„KI wird zum Gamechanger für Spritzgießer“
Warum Investitionen geplant sind und die Digitalisierung mit KI ein Gamechanger ist – das verrät Engel-CEO Dr. Stefan Engleder im Interview der K-ZEITUNG.
Im Interview mit der K-ZEITUNG spricht Engleder über die aktuelle Geschäftsentwicklung, den Einstieg in das Geschäft mit Gebrauchtmaschinen, welche Hoffnungen er in den Vertrieb der standardisierten Wintec-Maschinen in Europa setzt, auf welchen Ebenen Engel die Circular Economy vorantreibt – und über die Gründe, warum die Digitalisierung mittels Künstlicher Intelligenz (KI) zum Gamechanger für Spritzgießer wird.
Herr Dr. Engleder, im Juni haben Sie gesagt, dass Sie für 2021/22 mit einem Umsatzplus von 20 % rechnen. Bleibt es dabei?
Dr. Stefan Engleder: Wir reiten gerade auf einer riesigen Konjunkturwelle. Gegenüber dem Frühsommer sehen wir noch eine Verbesserung. Das heißt, wir liegen beim Auftragseingang eher bei einem Plus von gut 30 % gegenüber dem Vorjahr. Wir gehen davon aus, dass wir diese Aufträge im laufenden Geschäftsjahr in Umsatz ummünzen können. Allerdings sehen wir derzeit die Materialversorgungslage als einen möglichen limitierenden Faktor. Aus heutiger Sicht sind wir lieferfähig; und dies gilt auch für die nächsten Wochen. Das haben wir der guten Partnerschaft mit unseren Lieferanten zu verdanken.
Was fehlt vor allem? Sind weiterhin Chips und Bleche knapp?
Engleder: Die größten Engpässe sehen wir im Elektronikbereich , also bei Steuerungen und Antriebstechnologie. Andere Materialien bekommen wir nach wie vor ausreichend – allerdings zu deutlich höheren Preisen.
Investitionen in mechanische Fertigungskapazitäten
Haben Sie denn Pläne, Ihre Fertigungstiefe zu erhöhen und bestimmte Komponenten künftig inhouse zu fertigen, um sich von solchen Bewegungen am Weltmarkt unabhängiger zu machen?
Engleder: Die Frage ist berechtigt. Wir haben ja die vergangenen Jahre mit unserem Investitionsprogramm mehr als 300 Millionen Euro in die Eigenfertigung investiert. Insofern sind wir da bereits sehr gut aufgestellt. Wir denken jetzt darüber nach, weiter in unsere mechanischen Fertigungskapazitäten zu investieren.
Wie haben sich im laufenden Geschäftsjahr einzelne Märkte entwickelt? Wie läuft beispielsweise aktuell Automotive?
Engleder: Automotive hat sich sehr stark zurückgemeldet, wir liegen hier beim Auftragseingang weit über dem Vorjahr. Der Investitionsstau hat sich gelöst, global wird wieder voll investiert. Wir verzeichnen eine starke Nachfrage in Nordamerika und auch in Zentraleuropa, vor allem in Deutschland. In den USA hat sich insbesondere der Großmaschinenbereich sehr gut entwickelt. Und auch Osteuropa ist zurück, wenn auch noch etwas verhaltener. Aus unserer Sicht ist die Automobilkrise vorbei, die Hersteller investieren stark in Spritzgießmaschinen.
Welche anderen Bereiche laufen gut?
Engleder: Derzeit läuft es in fast allen Märkten sehr gut. Herausgreifen würde ich gerne noch den Bereich Technical Moulding. Darunter fallen der Freizeit- und Baubereich sowie Logistikanwendungen. Hier geht die Post ab, die Hochregallagerhersteller sind auf Jahre hinaus ausgebucht, Behälter werden für unterschiedliche Anwendungen benötigt.
Gibt es keine Märkte, die Ihnen Sorgen bereiten?
