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Unternehmen 14. Oktober 2022

Engleder: „Ohne den chinesischen Markt geht es nicht“

Chinas Abkopplung vom Westen ist kein Grund, sich vom Reich der Mitte abzukehren, sagt Engel-CEO Dr. Stefan Engleder im Interview mit der K-ZEITUNG.

Dr. Stefan Engleder, CEO von Engel, setzt weiterhin auf den chinesischen Markt: „China ist der mit Abstand größte Markt, den kann man nicht ignorieren.“
Dr. Stefan Engleder, CEO von Engel, setzt weiterhin auf den chinesischen Markt: „China ist der mit Abstand größte Markt, den kann man nicht ignorieren.“

Engleder spricht darüber, welche Chancen er auf dem chinesischen Markt sieht, dass es Überlegungen zum Ausbau der Engel-Fabrik in den USA gibt, wie der österreichische Spritzgießmaschinenbauer selbst mit steigenden Energie- und Strompreisen, Inflation und Materialknappheit umgeht und wie die Energiepreise derzeit das Kaufverhalten der Kunststoffverarbeiter beeinflussen.

Herr Dr. Engleder, im vergangenen Geschäftsjahr, das Ende März endete, haben Sie mit 1,5 Mrd. EUR fast einen Umsatzrekord erzielt. Die Umsatzsteigerung betrug 36 %. Hat sich diese positive Entwicklung im laufenden Geschäftsjahr fortgesetzt?

Dr. Stefan Engleder: Die Geschäfte laufen gut. Wir haben einen sehr hohen Auftragsstand, der bis ins nächste Kalenderjahr hinein reicht. Dennoch sind die Auftragseingänge seit August zurückgegangen, insbesondere im Infrastrukturbereich. Es wird nicht mehr so viel gebaut, das merken wir schon deutlich. Automotive hingegen läuft nach wie vor sehr gut. Auch in den Bereichen Technical Moulding und Medical haben wir weiterhin sehr gute Projekte. Ein paar Projekte verzögern sich, aber das sehen wir relativ entspannt.

Wie wird sich die Situation weiter entwickeln?

Engleder: In den USA gibt es bereits eine Rezession, das Bruttoinlandsprodukt war dort zwei Quartale hintereinander rückgängig. Wann und wie hart diese Rezession uns Spritzgießmaschinenbauer treffen wird, wird sich zeigen. Ich bin optimistisch und vertraue darauf, dass die Automotive-Industrie nicht so schnell einbrechen wird, da durch die Chipkrise viele Autos nicht ausgeliefert werden konnten und dies nun sukzessive nachgeholt werden wird. Außerdem gibt es viele Bereiche, in denen die Nachfrage weiterhin ungebrochen groß ist. So werden zum Beispiel durch das E-Commerce-Wachstum Logistikbehälter in großer Zahl benötigt. Mittelfristig gesehen bleibt die Kunststoffverarbeitung ein Wachstumsmarkt.

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In China gibt es weiterhin Corona-Lockdowns. Die Wirtschaft dort leidet darunter, das Wachstum ist nur noch minimal. Wie erleben Sie derzeit den chinesischen Markt?

Engleder: Ja, die Corona-Maßnahmen bremsen das Wirtschaftswachstum in China aus. Auch unser Großmaschinen-Werk in Shanghai war vom Lockdown betroffen. Dennoch machen wir dort sehr gute Geschäfte, insbesondere mit kompletten Spritzgießanlangen einschließlich Automation. Wir haben dort aber auch mit Herausforderungen zu kämpfen: Die Chinesen selbst, aber auch unsere Expats sind müde von den vielen Lockdowns. Für uns wird es zunehmend schwierig, Mitarbeiter zu finden, die von Europa nach China gehen wollen.

Sehen Sie die Gefahr, dass sich China noch mehr abkoppelt von anderen Märkten, sodass künftig nicht nur Luxusgüter aus dem Westen, sondern auch Investitionsgüter wie Spritzgießmaschinen davon betroffen sein können?

Engleder: Ich gehe davon aus, dass China unabhängiger werden möchte im Investitionsgüterbereich. Es gibt dort ja schon namhafte Spritzgießmaschinenhersteller. Und auch die wollen exportieren. Dennoch glaube ich, dass wir als Engel in China weiterhin gute Chancen haben werden, da wir dort mit zwei Werken und der Zweitmarke Wintec vertreten sind. In Changzhou bauen wir derzeit den Automationsbereich weiter aus, um das Turnkey-Geschäft noch besser bedienen zu können. Bislang wurden sehr komplexe Anlagen noch aus unserem Automationszentrum in Österreich heraus bedient. Wir haben gerade erst einen zweistelligen Millionen-Euro-Betrag in Changzhou investiert. Wir glauben an den Fertigungsstandort China. Mittlerweile beschäftigen wir knapp 1.000 Mitarbeiter in China. Sollte es tatsächlich zum kompletten Decoupling kommen, produzieren wir dort eben allein für den chinesischen Markt; der ist groß genug. Unternehmen, die bereits in China Fuß gefasst haben, werden dort weiter gute Geschäft machen können. Diejenigen, die ihre Produkte nach China exportieren, werden hingegen Probleme bekommen.

