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Unternehmen 12. September 2022

Böhm: „Abkühlung beim Absatz von Spritzgießmaschinen“

Der Absatz von Spritzgießmaschinen ist derzeit volatil, so Arburg-Geschäftsführer Gerhard Böhm im Interview mit der K-ZEITUNG; der Markt hat sich abgekühlt.

Gerhard Böhm, Geschäftsführer Vertrieb und Service bei Arburg, berichtet, dass der Auftragseingang für Spritzgießmaschinen Anfang 2021 so hoch wie noch nie in der Unternehmensgeschichte von Arburg war. Nun ist allerdings eine Absatzberuhigung eingetreten.
Gerhard Böhm, Geschäftsführer Vertrieb und Service bei Arburg, berichtet, dass der Auftragseingang für Spritzgießmaschinen Anfang 2021 so hoch wie noch nie in der Unternehmensgeschichte von Arburg war. Nun ist allerdings eine Absatzberuhigung eingetreten.

Böhm spricht außerdem darüber, wie lange seiner Einschätzung nach die Abkühlung des Absatzes anhalten wird, wie er den chinesischen Markt einschätzt, warum der Spritzgießmaschinenbauer ein zentrales Lagermaschinenprogramm aufbaut, ob dies eine neue Strategie sein könnte und welche Herausforderungen er bei der Digitalisierung der Kunststoffverarbeitung sieht.

Herr Böhm, Arburg verzeichnete 2021 eine Umsatzsteigerung um 27 %, es ging also steil nach oben. Was waren die Hauptgründe?

Gerhard Böhm: Das Geschäft hatte bereits Ende 2020 wieder kräftig angezogen – und diese Entwicklung hat sich fortgesetzt im vergangenen Jahr. Über diese positive Umsatzentwicklung haben wir uns sehr gefreut, zumal die Rahmenbedingungen ja beileibe nicht einfach waren! Auffällig war, dass der deutsche Markt im Jahr 2020 sehr zurückhaltend war. Doch in der ersten Hälfte 2021 hat sich dies fast schlagartig zum Positiven entwickelt.

Deutschland war aber sicher nicht der einzige Markt, der gut lief, oder?

Böhm: Vergangenes Jahr wurde im Prinzip überall auf der Welt kräftig investiert. Es gab kaum eine Region oder ein Land, das für uns nicht im grünen Bereich lag. Der US-Markt war wieder sehr stark. Die Zurückverlagerung von Produktionen aus dem asiatischen Raum macht sich dort auf alle Fälle bemerkbar. Und gegenüber europäischen Maschinenherstellern gibt es in den USA wenig Vorbehalte. Aber auch in Asien haben wir neue Rekordzahlen verbucht, in China hatten wir zum Beispiel einen neuen Rekord im Auftragseingang – trotz aller Lockdowns und der Covid-Strategie der chinesischen Regierung.

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Nun haben Sie ja in China kein Produktionswerk. Insofern waren Sie zumindest da nicht von Lockdowns betroffen.

Böhm: Das nicht, aber der Vertrieb war natürlich nur eingeschränkt handlungsfähig, da Reisen und Firmenbesuche wegen der Pandemie und der Restriktionen zum Teil schwierig waren. In China kam das Wachstum bei uns vor allem aus dem Medizintechnikbereich, doch auch im Automotive-Bereich hat sich dort sehr viel getan. Gerade im Bereich Elektromobilität profitieren wir davon, dass es in China sehr viele neue Player gibt. Da herrscht Aufbruchsstimmung. Hinzu kommt, dass in China der Automationsgrad von Spritzgießmaschinen steigt. Das merken wir deutlich in unserer Arburg Technology Factory (ATF) in Pinhgu, die wir vor zwei Jahren eröffnet haben. Dort bauen wir kundenspezifische Turnkey-Anlagen mit Allroundern aus Loßburg und Peripherie von lokalen Partnern. Das hat sich wesentlich schneller entwickelt, als wir gedacht haben. Wir haben dort mittlerweile auch ein gutes Netzwerk von chinesischen Partnern für Automation aufgebaut, sodass das Turnkey-Geschäft dort gut läuft. Nun werden wir uns noch im Bereich Handling-Systeme verstärken – mit entsprechenden Partnern in der Nähe von Pinghu.

