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Oberflächentechnik 4. April 2022

Kunststoff-Galvaniker setzen auf Nachhaltigkeit

Der Fachverband Galvanisierte Kunststoffe (FGK) hat sich auf eine stringente Nachhaltigkeitsstrategie festgelegt.
Kunststoff-Galvanik-Betriebe setzen immer mehr auf Nachhaltigkeit. BIA Kunststoff- und Galvanotechnik arbeitet zum Beispiel am Recycling von galvanisierten Kunststoffteilen.
Kunststoff-Galvanik-Betriebe setzen immer mehr auf Nachhaltigkeit. BIA Kunststoff- und Galvanotechnik arbeitet zum Beispiel am Recycling von galvanisierten Kunststoffteilen.

Der Fachverband Galvanisierte Kunststoffe (FGK) hat sich auf eine stringente Nachhaltigkeitsstrategie festgelegt.

Die Nachhaltigkeitsstrategie umfasst bei der Galvanisierung von Kunststoffen neben der Reach-Konformität und Chromtrioxid-Substitution die Säulen Kreislaufwirtschaft und Klimaneutralität. Details zu diesen Punkten wurden während des virtuellen FGK-Facheminars „Chrom 2030“ Mitte März 2022 erläutert.

Seit 2013 vermittelt der FGK in seinen Veranstaltungen aktuelle Informationen zur Reach-Gesetzgebung und ihren Auswirkungen. Reach habe gelehrt, wie wichtig es ist, als Branche zusammenzuarbeiten – zunächst in Sachen Autorisierung, nun in Sachen Substitution. „Ohne die Arbeit des FGK wären die Entwicklungen bei Chrom(III)-Elektrolyten nicht auf dem jetzigen Stand, ähnlich verhält es sich bei der Chrom(VI)-freien Vorbehandlung“, sagte Dr. Carsten Brockmann, Vorstandsvorsitzenden des FGK. „Die Verchromung ist und bleibt legal. Alle FGK-Firmen haben die notwendigen Autorisierungen, um weiterhin mit Chromtrioxid zu arbeiten. Gleichzeitig läuft die Entwicklung und Umsetzung von alternativen Verfahren. Wir sind optimistisch, dass Chrom(VI) innerhalb der zugelassenen Zeiträume substituiert wird und dass schon in diesem Jahr Einsparungen zu sehen sein werden. Für Kunden, die schneller sein wollen, können die Unternehmen schon heute Lösungen anbieten.“

Informationen zum aktuellen Genehmigungstand nach Reach sowie Erfahrungen aus der Praxis bei der Umstellung auf Chrom(VI)-freie Prozesse gaben Andreas Baumbach und FGK-Vorstandsmitglied Stefan Tilke von Saxonia Galvanik: Den im Oktober 2020 vom FGK eingereichten Substitutionsplan hat der Ausschuss für sozioökonomische Analyse, kurz SEAC, der Europäischen Chemikalienagentur (Echa) Mitte 2021 als glaubwürdig bewertet. Der FGK geht davon aus, dass die EU-Kommission der Beurteilung der ECHA-Fachgremien SEAC und RAC folgt. Derzeit liegen jedoch keine Entscheidungen aus Brüssel zu einer formalen Autorisierung vor. Der FGK-Antrag soll im Juni 2022 beschieden werden.

15 Galvanik-Serienanlagen im FGK mit Bädern für Chrom(III)-Oberflächen

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Die FGK-Mitgliedsunternehmen arbeiten derweil gemeinsam weiter an Lösungen, bauen Wissen auf, entwickeln Lieferanten weiter und treiben die Implementierung von Alternativen voran. Bei der Verchromung verfügen bereits 15 Serienanlagen innerhalb des FGK über Bäder für Chrom(III)-Oberflächen. Dafür wurden bislang vier verschiedene Verfahrenslieferanten qualifiziert. Die behandelten Bauteile unterscheiden sich optisch nicht mehr von den im herkömmlichen Verfahren beschichteten und eignen sich auch für Mischverbau. Entsprechend öffnet sich der Markt allmählich. Serienanläufe und Serienumstellungen gibt es innerhalb der FGK-Unternehmen bereits für Interieur- wie Exterieur-Sortimente von VW, Seat, Skoda, Audi, Mercedes, BMW, Renault, Dacia, PSA, Opel, Volvo, Jaguar, Landrover und anderen. Der FGK geht davon aus, dass die Umstellung auf Chrom(III)-Verfahren in der Vorbehandlung bis 2031 abgeschlossen sein wird. Dafür ist jedoch die Zusammenarbeit der gesamten Lieferkette notwendig.