Die Wintec-Maschinen exportieren Sie ja von China nach Europa und Nordamerika. Wie hat sich das Geschäft mit der Zweitmarke auf den beiden Kontinenten entwickelt?

Engleder: Durch die Einfuhrzölle hat sich der Preis der Wintec-Maschinen in den USA verteuert. Da greifen die Kunden lieber zu einer Duo-Maschine. In Kanada und Mexiko hingegen verkaufen wir die Wintec-Maschinen sehr gut. Auch in Europa sind die Maschinen preislich wettbewerbsfähig, obwohl der Euro sehr schwach ist. Die Inflation ist in China deutlich geringer ist als in Europa. Die Transportkosten haben sich zudem beruhigt. Deshalb setzen wir vor allem in den osteuropäischen Ländern viele dieser Maschinen ab. Deutschland hingegen ist nicht der Hauptzielmarkt für diese Maschinen. Die Verarbeiter in Deutschland arbeiten mehrheitlich hochspezialisiert.

Es gibt Stimmen, die angesichts der chinesischen Politik eine Abkehr vom chinesischen Markt befürworten. Was denken Sie: Geht es überhaupt ohne den chinesischen Markt?

Engleder: Definitiv nein, ohne den chinesischen Markt geht es nicht. China ist der mit Abstand größte Markt, den kann man nicht ignorieren. Ich kann oder will mir nicht vorstellen, dass sich das Land noch weiter entkoppelt, sodass das Reisen über Jahre hinweg unmöglich ist. Gleichwohl gehe ich davon aus, dass es kein Zurück zur alten Situation von vor der Pandemie geben wird. Die Globalisierung in der Form, wie wir sie kennen, wird es wohl längere Zeit nicht mehr geben.

Sehen Sie bei den Spritzgießern ein verändertes Kaufverhalten vor dem Hintergrund der steigenden Energiekosten?

Engleder: Ja, das sehen wir. In der Vergangenheit wurden Projekte sozusagen scharf gerechnet. Da waren die Investitionskosten, also Capex, das Thema Nummer 1 beim Kauf einer Spritzgießmaschine. Jetzt werden hingegen die Total Cost of Ownership (TCO) betrachtet, die den Gesamtzyklus beinhalten. Und da spielt Energie eine wichtige Rolle. Einerseits rückt der Energiebedarf der Maschine beziehungsweise der kompletten Spritzgießzelle einschließlich Temperierung und Assistenzsystemen in den Vordergrund. Diese Werte werden von den Kunden angefragt und verglichen. Andererseits achten Kunden darauf, dass die teure Energie angesichts der gestiegenen Rohmaterialpreise nicht vergeudet wird. Das heißt, sie wollen den Ausschuss verringern, womit Stabilität und Qualität im Spritzgießprozess noch wichtiger werden. Wenn man in Westeuropa bei den explodierenden Energiepreisen in Zukunft noch wettbewerbsfähig produzieren will, kommt man nicht drumherum, sich mit Energieeffizienz zu befassen.

Wie geht Engel selbst mit den aktuellen Herausforderungen wie steigenden Energie- und Strompreisen, Inflation, Materialknappheit um?

Engleder: Die Energiekosten sind für uns natürlich auch ein Thema. Um den Energieverbrauch zu reduzieren, haben wir diverse Projekte gestartet. Zum einen wollen wir weg vom Gas. Dazu muss man wissen, dass wir extrem wenig Gas benötigen, vor allem zum Heizen der Gebäude; hier wollen wir die Temperatur leicht reduzieren. Und dann wird Gas für die Wärmebehandlung metallischer Teile und für die Pulverbeschichtung benötigt. Und in diesen Fällen gibt es nun eine Rückführung der gespeicherten Wärme in den Prozess; das spart richtig Energie und Geld. Für den Fall eines Gas-Stopps sind wir gerüstet, auf Öl umzusteigen. Außerdem überlegen wir derzeit, am Standort St. Valentin gemeinsam mit benachbarten Unternehmen ein sehr energieeffizientes Holzhackschnitzel-Kraftwerk für das Heizen zu bauen.

Setzen Sie auch auf regenerative Energien?

Engleder: Ja. Wir haben gerade am Stammsitz in Schwertberg eine neue Photovoltaikanlage in Betrieb genommen. In St. Valentin erzeugen wir schon länger eigenen Strom mittels Photovoltaik. Insgesamt haben wir in Österreich mehr als 2,2 Megawatt Leistung installiert. Das ist ein ordentliches Investitionsvolumen. Wir befassen uns auch in den weltweiten Werken und Niederlassungen mit diesem Thema und werden dort, wo es Sinn macht, weiter in den Ausbau der Photovoltaik investieren. Insgesamt haben wir auch in der Vergangenheit schon immer nicht nur auf nachhaltiges Produzieren, sondern auch nachhaltiges Bauen geachtet. Dies zeigt auch der Nachhaltigkeitsbericht, den wir dieses Jahr erstmals erstellt haben. Die Nachhaltigkeitsrating-Agentur Ecovadis hat uns den Silber-Status verliehen.

