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Kreislaufwirtschaft birgt große Chancen für Autoindustrie

Bain-Studie: Automobile Kreislaufwirtschaft kann CO2-Emissionen um 60 % reduzieren, die Resilienz der Lieferketten erhöhen und die Materialkosten senken.

Nach der Bain-Studie ist es möglich, die Recyclingquote eines Pkw von heute knapp 80 % auf 97 % zu steigern – nahezu sämtliche Teile eines Fahrzeugs würden dann einer erneuten Verwendung zugeführt.

Nach einer aktuellen Studie der internationalen Unternehmensberatung Bain könnten die in Sachen Kreislaufwirtschaft bereits weltweit führenden europäischen Automobilhersteller ihren Anteil an wiederaufbereiteten und wiederverwendeten Materialien im Produktionsprozess bis 2040 mehr als verdoppeln. Dies würde nicht nur die CO2-Emissionen um 60 % reduzieren, sondern zudem die Resilienz der Lieferketten verbessern und längerfristig sogar die Materialkosten senken.

Derzeit ist die Mobilität die Ursache für rund 30 % der weltweiten CO2-Emissionen. Davon entfällt ein beträchtlicher Teil auf den Straßenverkehr. Soll die Umweltbelastung über den Lebenszyklus eines Pkw hinweg minimiert werden, bedarf es nach Überzeugung von Bain nicht nur emissionsneutraler Antriebe, sondern zudem innovativer Ansätze entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Das Spektrum reicht dabei vom nachhaltigen Design neuer Modelle über geschlossene Materialkreisläufe in der Produktion bis hin zu einer besseren Auslastung vorhandener Fahrzeuge.

Europäische Autobauer sind derzeit mit einer Quote von 40 % weltweit führend in der Kreislaufwirtschaft, was vor allem auf strenge EU-Vorschriften zurückzuführen ist. In ihrer Studie "Reuse, Remanufacturing, Recycling, and Robocabs: Circularity in the Automotive Industry" analysiert die internationale Unternehmensberatung Bain & Company die zentralen Stellhebel, mit deren Hilfe die automobile Kreislaufwirtschaft weltweit vorangetrieben werden kann. Aufgezeigt wird zudem, wie sich Autobauer und Zulieferer auf die neue Ära vorbereiten können.

Bis 2040 ist nahezu komplettes Pkw-Recycling möglich

Momentan entfallen weltweit rund 10 % aller genutzten Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe auf den Mobilitätssektor. Bei europäischen Automobilherstellern liegt der Anteil wiederaufbereiteter und -verwendeter Materialien in der Neuwagenfertigung bei 23 %, könnte sich der aktuellen Bain-Studie zufolge aber bis 2040 auf 59 % mehr als verdoppeln lassen. Allein dies würde die mit dem Materialeinsatz verbundenen CO2-Emissionen um 60 % reduzieren. Zugleich ist es möglich, die Recyclingquote eines Pkw von heute knapp 80 % auf 97 % zu steigern – nahezu sämtliche Teile eines Fahrzeugs würden dann einer erneuten Verwendung zugeführt.

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„Faktisch alle Hersteller stellen derzeit ihre Modellpalette auf alternative Antriebe um“, erklärt Björn Noack, Bain-Partner und Co-Autor der Studie. „Doch nur, wenn sie gleichzeitig geschlossene Materialkreisläufe schaffen, werden sie das ehrgeizige Ziel der Klimaneutralität tatsächlich erreichen“, ist Noack überzeugt.

Kreislaufwirtschaft bietet auch wirtschaftliche Vorteile

Die Bain-Studie berücksichtigt nicht nur die Herstellung der Fahrzeuge, sondern auch nachgelagerte Wertschöpfungsstufen. Danach ließe sich der Anteil gebrauchter Teile bei Reparaturen in Europa bis 2040 auf 12 % steigern. Zum Vergleich: Im Jahr 2020 waren es gerade einmal 2 %.

Der Anteil gebrauchter Teile bei Reparaturen in Europa ließe sich laut Bain-Studie von derzeit 2 % bis 2040 auf 12 % steigern.

