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Da kommt was auf uns zu!

Die Frage, wie man mit innovativen Technologien umgehen sollte, stand im Mittelpunkt der diesjährigen Engelskirchener Kunststoff-Technologie-Tage.
Rund 300 Besucher konnte Peter Barlog zur Eröffnung der 23. Engelskirchener Kunststoff Technologie Tage begrüßen. Die Hälfte davon war zum ersten Mal dabei.

Die Frage, wie man mit innovativen Technologien umgehen sollte, stand im Mittelpunkt der diesjährigen Engelskirchener Kunststoff-Technologie-Tage.

Ja, der Eiswagen … ein Extralob für die Organisatoren der mittlerweile 23. Engelskirchener Kunststoff-Technologietage (EKTT), dass sie einen freundlichen Eisverkäufer auf das Gelände der Lang Academy in Lindlar lotsten, wo dieses spannende Event der Kunststoffbranche auf Einladung der Barlog Gruppe alljährlich stattfindet. Geballtes Kunststoff-Knowhow und Erfahrungsaustausch bei weit über 30°C, obwohl Petrus dem Branchentreff eigentlich schon die beiden „kühlsten“ Tage dieser denkwürdigen Woche spendiert hatte – da kamen „einmal Vanille und Erdbeer“ gerade richtig.

Von der Erfindung bis zur Serienreife

Denn auch inhaltlich ging es heiß her in den drei Vortragssälen und -räumen, in denen sich nicht weniger als rund 300 Besucher zusammengefunden hatten – von hitzebedingten Absagen wussten die Veranstalter übrigens nicht zu berichten, allerdings von dem erfreulichen Fakt, dass die Hälfte der Teilnehmer zum ersten Mal dabei war. Die Richtung, in die es dieses Auditorium am 27. und 28 Juni ziehen würde, gab schon ganz zu Beginn Geschäftsführer Peter Barlog vor, der das Tagungs-Leitthema „Von der Erfindung bis zur Serienreife“ gewohnt gewandt mit Leben füllte. „In den vergangenen Jahren hatte sich die EKTT auf Megatrends konzentriert“, so Barlog, aber diesmal wolle man sich auf Wunsch vieler Besucher wieder einmal stärker der Technologie widmen.

Der Spezial-Referent Professor Klaus Mattheck erklärte einige Universalformen der Natur – vom windschiefen Baum bis zu Wirbeln in geschmiedetem Stahl.
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So strotzte das Vortragsprogramm denn auch tatsächlich vor Themen, die dem Spritzguss und seinen Herausforderungen den Finger ans schlagende Herz hielten, wie „Konturfolgende Temperierung in Spritzgießeinsätzen“, „Mikrospritzgießen – wirtschaftlich, produktiv und rentabel“ oder „Schmelzeumschichtung – Abhilfe bei scherungsbedingten Balancierungsproblemen“; man befasste sich mit analytischer Produktentwicklung, Kaskadenspritzguss, modernen Materialverteilungssystemen, mit der Simulation von Biocomposites und der partiellen Temperierung von Spritzgießwerkzeugen. Und wer es Endkundennah mochte, der konnte erfahren, vor welche Herausforderungen der neue Vorwerk Thermomix seine Entwickler stellte – vor ganz gewaltige nämlich, denn 160°C sind auch für Hochleistungswerkstoffe kein Kindergarten. Erst recht, wenn alle Welt (in diesem Falle wirklich zu recht) ein wachsames Auge auf die Additivierung hat.

Wann sind Innovationen eigentlich Innovationen?

Natürlich hielt auch die Werkstofffraktion die Fahnen ihrer neuesten Kreationen hoch, vertreten etwa durch EMS („Fortschrittlicher Metallersatz mit Grivory G5V & Grivory HT6“) und natürlich die Barlog Gruppe selbst („Polyamid 6.6: Verfügbarkeit und Alternativen“). Aber trotz der Fokussierung auf mehr technische Highlights ließ es sich Gastgeber Peter Barlog nicht nehmen, wie gewohnt auch die großen Linien im Auge zu behalten – wobei er sich vor allem des gegenwärtigen Wandels in der Automobilbranche annahm. „Was wünscht sich Mobilität? Immerhin der wichtigste Abnehmer der Industrie: Was entstehen hier für Chancen?“ So verwies er etwa darauf, dass Volkswagen ganz aktuell ausgerufen habe, bis 2050 CO2-neutral produzieren zu wollen – wobei die Lieferkette eindeutig mitgemeint sei. „Da kommt etwas auf uns zu, darauf müssen wir uns jetzt schon einstellen!“