Sie sagen, dass der Markt sich etwas abgekühlt hat. Sind dies gute Nachrichten in Bezug auf Ihre Lieferzeiten?
Engleder: Generell denke ich, dass wir im Vergleich zu Wettbewerbern attraktive Lieferzeiten haben. Nur auf Großmaschinen mit über 27.000 kN Schließkraft muss man immer noch lange warten: Sieben oder acht Monate Lieferzeit haben wir hier. Die Nachfrage aus der Automobilindustrie und aus dem Logistikbereich ist sehr groß. Bei Maschinen unter 20.000 kN liegen wir bei rund sechs Monaten. Im mittleren Schließkraftbereich dauert es derzeit vier bis fünf Monate. Und Maschinen aus unserem Fast-Track-Programm können wir innerhalb von drei bis acht Wochen ausliefern.

Wie können Sie angesichts von Bauteil-Verknappungen am Markt Lagermaschinen für das Fast-Track-Programm bauen?

Engleder: Das Problem ist weniger, dass Bauteile oder Vorprodukte nicht lieferbar sind. Wir hatten immer ausreichend Rohmaterialien und Komponenten, auch wenn das einen hohen Aufwand bedeutete. Lediglich Sicherheitssteuerungen für unsere Roboter waren für eine kurze Dauer nicht lieferbar. Aber alle bestellten Spritzgießmaschinen konnten wir auch immer ausliefern. Das Fast-Track-Programm umfasst allerdings nicht nur Lagermaschinen. Fast-Track-Maschinen sind Maschinen mit begrenztem Optionsumfang, die aber zu vernünftigen Preisen nachrüstbar sind. In diesen volatilen Zeiten ist dies unsere Antwort auf den kurzfristigen Bedarf der Verarbeiter – ein Marktsegment, das bislang asiatische Wettbewerber mit Lagermaschinen bespielen.

Kannibalisieren Sie sich nicht selbst mit dem Fast-Track-Programm und den Wintec-Maschinen? Beide sind standardisiert und mit begrenztem Optionsumfang erhältlich.

Engleder: Das mag bei dem ein oder anderen Maschinenmodell der Fall sein, doch ist dies nicht wirklich relevant. Wichtiger ist, dass wir als europäischer Spritzgießmaschinenhersteller auf dem Weltmarkt keine Marktanteile an die asiatischen Wettbewerber abgeben.

Vor dem Hintergrund der vielen politischen und wirtschaftlichen Unsicherheiten: Welche weltweite Fertigungsstrategie ist Ihrer Ansicht nach die richtige für die Zukunft?

Engleder: Wir haben einen starken Footprint in Europa und China mit unseren Werken. In den USA überlegen wir derzeit, wie die Zukunft hinsichtlich der Fertigung verschiedener Produktgruppen aussieht, um unsere Marktanteile auf dem US-Markt zu steigern. Die Automatisierungstechnik wächst in den USA jedes Jahr im hohen zweistelligen Prozentbereich. Das Werk in York ist somit komplett ausgelastet. Ein weiterer Punkt in den USA, aber auch in Europa ist der demographische Wandel. Viele Kunden fragen sich, wer in Zukunft noch den Maschinenpark bedienen und warten wird. Deshalb bieten wir nun verschiedene Service-Pakete zum Fixpreis an. Es gibt Rahmenverträge mit den Kunden, in denen Service Level Agreements zusammen definiert werden. Doch zurück zu uns: Auch wir stehen vor der Herausforderung, in den USA und in Deutschland gute Servicetechniker zu finden. Deshalb haben wir am Standort York eine duale Lehrlingsausbildung sehr nah am europäischen Vorbild begonnen. Insgesamt haben wir in York 18 Lehrlinge. Die ersten haben gerade die Ausbildung erfolgreich abgeschlossen.

Zurück nach Europa und zur Automatisierung: Sie haben im Frühjahr in Polen TMA Automation übernommen. Welche Ziele verfolgen Sie mit der Übernahme?

Engleder: Generell funktioniert Automatisierung regional. Deshalb agiert TMA kurz- und mittelfristig auf dem osteuropäischen und vor allem auf dem polnischen Markt. Das Unternehmen bleibt innerhalb der Engel Gruppe eigenständig. Langfristig könnten die Lösungen von TMA aber auch für den europäischen Markt oder darüber hinaus interessant sein. TMA verfügt über Side-Entry-Roboter, die Engel ja nicht im Portfolio hat – und die wollen wir auch über die Region hinaus vertreiben, so das Ziel.

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