Kunststoffe unter Strom
OEMs setzen aufs Elektroauto. Doch ist die E-Mobilität Chance oder Risiko für die Kunststoffbranche? Experten diskutierten auf der PIAE in Mannheim.
Die Experten auf dem VDI-Kongress „Plastics in Automotive Engineering“ (PIAE) Anfang April in Mannheim waren sich einig: Das Elektroauto wird den Fuhrpark der Welt wahrnehmbar verändern. Kongressleiter Thomas Drescher, hauptberuflich Leiter der Fahrzeugtechnik und Konzernforschung bei Volkswagen, machte dies gegenüber der Fachpresse deutlich: „Die Mobilität entwickelt sich dynamisch in Richtung E-Mobilität und automatisches Fahren.“ Schon heute fahren Autos teilautonom, und laut Drescher wird es ab 2035 mit der E-Mobilität so richtig hochgehen. Bereits 2025 werden rund 10 Mio. E-Fahrzeuge global vom Band laufen.
Noch sind Elektroautos im Vergleich zu Verbrennern rund 30% teurer, doch der politische Wille, allen voran im dynamischen Automobilmarkt China, wird den Wechsel erzwingen. Um den Anschluss nicht zu verpassen, steuern auch die europäischen OEM um, ganz vorne dabei ist Volkswagen, schließlich verkaufen die Wolfsburger mittlerweile jedes zweite Auto nach Fernost. Nicht von ungefähr war „Asien“ mit dem Schwerpunkt China ein Sonderthema auf dem PIAE-Kongress. Und läuft die Massenproduktion bei E-Autos erst einmal an, werden auch die Stückkosten deutlich sinken.
Neue Mobilität als Chance für Kunststoffe
Was bedeutet diese Entwicklung nun für die Kunststoffbranche? Der Wechsel zur E-Mobilität lässt auf den ersten Blick vermuten, dass der Kunststoffbedarf im Antriebsstrang geringer wird, schließlich fallen klassische Bauteile wie heiße und kalte Luftführungen eines Verbrennungsmotors weg.
Dr. Axel Tuchlenski, Leiter Produkt- und Anwendungsentwicklung bei Lanxess, sieht mehr Chancen als Risiken: „Kunststoffe sind ein ganz wichtiges Material, um den Weg in die Elektromobilität zu begleiten“, sagte er. Nach seiner Einschätzung wird die Menge an Kunststoffen im elektrischen Antriebstrang diejenige unter der Motorhaube eines Verbrenners noch übersteigen – „das Potenzial liegt bei 20 kg allein für den elektrischen Antriebstrang.“ Doch der Wandel will gestaltet sein. Tuchlenski: „Die Transformation vom Verbrenner zum Stromer zwingt auch die Zulieferer, neue Wege zu beschreiten. Es kristallisiert sich in jedem Fall heraus, dass die Kunststoffe immer komplexere Anforderungen erfüllen müssen.“ Als Beispiel nannte er Flammschutz, besondere elektrische Eigenschaften und Wärmeleitung, und das häufig in Kombination mit weiteren Eigenschaften.
Auch David Vorgerd, Director Technical Development bei der BASF, sieht große Potenziale für die Kunststoffbranche. „Der Ausbau der Elektromobilität ist jetzt fester Bestandteil im Plan etablierter und auch neuer OEMs. Die Mobilität von morgen hat längst begonnen“, erklärte er. „Um technisch funktionieren und in der Großserie wirtschaftlich bestehen zu können, werden insbesondere technische Kunststoffe gebraucht. Denn ein Erfolgsfaktor der Elektromobilität wird sein, wie schnell Leistungsfähigkeit, Gewicht, Sicherheit und Wirtschaftlichkeit des elektrischen Antriebsstrangs optimiert werden können.“
Kunststoffe für neue Sensoren
Neben der Elektromobilität sieht Vorgerd auch das automatisierte Fahren als Treiber des Wandels. „Im selbstfahrenden Automobil werden neue Sensoren wie Radar- und Lidar-Sensoren Einzug halten. Die Umsetzung in der Großserie ist nur über Kunststoffe zu gewährleisten. So arbeitet BASF derzeit an radar-optimierten Kunststoffen, die die Genauigkeit der Sensoren erhöhen.“
Nicht nur Akteure aus der Kunststoffbrache sehen für Kunststoffe ein wachsendes Einsatzpotenzial. Auch nach Einschätzung von Prof. Klaus Dilger, Leiter am Institut für Füge- und Schweißtechnik der TU Braunschweig und Vorsitzender der Open Hybrid Lab-Factory in Wolfsburg, wird sich die Bedeutung von Kunststoffen im Fahrzeug weiter erhöhen. „Durch den Paradigmenwechsel zur Elektromobilität haben sich die Anforderungen an die Werkstoffe verändert. Während noch vor einigen Jahren der Leichtbau im Vordergrund stand, wird künftig mehr auf die Funktionsintegration geschaut. Kunststoffe und Kunststoffverbunde sind hierfür – im Gegensatz zu Metallen – geradezu prädestiniert, zum Beispiel um Sensoren und elektrische Leitung in ein Bauteil zu integrieren.“ Auch die höheren Materialkosten der Kunststoffe würden künftig durch einfachere Fertigungsverfahren kompensiert werden.
Als Fazit bleibt, dass die Megatrends in der Automobilindustrie, die durch das Schlagwort „CASE“ – Connectivity, Autonomes Fahren, Shared Services und Elektromobilität – beschrieben werden, das Automobil, so wie wir es heute kennen, grundlegend verändern. Dies stellt Materialien vor neue Herausforderungen und bietet vor allem dem Werkstoff Kunststoff große Chancen, da etablierte Fahrzeugkonzepte nun neu durchdacht werden.
mg
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