Schon hier deutete sich die zentrale Lektion des Tages an: Es wird künftig weniger um Produkte gehen – und mehr um das „how to“. Zunächst nahm Barlog daher den Innovationsbegriff auseinander. Höchste Zeit, denn wenn jede nicht sofort umgefallene Milchkanne in den Augen des Marketings sofort eine Innovation darstellt, fragt man sich allmählich schon, wo denn nun die echten Innovationen bleiben. Aber vielleicht müssen wir da nur geduldiger werden: Wahre Innovationen, so Peter Barlog, müssen zwar rechtzeitig auf den Markt (Fail: Transrapid und Fax), aber es kann andererseits auch schon mal dauern, bis sie durchstarten – der Reißverschluss brauchte 30 Jahre, bis er akzeptiert war, und Elektroautos werden sogar schon seit 150 Jahren diskutiert.

Aber: „Man muss über Produkte hinausdenken“, so Barlogs Weckruf. Insgesamt zählte er zehn Innovations-Facetten auf, und richtig gute Innovationen müssten auf mehreren dieser Felder überzeugen. Vor allem müssten Innovationen zwar echte Probleme lösen und Kunden überzeugen – aber am besten auf mehreren Ebenen. Beispiel Lego: Seit 1958 (schon damals eigentlich nichts wirklich Neues) passten alle Steine zueinander, so dass man sich heute Piratenschiffe mit Laserkanonen bauen kann; Kunden werden durch eigene Lego-Stores gebunden und in Erlebnisparks gelockt, jüngst erst wurden ganz neue Marktchancen durch Kooperation mit Hollywood erschlossen.

Bürokraten und modulare Autos

Peter Barlog, Geschäftsführender Gesellschafter der Barlog Gruppe (rechts) begrüßt Professor Johann Tomforde, Teamobility GmbH und Vater des Smart-Designs.

Unterstützt wurde Barlog in diesem Ansatz gleich von mehreren Rednern, zum Beispiel Professor Johann Tomforde (Teamobility GmbH), der unter anderem für die schicke Gestalt des Smart verantwortlich zeichnet und sich fragte, warum es manchmal so lange dauert, bis neue Ideen sich zum Beispiel im Automobilmarkt durchsetzen. Da ist für ihn die Antwort klar: „Das Geld, das für Abfindungen rausgeht, fehlt für Innovationen!“ Dafür würden die coolen Neuheiten eben von den Zulieferern verlangt. Ohne Gegenleistung, versteht sich.

Zudem beklagte Tomforde die ständigen neuen Regularien, denen man sich beugen müsse, wie etwa dem geforderten Rundumschutz für Radfahrer, EU-Vorschrift ab 2024 (!). Letztlich würden kleinere Autos die künftigen Crash-Anforderungen bald gar nicht mehr erfüllen können. Aber: „Kann die Industrie sich wirklich leisten, auf das untere Preissegment zu verzichten?“ Daher, konkrete Frage: „Sind Bürokraten die besten Geschäftsfeldentwickler?“ Wie die Antwort ausfiel, kann man sich wohl denken. „Wer nicht wagt, der gewinnt – dieses Konzept wird nicht mehr lange gelten.“

Thomfordes Antwort: Modulare Konzepte, in jeder Hinsicht. Denn man könne ja nicht jedes Mal ein komplettes Auto verschrotten, nur weil sich die IT im Cockpit – Stichwort autonomes Fahren – weiterentwickelt hat oder man in fünf Jahren auf die Idee kommt, dass die gar nicht so grünen Elektroautos nun doch nicht der Weisheit letzter Schluss sind. Und man doch lieber auf die Brennstoffzelle setzt? In einem modularen Konzept kein Thema. Alter Motor raus, neuer rein, fertig.