Speziell bei Batterien werden Wiederaufbereitung und -verwendung nach Überzeugung von Bain künftig zum Standard werden, um die strengen regulatorischen Auflagen zu erfüllen. Dazu bedarf es aber eines professionellen Marketings. „Je intensiver sich die Autobauer dem Kreislaufgedanken verschreiben und je offensiver sie damit an die Öffentlichkeit gehen, desto leichter wird es den Servicebetrieben fallen, ihre Kundschaft von gebrauchten Ersatzteilen zu überzeugen“, stellt Dr. Klaus Stricker, Bain-Partner und Leiter der globalen Praxisgruppe Automotive und Mobilität, fest.

Zahlreiche Vorteile durch Kreislaufwirtschaft

Rund um den Globus ergeben sich für die Fahrzeughersteller aus der Umstellung auf eine Kreislaufwirtschaft gleich mehrere Vorteile. „Geschlossene Kreisläufe senken nicht nur die Umweltbelastung, sondern steigern auch die Resilienz der Lieferketten und reduzieren längerfristig die Materialkosten", so Stricker. "Dies führt zu höheren Margen, darüber hinaus bieten sich neue Ertragschancen."

Art der Fortbewegung verändert sich grundlegend

Auf dem Weg hin zur Klimaneutralität wird zudem ein verändertes Nutzungsverhalten eine wichtige Rolle spielen. Laut Bain-Studie wird sich voraussichtlich in den 2030er-Jahren der Einsatz von Robotaxis zunehmend rechnen. In der Folge wird der Anteil privater Fahrzeuge an den gefahrenen Kilometern weltweit von heute 67 % auf dann rund 50 % im Jahr 2030 sinken. 2050 sollen es sogar nur noch 40 % sein. Die gesamthafte Auslastung aller Fahrzeuge würde damit deutlich steigen, der Bedarf an Neufahrzeugen zurückgehen.

„Mobilität bleibt ein essenzieller Teil unseres Lebens“, ist sich Bain-Partner Noack sicher. „Aber die Art, wie wir uns fortbewegen, wird sich grundlegend verändern. Dazu trägt vor allem der spürbare Klimawandel bei, die zunehmende Urbanisierung und ein geschärftes Bewusstsein für die Umwelt kommen hinzu.“ Und er ergänzt: „Der automobilen Kreislaufwirtschaft gehört die Zukunft. Je früher sich die Hersteller und Zulieferer darauf einstellen, desto eher können sie sich von ihren Wettbewerbern abheben.“

Gemeinsamer Aufbau geschlossener Kreisläufe

Bei Vorreiterunternehmen stehen gemäß der Bain-Studie drei Maßnahmen im Fokus. Zum einen überprüfen sie systematisch ihre gesamte Wertschöpfungskette, um die Chancen für geschlossene Kreisläufe konsequent nutzen zu können. Zum anderen geht es darum, Trends frühzeitig zu erkennen und auf Basis von Zukunftsszenarien schon heute die Weichen für die Märkte von morgen zu stellen. Und schließlich engagieren sie sich in Ökosystemen und beginnen gemeinsam mit Partnern mit dem Aufbau geschlossener Kreisläufe. Im Rahmen der Global Battery Alliance beispielsweise arbeiten mittlerweile mehr als 120 Unternehmen und Institutionen daran, eine nachhaltige Wertschöpfungskette für Batterien zu etablieren.

Vertrauensvolle Zusammenarbeit nötig

Gerade bereichsübergreifenden Kooperationen kommt große Bedeutung zu. „Die automobile Kreislaufwirtschaft setzt voraus, dass Hersteller, Lieferanten und Branchenfremde weitreichend und vertrauensvoll zusammenarbeiten“, betont Björn Noack, Branchenexperte für die Automobilindustrie bei Bain. „Diejenigen Autobauer, die dies erkennen, sondieren ganz genau, auf welchen Gebieten ihre Alleinstellung ihnen einen Vorsprung verschafft und wo Kooperationen für sie von besonderem Vorteil sind. Auf diese Weise sind sie bestens für den künftigen Wettbewerb gerüstet.“ gk

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