Engleder: Südamerika und Südostasien laufen derzeit nicht wirklich gut. In beiden Fällen führen wir dies auf die Corona-Situation in Ländern wie etwa Brasilien oder Vietnam zurück. Die Durchimpfungsquote ist dort noch gering. Es wird sehr spannend, wie sich die Covid-19-Situation beziehungsweise steigende Inzidenzzahlen auf die Stimmung der Wirtschaft vor Ort und somit auf die Investitionsbereitschaft der Unternehmen auswirken.
Mit Wintec sollen die Marktanteile in Europa gesteigert werden
Lassen Sie uns auf Wintec zu sprechen kommen, die Engel-Zweitmarke für hochgradig standardisierte Spritzgießmaschinen, die Sie in China fertigen und seit diesem Jahr auch in Europa vertreiben. Wie funktioniert der Vertrieb?
Engleder: In China haben wir eine eigene Wintec-Vertriebsmannschaft. Außerhalb von China vertreiben die Engel-Vertriebsmitarbeiter die Wintec-Maschinen, und auch der Service erfolgt durch Engel-Experten.
Wie werden die Maschinen in Europa angenommen?
Engleder: Wir stehen mit dem Vertrieb hier in Zentraleuropa am Anfang, daher ist es noch zu früh für ein Resultat. Letztlich können wir mit den Wintec-Maschinen unsere Marktanteile auch in Europa erhöhen. In Osteuropa ist der Wintec-Vertrieb bereits angelaufen. Wir sehen beispielsweise in Polen, Ungarn, Serbien, Slowenien und Kroatien eine starke Nachfrage, obwohl in diesen Ländern auch nicht-europäische Maschinenhersteller beachtliche Marktanteile haben.
„In Deutschland oder in Österreich werden weiterhin komplexe Spritzgießmaschinen benötigt. Wir bemerken hier aber auch einen Bedarf an Standard-nahen Maschinen mit einem deutlich reduzierten Funktionsumfang.“
Dr. Stefan Engleder
Heißt das konkret, dass Sie mit den Wintec-Maschinen gegen chinesische Spritzgießmaschinenhersteller Boden gut machen wollen?
Engleder: Wir reagieren nicht auf die Konkurrenz, sondern bedienen vielmehr den Bedarf der Kunden vor Ort. In Osteuropa gibt es sehr viele Lohnspritzereien, die ihr Geld weniger mit langlaufenden, sondern mit wechselnden Projekten verdienen. Diese haben einen Bedarf an Standardmaschinen zu geringeren Preisen, aber mit Engel-Qualität. Den können wir mit den Wintec-Maschinen sehr gut bedienen. Der nächste logische Schritt war für uns, die Maschinen auch in Zentraleuropa anzubieten. Denn ein deutsches Unternehmen, das zum Beispiel eine Niederlassung in Polen hat, soll die Wintec-Maschinen nicht nur in Polen, sondern auch in Deutschland kaufen können.
Nun ist der deutsche Kunde ja dafür bekannt, dass er die Spritzgießmaschinen gerne mit vielen Sonderoptionen bestellt. Bei den Wintec-Maschinen ist dies nur sehr eingeschränkt möglich. Sehen Sie dennoch eine Chance hierzulande?
Engleder: Sie haben vollkommen recht. Durch das hohe Lohnniveau und die Hightech-Entwicklungen werden wir in Deutschland oder in Österreich weiterhin komplexe Spritzgießmaschinen für die Projekte benötigen. Das zeichnet uns alle aus und differenziert uns von anderen Regionen auf der Welt. Gleichzeitig bemerken wir hier aber auch einen Bedarf an Standard-nahen Maschinen mit einem deutlich reduzierten Funktionsumfang.
Ende 2020 haben Sie ein eigenes Tochterunternehmen für die Vermarktung von Gebrauchtmaschinen gegründet, Engel Used Machinery. Warum dieser Schritt?