Chrom(VI)-freien Vorbehandlung schon in Serienanlagen implementiert

Auch bei der Chrom(VI)-freien Vorbehandlung wurden große Fortschritte erzielt. Mehrere Verfahrenslieferanten melden die erfolgreiche Implementierung in Serienanlagen. Drei Anlagen innerhalb des FGK erlauben bereits die Chrom(VI)-freie Vorbehandlung. Serienanläufe/-umstellungen für eine vollständig Chrom(VI)-freie Galvanisierung haben für Bauteile verschiedener OEM wie VW, Skoda, SEAT, Audi, Mercedes, Jaguar und Rover innerhalb des FGK bereits begonnen. Weitere Serienanlagen befinden sich in der Umbau- oder Neuinvestitionsplanung.

Die Erfahrungen von Saxonia Galvanik bei der Umstellung auf die Chrom(VI)-freie Vorbehandlung zeigen, dass der Schritt in die Chrom(VI)-Freiheit möglich ist, aber aktiv initiiert werden muss. Dort läuft eine Anlage im Dreischichtbetrieb mit 60 bis 100 Warenträgern pro Tag. 2021 wurden 2,4 Millionen Nicht-Automotive-Teile produziert. Zwei Automotive-Serien-Projekte wurden erfolgreich gestartet. Es erfolgten 52 Bemusterungen im Automotive und 34 Projekte im Non-Automotive-Bereich.

Ausschuss auf gleichem Niveau wie bei Chrom(VI)-Prozess

Die Ausschusszahlen im Automotive-Bereich sind auf gleichem Niveau wie bei einem Chrom(VI)-Prozess. Die Beschichtbarkeit ist gegeben. Dennoch fehlt es bei der Serienumstellung insbesondere im Automotivebereich zum Teil an Dynamik. Je länger die Lieferkette, desto länger und zäher ist der Freigabeprozess. Vor der Umstellung müssen außerdem Genehmigungen eingeholt werden, Bestellungen und Umbauten erfolgen etc. Pro Anlage kann dies durchaus zwölf Monate in Anspruch nehmen – aufbauend auf einer ersten umgestellten Serienanlage. Noch ist jedoch Kapazität und Zeit für koordinierte und abgesicherte Umstellprozesse.

Christian Klaiss, Fischer Oberflächentechnologie, berichtete über die Ergebnisse des dritten Ringversuchs zu Chrom(VI)-freien Vorbehandlungssystemen, den der FGK Anfang 2021 gestartet hatte. Der Fokus des Benchmarks liegt auf der Überprüfung der Haftfestigkeit. Wurden beim ersten Ringversuch noch Musterplatten für den Vergleich beschichtet, so sind es seit dem zweiten Ringversuch in 2020 Bauteile aus der Serienproduktion – alle für sich anspruchsvoll. Sie bilden somit nicht den Großteil der zu beschichtenden Bauteile ab.

Für den dritten Ringversuch suchte der FGK fünf verschiedene Bauteile aus dem Interieur und Exterieur sowie Mehrkomponenten-Teile aus. Die Verfahrenslieferanten haben die Rohteile mit der in der Serie verwendeten Kontaktierung in Serienanlagen produziert. Insgesamt wurden 971 Bauteile getestet und drei verschiedene Verfahren miteinander verglichen. Zur Bewertung der Haftfestigkeit wurden gängige Testverfahren aus der Automobilindustrie herangezogen: Klimawechseltest gemäß PV 1200 (Volkswagen), Warmlagerung gemäß TL 528 (Volkswagen), Thermo-Schocktest gemäß DBL 8465 (Daimler). An der Gegenprüfung waren fünf Labore von FGK-Mitgliedern beteiligt.

Ringversuch zu Chrom(VI)-freien Vorbehandlungssystemen

Die Ergebnisse attestieren eine beachtliche Gesamtentwicklung mit Verbesserungen im zweistelligen Bereich. Die Gesamt-IO-Rate steigt von 48 auf 82 %. Spritzgusstechnisch anspruchsvolle Bauteile stellen für manche Verfahren jedoch immer noch eine Herausforderung dar, so dass im Mittel 67 % der Bauteile den Klimawechseltest nach PV 1200 bestehen. Der Thermoschocktest bescheinigt 81 % der getesteten Bauteile eine gute Haftfestigkeit. Die Selektivität für 2K- oder 3K-Bauteile ist bei einigen Verfahren schon sehr gut, jedoch weisen etwa 15 bis 20 % der eingereichten Mehr-K-Bauteile nicht akzeptable Überwachsungen auf.

Das Fazit des dritten Ringversuchs lautet somit: Alle getesteten Verfahren sind in der Lage, Kunststoffteile aus ABS und PC/ABS wie auch Mehr-K-Teile für eine nachfolgende galvanische Beschichtung vorzubereiten. Sie kommen aber mit den Bauteilen unterschiedlich gut zurecht. Die Verfahrensentwicklung ist noch nicht in allen Details abgeschlossen. Es gilt, noch Langzeiterfahrungen zu sammeln und die Anlagentechnik zu optimieren.