Die Volksrepublik koppelt sich wirtschaftlich immer mehr von Europa und den USA ab. Die Bürger werden aufgefordert, lokale Produkte zu kaufen. Ist dies im Investitionsgüterbereich auch schon zu merken?

Böhm: Wir merken das noch nicht an unseren Verkaufszahlen, aber letztlich weiß niemand, wie das künftig weitergeht. In den verschiedenen Verbänden, in denen wir organisiert sind, stellen sich alle diese Frage. Die Gefahr des Decoupling ist auf alle Fälle gegeben. Andererseits werden darunter auch chinesische Unternehmen leiden, die viel exportieren. Wenn deren Exportzahlen sinken, bezweifle ich, dass sie weiter nach Plan investieren werden. Was zu allen Unwägbarkeiten noch hinzukommt ist die Frage, wie lange die chinesische Regierung ihre Null-Covid-Strategie noch verfolgen wird. Die Lockdowns und Hafenschließungen haben unser Geschäft im ersten Halbjahr 2022 auf alle Fälle ausgebremst.

Wie schaut es insgesamt für das laufende Jahr aus? Können Sie eine Umsatzprognose abgeben?

Böhm: Es ist wirklich sehr schwierig, jetzt schon eine verlässliche Zahl zu nennen. Die Märkte sind mittlerweile bekanntermaßen ja sehr volatil und dies wird in Zukunft sicher so bleiben. Andererseits muss man sehen, dass die vergangenen 1 bis 1,5 Jahre eine sehr euphorische Stimmung herrschte. Der Auftragseingang Anfang 2021 war so hoch wie noch nie in unserer Unternehmensgeschichte. Insofern gehen wir davon aus, dass die Beruhigung des Markts dieses, aber auch noch mindestens nächstes Jahr anhalten wird.

Welche Faktoren beeinflussen die Märkte am meisten im Moment? Ist es der Krieg in der Ukraine, ist es die Rohstoffknappheit, sind es Lieferketten-Probleme, Lockdowns in China – oder was?

Böhm: Es ist die Summe aller Themen. Und ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir eine so komplexe Lage in der Vergangenheit schon mal hatten. Der Krieg in der Ukraine verunsichert immer latent, weil ja auch kein Ende absehbar ist. Eng damit verknüpft sind ja auch die immens gestiegenen Energiekosten, die alle Unternehmen extrem belasten.

Böhm: „Ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir eine so komplexe Lage wie im Moment in der Vergangenheit schon mal hatten.“
Böhm: „Ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir eine so komplexe Lage wie im Moment in der Vergangenheit schon mal hatten.“

Stichwort Lieferengpässe: Wie lange müssen Kunden derzeit auf eine frei konfigurierte Spritzgießmaschine bei Arburg warten?

Böhm: Wer jetzt eine Maschine bestellt, muss manchmal bis zum zweiten Quartal nächsten Jahres warten. Was nicht heißt, dass wir nicht hin und wieder auch zaubern können, wenn es irgendwo brennt. Wir haben die Schlagzahl in der Produktion erhöht und es ist in Sachen Auftragseingang ja generell etwas ruhiger geworden. Was auch hilft: Wir bauen derzeit einen Bestand an Lagermaschinen zentral in Loßburg auf, die man über die App Ready2Go in unserem Kundenportal Arburgxworld finden und ein Angebot anfordern kann. Diese Maschinen sind dann innerhalb von drei bis vier Wochen beim Kunden.

Maschinen ab Lager zu verkaufen, ist bei den europäischen Spritzgießmaschinenbauern derzeit ein Trend. Arburg ist nicht der einzige Hersteller, der diesen Weg jetzt geht. Was ist der Grund für diese Entwicklung?

