standort setzt Marquardt auch in der Spritzerei seine Standards nach dem Best-Practice-Ansatz durchgängig um.

Im Prozessleitsystem Winfactory alles vereint

Der automatische Materialverteiler Piovan Easylink ermöglicht in diesem Systemaufbau mit je 60 Materialein- und -ausgängen einen­ vollautomatischen Betrieb der Materialversorgung. Um sicher­zustellen, dass immer das korrekte und optimal getrocknete­ Material auf die gewünschte Maschine gefördert wird, wurde zudem ein „Full Traceability Concept“ entwickelt, das bereits an der Materialquelle beginnt und sich über den Trocknungsprozess und den automatischen Materialverteiler bis zur Verarbeitungsmaschine zieht. Mit diesem Konzept ist es ausgeschlossen, dass falsches oder nicht ausreichend getrockne­tes Material verarbeitet wird.

Die gesamte Piovan-Technik wird über das von Piovan entwickelte Prozessleitsystem Winfactory 4.0 visualisiert und gesteuert. Alle Anlagenelemente sind über ein in Echtzeit kommunizierendes Datenbussystem mit dem Leitstand verbunden. Hier laufen alle Informationen zusammen, können aus­gewertet und gesteuert werden.

Eventuelle Störungen oder Meldungen der Anlage werden an mehreren Punkten in der Produktion via Bildschirme visualisiert, so dass das Personal mittels der Onlinehilfe schnell reagieren kann. Je nach Zugangsberechtigung kann über mehrere passwortgeschützte Benutzerebenen die komplette Anlage per Touchscreen bedient werden.

Ein ganz wesentlicher Vorteil der Software ist aber vor allem die lückenlose Dokumentation aller Prozessparameter, gerade in Bezug auf Rückverfolgbarkeit.

„Wir haben hohe Anforderungen gestellt, um eine Anlage zu realisieren, welche optimale Produktionseffizienz bietet. Erst nach einem längeren Auswahlprozess wurde Piovan mit dem Bau der Anlage beauftragt“, berichtet Thomas Schnur als Leiter Kunststofftechnologie. Am Ende habe es von der Kundschaft ausschließlich positives Feedback gegeben, wie General Manager Wolfgang Aicher­ berichtet.

Die Herausforderung des Projekts bestand laut Alexander Fuchs zum einen in seiner schnellen Umsetzung im laufenden Betrieb und, aufgrund der vorgesehenen Erweiterungsschritte, im modularen Aufbau der Materialversorgung, der eine Erweiterung des Systems auf bis zu 80 Spritzgießmaschinen gewährleisten soll.

Hinzu kam das Erfordernis einer Plug-and-play-Implementierung von gravimetrischen Dosiersystemen und Aufsatztrocknern für kleinste Materialdurchsätze, welche ebenso über das zentrale System gesteuert werden. Eine weite­re Herausforderung lag in dem Einsatz von Familienwerkzeugen und der Vorbereitung einer Mehrkomponentenfertigung in der neuen Produktionsstätte.

gr

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