Recyclingfähigkeit forciert Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit

Dr. Markus Häp ist Technologiemanager Automotive bei BIA. Das Solinger Unternehmen befasst sich mit der Nachhaltigkeit der Produktionsprozesse beim Galvanisieren.
Dr. Markus Häp ist Technologiemanager Automotive bei BIA. Das Solinger Unternehmen befasst sich mit der Nachhaltigkeit der Produktionsprozesse beim Galvanisieren.

Auch am Thema Kreislaufwirtschaft arbeiten die FGK-Mitglieder, wie Dr. Markus Häp von BIA Kunststoff- und Galvanotechnik berichtete. Für die Kunststoffgalvanisierung werden neben Energie Hilfsstoffe wie Wasser, Metallsalze und Galvanoadditive sowie Rohmaterialien wie Kunststoff, Kupfer, Nickel und Chrom benötigt. Nachhaltigkeit lässt sich auf mehreren Ebenen erzielen. Erste Priorität hat das Reduzieren, gefolgt von Wiederverwenden und Recyceln.

Das Recycling verchromter Bauteile bietet technische, umweltrelevante und ökonomische Vorteile. Zum Beispiel sind Metalle unendlich oft recycelbar und beim Metall-/Kunststoff-Verbund handelt es sich um eine rein mechanische Haftung. Pilotversuche haben gezeigt, dass sich chrombeschichtete Bauteile mit verschiedenen Methoden zur Grob- und Feintrennung so in ihre Ursprungsbestandteile (Metalle und Kunststoff) separieren lassen, dass sich wieder gleichwertige neue Teile daraus herstellen lassen. Der Reinheitsgrad der Einzelbestandteile liegt bei über 99,5 %.

Zur Vermeidung von Downcycling oder thermischer Verwertung nehmen die FGK-Mitgliedsunternehmen ab 2023 alle verchromten Bauteile nach der Nutzungsphase zurück und führen sie dem Kreislaufprozess zu.

FGK-Mitglieder gehen das Thema Klimaneutralität neu

Wie sich die Unternehmen des FGK auf ihr ehrgeiziges Ziel der Klimaneutralität vorbereiten, führten FGK-Vorstandsmitglied Thomas Dinter und Oliver Kortenjann von Gerhardi Kunststofftechnik aus. Die FGK-Mitglieder haben sich darauf verständigt, an ihren deutschen Standorten bis 2030 klimaneutral nach Scope 1 (direkte Emissionen durch Öl, Gas und Benzin) und Scope 2 (indirekte Emissionen durch Energieerzeugung) zu produzieren. Dazu erstellen sie bis Anfang des dritten Quartals 2022 Klimabilanzen nach Scope 1 und 2 für das Basisjahr 2019 sowie für die Jahre 2020 und 2021.

Diese Bilanz wird jährlich fortgeschrieben. Die Bilanzdaten werden dem Verband zur Erstellung einer Summenbilanz und zum Monitoring der Entwicklung zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus wird eine branchenspezifische Datenbank zu den CO2-Fußabdrücken von Zukaufprodukten erstellt, sodass ab 2023 auch produktbezogene CO2-Bilanzen bereitgestellt werden können (Scope 3). Auf die Bilanzierung als Basis für die Klimaziele folgt die (Verbrauchs-)Reduzierung, im nächsten Schritt die Kompensation.

Gerhardi Kunststofftechnik setzt auf Biomethan als Zwischenlösung

Als konkrete Reduzierungsmaßnahme für Scope 1 hat Gerhardi auf Biomethan als Zwischenlösung für die Wärmeversorgung umgestellt. Weitere mögliche Maßnahmen sind der Einsatz von Blockheizkraftwerken, Wärmerückgewinnung mittels Wärmetauscher oder der Einsatz eines Schichtenspeichers für die mehrfache und komplette Nutzung der Wärmeenergie.

Maßnahmen für Scope 2 sind zum Beispiel die recht einfach umsetzbare Umstellung auf grünen Strom, der Einsatz von Photovoltaik- und gegebenenfalls Windkraftanlagen, Batteriespeicheranlagen zur Notstromversorgung und Spitzenlastkappung. Scope 3 kann durch die Fuhrparkumstellung auf Elektromobilität und den Einsatz einer grünen Bahncard statt dem Aufbau von Vielfliegermeilenkonten positiv beeinflusst werden.

Maßnahmen zur Kompensation sind beispielsweise entsprechende Kompensationsprojekte oder Zertifikate. Auf diese Weise sollen für die Umwelt schädliche CO2-Emissionen eliminiert oder zumindest ausgeglichen werden.

sk

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