E-Mobilität: Noch längst nicht alle Fragen gelöst

Auf alle Fälle aber, so Tomforde, werde auf die Kunststoffindustrie viel Arbeit zukommen. Stichworte: Ultra-Leichtbau, Stückzahl-Spreizung und, natürlich, Preis/Leistung. „Alle Ihre schönen Ideen, alle Ihre aufgestauten Innovationen: Bitte realisiert die!“

Bleiben wir also, bis die Brennstoffzelle als nächster Hype kommt, erst einmal bei Elektroautos, denen sich zum Beispiel Michael Tesch vom Kunststoff-Institut für die mittelständische Wirtschaft NRW GmbH thematisch näherte. Er nannte eine Reihe von Herausforderungen, mit denen sich die K-Branche bald auseinandersetzen müsse. Zum Beispiel sei die Sache mit der Langzeit-Wärmebeständigkeit noch gar nicht ausgestanden. Während Verbrenner die meiste Zeit des Tages stünden, würden Kunststoffe im E-Auto rund um die Uhr Temperaturen um 60°C ausgesetzt: Entweder beim Fahren oder beim Laden. Die Abwärme erfordere natürlich wärmeleitfähige Kunststoffe.

Und der Flammschutz: bei unbeaufsichtigt arbeitenden Elektrogeräten sowieso ein heikles Thema. Lösung: hochgefüllte Compounds. Denen aber muss man bei der Verarbeitung unter anderem mit Schlagzähmodifikatoren und Fließhilfsmitteln Hufe machen – und das noch zu erschwinglichen Preisen. „Das ist nicht einfach, da sind viele Versuche zu fahren.“

Zum Glück haben Anbieter wie Barlog einige Compounds im Angebot, die in Sachen Wärmeleitfähigkeit und zum Beispiel der elektromagnetischen Abschirmung etwa von Sensorgehäusen aus Kunststoff – einer weiteren Großbaustelle moderner Automobilität – eine gute Figur machen, wie in weiteren Vorträgen zu erfahren war.

Arburg hat gemeinsam mit anderen Projektpartnern mit Kunststoffhilfe sogar einen Elektromotor gebaut, der bis zu 25% leichter ist als das Standard-Modell gleicher Leistung. Damit überwindet er seine Eigenträgheit schneller und kommt fixer auf Touren.

Noch mehr miteinander reden

Andererseits: Auch wenn Innovationen manchmal Zeit brauchen, stehen die Zeichen in der alltäglichen Praxis doch immer noch auf „Schneller in den Markt“. Da unterbreitet Peter Barlog in Vertretung seines erkrankten Bruders einige Tipps. Zum Beispiel: Früher an die Materialauswahl denken, sonst wird der Prozess von der Idee bis zur Fertigung kurz vor Toreschluss empfindlich ausgebremst – etwa, wenn der nach dem „wird schon gutgehen“-Prinzip ausgewählte Werkstoff plötzlich Wellen wirft.

Besser also, rechtzeitig eine Machbarkeitsanalyse machen und das Lastenheft von Materialexperten auf die wirklich relevanten Anforderungen durchkämmen lassen – also nicht nach dem Motto: „Das muss dasselbe können wie das Messingteil, aber leichter und am besten auch billiger“.

Nenja Döllmann hatte eine Erklärung für den schleppenden Übergang mancher neuen Technologie von der Nerd-Zone in die breite Anwendung parat.

Und das war dann die take-home-message des zweiten Tagungs-Tages: Es braucht Zusammenarbeit, in die noch mehr Disziplinen eingebunden werden als bisher. Wenn es um die Cockpits oder die Sharing Economy von morgen geht, kann es durchaus Sinn machen, sich auch mal mit Soziologen und Technik-Philosophen zusammenzusetzen. Um Kunden über mehrere Kanäle zu begeistern – lernen von Lego! – oder sich teure Fehlentwicklungen zu sparen.

Aber wenn das klar ist: Woran hakt es dann manchmal mit der Marktdurchsetzung von wirklichen Innovationen? Hier hat Nenja Döllmann eine Antwort, die sich in ihrem akademischen Werdegang mit den „Ursachen für die schleppende Marktdurchsetzung innovativer Technologien“ auseinandergesetzt hat. Ihr Credo: Es gibt Leute, die alles Neue ausprobieren, um sich einen Marktvorteil zu verschaffen und dafür auch große Risiken in Kauf nehmen (das sind wenige). Und dann die, die erst einmal abwarten, bis sich die Risiken ausgemendelt haben, um dann mit spitzem Bleistift in aller Ruhe auszurechnen, was die neue Technik wirklich bringt (das sind mehr). Manche Innovation scheitert schlicht an dem Übergang zwischen beiden Gruppen – weil darin jeweils komplett unterschiedliche Menschentypen das Sagen haben. Oder, anders ausgedrückt: Weil sie nicht miteinander reden. Was auf dem 23. EKTT sicher nicht der Fall war, im Gegenteil.

dsa

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