Böhm: Ich will vorausschicken, dass es Lagermaschinen bei uns auch schon in der Vergangenheit gab, allerdings eher in unseren Niederlassungen. Nun haben wir hier in Loßburg ein kleines zentrales Lager dafür aufgebaut. Doch zu Ihrer Frage: Unsere Kunden sind von uns gewohnt, dass sie ihre Maschinen selbst genau spezifizieren können. Asiatische Hersteller gehen schon immer den umgekehrten Weg, indem sie Standardmaschinen produzieren und dann in den Markt geben. Bei den langen Lieferzeiten, die derzeit marktüblich sind, kann es jedoch schon mal vorkommen, dass ein Kunde zu einer Maschine mit standardisierten Spezifikationen greift, weil diese schneller verfügbar ist.

Dahinter steckt also keine neue Strategie?

Böhm: Nein, auf keinen Fall. Wir werden weiterhin Highend-Maschinen bauen, die der Kunde ganz nach seinen Wünschen spezifizieren und auslegen kann. Doch ich sehe unser Ready2Go-Programm durchaus als eine Möglichkeit zu lernen, wieviel Flexibilität und Sonderoptionen der Kunde tatsächlich wünscht und braucht.

Wie können Sie an Maschinen, die erst nächstes Jahr ausgeliefert werden, ein Preisetikett hängen vor dem Hintergrund der vielen aktuellen politischen und wirtschaftlichen Unwägbarkeiten, zu denen auch die steigende Inflation gehört?

Böhm: Das ist in der Tat nicht ganz so einfach und es ist klar, dass wir nicht alle Preiserhöhungen kompensieren können, sondern diese auch an unsere Kunden weitergeben müssen. Wir haben für uns jedoch einen Modus gefunden, um die Preisentwicklungen genau zu beobachten und bei unseren Angeboten entsprechend zu kalkulieren. Das kann auch bedeuten, dass es uns an der ein oder anderen Stelle doch dann auch mal kalt erwischt. Uns und damit unseren Kunden kommt entgegen, dass wir selbst eine hohe Fertigungstiefe haben. Zusätzlich haben wir das Risiko auf uns genommen und unsere Lagerbestände sehr gut aufgefüllt. Das erleichtert die Kalkulation an der einen oder anderen Stelle. Was uns wirklich weh tut, sind Lieferanten, die dies nicht so handhaben wie wir, und uns am Ende höhere Preise berechnen als bei der Bestellung vereinbart.

Das heißt, die Maschinen, die Sie jetzt verkaufen und nächstes Jahr ausliefern werden, versehen Sie schon mit einem festen Preis?

Böhm: Genau so ist es. Das einzige, das wir dabei offen halten, ist der Transport. Die Transportpreise für nächsten Sommer festzulegen, ist derzeit einfach unmöglich. Daher teilen wir heute dem Kunden nur den aktuellen Transportpreis als Indikation mit. Der finale Preis folgt dann bei der Auslieferung. Dies halte ich für eine faire Methode.

Lassen Sie uns auf das Thema Digitalisierung zu sprechen kommen. Sie haben mittlerweile über 2700 Unternehmen und über 7100 User auf dem Portal Arburgxworld. Sie bieten darauf vier verschiedene Pakete mit verschiedenen Ausbaustufen an. Wie verteilen sich die Kunden auf die Pakete?

Böhm: Das Gros der Kunden nutzt das kostenlose Basic-Paket, bei den Paketen „Premium“, „Premium Connect“ und „Enterprise“ sind es deutlich weniger. Man muss klar sagen, dass sie alle keine Selbstläufer sind. Das Interesse an Digitalisierung ist durchaus vorhanden, aber es fehlt in den Unternehmen immer noch die Manpower, um Digitalisierungsprojekte zu stemmen. Wenn wir den Leiter Fertigung auf das Thema ansprechen, hören wir meist: Ja, wie soll ich mich denn auch noch darum kümmern? Es braucht also von unserer Seite viel Unterstützung, damit die Kunden im ersten Schritt den Mehrwert der Digitalisierung erkennen und diese dann nachhaltig vorantreiben. Die Kunden, die unser Portal nutzen, sind sehr zufrieden, wie Umfragen zeigen. Aber bis zur durchgängigen Digitalisierung ist es eben ein langer Weg.

