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Composites-Tisch im Automobil der Zukunft

Thermoplastische Composites ermöglichen die Konstruktion robuster, ultradünner und sehr leichter Bauteile mit hochwertigen optischen Eigenschaften.
Der Composites-Tisch ist extrem leicht und dünnwandig – und dennoch sehr robust: Er kann mit 50 kg Gewicht belastet werden.

Thermoplastische Composites ermöglichen die Konstruktion robuster, ultradünner und sehr leichter Bauteile mit hochwertigen optischen Eigenschaften.

Am Beispiel einer flexiblen Tischkonstruktion für autonom fahrende Automobile wird gezeigt, wie sich solche Bauteile dank thermoplastischer Composites wirtschaftlich in Großserie fertigen lassen. Anwendungspotenzial besteht aber nicht nur im Automobil, sondern etwa auch in der Sport- und IT-Industrie.

Endlosfaserverstärkte thermoplastische Composites

Autonomes Fahren und Carsharing werden den Innenraum von Automobilen in einen Wohn- und Arbeitsraum verwandeln. Kunststoffe sind mit ihrem geringen Gewicht und den Freiheiten ihrer Formgebung das Material der Wahl, um diesen „Lebensraum“ funktional zu gestalten. Endlosfaserverstärkte thermoplastische Verbundwerkstoffe (Continuous Fiber-Reinforced Thermoplastic Polymers, CFRTP) gehen noch einen Schritt weiter. Sie bieten die Chance, Bauteile nicht nur schlanker und dabei mechanisch sehr belastbar auszulegen, sondern auch mit einem hochwertigen Design zu versehen.

Erfolgreiche Kooperation

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Welche Möglichkeiten sich dabei eröffnen, unterstreicht ein für autonom fahrende Automobile vorgesehenes modulares Tischsystem, das ein Konsortium von drei Partnern entwickelt hat. Beteiligt sind Covestro als Hersteller der thermoplastischen Composites, Engel Austria als Anbieter für Maschinen- und Prozesstechnik sowie die Dr. Schneider Kunststoffwerke als TIER-Lieferant der Automobilindustrie. In einem zweiten Schritt hat das Projekt zum Ziel, eine wirtschaftliche Fertigung des Tisches in Großserie zu ermöglichen und das dabei gewonnene Know-how auch auf andere Anwendungen zu übertragen.

Extrem leichter und dünner Tisch

Bei einer Länge von 41 cm und einer Breite von 32 cm variiert die Dicke des Tisches im Stil eines schlanken Ultrabooks von außen 5 mm nach innen 10 mm. Er so gestaltet, dass er platzsparend weggeklappt und etwa zwischen den Rücksitzen verstaut werden kann.

In einer ersten Variante hat der Tisch einen Sandwich-Aufbau. Seine Ober- und Unterseite bestehen jeweils aus einer nur 1 mm dicken Schicht des mit Endloscarbonfasern verstärkten Polycarbonat-Verbundwerkstoffs Maezio. Der Sandwichkern-Kern ist ein harter Polyurethan-Integralschaum niedriger Dichte auf Basis von Baydur 20. Beide Werkstoffe sind von Covestro. Mit einem Gewicht von rund 690 g und einer Dicke von knapp unter 1 cm ist der Tisch extrem leicht und dünnwandig – und dennoch sehr robust: Gegenüber einem herkömmlichen Tisch dieser Größe kann er mit rund 50 kg statt 5 kg Gewicht belastet werden.

Vollautomatisierte Composite-Verformung

Im Rahmen des Projektes wurde eine Fertigungszelle zur Umformung der Composite-Zuschnitte für die Tischoberseite und eine weitere Fertigungszelle zur Produktion des Sandwichaufbaus installiert. Die Zelle für die Umformung leitet sich vom Organomelt-Verfahren ab, das Engel für den thermoplast-basierten Composite-Leichtbau in der Großserie entwickelt hat.