Engleder: Das Geschäft mit Gebrauchtmaschine ist eine tolle Chance: Wir unterstützen unsere Kunden, die in neues Equipment investieren wollen, dabei, ihre gebrauchten Maschinen einfach und unkompliziert zu desinvestieren. Gleichzeitig setzen wir im Sinne der Nachhaltigkeit die gebrauchten Maschinen wieder instand und rüsten sie mit neuen Steuerungslösungen und digitalen Lösungen auf. So führen wir sie – vor allem außerhalb von Europa – einem Second Life zu.
Wie ist das Geschäft angelaufen?
Engleder: Das Geschäft ist gut angelaufen. Im Moment stehen wir eher vor der Herausforderung, dass es zu wenig Gebrauchtmaschinen am Markt gibt, weil unsere Kunden Volllast fahren.
Mehrstufiger Ansatz für die Verarbeitung von Rezyklat
Kommen wir zum Thema Recycling. Sie haben das Coinjektionsverfahren weiterentwickelt, um den Rezyklatanteil steigern zu können. Digitale Tools helfen dabei, den Spritzgießprozess bei der Rezyklatverarbeitung stabil zu halten. Im LIT arbeiten Sie gemeinsam mit anderen Playern der Branche an der horizontalen Vernetzung entlang der Wertschöpfungskette. Inwiefern muss sich ein Spritzgießmaschinenbauer bei diesem Thema einbringen?
Engleder: Wir sind als Spritzgießmaschinenbauer ein Teil der Wertschöpfungskette und somit auch ein Teil des Problems. 70 Prozent aller Kunststoffteile werden im Spritzgieß- und Extrusionsverfahren hergestellt, also müssen wir uns mit dem Thema beschäftigen und können es nicht den Rohmaterialherstellern oder unseren Kunden überlassen. Engel geht nach dem Zwiebelschalenmodell vor. Im ersten Schritt rüsten wir unsere Maschinen verfahrenstechnisch bestmöglich aus, damit der Kunde Rezyklat einfach verarbeiten kann. Dazu gehören unsere intelligenten Assistenzsysteme, allen voran IQ Weight Control und IQ Process Observer.
Okay, das waren Lösungen, die im engeren Sinn die Spritzgießmaschine betreffen. An welchen anderen Lösungen arbeiten Sie?
Engleder: Wenn wir im Zwiebelschalenmodell nun eine Schale nach außen gehen, gelangen wir zur Frage des Produktspektrums: Wie können wir unser Spektrum sinnvoll für die Circular Economy erweitern? Im Sommer haben wir ein neues zweistufiges Verfahren vorgestellt, mit dem Kunststoffabfälle direkt nach dem Vermahlen als Flakes im Spritzguss verarbeitet werden. Dazu setzen wir auf der Spritzgießmaschine zwei Schnecken ein, eine zum Plastifizieren und eine weitere zum Einspritzen. Wir bringen also Compoundierung und Extrusion auf die Spritzgießmaschine. Das hat den Vorteil, dass der Kunde Energie spart und dass die Komplexität des Systems sinkt. Damit greifen wir natürlich auch in den Maschinenentwicklungsprozess ein.
„Wir wollen den Weg und die Qualität des rezyklierten Werkstoffs über die gesamte Wertschöpfungskette transparent gestalten. Das ist ein komplexes Unterfangen, da wir ja die unterschiedlichsten Kunststoffe im Markt haben. Im Laufe ihres Lebens können sie mehrmals rezykliert und wiederverarbeitet werden. Damit sind wir mitten in der horizontalen Vernetzung. Es klingt alles noch visionär, aber wir glauben daran.“
Dr. Stefan Engleder
Die Spritzgießmaschine soll künftig Weg und Qualität des Rezyklats kennen
Gibt es weitere Überlegungen, den Recyclingprozess zu unterstützen?