Gibt es Unterschiede zwischen den Märkten?

Böhm: Die deutschen Kunststoffverarbeiter sind da relativ affin, ebenso die Franzosen und die Italiener. Bei letzteren gibt es einen besonderen Grund: Der italienische Staat hat 2019 den Plan Industrie 4.0 auf den Weg gebracht mit sehr hohen Abschreibungsmöglichkeiten beim Kauf von neuen Geräten, Maschinen und Anlagen, die der Digitalisierung der Unternehmen dienen. In Richtung Osten von Europa nimmt das Interesse an der Digitalisierung allerdings schon deutlich ab. Unterm Strich ist die aktuelle Situation noch ausbaufähig. Hinzu kommt, dass die Mentalität weit verbreitet ist, dass Software nichts kosten darf.

Das IT-Beratungshaus Gartner beobachtet die Entwicklung neuer Technologien und deren Akzeptanz immer sehr genau. Nach deren Hype Cycle scheinen wir nun im Tal der Tränen zu stecken, was die digitale Fabrik anbelangt, oder?

Böhm: Ja das sehe ich ähnlich. Doch nach dem Gartner Hype Cycle werden wir in zehn Jahren auch nicht mehr von diesen mühsamen Anfängen sprechen, da bin ich mir sicher. Die Digitalisierung ist ja nicht mehr aufzuhalten.

Das Geschäft mit der additiven Fertigung – also Innovatiq und das Freeformer-Geschäft – sollen in diesem Jahr in der neuen Gesellschaft Arburgadditive zusammengeführt werden. Wie ist da der aktuelle Stand?

Böhm: Dr. Victor Roman hat Ende 2021 die Geschäftsführung der Arburgadditive übernommen. Seit September sind die Arburg-Mitarbeiter aus dem AM-Bereich der neuen Gesellschaft zugeordnet. Innovatiq ist an diese organisatorisch angegliedert, ist jedoch nach wie vor ein eigenständiges Unternehmen. Damit sind nun also alle unter einem Dach, alle ziehen so am gleichen Strang. So werden Synergieeffekte zum Beispiel hinsichtlich der Entwicklungskompetenzen für Soft- und Hardware sowie im Vertrieb genutzt.

Das heißt, der Vertrieb von Spritzgießmaschinen und additiven Fertigungsmaschinen erfolgt nun nicht mehr zusammen?

Böhm: Richtig. Das ist auch sinnvoll, denn der Großteil der Spritzgießer sind keine additiven Fertiger. Der typische Freeformer-Kunde bringt selbst Produkte auf den Markt und fertigt mit dem Freeformer Prototypen und Kleinserien mit Standardmaterial und Materialien die als Filamente und Pulver nicht verfügbar sind. Im Gegensatz dazu sind die meisten Spritzgießer Dienstleister für OEMs. Grundsätzlich nehmen wir uns aber die Freiheit den Vertrieb marktspezifisch auszurichten.

Welche Impulse erhoffen Sie sich von der K-Messe in Düsseldorf? Und was wird es Neues zu sehen geben?

Böhm: Ähnlich wie von unseren Technologie-Tagen Ende Juni erhoffe ich mir neue Motivation und eine Aufbruchsstimmung für neue Projekte. Dass man sich nun wieder treffen kann, setzt vieles in Gang. Ohne persönliche Kontakte geht es nicht. Neue Anknüpfungspunkte für Projekte ergeben sich sehr viel besser in persönlichen Gesprächen. Ich erwarte in der Spritzgießmaschinentechnik keine weltbewegenden technischen Neuerungen; vielmehr wird es um Innovationen in den Bereichen Nachhaltigkeit und auch Digitalisierung gehen. Thematisch werden wir viele Lösungen für die Kreislaufwirtschaft zeigen. Rezyklatverarbeitung und Design for Recycling, Nachhaltigkeit, Ressourcenschonung, CO2-Footprint in der Herstellung der Maschinen und Circular Economy werden die beherrschenden Themen auf der Messe sein.

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