Die von Engel konzipierte Fertigungszelle zur Verformung der Composites-Inserts besteht aus einem IR-Ofen, einem Easix Sechsachs-Roboter und einer Duo 350 Spritzgießmaschine.

Zur Fertigung der Tischoberseite wird ein Zuschnitt des Composites in einen horizontalen IR-Ofen eingelegt und auf eine Umformtemperatur über der Glasübergangstemperatur erwärmt. Nach dem Erwärmen wird das biegeschlaffe Halbzeug von einem easix Knickarmroboter zur duo 350 Spritzgießmaschine transportiert und an das geöffnete Spritzgießwerkzeug übergeben. Mit der Schließbewegung der Spritzgießmaschine wird das Composite umgeformt und anschließend abgekühlt.

Eng abgestimmte Projektarbeit

Die Projektpartner hatten in dem Projekt unterschiedliche Aufgaben. So entwarf Covestro das Bauteildesign, untersuchte das Haftungsverhalten von PUR-Schäumen, führte CAE-Simulationen zu den Lastfällen durch – wie etwa der Eckenverformung durch Aufstützen – und legte die belastungsgerechte Orientierung der Fasergewebelagen fest. Außerdem wurde zur Optimierung der Fertigung die Drapierung des Composite-Inserts im Werkzeug simuliert. Das materialgerechte Aufheizen und die Handhabung des biegeschlaffen Composites sowie die Umformung in der Spritzgießmaschine waren die Kernaufgaben von Engel.

Dr. Schneider entwickelte für die Composite-Umformung ein Werkzeug mit einer variothermen Temperaturführung, die sicherstellt, dass makellose Bauteiloberflächen resultieren. Außerdem wurde das Werkzeug so ausgelegt, dass sich der Insert während der Verformung gleichmäßig ohne Faltenbildung an die Werkzeugwände legt.

Hohes Integrationspotenzial durch Hybrid Moulding

In einem nächsten Schritt wollen die Projektpartner den Tisch auf eine rein thermoplastische Basis stellen, um für eine gute Rezyklierbarkeit des Bauteils zu sorgen. Dazu soll der im Spritzgießwerkzeug umgeformte Einleger dort direkt auch über- und hinterspritzt werden, so dass ein One-Shot-Prozess (Hybrid Molding) resultiert. Diese Verfahrensvariante hat den Vorteil, dass in den Tisch kostengünstig direkt weitere Funktionen stoffschlüssig integrierbar sind – wie etwa Befestigungselemente, Halter und Scharnierkomponenten. Mechanisch besonders belastete Bauteilbereiche könnten dabei zudem mit eingelegten thermoplastischen Endlosfasertapes lokal verstärkt werden.

Vielfältige Möglichkeiten zur Oberflächengestaltung Maezio hat nicht nur bei hochbelasteten und dekorierten Leichtbauteilen für das In- und Exterieur von Automobilen großes Einsatzpotenzial, sondern auch bei Strukturbauteilen für Sportartikel und in der Herstellung besonders dünnwandiger, aber robuster Gehäuseteile für Laptops und Smartphones. In vielen dieser Anwendungen können sich die zahlreichen Möglichkeiten bezahlt machen, die der Verbundwerkstoff mit seiner hohen Oberflächenqualität beim Dekor der Bauteile bietet. So lässt sich mit glasartigen Effektlacken der von den Fasergeweben herrührende Carbonlook betonen. Auch Narbungen bis hin zu textilen Optiken sind umsetzbar. Die Oberflächen könnten zudem mittels In Mould Coating mit kratzfesten PUR-Hardcoats oder selbstheilenden PUR-Lacken beschichtet und haltbarer gemacht werden.

Florian Dorin, Market Development Manager für Maezio Composites, Business Unit Polycarbonates, Covestro

Bernd Trinkwalter, Leiter Vorentwicklung, Abteilung Forschung & Entwicklung, Dr. Schneider Kunststoffwerke

Christian Wolfsberger, Business Development Manager Lightweight Composites, Engel Austria

Paul Zwicklhuber, Technology Expert Thermoplastic Composites, Engel Austria

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