Engleder: Ja, wir gelangen nun in die äußere Schale der Zwiebel. Wir wollen den Weg und die Qualität des rezyklierten Werkstoffs über die gesamte Wertschöpfungskette transparent gestalten. Das ist ein komplexes Unterfangen, da wir ja die unterschiedlichsten Kunststoffe im Markt haben. Im Laufe ihres Lebens können sie mehrmals rezykliert und wiederverarbeitet werden. Für die Verarbeitung in der Spritzgießmaschine benötigen wir genaue Daten zum jeweiligen Kunststoff und seinen Eigenschaften. Das gilt auch für das fertige Bauteil. Damit sind wir mitten in der horizontalen Vernetzung. Es klingt alles noch visionär, aber wir glauben daran. An der LIT Factory an der Johannes Kepler Universität in Linz haben wir die Chance, gemeinsam mit Partnern Fragestellungen zur horizontalen Vernetzung anzugehen.
Das heißt, Sie planen in Zukunft nicht, noch weiter in das Extrusionsmaschinengeschäft einzusteigen?
Engleder: Ich bin der Überzeugung, dass man in dieser komplexen Welt nicht alles selbst machen kann. In vielen Bereichen lohnt es sich, mit guten Partnern zusammenzuarbeiten. Ein Beispiel ist unsere Kooperation mit HB Therm im Bereich Temperiergeräte. Wir bringen unsere Kernkompetenz in Form der Regel- und Steuerungstechnik ein – und natürlich die Konnektivität zur Spritzgießmaschine. Das können weder der Temperiergeräte- noch der Werkzeughersteller.
Sie haben sehr viele digitale Tools, mit denen sich eine Spritzgießmaschine ausstatten lässt. Welche werden besonders stark nachgefragt?
Engleder: IQ Weight Control haben wir bislang am häufigsten verkauft. Es ist auch eines unserer ersten IQ-Produkte. Ich bin mir relativ sicher, dass der IQ Process Observer das nächste große Ding sein wird. Das Assistenzsystem gibt es noch nicht so lange, aber unsere Nullserien-Kunden haben uns ein außerordentlich gutes Feedback gegeben. IQ Process Observer ist wirklich disruptiv, da es sich hier um das erste artifiziell intelligente System handelt, das eine große Menge an Variablen während des Spritzgießprozesses beobachtet. Aus den gewonnen Daten generiert es für den Bediener konkrete Vorschläge, wie er den Prozess besser stabilisieren kann.
„Daten werden in der Fertigung der Zukunft eine größere Rolle spielen. Um diese auszuwerten, braucht es entweder Experten für Data Analytics – oder aber, und das macht unserer Meinung wesentlich mehr Sinn, Intelligenz auf der Maschine.“
Dr. Stefan Engleder
KI in der Spritzgießmaschine wird zum Gamechanger
Welches Potenzial hat Künstliche Intelligenz für die Spritzgießmaschine? Braucht es in Zukunft noch den Mann an der Maschine?
Engleder: Wir nähern uns mit Systemen wie IQ Process Observer immer mehr der sich selbst regelnden Spritzgießmaschine. Daten werden in der Fertigung der Zukunft eine größere Rolle spielen. Um diese auszuwerten, braucht es entweder Experten für Data Analytics – oder aber, und das macht unserer Meinung wesentlich mehr Sinn, Intelligenz auf der Maschine.
Warum halten Sie das für den sinnvolleren Weg?
Engleder: Aufgrund des demographischen Wandels und aufgrund der Tatsache, dass Ausbildungsgänge rund um die Kunststofftechnik bei den jungen Menschen nicht ganz oben auf der Wunschliste stehen. Leider trägt das Kunststoff-Bashing dazu bei, dass sich viele junge Menschen von Kunststoffthemen wegbewegen. Das ist umso dramatischer, weil wir in Zentraleuropa die Entwicklungen rund um die Circular Economy treiben können und sollten.
Welche Erwartungen haben Sie an die Fakuma?
Engleder: Der wichtigste Aspekt ist für uns, dass wir unsere Kunden endlich wieder persönlich treffen können. Wir möchten gute und qualifizierte Gespräche mit den Kunden führen. Wie viele Besucher wir letztlich auf dem Stand begrüßen dürfen, wird vom Verlauf der Pandemie bis Mitte Oktober abhängen. Wir sind jedenfalls vorbereitet und haben unseren Stand in diesem Jahr etwas vergrößern können.
Sabine Koll
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